Farben-Blick
—◇—◇—
Mein Beitrag zum New Year, New You Contest 2024
zum Schreibvorschlag:
»Duftender Neujahrszauber«
Ein stiller Neujahrsmorgen, die Küche erfüllt vom Duft frischen Kaffees. Die dampfende Tasse in den Händen wird zum Begleiter durch das kommende Jahr, ein Symbol der Hoffnung und der ungeschriebenen Abenteuer. Jeder Schluck erinnert daran, dass in jeder Tasse Kaffee ein kleines Wunder steckt, bereit, die Leinwand des neuen Jahres mit intensiven Farben zu füllen.
von WattpadKaffeehausDE
— Eine der Gewinnergeschichten ♥️ —
—◇—◇—
Trist ... Trostlos ... Leer ...
Mit dem Ärmel meines überdimensionalen Schlafshirts den Dunst vom Fenster abwischend luge ich raus.
Na toll. Nun ist mein Shirt nass – und viel schlimmer: kalt. Vielleicht lenkt es mich immerhin von meinen Schmerzen im Gesäß ab. Aufstehen könnte natürlich auch helfen, aber ... Nö.
Lieber positioniere ich mich nochmals neu, um eine Sitzhaltung zu finden, die ich noch nicht hatte – obwohl ich es mir kaum noch vorstellen kann. Aber vielleicht habe ich Glück und mein Körper erinnert sich nicht mehr. Dabei ziehe ich noch das dritte Sitzkissen zu mir heran, um es mir dabei umständlich unter den Hintern zu schieben. Hach ja ... So lässt es sich hier auf der Fensterbank erst einmal weiter aushalten.
Es ist nicht einmal mehr weiß dort draußen. Vielmehr vermengt sich das, was sich Schnee schimpfte, mit – wenn ich mal gnädig bin – Staubpartikeln und mit ... Nein, ich wollte gnädig bleiben – wozu eigentlich?
Ach zum Teufel damit! Und mit dem ganzen anderen Rotz. O-okay, ich schaffe es wohl nicht, mich am Riemen zu reißen. Genauso wenig wie das, was sich vor meinen Augen breitmacht. Diese die öde Kargnis ...
Öde Kargnis? Ödes Karge? Karge Ödnis?
Grau. Bräunlich. Dunkle, triste Schlieren ziehen sowohl auf dem Boden als auch durch den Himmel ihre Bahnen. Bleibt nur noch die Frage, wie lange sie brauchen, bis sie sich in meine Eingeweide gefressen haben.
Ein toller Morgen! Ha ha ... Ganz vorzüglich – könnte ja gar nicht besser starten! Ha ha ...
~~~
Von mir selbst genervt – was ich natürlich mit einem lauten Seufzer unterstreiche – wende ich meinen Blick nach links. Grün. Der einzige Farbtupfer – vom schmierigen Braun mal abgesehen – weit und breit. Ich habe keine Ahnung von Bäumen, aber dieser verliert seine Farbe niemals. Ein kleiner Lichtblick.
Während ich über diesen idiotischen Gedanken mit dem Kopf schüttele, bemerke ich, wie sich mein Po bereits wieder meldet. Mega nervig! In Ordnung, in einer Minute stehe–
Jemand – ich kann mir schon denken, wer. Denn neben mir gibt es ja nur eine weitere Person hier – klopft an meiner Tür und lässt mich damit meinen Plan nicht zu Ende schmieden. Nichts darf ich hier noch in Ruhe machen ...
»Schon wach, Brinchen?«
Augenrollen ist meine Reaktion. Ob meines letzten Gedankens oder wegen Nadias überschwänglichen Worten? Womöglich beides.
Muss sie mich denn auch gleich am Morgen so nennen? Really? Und dabei das ›I‹ bei Brinchen auch noch extra markant in die Lä-ä-ä-nge ziehen? Wahrscheinlich wäre die Antwort ›Ja‹.
»Brin–«
»Ja«, unterbreche ich sie schnell, »bin wach und sogar bereits aufgestanden ...«, mein Blick gleitet nach rechts zu meinem Bett, aus dem ich direkt auf die breite Fensterbank des schönen Erkerfensters gewandert bin – zählt doch, oder? – und wieder zurück zum Baum, »und in ... äh ...«
»Zehn bis fünfzehn Minuten?«
Genau das wollte ich auch gerade sagen ... Natürlich nicht. »Aber na sicher«, bestätige ich jedoch.
Ihre Schritte lassen mich wissen, dass sie sich entfernt. »Dann mache ich uns schon mal Kaffee«, ruft sie mir noch zu, ihre Worte mit sich ziehend und gleichsam scheint mir, als würde der euphorische Klang nachhallen und sich überall festsetzen wollen.
Nach einer Art Schockminute rappele ich mich mühselig auf. Seufzend und schon jetzt sehnsüchtig schaue ich auf meine Chill-Oase ... Es nützt nichts: Ab ins Bad.
~~~
Als ich aus der Dusche steige, nehme ich bereits einen wohltuenden Duft wahr, der vermutlich aus der Küche bis hierher dringt. Die Augen schließend atme ich tief ein. Durch die Nase. Um das Aroma in mich hineinlassen zu können. Es besänftigt mich. Nadia ist zu gut.
So trist es draußen auch sein mag, es war bisher ruhig. Ruhe. Aus dem Badezimmer heraustapsend wappne ich mich innerlich auf einen Sturm an Worten. Doch entgegen meiner Horrorvorstellung bleibt es still. Nadia sitzt – ihre Kaffeetasse mit beiden Händen umklammernd – am Küchentisch und schaut durch das große Küchenfenster hinaus.
Vom Türrahmen aus sehe ich ihre zusammengeflochtenen braunen Haare; folge mit meinen Augen ihrem Blick. Nichts als Trostlosigkeit. Der gleiche Mist, den ich auch aus meinem Fenster schon zu sehen bekommen habe. Um sie nicht zu stören, bewege ich mich so leise, ich kann auf den Tisch zu und setze mich ihr gegenüber auf den Platz, an dem bereits eine Tasse mit der wohltuenden Flüssigkeit auf mich wartet.
»Wunderschön, nicht wahr?«, fragt sie, als ich gerade meinen Kaffeebecher in die Hand nehmen möchte.
Irritiert blicke ich sie an. »Was genau meinst du?« Sie guckt immer noch raus. »Seit wann findest du Grau so bezaubernd?«, hake ich nach. Vielleicht habe ich irgendetwas verpasst ...
Ob meine Nachfrage noch zu Nadia durchgedrungen ist, kann ich nicht genau sagen, sie scheint in Erinnerungen oder Gedanken zu schwelgen, zumindest reagiert sie nicht weiter. Etwa eine Minute – vielleicht auch weniger – betrachte ich sie noch, bis ich dann zu meinem Kaffee greife.
~~~
Als ich zunächst den Milchschaum mit meinen Lippen abschöpfen mag, fällt mir darauf etwas auf, weswegen ich die Tasse erneut etwas herunter nehme. Nadia hat mir mit Kakaopulver eine Tanne darauf gestreut.
Mit einem Lächeln schaue ich sie an. Das ist echt lieb und süß. Ich wende meinen Kopf wieder ab. Der erste Schluck tut gut. Unheimlich gut. Samtig weich gelangt der Mix aus warmer Milch mit Espresso meinen Rachen hinab.
Ist das der von ihr versprochene Neujahrszauber? Ein ruhiger gemeinsamer Morgen am Neujahrsmorgen ist es auf alle Fälle.
»Einfach alles«, sagt Nadia.
Einen kleinen Moment braucht mein Gehirn, um den Anschluss zu finden, bis es Klick macht. Einfach alles findet sie wunderschön?
»Wie kommst du darauf, dass es nur grau ist?«, fragt sie nach einer weiteren Schweigepause, in der ich noch gegrübelt habe, was sie womöglich mit ›einfach alles‹ gemeint haben könnte.
Mir würde darauf als Antwort so viel einfallen. Warum ihr nicht? Es genügt doch ein Blick hinaus. Meine Tasse stelle ich auf den Tisch, unbeabsichtigt mit einem etwas zu lautem Poltern.
»Schau doch nur raus«, entgegne ich dennoch halbwegs ruhig, komme mir aber bescheuert dabei vor, denn das tut sie ja beinahe die ganze Zeit.
Ihr Kopf ruckt zu mir. Ein eher trauriges Lächeln zeichnet sich auf ihrem Gesicht ab. »Du weißt doch«, beginnt sie, aber eine für mich unsichtbare Barriere lässt sie stoppen.
Was weiß ich? Doch ich frage nicht nach. Bisher war es angenehmes – ja, sogar wohltuendes – Schweigen. Jetzt scheint dieses Unsichtbare zwischen uns zu stehen. Etwas, das heraus möchte. Oder das es gilt zu entdecken?
Um der Situation zu entkommen, tasten meine Finger nach dem Becher.
~~~
Den Blick von ihr abgewendet führe ich die Tasse zu meinen Lippen.
Die Köstlichkeit gleitet meinen Rachen hinab und erwärmt mich von innen als hätten sich vereinzelte Sonnenstrahlen in mein Inneres geschlichen. Ein sanftes Gelb.
Ist das möglich?
»Sie sind überall«, flüstert Nadia in den Raum, worüber ich froh bin, da sie mich von meinen irren Gedanken weglockt. »Die Farben.« Oder auch nicht.
Eine Bewegung im Augenwinkel lässt meinen Blick zu ihr huschen. Nadias Stuhl ist leer. Sie ist aufgestanden, beugt sich etwas vor – nein, sie verbeugt sich.
Kurz darauf bewegt sie sich fließend über die Fliesen der Küche. Sie vollführt eine Kür – vermutlich improvisiert, die jedoch den anderen in nichts nachsteht. Nicht für mich.
Fasziniert und verzaubert betrachte ich sie. Wie sie über den glatten Boden schwebt. Elegant und erhaben, doch nicht arrogant.
Behutsam tasten ihre beiden Händen nach oben – als würde sie nach den Sternen greifen wollen. Dunkles Blau und goldenes Funkeln.
Kurz darauf wirbelt sie sich springend um die eigene Achse, um dann in leichten Sprüngen um den Tisch zu tänzeln. Sie versprüht Freude wie bei unseren Ausflügen in die Natur mit Wiesen, Feldern, Blumen und Gewässern.
Saftiges Grün, schimmerndes Rot und Violett, glänzendes Blau und so viele Farben mehr, sodass ich eine ganze Farbpalette füllen könnte, prasseln auf mich ein. Wow.
Anmutig kommt sie zum Stehen und verbeugt sich erneut. Ich klatsche in die Hände und lächle sie breit an. »Das war großartig.«
»Danke, Brinchen.« Sie setzt sich wieder auf ihren Platz, streicht ein paar lose gewordene Strähnen hinter ihr Ohr und nimmt einen Schluck Wasser. »Und nun du.«
Und nun du – was nun ich?
~~~
»Schau nicht so«, äußert sie grinsend.
Da ich immer noch nichts erwidere, bedenkt sie mich kurz mit einem skeptischen Blick. Mittlerweile glaube ich zu wissen, was sie meint. Aber zu einhundert Prozent sicher bin ich mir nicht, daher senke ich den Kopf ...
»Hol sie dir – die Farben – selbst in dein Leben.« Ich spüre, wie ihr erwartungsvoller Blick auf mir ruht. Nach einer kurzen Pause beginnt sie von Neuem: »Du weißt doch ...« Sie macht bewusst eine Pause.
»Es ist wie beim Malen«, fahre ich fort. Leicht hebe ich meinen Kopf und linse zwischen meinen blonden Haaren hervor. Und ja, ich muss ein wenig lächeln.
»Genau. Du kannst umblättern, eine neue Leinwand nehmen ...« Ihre Hände schweben vor mir daher; sie scheint es vor ihren Augen zu visualisieren.
Vielmehr ... Oder ... Ja, doch – sie zeigt es mir. In meinem Kopf formen sich Bilder.
»Und diese mit Farben befüllen«, rutscht es aus meinem Mund heraus.
»Ja.« Ihre Stimme so freudig zu hören, belebt auch mich. »Nach deiner Vorstellung; nach deinen Wünschen – mit deinen Farben. Von innen heraus.«
Sie hat recht. Es muss nicht grau sein; nicht, wenn ich es nicht mag. Es kann alles sein; so wie ich es möchte.
Innerlich neu belebt schaue ich sie an und bin bereit. »Dann lass uns raus gehen und die Welt bunt anmalen«, lade ich sie auf mein nächstes Abenteuer ein.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro