Kapitel 12 - Chaos
Den Rest des Tages verbrachte ich in meinem Bett. Es war warm draußen, doch ich wollte nichts tun , niemanden sehen , nichts sagen. Einfach nichts. Ruth schickte mir tausende Nachrichten auf Whatsapp, doch ich öffnete sie nicht. Ich hatte keine Lust zu schreiben und wenn Ruth sehen würde , dass ich online war und ihr nicht geantwortet hatte , wäre sie wieder sauer.
Warum führst du dich eigentlich so auf Kaylee? Es ist doch nichts passiert. Du bist so eine zickige Kuh.
Ich konnte der Stimme in meinem Kopf nicht widersprechen. Der Abend und auch der Morgen waren wunderschön gewesen. War ich so schlecht gelaunt , wegen Layla? Oder weil ich in Kyle verliebt war. Ich zog mir das Kissen über den Kopf. Was für eine verdammte Scheiße. Dieser Typ würde mich noch wahnsinnig machen. Musste Liebe so anstrengend sein , oder lief bei mir irgendetwas falsch?
Ich nahm The Forgotten Girl zur Hand. Seit Kyle im Unterricht seine Theorie über Elisabeth's Selbstmord geschildert hatte, hatte ich dieses Buch noch etliche Male gelesen. Endlich hatte ich die Stelle gefunden , die Kyle schon beim erstem Lesen gefunden hatte.
'Das Leben hat so viel zu bieten', wurde Elisabeth mit einem Mal klar. Sie betätigte die Schalter , sie konnte Handlungen beeinflussen. Sie wusste plötzlich, was für eine große Rolle sie in dem ganzen spielte und sie lachte vor Freude. Nach einigen Sekunden wurde aus ihrem Lachen nur noch ein leichtes Lächeln. 'Wenn ich hier nur raus könnte, dann könnte ich wirklich leben.', dachte sie.
Ich hätte mich dafür ohrfeigen können , dass mir das nicht sofort aufgefallen war. Ich dachte nicht tiefgründig genug. Das war mein Problem. Kyle war anders. Er analysierte nicht nur oberflächlich, er ging tiefer. Ich wurde weiß wie die Wand. Er musste längst bemerkt haben, dass ich in ihn verliebt war. Das konnte gar nicht anders sein. Deswegen der Mundwinkel-Kuss. Mitleid. Reines Mitleid. Wenn er etwas für mich empfinden würde, hätte er mich richtig geküsst.
Denkst du wirklich, das ist alles?
Was sollte denn da mehr sein? Ich ging die Möglichkeiten durch.
1. Er wusste , dass ich auf ihn stand, wollte auch etwas von mir und war bloß schüchtern.
2. Er wusste es nicht, war in mich verliebt und wollte sich langsam annähren, um zu sehen, wie ich reagiere.
3. Er wusste es und hatte mir aus Mitleid diesen Kuss gegeben.
4. Er wusste es nicht und hatte mir aus irgendwelchen anderen Gründen diesen Kuss gegeben.
So liebes Unterbewusstsein, was klingt für dich am wahrscheinlichsten? Ich zog mir die Bettdecke über den Kopf. Ich war wirklich armselig.
Als wenn ich nicht schon aufgewühlt genug gewesen wäre, klingelte es nachmittags an der Tür. Ich hörte nur, wie sie sich öffnete und wieder schloss. Als nächstes die Stimme meiner Mutter. Ne oder? Einen Moment später kam Mason ins Zimmer.
"Kaylee? Kommst du kurz mit nach unten?"
"Ich weiß , dass sie da ist."
"Sie möchte nur mit dir reden."
"Ich aber nicht mit ihr."
"Gib ihr 5 Minuten."
Ich stöhnte auf und erhob mich. Gequält lief ich hinunter in die Küche.
Da saß sie , in ungerader Haltung am Tisch. Das blonde Haar locker zur Seite geflochten in bequemen Klamotten. Aus ihren großen braunen Augen sah sie mich an. Ich setzte mich gegenüber von ihr.
"Was willst du?"
"Hübsch siehst du aus."
"Wenn das alles ist , was du zu sagen hast , dann kannst du gleich wieder gehen.", ich machte Anstalten aufzustehen , doch sie zog mich zurück auf den Stuhl und räusperte sich.
"Was du mir letztens an den Kopf geworfen hast, das war schon ziemlich hart. Einiges sicherlich auch verdient, aber alles nicht..."
"Du bist dir immer noch keiner Schuld bewusst oder?!"
"Doch Kaylee. Lass es mich dir erklären. Hör mir zu. Sicherlich war es nicht die feine englische Art, deinen Vater zu betrügen, aber ich hatte... Gründe..."
"Ja , du fandest es geil , in deinem Alter von 'nem Jüngeren angebaggert zu werden."
Sie ignorierte meine Unterstellung und redete normal weiter.
"Dein Vater war total in seine Bücher versunken. Noch mehr als heute. Ich kam nicht mehr an ihn ran. Wenn ich Probleme hatte , hat er mir gar nicht zugehört. Lucas war da für mich. Er hat mich nachhause gefahren , als ich im Büro einen Zusammenbruch hatte . Dein Vater wusste bis vor kurzem nichts davon. Nicht , weil ich es ihm nicht erzählt habe. Er hat mir nicht zugehört. Genauso wie mit dem... Okay du bist groß genug... Wie mit dem Sex. Da war nichts mehr. Er hat bis tief in die Nacht an seinen Büchern gesessen. Ich hätte mich in Reizwäsche auf ihm stürzen können und er hätte mich ausgeblendet. Er hatte mich aus seiner Welt ausgeschlossen, also habe ich langsam angefangen , ihn aus meiner auszuschließen. Und dann habe ich mich in Lucas verliebt..." Sie schwieg.
Die Erklärungen meiner Mutter klangen plausibel, doch irgendetwas in mir brach. Die Tränen liefen mir über die Wangen.
"Warum hast du nie mit uns geredet?! Wieso bist du einfach so abgehauen?! Waren wir dir so egal?!", schrie ich sie an und schluchzte. Auch meiner Mutter traten Tränen in die Augen.
"Mein Schatz , ihr wart und seid mir nicht egal. Ihr seid meine Familie und ich liebe euch. Ich war einfach... Feige... Ich konnte euch nicht in die Augen sehen und sagen , dass ich zu meinem Neuen Freund ziehe. Ich hätte das tun sollen , aber ich konnte einfach nicht. Und es tut mir so leid. Als du den Kontakt dann komplett abgeblockt hast , hat es mir das Herz gebrochen. Ich war am Boden und ich hätte mehr versuchen sollen , um es dir zu erklären. Es tut mir alles so leid.", sie vergrub das Gesicht in ihren Händen.
Ich fühlte mich leer , fühlte mich hilflos.
"Mum, ich möchte , dass du jetzt gehst." Sie sah mich verzweifelt an.
"Ich ruf dich an...", flüsterte ich noch. Langsam erhob sie sich , murmelte etwas zum Abschied und verließ das Haus.
"Kaylee? Wo ist Mum?", Mason kam die Treppe herunter. Ich stand auf , nahm meine Jacke und rannte aus der Tür.
Ich rannte und rannte, ohne zu wissen wohin. Der Tränenschleier vor meinen Augen versperrte mir die Sicht. Irgendwann war ich im Park, rollte mich auf einer Bank zusammen und schluchzte. Jahrelang hatte ich gedacht, meine Mutter wäre ein herzloses Miststück und jetzt kam sie und stellte an einem einzigen Abend alles um? Mit zitternden Händen zog ich mein Handy aus der Jackentasche und wählte Ruth's Nummer.
"Hey Kaylee, was gibt's?"
"Ruth?", sagte ich mit weinerlicher Stimme.
"Kaylee? Kaýlee wo bist du?", Ruth klang besorgt.
"Ich.. ich bin im Park und ich..."
"Beweg dich nicht, ich bin in 10 Minuten da." Damit legte sie auf.
Sie hielt ihr Versprechen und war 10 Minuten später da. Sie fand mich zusammengerollt auf der Bank, setzte sich und bettete meinen Kopf auf ihrem Schoß. Ich weinte wahrscheinlich eine halbe Stunde, bis ich ihr erzählte, was los war. Ich erzählte ihr alles, nur den Teil mit Kyle ließ ich aus. Das gehörte ganz allein mir und ich wollte es niemandem erzählen. Die ganze Zeit über hatte Ruth mir über den Rücken gestrichen und aufmerksam zugehört.
"Bist du noch wütend auf sie?", fragte Ruth schließlich.
"ich weiß es nicht. Ich bin gar nichts. Ich fühl mich leer und erdrückt und überfordert." Ruth reichte mir ein Taschentuch.
"Die ganzen Jahre über, hab ich sie gehasst und das aus guten Gründen und plötzlich... plötzlich hat sie eine Erklärung die sogar recht gut ist und nun ist der ganze Hass weg und ich vermisse sie schrecklich und das macht mich fertig.", ich schniefte.
"ich glaube, ich weiß, was dir hilft." Fragend und mit verquollenen Augen sah ich sie an.
"Warte kurz.", sie tippte etwas in ihr Handy und begann dann wieder meinen Rücken zu streicheln. 5 Minuten später hörte ich Motorengeräusche. Ein paar Sekunden später stand Kyle vor uns. Mein Mund klappte auf. Ruth grinste, drückte mir einen Kuss auf die Stirn und ging ohne ein Wort. Ich starrte Kyle dämlich an. Kaylee, du siehst schrecklich aus. Er kam auf mich zu, griff unter meine Beine und meine Arme, hob mich kurz an, setzte sich auf die Bank und platzierte mich auf seinem Schoß. Ich vergrub den Kopf in seiner Halsbeuge und er strich mir mit der einen Hand über den Kopf und mit der anderen hielt er meinen Oberkörper umschlungen. Er sagte nichts, ließ mich weinen und küsste mich einige Male auf die Stirn. Ich begann irgendwann von alleine zu erzählen und er schwieg. Schwieg die ganze Zeit. Es war genau richtig.
"Verstehst du, wie... verarscht ich mich fühle..?" Er nickte nur verständnisvoll und drückte mir erneut einen Kuss auf die Stirn.
"Und dann bist da noch du.", rutschte es mir raus. Ups.
"Was ist mit mir?", fragend sah er mich an. Ich hatte immer noch die Möglichkeit mich irgendwie rauszureden, aber mir fiel nichts ein.
"Du verwirrst mich so. Ich weiß überhaupt nicht, wo ich bei dir stehe."
"Kaylee, ich will dich nicht noch mehr aufwühlen."
"Dann rede nicht, küss mich einfach." Seine Augen weiteten sich.
"Kaylee, ich kann doch nicht..."
"Küss mich einfach. Bitte küss mich. Ich will wieder etwas fühlen." Er sah mich lange an. Schließlich wischte er mir mit dem Daumen eine Träne von der Wange und strich mir eine Haarsträhne hinters Ohr. Dann zog er mich näher zu sich heran.
"Möchtest du das wirklich?"', seine Stimme war ganz leise. Nervös. Ich nickte. Ja verdammt, ich will dich! Bitte hör auf mich zu foltern! Er kam mir immer näher. Seine Lippen streiften meine ganz leicht und unsere Nasen berührten sich. Ein Schauer lief mir über den Rücken. Dann endlich verschlossen sich seine Lippen mit meinen. Ich wusste nicht, wie mir geschah. Es war, als würde ich abheben, fliegen. Ich legte die Hände an sein Gesicht und küsste ihn fordernder. Es war, als würde eine unendliche Last von uns abfallen, als hätten wir beide nie etwas Anderes gewollt. Wir küssten uns lange. Ich glaube, so lange hatte ich noch nie jemanden geküsst. Er strich mir sanft über den Rücken, über mein Schlüsselbein und meinen Hals. Er saugte an meiner Unterlippe, ganz zärtlich und schließlich ließen wir völlig außer Atem voneinander ab.
"Kaylee, es ist falsch von mir dich jetzt in deiner Situation..." Weiter kam er nicht. Ich küsste ihn wieder, konnte nicht genug kriegen. Als er sich von dem Schrecken erholt hatte, erwiderte er meine Küsse, wanderte von meinem Mund meinen Hals hinab und setzte mir Schmetterlingsküsse aufs Schlüsselbein. Schließlich umarmten wir uns. Umarmten uns ganz fest, als würde jeden Moment jemand versuchen, uns auseinander zu reißen.
"Du machst mich so wahnsinnig.", hauchte er mir ins Ohr. Ich küsste ihn auf die Wange. Keine Ahnung, wie es weitergehen würde. Was zählte war, dass ich in diesem Moment glücklich war. Jetzt gerade, war er mein Kyle. Und das genoss ich.
Puuuh. Endlich haben sie sich geküsst :D
Ich hoffe es war euch nicht zu früh :b Über ein kleines Feedback würde ich mich freuen<3.
-nimmerlandstraum
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