Kapitel 1 - Wiedersehen ✓
Wie gebannt starrten wir alle auf die große Uhr über der Tafel. Tik, tak, tik, tak. Immer im Rhythmus. Es war, als wäre die Zeit stehen geblieben. Chemie war wirklich das schlimmste Fach auf diesem Planeten.
Ich sah zu Ruth, meiner besten Freundin hinüber. Auch sie starrte zur Uhr. Unruhig tippelte ich mit meinem Fuß auf dem Boden herum. Hergott, wie konnte ein Lehrer so ein Langweiler sein?! Ich begann, irgendwelches sinnloses Zeug in meinen Block zu kritzeln. Vielleicht verging die Zeit ja so schneller.
Und wirklich: irgendwann klingelte es endlich. Schnell packte ich meine Bücher ein, warf mir die Tasche über die Schulter und stürmte aus dem Klassenzimmer - direkt in die Arme meines Ex'.
"Hoppla, vorsichtig.", sagte er und hielt mich an der Schulter fest. Ich riss mich los und ging ohne ein Wort weiter. So ein Blödmann. Mich betrügen und dann meinen, weil es ein halbes Jahr her ist, ist alles wieder gut. Ich stieß ein verächtliches Schnauben aus, während ich raus auf den Hof stürmte. Ruth, Carrie und Lynn warteten bereits auf mich.
"Da bist du ja. Irgendwo auf dem Flur haben wir dich aus den Augen verloren.", sagte Carrie.
"Drücken wir es so aus: ich hatte einen unangenehmen Zusammenstoß." Die Mädels zogen vielsagend die Augenbrauen hoch und ließen das Thema, wofür ich ihnen sehr dankbar war. Ich hatte das ganze Drama von damals immer noch nicht richtig verarbeitet. Da ging ich ein verdammtes Jahr mit diesem Typen & erwischte ihn dann beim Fummeln mit meiner damaligen besten Freundin. Und wenn man vom Teufel sprach: Da kam sie.
"Gott ich krieg das Kotzen, wenn ich die Alte seh.", zischte Ruth, als könnte sie Gedanken lesen .
"Ich weiß gar nicht, was Jake an der findet. Die mit ihrem Plattarsch." , fügte Carrie hinzu.
"Na ja, aber ihr Gesicht hätte ich schon gerne.", seufzte Lynn. Carrie und Ruth straften sie dafür mit finsteren Blicken.
"Ist okay," sagte ich , "die Schlampe ist ja wirklich nicht hässlich."
Das war sie in der Tat nicht. Sie hatte langes dunkelbraunes Haar & große grüne Augen. Ihr Gesicht war markant und sie hatte ein bezauberndes Lächeln. Abgesehen von ihrem bereits erwähnten Plattarsch, konnte man über ihre Figur auch nicht viel Schlechtes sagen.
"Das Wasser reichen kann sie dir trotzdem nicht.", entgegnete Ruth trotzig. Wir schlenderten zur Bushaltestelle und redeten über das Übliche: Jungs, Carries Hausparty heute Abend, die neuesten Gerüchte an unserer Schule und und und. Im Bus reduzierten wir unser Gespräch dann auf die Party. Wer von uns auf wen stand, musste nun wirklich keiner hören.
"Kommt ihr heute um fünf zu mir? Ich könnte echt Hilfe gebrauchen.", seufzte Carrie und lehnte ihren Kopf gegen die Scheibe .
"Klar, das war doch so abgemacht. Außerdem müssen wir dir das richtige Outfit aussuchen. Nicht, dass du dich wieder anziehst wie eine Nonne.", zog Ruth sie auf.
"Scheiße, ich bin so aufgeregt. Meint ihr, Alex kommt?"
"Mach dich locker. Soweit ich weiß, ist die ganze Schule scharf darauf, in eurer Villa zu feiern. Und Alex ist sowieso auf jeder Party da."
"Was, wenn er mit einer anderen flirtet?"
"Dann gehst du in die Offensive. Nicht, das wir dich wieder heulend ins Bett tragen dürfen." Carrie warf Ruth einen vorwurfsvollen Blick zu, fing dann aber an zu lachen und wir stimmten mit ein.
Ich war die Erste, die aussteigen musste. Ich stieg also aus und musste noch ein gutes Stück Nachhause laufen. Das erste was ich sah, war ein Umzugswagen. Neue Nachbaren? In dem Haus nebenan hatte schon seit Jahren niemand mehr gewohnt. Dann fiel mein Blick auf eine große bräunliche Couch. Ein komisches Gefühl beschlich mich. Okay Kaylee, diese Couch war kein Einzelstück. Sicherlich hatten viele Leute so eine. Und dann wurde ein dazugehöriger Couchtisch herausgetragen. Ich erstarrte. Zufall? Ich hatte nicht gemerkt, dass ich mitten auf der Straße stehen geblieben war. Ein Auto hupte mich an und ich lief zum Bürgersteig. So war ich auch dichter am Haus. Die Tür öffnete sich und ein Junge trat heraus. Mein Herz setzte einen Moment lang aus.
Er war es.
Kyle.
Mein Sandkastenfreund, der vor fünf Jahren weggezogen war. Doch von dem elf-jährigem kleinen Jungen war nichts mehr zu sehen. Seine hellbraunen Haare waren dunkler geworden und hatten nun fast die Farbe von dunklem Mahagoni. Sie waren leicht hochgegeelt. Seine Augen waren azurblau und stechend. Die Lippen voll. Sein Gesicht: Markant und definiert, von dem Babyspeck nichts mehr zu sehen. Er war sonnengebräunt und muskulös und verdammt in die Höhe geschossen. Ich schätzte ihn auf 1,85m. Er trug eine hellblaue Jeans und ein graues Jersey Shirt mit V-Ausschnitt, unter dem sich seine Bauchmuskeln abzeichneten. Ein Tattoo schmückte seinen rechten Arm. Und dann sah er in meine Richtung und unsere Blicke trafen sich. Lange betrachtete er mich und dann machte sich ein Grinsen auf seinem Gesicht breit.
"Hey Süße." Hä? Lässig kam er auf mich zugeschlendert .
"Es muss wohl Schicksal sein, dass ich an meinem ersten Tag hier so eine heiße Braut treffe. Darf ich deinen Namen erfahren?" Oh mein Gott. Er erkannte mich nicht. Von der Krippe an bis vor fünf Jahren waren wir allerbeste Freunde gewesen und er erkannte mich nicht .
"Kaylee Parker. Falls dir der Name noch etwas sagt.", antwortete ich ironisch. Seine Augen weiteten sich und fast sah es so aus, als wäre ihm die Situation unangenehm.
"Kaylee? Oh fuck sorry." Er kratzte sich nervös am Kopf. Seine Stimme war tief geworden, doch sehr angenehm. Eine Weile standen wir schweigend voreinander. So hatte ich mir unser großes Wiedersehen nicht vorgestellt. Als er gerade weggezogen war, hatte ich mir immer ausgemalt, dass wir uns in die Arme fielen & gleichzeitig lachten und weinten vor Freude, wenn wir uns wiedersahen. Stattdessen standen wir einfach nur schweigend da.
"Ähm ja . War ... Nett dich mal zu sehen.", damit drehte er sich um und ging ins Haus. Nett? Nett?! Offensichtlich hatte er sich nicht nur äußerlich verändert. Ich meine klar, unsere Freundschaft gehörte schon lange der Vergangenheit an, aber so unterkühlt und desinteressiert musste er doch auch nicht sein. Nachdenklich betrat ich mein Haus.
"Hey Schatz, Essen steht in der Mikrowelle.", ertönte die Stimme meines Vaters. Ich ging in die Küche, schaltete die Mikrowelle ein und brachte meine Schultasche nach oben in mein Zimmer. Mein Vater saß mit seinem Laptop am Schreibtisch und hörte seine Lieblings-CD. Er war Schriftsteller. Das hieß, er war meist Zuhause. Was aber nicht bedeutete, dass ich besonders viel von ihm hatte.
"Hey Dad, ist Mason schon von der Schule zurück?"
"Oh, äh ich weiß nicht. Ich glaube er war kurz hier, aber er ist sofort wieder los." Mason war mein älterer Bruder, um den ich mir momentan ziemliche Sorgen machte. Es gefiel mir nicht, mit was für Leuten er sich umgab. Es waren diese Junkies und es gab immer Stress, wenn sie da waren. Aber daran konnte ich gerade nicht denken. Die Begegnung mit Kyle hatte mich zu sehr aufgewühlt. Reiß dich zusammen, Kaylee., sagte mir meine innere Stimme. Sie hatte recht. Warum stellte ich mich überhaupt so an? Ich konnte doch einfach eine gute Nachbarin sein und ihm beim auspacken helfen. Mein Mittag konnte ich auch später essen. Kaum hatte ich diesen Gedanken zu Ende gedacht, lief ich schon die Treppe hinunter und riss die Haustür auf. Eine Hitzewelle kam mir entgegen. War es vorhin auch schon so heiß gewesen? Nicht auszuhalten. Ich erblickte Kyle, der gerade dabei war, einen Karton nach drinnen zu bringen.
"Hi.", begrüßte ich ihn. Hi?! Super Kaylee, wirklich originell.
"Oh, hi."
"Ich hab mir gedacht, ich könnte dir ein wenig helfen."
"Normalerweise würde ich dieses Angebot ja ausgeschlagen, aber ich hab echt kein Bock den ganzen Scheiß alleine hochzutragen, also gern. Dahinten steht noch eine Kiste, die kannst du nehmen." Was für ein Gentleman.
Ich nahm den Karton in beide Hände und versuchte Kyle zu folgen, was sich schwierig gestaltete. Ich wusste nicht, was in dieser blöden Kiste drin war, aber ich hatte das Gefühl, sie wog mehr als ich selbst und Kyle machte sich nicht die Mühe, auf mich zu warten. Und dann geschah das Unvermeidliche: Ich stolperte über eine Treppenstufe und packte mich der Länge nach hin. Der Inhalt der Kiste verteilte sich auf dem ganzem Boden. Bücher. Das hätte ich jetzt nicht erwartet. Ich sah nicht auf, als ich hörte, das jemand die Treppe herunter gelaufen kam. Mein Schamgefühl war zu groß.
"Alles in Ordnung?", fragte Kyle belustigt.
"Ja." Peinlicher geht's nicht, oder?!
"Schön, aber gleich nicht mehr, sollte einem meiner Bücher etwas passiert sein."
Schockiert hob ich den Blick.
"Hey, guck nicht wie ein begossener Pudel. War bloß Spaß." Er bückte sich und began damit, die Bücher wieder aufzusammeln. Ich half ihm.
"Du, heute Abend schmeißt 'ne Freundin von mir eine Hausparty. Vielleicht hast du ja Lust zu kommen." Ich wusste nicht, woher das auf einmal kam.
Er fixierte mich mit seinem Blick. Ich konnte den Ausdruck in seinen schönen Augen nicht deuten.
"Jetzt hör mal zu Kaylee, ich war fünf Jahre weg, aber ich bin nicht neu in dieser Nachbarschaft. Ich brauche keinen Babysitter, der mir alles zeigt, verstanden?"
Was war das denn jetzt? Wieso war er auf einmal so aufbrausend? Ich nickte schnell.
"Ich überleg' mir das mit der Party. Du solltest jetzt gehen. Ich denke, du hast mir schon genug 'geholfen'." Vorsichtig stand ich auf, räusperte mich únd verließ das Haus. Ich war nun noch aufgewühlter als vorher. Es war der Junge, mit dem ich einmal befreundet gewesen war und doch ein ganz Anderer. Klar, dass er mir nicht in die Arme sprang, aber warum war er so distanziert? Ich warf einen Blick auf die Uhr. Fast um vier. Wo war die Zeit geblieben? Ich lief in die Küche, machte mein MIttag nochmals warm und aß in Rekordzeit. Schon klingelte es an der Tür. Ich öffnete und eine aufgestylte Ruth stand vor mir. Sie trug ihr schwarzes Haar offen und in wilden Locken. Die dunklen Augen waren mit schwarzem Eyeliner betont und sie hatte einen knallroten Lippenstift aufgetragen. Ihre weibliche Figur wurde gut durch ein bauchfreies Jeansoberteil und eine schwarze Shorts bestont. Ihre Füße steckten in verdammt hohen HIgh Heels.
"Du bist ja noch gar nicht fertig.", sagte sie vorwurfsvoll.
"Sorry, ich hab die Zeit vergessen."
Wir gingen hoch in mein Zimmer und Ruth wühlte in meinem Kleiderschrank. Sie schmiss ein enganliegendes weißes und bauchfreies Top auf mein Bett. Das war typisch Ruth. Darauf folgte ein süßer roséfarbener Tellerrock. Als letztes weiße Pumps.
"Du ziehst das jetzt an und ich hol schon mal den Lockenstab und die Schminke raus.", sagte sie. Ich gehorchte. Ruth war einfach brilliant. Sie schaffte es immer, dass ich sexy und trotzdem irgendwie niedlich aussah. Ich setzte mich auf meinen Sessel und Ruth begann damit, meine Haare zu locken.
"Draußen ist ja was los, bekommt ihr neue Nachbaren?"
"Na ja. Neu ist nicht unbedingt das richtige Wort."
"Wie darf ich das denn verstehen?"
"Die haben hier schon mal gewohnt, sind vor fünf Jahren aber weggezogen. Haben 'nen Sohn. Ich war mit ihm befreundet."
"Uh, hast du ihn schon gesehen?"
"Jep."
"Und?"
"Na ja es war komisch, er..."
"Doch nicht wie das Wiedersehen war, ich will wissen, wie er ist. Ist er heiß?"
"Nein.", log ich.
"Schade." Mittlerweile hatte sie sich meinem Makeup zugewendet. Sie machte mir beigen Lidschatten auf das bewegliche Lid und gab braunen in die Lidfalte. Ein wenig Rouge und einen Nudeton auf die Lippen. Fertig.
Ruth seufzte:"Oh man Kaylee, wenn ich dein Aussehen hätte... Ich würde jede Nacht 'nen anderen Typen knallen."
"Ruth!" Ich boxte ihr lachend gegen den Arm.
"Was denn, du Nonne?" Sie stimmte in mein Lachen ein. Wir holten uns eine Flasche Wein aus dem Kühlschrank, leerten sie und machten uns dann auf den Weg zu Carrie. Ich war gespannt, ob Kyle auch zur Party kommen würde.
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