Der Morgen danach
Ich bekam keine Luft.
Ich versuchte zu Atmen.
Es ging nicht.
Etwas drückte schwer auf meinen Brustkorb.
Panisch riss ich die Augen auf und sah im ersten Moment nur kleine schwarze Pünktchen. Dann blickte ich an mir hinunter.
Ich konnte es nicht glauben.
Etwas lag auf mir. Oder besser gesagt, jemand.
Und dieser jemand bewegte sich gerade.
Sein Oberkörper, der bis jetzt auf meinem Brustkorb lag, rutschte nun zur Seite. Ich atmete erleichtert auf.
Gierig sog ich Luft in meine Lungen.
Ohne sein schweres Gewicht auf mir, konnte ich viel klarer Denken. Was mich aber zu der Frage brachte, was er hier in meinem Zimmer, in meinem Bett machte.
Er sollte doch eigentlich auf dem Sofa seinen Rausch ausschlafen. Vielleicht wäre ich dann auch noch so nett gewesen, ihm eine Aspirin zu besorgen. Das konnte er jetzt natürlich vergessen. Niemand schlich sich ungestraft ohne mein Einverständis in mein Bett.
Jacob murmelte etwas und legte dann seinen Arm auf meinem Bauch ab.
Na toll.
Ich versuchte aufzustehen, aber meine Beine waren zu fest mit seinen verschlungen. Er brummte wieder irgendwas und strich dabei mit seiner Hand über mein Schlafshirt.
Vorsichtig schob ich seinen Arm von meiner Taille. Jedoch kurz bevor ich ihn los war, schlang er seinen Arm um meine Hüfte und schob sein eines Bein, welches zwischen meinen war, ein Stückchen höher.
Ich sog scharf die Luft an. Wie, als wollte er mich beruhigen, fing er an, mit seinem Daumen kreisende Bewegungen auf meiner Hüfte auszuüben.
Mit jedem kleinen Kreis rutschte mein Shirt ein bisschen höher. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Es fühlte sich angenehm an. Angenehmer als es eigentlich sollte. Schließlich lag ich mit Jacob Stone in einem Bett.
Jacob Stone. Der Arsch, den ich von Anfang an nicht leiden könnte. Was auf Gegenseitigkeit beruhte.
Sein Daumen verschob den Saum meines Oberteils noch einen Zentimeter. Und plötzlich strich er über meine nackte Haut.
Ich holte zitternd Luft und wusste nicht mehr, was ich hier eigentlich tat. Ich sollte auf meinen Verstand hören, der mir gerade zuschrie ihn aus dem Bett zu werfen oder besser noch, aus dem Haus.
Jacobs Knie schob sich noch ein Stück höher und ich zuckte unwillkürlich zusammen.
Er hielt in seinen Bewegungen inne. Sein Daumen verharrte auf meiner Haut. Ich spürte, dass er wach wurde. Neben mir raschelte es, als er sich aus der Bettdecke schälte und sich über mich beugte.
Ich wusste nicht, was er erwartet hatte, vielleicht dachte er, bei irgendeiner Barbie zu sein, die er auf der Party aufgerissen hatte und nun als sein Betthäschen herhalten musste oder er glaubte bei einem seiner Kumpel gelandet zu sein.
Aber was er sicherlich nicht erwartet hatte, war ich. Das konnte ich seinem ungläubigen Blick ablesen.
,,Was machst du hier?", fragte er so leise, das ich ihn fast nicht verstanden hätte. Seine Stimme war rau, heiser und klang tiefer als sonst.
Eine Gänsehaut jagte über meinen Körper und ich brauchte eine Weile, um zu realisieren, dass er mir eine Frage gestellt hatte.
,,Das gleiche könnte ich dich auch fragen", erwiderte ich genauso leise wie er.
Er sah mich leicht verwirrt an.
,,Das hier ist mein Zimmer. Und du liegst in meinem Bett", fügte ich also noch hinzu.
Er riss die Augen auf und hob den Kopf. Erst jetzt schien er die Umgebung wahrzunehmen.
Sein Blick schweifte einmal durch mein Zimmer, blieb kurz an der Wand hängen, die Tam und ich gemeimsam gestaltet hatten und glitt dann wieder zu mir.
Und zu seiner Hand, die auf meiner Hüfte lag.
Er zuckte zurück und sprang dann so hektisch aus meinem Bett, dass er sich in der Decke verfing.
Es polterte heftig, als er mit den Knien auf den Boden knallte. Das hatte mit Sicherheit wehgetan.
Er kam jedoch relativ schnell wieder auf die Beine und flüchtete förmlich aus dem Raum.
Vielleicht hätte ich das witzig gefunden, wenn ich nicht noch so verdammt aufgewühlt wäre.
Na gut, wenigstens musste ich mich dann nicht mehr damit plagen, ihn zu wecken, denn das hätte ich alles andere als sanft gemacht.
Ich stieg ein paar Minuten später auch aus dem Bett und zog mir eine Jogginghose sowie ein lockeres Top an.
Dabei fiel mein Blick auf die Wand. Meine Wand. Vor einem halben Jahr hatte ich gedacht, nie wieder Freunde haben zu können. Klar, in Tumalo waren Freunde zurückgeblieben, die mich mein halbes Leben begleitet hatten. Aber nach dem Tod meiner Mum zog ich mich zurück und damit kam niemand besonders gut klar. Nichtmal ich selbst.
Vielleicht war der Umzug eine Chance für mich, Freunde zu finden, die sich nicht um meine Vergangenheit kümmerten, die nicht wussten, was in meinem Leben geschah, bevor ich nach Selinsgrove kam.
Mit Tam hatte ich jemanden gefunden, der mich so annahm wie ich war. Bisher waren ihre Fragen, meinem alten Leben gegenüber sehr allgemein ausgefallen und darüber war ich froh. Ich wollte noch niemanden von meiner Mum erzählen. Die mitleidigen Blicke, die ich an meiner alten Schule jeden Tag auffing, könnte ich nicht noch einmal ertragen.
Tam, Chris, Ethan und Emily sahen mich so, wie ich jetzt war, hatten keine Himtergedanken und Vorurteile mir gegenüber. Sogar Jacob, der mich zwar als Psycho bezeichnete, aber keinen blassen Schimmer von meiner Vergangenheit hatte. Alle kannten mich inzwischen, doch niemand kannte mich wirklich. Und so sollte es auch bleiben.
Vielleicht würde ich Tam irgendwann mal etwas erzählen, aber in näherer Zukunft wollte ich mich eher mit der Gegenwart beschäftigen, als mit meiner Vergangenheit.
Und mit meiner Gegenwart sah ich mich gerade schwerlich konfrontiert.
Ich starrte Jacob an, der am Küchentisch saß und den Kopf in die Hände stützte. Eigentlich hatte ich gedacht, er wäre längst über alle Berge.
Aber denkste.
Er hob den Kopf als er mich bemerkte.
,,Hast du eine Aspirin?" , fragte er leise. Ich hatte schon fast Mitleid mit ihm, so kläglich klang er. Aber...
,,Nein" , antwortete ich scharf. Er zuckte bei meiner lauten Stimme zusammen und ich musste unwillkürlich lächeln. Ja, ich genoss es, einmal die Oberhand zu haben. Vielleicht hatte ich eine sadistische Ader, aber er hatte mich auch oft genug bloßgestellt. Von daher waren mir seine Kopfschmerzen ganz gleich.
Genauso wie der Blick, den er jetzt aufsetzte. Er sah mich aus großen Augen traurig an. Mich juckte es in den Fingern ihm sein süßes Lächeln aus dem Gesicht zu schlagen.
Als er bemerkte, dass sein Blick bei mir nicht zog, verfinsterte sich seine Miene.
,,Ich hätte nichts von einem gefühlslosen Psycho erwarten dürfen. Sorry", meinte er. Das brachte mich auf die Palme, doch ich ließ mir nichts anmerken.
,,Wie kann ich ein Psycho sein, wenn du aus dem Wunderland kommst? Dein bester Freund ist doch der verrückte Hutmacher oder?", meinte ich zuckersüß.
,,Hä?", machte er nur.
Ich seufzte schwer, als müsste ich ihm etwas sehr schlimmes mitteilen.
,,Jacob, du hast mir gestern Abend mitgeteilt, dass du von dort kommst. Ich fürchte, du musst dringend zu einem Arzt. Wahlweise zum Psychater",erklärte ich so sachlich wie möglich.
Er starrte mich einen Moment an. Dann meinte er:,,Das habe ich garantiert nie gesagt"
,,Doch hast du",erwiderte ich nur.
,,Nein"
,,Doch"
,,Nein"
,,Doch"
,,Hast du Aspirin?"
,,Nein"
Er schaute mich genervt an.
Ich hob nur die Schultern.
,,Was denn? Ist es meine Schuld, dass du dich hemmungslos betrinkst und dich dann auch noch in mein Bett schleichst?"
Er verdrehte genervt die Augen.
,,Das war nicht meine Absicht", erwiderte er.
,,Was von beidem?", wollte ich wissen und verschränkte die Arme.
Er antwortete nicht, sondern sah mich an. Dann blickte er auf etwas, dass sich hinter mir befand.
,,Wer ist das auf dem Bild? Deine Schwester?", fragte er.
Ich drehte mich überrascht um, auch wenn ich eigentlich schon wusste, um welches Bild es sich handelte. Die Auswahl, die an der Kühlschranktür hing, war nicht besonders groß. Eher gesagt befand sich dort nur ein einziges Foto. Ich hatte es lange nicht mehr angesehen, mied es, weil zu viele Erinnerungen heraufbeschworen wurden. Doch jetzt kamen alle alten Gefühle wieder hoch und ich musste mich stark beherrschen, Jacob nicht anzuschreien, weil er mich dazu gebracht hatte, das Bild anzusehen.
Das jugendliche Gesicht meiner Mutter blickte mir lächelnd entgegen. Sie freute sich über die Vesper, die meine Großeltern ihr zu ihrem achtzehnten Geburtstag geschenkt hatten. Stolz hatte sie ihre Hand auf den hellblauen Lenker gelegt. Sie sah so glücklich aus.
Meine Schultern sackten ein Stück nach unten. Es war so ungerecht. Mom war der beste Mensch, den ich kannte und das sie so früh starb, war einfach nicht fair.
Tränen traten mir in die Augen, aber ich unterdrückte sie. Ich wollte nicht weinen. Nicht jetzt, vor Jacob.
Ich stellte mich auf Zehenspitzen und öffnete den Küchenschrank über dem Kühlschrank. Meine Hand tastete kurz darin umher, bis ich fand, was ich suchte.
Ich zog die kleine Packung hervor und drückte eine Tablette heraus.
Dann füllte ich noch ein Glas Wasser ein und deponierte beides direkt vor Jacobs Nase auf dem Tisch.
Er hob erstaunt den Blick und öffnete den Mund, aber ich unterbrach ihn.
,,Spar's dir. Trink und verschwinde",sagte ich leise.
,,Aber...", wandte er ein.
,,Bitte", bat ich fast schon flehend.
Er schien meinem Tonfall anzuhören, dass ich es ernst meinte, denn er nahm die Tablette und stand dann auf. Ich folgte ihm in den Flur, wo er kurz stehen blieb, als wollte er noch etwas sagen.
Er fuhr sich kurz durch die verstrubbelten Haare und sagte dann ,,Danke" bevor er auch schon aus der Haustür verschwand. Ich blieb verdutzt stehen. Dieser Morgen war schon mehr als merkwürdig und das Jacob Stone sich jetzt auch noch bedankte, machte es noch komischer.
Ich ging wieder zurück in die Küche und machte mir einen starken Kaffee. Ich musste erstmal richtig wach werden. Außerdem hatte ich noch vor, die Stadt zu erkunden. Bisher hatte ich nur das Einkaufszentrum kennengelernt, was sich, wenn man's genauer sah, nichtmal in Selinsgrove befand. Und natürlich die Schule, die ich von jetzt an täglich besuchen werde.
Hey, Hey!
Da bin ich wieder.
Danke für die vielen Votes und die netten Kommentare.
Wie immer könnt ihr mich auf Fehler aufmerksam machen.
Also dann bis zum nächsten Kapitel.
Viele liebe Grüße
Eure Melody
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro