~ 1 ~
Clove:
"Clove?", hörte ich die wispernde Stimme meines kleinen Bruders zu mir durchdringen, "Clove!"
Doch ich steckte zu tief in blutdurchtränkten Träumen, um aufzuwachen.
"Clove", wiederholte er eindringlicher.
Schließlich erwachte ich doch.
"Man, was denn!?", fuhr ich ihn so scharf an, dass Kota beinahe von meinem Bett purzelte.
Doch ich hielt ihn fest, damit er keinen Lärm machte.
Ich spürte beinahe noch, wie das warme Blut einer Taube durch das T-Shirt auf meine nackte Haut sickerte.
"Was ist denn, Kota?"
"Hast du Angst?"
"Dass ich den ganzen morgigen Tag verschlafe, weil du mich jetzt wach hältst? Ja."
"Das ist nicht witzig", mault er, "ich habe Angst!"
Genervt stöhnte ich auf. Mir war klar, dass er die Ernte in zwei Tagen meinte.
"Kota, du wirst nicht gezogen! Und wenn doch, wird sich jemand für dich melden!"
"Und wenn nicht!?"
"Es gibt kein "Und wenn nicht"! Wir leben in 2, verdammt! Es gibt Hunderte von Jungen, die ganz heiß darauf sind, dieses Jahr Tribut zu sein!"
Kota schien alles andere als zufrieden, doch ich schickte ihn zurück in sein Zimmer.
Ich musste jetzt wirklich schlafen, wenn ich morgen noch trainieren wollte!
*
Am nächsten Morgen kam ich als Letzte an den Frühstückstisch.
Kota, mein Vater und mein älterer Bruder Hale saßen schon kauend da.
Ich ließ mich auf meinen Stuhl fallen und griff sofort gierig nach den Brötchen.
Doch plötzlich schlug Hale mir auf die Finger, sodass ich die Hand schnell zurück zog.
Seelenruhig nahm er sich sein zweites Brötchen, obwohl er sein erstes nicht mal aufgegessen hatte.
Erst danach wagte ich es, mir auch eines zu nehmen.
Hastig kauend und schluckend gab ich mir Mühe, schnell fertig zu werden.
Kota schien vor lauter Angst ganz hibbelig.
Ich verdrehte genervt die Augen: "Man, Kota, sei doch nicht so ein Schisser! Du wirst nicht ge-!", weiter kam ich nicht.
Ich vernahm ein klatschendes Geräusch, dicht an meinem Ohr und gleich darauf spürte ich ein unangenehmes, schmerzhaftes Brennen an der linken Wange.
Mein Vater, der mir gegenüber saß, setzte sich wieder ordentlich hin.
"Erhebe den Stock gegen den Köter. Die Tochter aber, hau', dass sie den Mund hält", brummte er vor sich hin.
Hale grinste wie blöd.
Wie ich diesen verdammten Spruch hasste!
Ich senkte den Kopf.
Für ihn war ich nichts wert.
Weil ich ein Mädchen war, dachte er, er könnte mich einfach so schlagen.
Weil ich ein verdammtes Mädchen war und nicht so gut arbeiten konnte, wie meine Brüder.
Dachte er.
Oh, wenn er sehen würde, wie ich kämpfen konnte..!
Meine Mutter war schon vor Jahren abgehauen und hatte mich allein mit drei männlichen Kreaturen gelassen, die ich allesamt nicht ausstehen konnte.
Mein Vater hatte sehr an meiner Mutter gehangen, was es noch schlimmer machte.
Zu meinem Unglück sah ich meiner Mutter recht ähnlich, was meinem Vater offensichtlich nicht recht kam.
Und so ließ er seine Wut eben an mir aus.
Als ob ich irgendwas dafür konnte, dass ich aussah wie sie.
Und wenn da nicht diese tiefe, mörderische Wut in mir wäre, hätte ich mich niemals getraut unerlaubt zu trainieren.
Anfangs tat ich es nur, um Aggressionen abzubauen und besonders, um zu wissen, dass ich Dad - oder auch Hale, oder sonst wen - mit einer Handbewegung töten könnte, wenn es sein musste.
Doch mittlerweile verfolgte ich ein anderes Ziel.
Ein neues Ziel.
Ich trainierte für die Spiele.
Und das mit großem Ehrgeiz!
Vielleicht war das meine einzige Chance, aus diesem Leben zu entfliehen.
Die Spiele konnten mich retten.
Egal, was passieren würde.
Wenn ich verlor, dann starb ich eben und musste nicht wieder nach hause.
Und wenn ich gewann, würde ich als Siegerin der 74. Hungerspiele in der Geschichte Panems nach hause zurück kehren und dann sollten sie es nochmal wagen, mich auch nur schief anzusehen!
Die Vorstellung war einfach so schön, dass ich unweigerlich grinsen musste.
Ich rechnete fest mit einer weiteren Ohrfeige, doch sie kam nicht.
Ich hob den Kopf wieder und genau in diesem Moment landete Hales Faust mit einem hässlichen Schmerz auf meinem Gesicht.
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