15|Das Decken-Teiler-Szenario
13. Dezember
»Mach dich nicht so breit, Leon!«, jammerte Brody und schubste das jüngste Bandmitglied zur Seite. Leon ließ sich nicht beirren und fläzte weiterhin über eins der Sofas in Coda's Wohnzimmer, als hätten die beiden nicht freiwillig entschieden, das Sitzmöbel zu teilen.
Cash beobachtete das Gerangel mit mildem Interesse, während er sich entspannt in seinem Solo-Sessel zurücklehnte. Und Elena, welche ich ohne Erlaubnis, aber ebenso ohne Einwände erneut zu unserer Unternehmung eingeladen hatte, saß im Schneidersitz neben mir.
Leon und ich schienen nicht nur die selbe Moral zu teilen, sondern auch einige andere Eigenschaften. Beispielsweise unsere bevorzugte Methode einen Filmeabend zu verbringen. Nur hatte ich das Glück, dass El mir nicht in die Quere kam und sich auf ihre kleine Ecke der Couch beschränkte.
Wir hatten unsere Macken und Angewohnheiten schon vor langer Zeit angenommen und ergänzten uns auch bei der Sofaaufteilung wunderbar. Somit konnte ich mich in voller Länge und Breite, wie ein Seestern ausdehnen und sie konnte eine korrekte Sitzposition zum nebenbei Häkeln einnehmen.
Ich zog die Decke, welche ich mir geschnappt hatte, über meinem Körper zurecht und griff dann nach der Tüte Chips. Zufrieden stellte ich fest, dass alles in perfekter Entfernung lag und ich so einen gemütlichen Abend verbringen würde.
Die Lichter hatten wir ausgeschalten, sodass nur die Lichterketten des Baumes und über dem Kamin leuchteten. Die riesige Leinwand, die Cash vorhin von der Decke herunterfahren gelassen hatte, erstrahlte im Licht eines Bildschirmschoners und alles was jetzt noch fehlte, war frisches Popcorn.
Als hätte ich es heraufbeschworen, kam Coda mitsamt zwei Schüsseln ins Wohnzimmer geschlendert und gab eine zu Leon und Brody, die sich weiterhin gegenseitig schoben und schubsten.
Dann kam er auf Elena und mich zu und ich streckte ihm grinsend von meiner liegenden Position aus meine Arme hin. Anstatt mit die Schale zu geben, starrte er mich einfach nur an.
"Was?"
"Gibt es einen Grund, wieso du ein komplettes Sofa einnimmst?"
"So ist es am Bequemsten!", antwortete ich, als wäre das ganz eindeutig. Denn das war es.
"Da es auch noch andere Leute gibt, die es bequem haben wollen, musst du wohl oder übel Platz machen."
Verwirrt schaute ich mich in der Runde um, ob noch jemand den Humbug gehört hatte. Wovon zur Hölle, sprach er nur? Leon, Brody und Cash hatten sich ganz von alleine ihre Plätze gesucht, noch bevor ich meinen ausgewählt hatte. Und ein Blick zu Elena versicherte mir, dass auch sie keinerlei Probleme mit unserer normalen Position hatten.
"Ich verstehe nicht..." Coda, verdrehte die Augen und rollte mich plötzlich ohne Vorwarnung zur Seite, sodass ich in meine Decke verwickelt gegen Elenas Bein purzelte. Dann spürte ich, wie die Polster hinter mir nach unten sackten.
Entrüstet, versuchte ich mich aus meinem Gefängnis zu befreien und als ich es endlich geschafft hatte, setzte ich mich auf und drehte mich zu Coda.
Der saß tiefenentspannt neben mir, die Popcorn-Schüssel auf dem Schoß und würdigte mich keines Blickes.
"Was soll das denn?"
"Ich hab ja gesagt, dass andere auch einen Platz wollen." Nicht ganz sicher, ob ich mir Dinge eingebildet hatte, drehte ich mich schnell in die andere Richtung. Tatsächlich wurde mir bestätigt, dass es eine weitere Couch gab, welche von niemandem genutzt wurde.
Konfus drehte ich mich von einer in die andere Richtung, um stumm darauf hinzudeuten, dass es keinerlei Grund gab, wieso ich Platz machen müsste. Doch ich wurde von dem Drummer eiskalt ignoriert.
Nein, nicht nur das! Er nahm sich plötzlich auch noch heraus, an meiner Decke zu ziehen, als wäre ich gar nicht da.
Schnaufend ergriff ich das Stück Stoff und zog es zurück.
"Hey! Das ist meine Decke!"
"Tatsächlich ist es meine Decke. Mein Eigentum. Ich weiß, dass du denkst, alles, was mir gehört, ist kostenlose Ware, die du dir nehmen kannst, wann immer dir danach ist. Aber es wird für immer mein Eigentum bleiben." Coda sah mich mit einem frechen Blick an und mir stand der Mund auf. Er nutzte die Gelegenheit meiner Schockstarre und riss mir die Decke weg.
In einer Seelenruhe breitete er sie über seine Beine aus und drehte sich grinsend zur Leinwand.
Als ich mich nach ein paar Sekunden wieder im Griff hatte, entschied ich, dass ich diesen Akt des Terrors nicht so einfach auf mir sitzen lassen konnte. Das würde meinem Ruf schaden!
Ohne auch nur ansatzweise subtil zu sein, rutschte ich näher zu Coda und zerrte an einem Zipfelchen. Ich wusste zwar, dass er sich nicht einfach so geschlagen geben würde, aber wenn ich es über einen längeren Zeitraum spannte, würde es nicht auffallen und ich käme als Sieger heraus.
Also rückte ich so nah an ihn, dass ich beinahe auf ihm lag. Dann schnappte ich mir den Teil der Decke, der frei zugänglich war und legte ihn über mich. Wenn ich mich während des Filmeschauens langsam drehte, wie ein Brathähnchen überm Grill, dann schaffte ich es irgendwann, unbemerkt die Decke von Coda wegzuziehen und für mich zu gewinnen.
Bis dahin hieß es allerdings, stocksteif und alles andere als bequem neben dem Drummer liege.
Ich stellte fest, dass ich so weder an meine Chips, noch das Popcorn rankam. Einen Aspekt, den ich nicht bedacht hatte. Ein Versagen, was mich direkt an meinem Plan zweifeln ließ.
Schmollend schaute ich Coda's Hand hinterher, wie sie ein Popcorn nach dem anderen griff und in seinem Mund verschwinden ließ. Ich bekam kaum mit, dass er mit Absicht so genüsslich naschte, wie möglich, doch als es mir bewusst wurde, verzogen sich meine Augenbrauen und Lippen noch weiter.
Coda lachte leise neben mir, was ich nur mitbekam, weil ich ihm so nahe war, dass ich durchgeschüttelt wurde. Ich konnte nichts anderes tun, als die beleidigte Leberwurst zu spielen.
Dummerweise war nicht nur mein Stolz das, was mich davon abhielt, eine Niederlage einzugestehen. Meine Füße waren mächtig am Frieren und selbst meine Kuschelsocken waren nicht in der Lage, genügend Wärme zu generieren.
Schnaufend streckte ich meine Beine weiter unter den winzigen Teil der Decke, welcher mir gewährt wurde. Dummerweise berührten meine Füße dabei seine eigenen. Er zuckte überrascht weg und ich schaute ihn böse an, als er dabei die Decke mit sich zog.
"Was war das denn?", fragte er.
"Meine Gliedmaßen, die Dank deiner Großzügigkeit bald zu Eiszapfen gefrieren.", kommentierte ich trocken aber mit einem sarkastischen Lächeln im Gesicht.
"Komm mir bloß nicht zu nahe! Da bekommt man ja Frostbeulen, wenn man dich aus Versehen berührt." Ich schüttelte nur den Kopf und rang mit mir, ob ich meinen Plan wirklich durchsetzen wollte. Bis ich Coda eine Decke ärmer gemacht hatte, wären meine Füße vielleicht schon abgefallen.
So könnte ich keinen Filmeabend genießen.
Seufzend schmiss ich den Zipfel Decke von mir, was weniger dramatisch aussah, als ich wollte, da es sich vielleicht gerade Mal um zwanzig Zentimeter handelte. Dann setzte ich mich auf und fing an, vom Sofa zu robben.
Der Größere gab nach. Und auch wenn ich deutlich um einiges kleiner war, als der Schlagzeuger neben mir, würde ich versuchen, mit Stolz meinen Platz zu räumen. Immerhin gab es noch ein weiteres Sofa, auf welchem ich mich in aller Ruhe alleine ausbreiten könnte.
Doch bevor ich meinen Abmarsch durchziehen konnte, griff Coda meinen Unterarm und immobilisierte mich so erfolgreich.
"Wo willst du hin?"
"'ne Decke holen und mir einen anderen Platz suchen. Oder sind alle Decken in diesem Haus tabu für mich? Dann muss ich vielleicht zu einem deiner Nachbarn gehen und betteln."
Coda sah mich für einen Moment unsicher an, bevor er mich zurück zog.
Ich stieß einen Laut aus und begann mich zu wehren, doch er hatte die Oberhand, daran bestand kein Zweifel.
"Was machst du denn? Lass mich los!"
"Die Decke ist groß genug, für uns beide. Also komm her!", sagte Coda mit Mühe. Ich hörte auf, mich zu bewegen und schaute ihn verwundert an. Woher kam denn plötzlich die Meinungsänderung?
"Schau mich nicht so an und leg dich hin."
Langsam tat ich, was er verlangte. Kaum hatte ich mich gemütlich und mit etwas mehr Abstand zu Coda hingelegt, da zog er mich auch schon an seine Seite, sodass ich fast noch enger bei ihm lag, als zuvor.
"Du musst schon herkommen. So groß ist die Decke auch wieder nicht."
Er warf einen größeren Teil der Decke über mich und dieses Mal schaffte ich es sogar, sie an meiner freien Seite unter meinen Körper zu stecken, sodass ich von allen Seiten umhüllt war und mich kein kühles Lüftchen stören konnte.
Ich rutschte weiter hin und her. Zwar hatte ich jetzt eine Decke, aber für meine Verhältnisse recht wenig Platz. Etwas, an was ich nicht gewöhnt war.
"Schaffst du's heute noch?", fragte Coda, doch bevor ich antworten konnte, räusperte sich Cash laut.
Wir schauten zu ihm und erst da bemerkte ich, dass die anderen verdächtig still gewesen waren. Alle Blicke lagen auf uns.
"Ich will euch ja ungern stören, immerhin seht ihr so enorm beschäftigt miteinander aus. Aber ich denke, wir sind alle damit einverstanden, einen tatsächlichen Film zu starten, anstatt eure Rom-Com zu verfolgen." Er lachte leicht angebunden, woraufhin sich meine beste Freundin einmischte.
"Ich hab damit kein Problem." Ihr Grinsen wurde mit einem Todesblick meinerseits gekontert, doch das schien sie nicht zu stören.
"Es gibt keine Rom-Com!" Ich fühlte mich, wie ein Plattenspieler, der ständig an der selben Stelle hängen blieb. Wie oft würde ich wohl Liebesanschuldigen und Gerüchte noch abstreiten müssen?
"Kein Grund, es abzustreiten. Was sich neckt, das liebt sich!"
Ich musste mir neue Freunde suchen. Seit wann fiel El mir in den Rücken? Und seit wann nutzte sie solche Kindergarten-Klischee-Sprüche?
Kopfschüttelnd und zu tiefst gekränkt von diesem Hinterhalt, griff ich die Fernbedienung, die die ganze Zeit neben uns gelegen hatte und startete den Film, welchen ich vorhin bereits rausgesucht hatte.
Die anderen wandten sich endlich alle der Leinwand zu, doch auch als das Intro für die animierte Version von Der Grinch anfing zu spielen, fand ich keine wirklich bequeme Position.
So unauffällig, wie möglich, versuchte ich erneut, mich zu richten. Mein guter Wille, die anderen und besonders Coda nicht weiter zu stören, ging aber direkt nach hinten los. Ich spürte, wie mein Deckenpartner seinen Arm, an den ich irgendwie gepresst war, wegzog. Das ließ mich noch mehr gegen Coda's Seite fallen.
"Sorry.", murmelte ich leise. Ich begann, wieder etwas mehr Platz zwischen uns zu schaffen. Aber Coda hatte das Gegenteil vor. Sein nun freier Arm schlang sich um meine Schultern und im Nu lag die eine Seite meines Gesichts auf seiner Brust.
Für einen Augenblick rührte ich mich nicht, weil ich dachte, es handelte sich um eine nicht gewollte Konsequenz seiner Bewegung. Doch als er nichts sagte und er stattdessen die Decke an meinem Rücken zurecht zog, traute ich mich wieder zu atmen.
Zu meiner Begeisterung, befand ich mich nun auch noch an der Quelle des Popcorns und so schaufelte ich eine Hand nach der anderen in mich hinein. Ich gab mein Bestes, nicht auf Coda's Pullover zu krümeln, aber manche Dinge waren einfach unaufhaltsam.
Ich war überrascht, dass sich der Drummer nicht darüber beschwert hatte, dass wir mit einem Trickfilm anfingen. Doch womöglich hatte er seinen Widerwillen bereits ausgeschöpft, als wir bei meiner Ankunft darüber diskutiert hatten, ob es wirklich nötig war, schnulzige Weihnachtsfilme zu schauen.
Die anderen hatten keine Einwände gehabt und hatten mir zugestimmt, dass wir den Filmemarathon mit dem Grinch beginnen mussten. Es war nur zu hoffen, dass sich Coda in der quietschgrünen Figur wiederfand und sein Herz besonders für die Weihnacht ebenfalls dreimal so groß wurde.
Doch dummerweise ertappte ich mich dabei, wie auch ich mich in die jüngere Version des Weihnachtshassers versetzte. Als die Geschichte des kleinen Grinch's erzählt wurde, wie er voller Vorfreude und Hoffnung in einen weihnachtlich geschmückten Raum trat, nur um mit anzusehen, wie sich dieses Abbild in die Realität verwandelte - ein trostloser und kalter Raum, ganz anders als der von allen anderen Familien. Und wie er allein herumlief, umgeben von Leuten, die Wünsche und Liebe austauschten, doch er blieb einsam zurück in der Kälte.
Ich schaffte es nicht, meine Tränen zu unterdrücken, biss mir aber hart auf die Lippe, um keinen Ton von mir zu geben.
Das tat mir nicht einfach nur leid. Ich sah mich selbst, wie trist und grau meine Weihnachten als kleines Mädchen gewesen waren. Wie sehr ich mir gewünscht hatte, irgendwann geliebt zu werden und das Fest umgeben von Freunden und Familie verbringen zu können.
Mein kleines Herz hatte sich jedoch nicht in einen Eisblock verwandelt. Statt all das Schlechte zu suchen, hatte ich mir in den Kopf gesetzt, nie wieder ein trauriges Weihnachten zu feiern. Und weil ich stur wie ein Esel war, hatte das bisher auch wunderbar geklappt.
Coda bewegte sich unter meiner Wange, als ich schniefte. Dann hörte ich ein 'Pst' hinter mir und drehte mich langsam um. El schaute besorgt zu mir rüber. Natürlich wusste sie, dass mich die Szene jedes Mal zum Weinen brachte. Deshalb streckte sie mir, wie immer, ein Taschentuch entgegen.
Ich hatte keine Chance, es entgegen zu nehmen, da Coda die Aufgabe übernahm. Also schaute ich kurz zu ihm hoch, mir bewusst, dass die Spuren meiner Tränen gut möglich noch sichtbar waren.
Seine Augen glitten über mein Gesicht und seine Augenbrauen zogen sich zusammen.
"Weinst du etwa?" Mister Offensichtlich war ja mal wieder hart am Arbeiten.
Schniefend schnappte ich das Taschentuch aus seiner Hand, wischte mir die Tränen von der Wange und putzte mir die Nase. Dann begab ich mich zurück in meine ursprüngliche Position.
"Das ist eine traurige Szene. Natürlich macht mich das emotional.", grummelte ich gegen seine Brust, weil ich das Bedürfnis hatte, mich zu verteidigen.
"Es ist nur ein Trickfilm.", flüsterte Coda zurück und ich schlug ihm leicht gegen die Rippen.
"Ist doch egal, welche Medienform genutzt wird. Die Werte und Botschaften zählen. Und egal um wen oder was es geht, niemand sollte sich jemals ausgestoßen fühlen oder denken, dass er nicht geliebt wird."
Daraufhin sagte er nichts mehr. Ich spürte nur, wie er seine Hand leicht über meinen Kopf strich und wie sein Herz sanft und gleichmäßig unter meiner Wange pochte.
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