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Nach nur vier Stunden Schlaf weckte Soul seine innere Uhr. Er war müde, seine Sachen waren vom Schlaf zerknittert, seine Haare durcheinander und die Scheiden der langen Messer, seinen Wakizashis, drückten ihm unangenehm in den Rücken.
Wie so oft am Morgen wusste Soul nicht wo er sich befand. Es waren diese nichtssagenden Orte, an denen er sich beim Aufwachen immer befand. Hotels, in denen er nur ein paar Tage wohne. Wohnungen, die er nach drei Monaten wieder verließ. Er wusste nicht wie oft er bisher in einem Raum aufgewacht war, der nicht ihm gehörte, oder mit dem er nichts verband. Diese Wohnung gehörte auch dazu. Sie war nur ein Übergangsort, bis er weiterzog. Ich würde hier keine persönlichen Besitz anlegen. Es war zu viel Balast, den er bei seinen Kopfgeldjagden nicht gebrauchen konnte. Sein Gepäck beschränkte sich auf zwei bis drei Monturen an Kleidung, Dinge die er brauchte, um in Wohnungen einzubrechen und alle Papiere, die er benötigte.
Soul war unerreichbar, besaß kein Handy, damit man ihn nicht finden konnte, sollte man hinter ihm her sein. Eine E-mail versendete er so gut wie nie und wenn, dann nur aus Bibliotheken oder Internetcafés. Nur einen Datenstick besaß er für seine Nachforschungen, den er ebenfalls an öffentlichen Computern nutzte.
Soul atmete tief durch und stand auf, ging duschen. Die Wakizashi lagen griffbereit auf dem Hocker daneben. Dann zerrte er Sachen aus dem Kleiderschrank. Eine schwarze Jeans, nachtblaues T-Shirt mit einem kaum erkennbaren Muster versetzt. Darüber eine schwarze Strickjacke, unter welcher er die Scheiden der Wakizashi verbarg. Probeweise zog er die Wakizashi hervor, indem er von unten her unter die Jacke griff und sie mit Schwung herausholte. Die Druckknöpfe der Halterung, die die Wakizashi daran hinderten ohne sein Zutun herauszurutschen, lösten sich problemlos und er stecke die Waffen zurück, drückte die Verschlüsse wieder zu. Schließlich eine schwarze Jeansweste. Die Sachen vom Vortag rochen nach Rauch, nicht nur von Zigaretten. Unter anderem hatte sich das Gemisch von LoubasPfeife sicher dazugesellt.
Schließlich kochte er etwas Wasser, holte Haferflocken aus seinem Schrank und übergoss sie damit. Mit dem Restwasser goss er sich Instantkaffee auf. Sein typisches Frühstück. Er nahm sich nicht die Zeit auf seine Ernährung zu achten. Porridge am Morgen und irgendwelche Fertiggerichte zu den restlichen Mahlzeit gingen am schnellsten.
Er wusch das Geschirr ab, zusammen mit dem Löffel aus dem Nudelsuppenbecher vom Vortag. Den Becher schmiss er in den Müll, in dem sich von den letzten drei Tagen auch nur Packungen von Fertiggerichten befanden.
Er seufzte und durchwühlte den Papierkram auf dem Couchtisch. Schließlich fand er den Steckbrief, den er suchte, mitsamt den Informationen, die er über ihn hatte. Der Mann war irgendein Störenfried in den Gassen von Las Vegas. Zwar war Kopfgeldjäger ein vom Staat anerkannter Beruf, aber sie wurden dennoch nicht gerne gesehen. Weil dieser Beruf zwei Seiten hatte. Die Aufträge, die von der Regierung aufgegeben wurden und Aufträge, die irgendwelchen Untergrundorganisationen nutzten, kämpften um ihren Platz. Dieser hier war ein Staatlicher. Der Mann schien ein Vergewaltigungstäter zu sein. So war vor zwei Tagen bei einem seiner Opfer. Eine gebrochene junge Frau, die Angst hatte ihm zu sagen was sie wusste. Es hatte lange gedauert, bis das Gespräch beendet war.
Wütend zerknitterte Soul den Steckbrief in seiner Hand und verließ dann die Wohnung. Er wusste wo der Mann sich immer heruntrieb. Nun war es zu spät für ihn über seine Taten nachzudenken.
Soul schritt an diesem Morgen nicht sofort zur Tat. Er kannte den ungefähren Tagesablauf seines Zieles, weshalb er sich zu dessen Wohnung aufmachte und dort für zwei Stunden im Café auf der gegenüberliegenden Straßenseite verbrachte, während der Kaffee vor ihm kalt wurde. Schließlich verließ der Mann seine Wohnung und Soul beschattete ihn den restlichen Tag, folgte ihm auf Schritt und tritt, auf der Suche nach einer guten Gelegenheit, um ihn zu töten.
Oberflächlich gesehen schien er ein normaler Mann zu sein, doch er war Abschaum. Er zwang Frauen dazu mit ihm zu schlafen, verletzte sie, nahm ihnen ihre Zukunft. Einen solchen Menschen konnte Soul nicht akzeptieren.
Es war nicht so, dass Soul das Dasein eines Kopfgeldjägers nicht aufgeben würde, aber er konnte es einfach nicht. Wenn er daran dachte, dass er auch nur einen Menschen beschützen konnte, indem ich einen Verbrecher tötete, wurde die Last auf seinen Schultern leichter. Er wollte nicht, dass Menschen unter solchen Leuten leiden mussten. Deswegen setzte er diese Jagden fort. Natürlich war Soul seine Rache wichtig, doch zu einem kleinen Teil versuchte er, wie Callum Menschen zu beschützen. Nur konnte es nicht wie sein Vater. Soul konnte ihnen nicht vergeben und sie nur verhaften. Er hasste diese Menschen. Weil sie genauso wie Callums Mörder waren.
*
Es war ziemlich spät, als Souls Ziel einer jungen Frau folgte. Er spannge sich an. Der Mann hatte wohl sein nächstes Opfer gewählt, doch das würde der Kopfgeldjäger nicht zulassen. Der Frau, die von ihm vergewaltigt wurde und die Soul besucht hatte, hatte er versprochen, dass Soul kein weiteres Opfer zulassen würde. Heute Nacht war er das Opfer. Nicht diese Frau.
Soul tötete lautlos, so war es schon immer. Als der Mann die junge Frau packte, nachdem sie ihn abgewiesen hatte, war Soul schon an ihn heran, die Wakizashis gezogen. Der Blick der Frau und Souls begegneten sich für eine winzige Sekunde, dann schlitzte er dem Mann von hinten die Kehle auf.
Die Kapuze rutschte Soul von den Schultern, als der Kerl in seine Richtung zu Boden fiel und ihn streifte. Sein weißes Haar wurde mit Blut bespritzt und die Frau gab einen spitzen Schrei von sich.
Soul hielt ihr ruhig die Hand entgegen. "Darf ich Ihr Handy benutzen? Ich muss die Polizei anrufen."
Nachdem die Leiche abtransportiert war und die Frau in eine Decke gewickelt von Krankenpflegern beruhigt wurde, wendete Soul sich ab. Der Polizei hatte er seinen Namen gegeben. Er war in ihrer Datenbank als Kopfgeldjäger eingetragen, würde das Geld also bald überwiesen bekommen. Mittlerweile war es gegen Mitternacht, dennoch zog Soul sich die Kapuze tief ins Gesicht, damit niemand das Blut in seinen Haaren sah.
Kurz dachte er darüber nach ins Soft Scene zu gehen, verwarf den Gedanken aber schnell. Er hatte dort nichts zu suchen. Außerdem konnte er blutbeschmiert nicht dort auftauchen. Also ging Soul stattdessen in seine Wohnung, wusch sich das Blut ab und legte sich schlafen. Er vertraute darauf, dass seine innere Uhr ihn am nächsten Morgen wecken würde, damit er die Frau noch einmal besuchen konmte, die von dem, jetzt Toten, vergewaltigt wurde.
*
Die Frau war nicht da, als Soul am Montag vor ihrer Tür stand. Weil er sie nicht verpassen wollte und da er nichts weiteres vorhatte, beschloss Soul vor ihrer Tür zu warten. Irgendwann begegnete ihm die Nachbarin, als sie nach Hause kam.
Diese erzählte ihm, dass die Frau für ein paar Tage zu ihren Eltern gefahren war und sie sich deswegen um den Wellensittich kümmerte. Am Dienstag Abend war sie wohl wieder da.
Er beschloss seinen Besuch auf Mittwoch zu verlegen und vertiefte sich bis dahin in seine Nachforschungen über die Organisation und C und gab seine wenigen Kleidungsstücke in einen Waschsalon, da er keine Waschmaschine besaß.
Am Mittwoch Morgen dann ging er wieder zur Wohnung der Frau. Es war später Vormittag, sie war also definitiv schon wach, als er klingelte.
Es dauerte ein wenig, bis Soul leise eine Stimme hinter der Tür vernahm, ohne dass diese geöffnet wurde. "Wer ist da?"
Soul trat einen Schritt auf die Tür zu. "Soul Nameless. Wir haben über den Täter gesprochen, erinnern Sie sich?"
"Natürlich. Was wollen Sie? Ich habe doch schon alles gesagt, was ich weis."
Soul nickte, auch wenn sie ihn nicht sehen konnte. "Ja. Deswegen bin ich nicht hier. Ich wollte Ihnen nur sagen, dass ich mein Versprechen gehalten habe. Er wird nie wieder jemandem etwas antun. Vielleicht hilft Ihnen das."
Sie zögerte, dann sagte sie nur ein einziges Wort. "Danke."
Schweigen. Er wartete, denn auch zuvor hatte es eine Weile gedauert, bis sie Soul herein ließ. Dann hörte er einen gedämpften Knall durch die Tür und stockte. Es klang als wäre ein Stuhl oder etwas Ähnliches umgefallen. "Ist... ist alles in Ordnung?", fragte Soul und wiederholte die Frage etwas lauter. Dann klopfte er gegen die Tür, weil er keine Antwort erhielt. "Antworten Sie mir bitte! Geht es Ihnen gut?! Hey! Machen Sie die Tür auf! Sofort!! Jetzt!!!" Panisch trommelte er gegen die Tür, was die Nachbarin vom Montag aus ihrer Wohnung trieb. Sie öffnete die Tür, als Soul gerade dabei war, eine Waffe zu ziehen, die er sonst nie benutzte.
"Was ist denn mit Ihnen los?, fragte die Nachbarin, als Soul auch schon drei Schüsse hintereinander mit einer kleinen Pistole auf das Türschloss abgab. Er rammte seine Schulter gegen die Tür, das Schloss gab nach und er stolperte in die Wohnung.
Gehetzt sah er in jeden der Räume und blieb dann im Eingang des Wohnzimmers wie angewurzelt stehen. "Oh mein Gott!", flüsterte die Nachbarin hinter ihm.
Soul merkte, wie ihm für einen Augenblick schwarz vor Augen wurde, als seine Beine nachgaben und er auf dem Boden landete. Seine Augen waren auf die, in der Luft baumelnden, Füße der Selbsterhängten fixiert, bevor er sich heftig zitternd übergab.
*
Das Essen ist alle., war Souls einziger stumpfer Gedanke, als er am Freitag Abend in der dunklen Küche stand. Die letzten drei Tage hatte er den Aufwasch schändlich vernachlässigt und es standen angerissene Fertiggerichte herum, die er nur zur Hälfte geschafft hatte, bevor er sich wieder übergab.
Sein Körper hatte Nahrung die letzten Tage vehement abgelehnt und dementsprechend sah er auch aus. Der Blick in den Spiegel, als Soul sich im Bad das Gesicht wusch, war gruselig. Er war noch blasser als sonst, hatte tiefe Augenringe und seine Haare waren durcheinander und ungewaschen. Außerdem wusste er nicht, dass man in drei Tagen so viel abnehmen konnte.
Er verließ nur zögernd die Wohnung, in der er sich verkrochen hatte, doch er würde seinen Körper dazu zwingen zu essen, auch wenn er alles wieder hoch würgte.
Das Nachtleben von Las Vegas begann schon langsam, obwohl es noch nicht all zu spät war. Soul war müde. Müder als sonst. Er schlief nie gut, aber in den letzten Tagen war es schlimmer.
Er zögerte als er mit der Kapuze tief im Gesicht an irgendeinem Strip Club vorbei ging. Vielleicht hatte Louba ja neue Informationen, was C betraf. Vielleicht hatte Phidel ihn bereits wieder kontaktiert.
Woran klammerte er sich eigentlich in diesem Leben, außer an seine Rache? Dieser Gedanke verfolgte ihn, als er das grelle Treiben von Soft Scene betrat.
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Willkommen liebe Leser,
Wie hat euch das Kapitel, das sich lediglich um Soul drehte gefallen? Hier habe ich den armen Charakter etwas gequält. Tut mir leid, Soul, ich bin nun einmal eine Dramaqueen.
Schon gespannt, wie es mit den zwei Sorgenkindern weiter geht?
Luise-chan
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