22
Sein gesamter Körper schmerzte, als Souls Bewusstsein langsam aus der Dunkelheit wieder auftauchte. Jede einzelne Bisswunde, jede Schramme und die aufgeschlagenen Stellen an seinem Kopf. Alles tat nun tausendmal mehr weh als beim eigentlichen Verletzen.
"Glaubst du, der lebt noch?"
"Atmet er?"
"Sieht so aus... ihh, nicht anfassen! Der gehört bestimmt zu Rahul... sollen wir ihn entsorgen?"
"Lass uns lieber einen Erwachsenen holen..."
"Noch bin ich nicht...", flüsterte Soul mit heißerer Stimme, musste aber abbrechen, da selbst Sprechen Wellen des Schmerzes durch seinen Körper jagte. Langsam öffnete Soul die verklebten Augen und betrachtete die Beiden, die über ihn redeten. Soul lag noch immer in der Lounge auf dem Boden in seinem Blut und Erbrochenen und Rahuls Sperma.
Zwei Jungen, vielleicht gerade einmal vierzehn und zwölf Jahre alt knieten über ihm. Die nächste Generation von Opferlämmern, bereits abgehärtet. Blut war nichts Neues für sie. Vermutlich waren es Straßenkinder, die Rahul mit dem Versprechen einer täglichen Mahlzeit in seine Festung gelockt hatte. Sai war wohl einmal genau wie sie es waren gewesen. Neugierig und verspielt. Angst zeigten diese Beiden überhaupt nicht. Einer von ihnen hatte einen Eimer in der Hand, dessen Inhalt entsetzlich stank, der andere trug eine Säge und einen blutigen Wischmop bei sich.
In ihrem Alter war Soul, als Callum ihn mit zu seinen Aufträgen genommen hatte. Wie jung. Wie unglaublich jung sie Soul vorkamen, obwohl er doch nur fünf Jahre älter war als der Ältere der Beiden. Auch sie würden sich in der Arena zerfleischen, genau wie Sai es getan hatte. Auch sie würden Rahuls Tyrannei verfallen. Und wenn sie versuchen würden etwas zu ändern, würden sie enden wie er und Louba.
Schlagartig kehrte Souls volles Bewusstsein zurück und er packte den Jüngeren am Knöchel. "Louba! Was ist mit Louba?"
Nun erschrak der Junge doch, schrie auf und schüttelte seinen Fuß, trat auf Souls Arm und versucht ihn los zu werden. Der andere lachte ihn voller Schadenfreude aus und versuchte noch nicht einmal zu helfen. Der Jüngere wurde panisch und beganm mit dem Wischmop auf Soul einzuschlagen, bis er los lies. Sogleich ging er auf Sicherheitsabstand.
Das Einzige was Soul wusste, war dass Louba in der Masse untergegangen war. Er wusste nicht einmal ob er noch lebte, ob er an Drogen oder Verletzungen gestorben war. Verzweifelt versuchte Soul sich zu bewegen, aufzustehen, aber sein Körper gehorchte ihm nicht. "Louba...Louba, wo bist du? Komm zurück. Komm zurück. Warum hast du das gemacht? Ich habe doch versucht dich zu beschützen." Soul schluchzte Loubas Namen, während er sich im Dreck aus Körperflüssigleiten wand, über den Boden kratzte, nicht fähig aufzustehen.
Der ältere Junge beugte sich über Soul, kratzte sich nachdenklich am Kinn. "Hey, weißt du, wer dieser Louba ist? Hast du den schon mal gesehen?"
Der Kleinere schüttelt den Kopf. "Vielleicht gehört er zu dem. Wir müssen ihn zu seinem Herren bringen. Alle Sklaven müssen zu ihrem Herren sonst passiert etwas schlimmes!"
Der Große drehte sich zu dem Jüngeren, um ihm gegen die Schulter zu boxen. "Du sollst Sai nicht nachsprechen! Er ist mausetot und wenn er tot ist dürfen wir nicht mehr von ihm reden!"
Betrübt ließ der Kleine den Kopf hängen und schaute zu Soul. Derlag weinend am Boden, hörte den beiden Jungen nur halb zu. Was hatte er sich eigentlich dabei gedacht? Jemanden, der Weltdiktator sein könnte herauszufordern, Bedingungen zu stellen... schlecht bedachte Bedingungen.
"Kannst du mal beschreiben, wie Louba aussieht? Dann werden wir ihn für dich suchen!" Aufgeregt umklammert der Jüngere seinen Wischmop und grinste Soul an, richtig stolz über seinen Einfall.
Verwirrt blickte Soul die Jungen an. Für einen Augenblick hatte er ihre Anwesenheit verdrängt. "Louba ist... Louba..."
Nun mischte sich eine Soul vertrautr Stimme dazu. Sie gehörte ganz klar zu Phidel. "Hört auf mit den Toten zu spielen, Jungs! Ihr sollt das sauber machen und die Leichen..." Sie verstummte, trat in Souls Blickfeld und kniete sich neben ihm nieder. Erst jetzt konnte Soul seine Panik etwas zügeln. "Du siehst mir aber noch sehr lebendig aus... wie kommst du nur hierher?", meinte sie leise, mehr zu sich selbst als zu Soul. Mit beiden Händen verscheuchte sie die Jungs und legte Soul beruhigend ein paar kühle Finger auf die Stirn.
Mit zitternden Fingern berührte Soul ihren Arm. "Was ist mit Louba? Wie geht es Louba?"
"Solltest du nicht... bei Louba sein und nicht hier? Beruhige dich, ich werde mich um dich kümmern." Sie lächelte sanft und griff in ihre Tasche, um die Apparaturen heraus zu holen, die Soul bereits bei Louba gesehen hatte. Sie säubert eine Stelle an Souls Arm und er ließ sich willenlos das Heroin spritzen. Sie ließ eine Hand an Souls Wange und streichelte ihm sanft durchs Haar. Gleich wird alles besser, glaub mir. Schließ einfach deine Augen, Soul. Entspann dich. Du bist vorerst in Sicherheit."
Das letzte mal war Louba es, der ihm etwas gespritzt hatte. Aber Louba war gerade nicht hier. Vielleicht war er gerade in irgendeinem Drogenrausch, verletzt oder vielleicht auch totgetrampelt vom extatischen Publikum. "Es tut mir leid.", flüsterte Soul, während das Heroin seine Wirkung zu enfalten begann. "Louba... es tut mir leid..."
*
Soul erwachte langsam aus der Trance. Sein Kopf dröhnte, als hätte er einen über den Durst getrunken, er lag sauber und angezogen in einem weichen Bett und die Sonne, die ihm ins Gesicht schien, brannte in seinen Augen. Dennoch konnte er die Stimmen im Raum nebenan wahrnehmen.
"...geht es ihm?"
"Er schlägt sich besser als erwartet."
"Kein Wunder, du hattest niemals vor ihn umzubringen." Loubas Stimme hätte Soul überall erkannt und sobald er sie hörte, begann Soul vor Erleichterung an zu weinen. Die Tür öffnete sich und da stand er in einem schillernden Gewand, wie ein Engel. In einer Hand hielt Louba eine Schüssel mit Salat, den er wohl gerade aß, in der anderen eine Gabel. Auf seinem rechten Auge klebte ein dicker Verband aus Watte und Pflastern. Abgesehen davon schien es ihm blendend zu gehen. Louba lächelte, die Maske zeigte keine Risse, besonders nicht wenn Rahul direkt hinter ihm stand, dessen kalte Augen ohne Mitgefühl auf Soul hinab blickten.
Soul begriff den Unterschied zwischen sich und Louba sofort. Loubas Maske war perfekt. Er konnte nach einem vollkommen desaströsen Abend aufstehen, als wäre blnichts gewesen, seine Maske aufsetzen und die Person spielen, die Louba gerade sein wollte. Soul dagegen bekam es gerade einmal halbherzig hin, seine Gefühle zu unterdrücken. Was aber nicht gelang, wenn er unter starkem Stress stand.
Soul hob den Arm, um sich die Tränen aus dem Gesicht zu wischen, doch es fühlte sich an als ob tausende Nadeln seine Haut durchbohren würden. Er ließ den Arm wieder sinken und begegnete kurz Rahuls Blick. Was genau hatte er jetzt vor? Wie viel hatte er erzählt?
"War das wirklich nötig?" Damit richtete Louba sich wohl an jeden im Raum. Gerade als er zu Soul gehen wollte, war Rahul schneller, packte ihn am Handgelenk und zog Louba zu sich. Er zuckte kurz zusammen, fast fiel ihm der Salat aus der Hand. Selbst all das Make-up konnte die heftigen Blutergüsse nicht komplett verdecken. Es musste weh tun. Oder vielleicht hatte Louba sich auch wieder so voll geknallt, dass er keinen Schmerz mehr spürte.
"Du weißt doch, was nötig ist, um junge Hunde zu erziehen..." Rahul grinste und drückte seine Lippen auf Loubas Hals. Der wand sich geschmeidig aus seinem Griff, die andere Hand von ihm war aber bereits hervor geschnellt und packte brutal Loubas Hals, bohrte ihm die Finger in die Kehle. Den Kampf gegen ihn konnte man nur gewinnen, wenn man mit spielte. Also ließ Louba seine Verteidigung fallen und die Hand um seinen Hals lockerte sich. Röchelnd schnappte er nach Luft, massierte mit den schlanken Fingern seinen Hals.
"Sicherlich... aber jeder Hund wird irgendwann zubeißen, wenn du ihn so misshandelst." Ein Grinsen setzte sich auf Loubas Gesicht fest, er stellte sein Essen weg und seine Hand legte sich auf Rahuls breite Brust, strich langsam über die harten Muskeln. "Du machst dir nur Feinde, Liebster..." Kurz küsste Louba seinen Hals, zog dann seine Lippen hoch wie ein Wolf und entblößte die spitzen Goldzähne. Das, was er Soul angetan hatte, würde Louba ihm nie verzeihen. Bevor er allerdings die Zähne in Rahuls Hauptschlagader stoßen konnte, packte dieser Loubas Kinn, zwang dessen Mund zu seinem. Irgendwie musste er es gerochen haben. Louba fluchte innerlich. Den Kampf setzten sie mit den Lippen und der Zunge fort. Auch hier musste Louba sich geschlagen geben. Als Rahul ihn endlich los ließ, taumelte er einen Schritt zurück, tastete über seinen aufgebissenen linken Mundwinkel. Blut, dunkel und rot, tropfte hervor. Louba versuchte es mit den Händen aufzufangen, bevor es sein Gewand traf. Rot machte sich auf weiß ganz schlecht. Er suchte ein Taschentuch und wurde in der Kommede in Souls Nähe fündig.
"Einäugig finde ich dich sogar noch geiler." Mit diesen Worten verließ Rahul den Raum. Erst jetzt fiel die extreme Anspannung von Soul ab und er hörte auf seine Unterlippe mit den Zähnen zu massakrieren. Der eiserne Geschmack in seinem Mund sagte ihm, dass er sie leicht aufgebissen haben musste.
Louba seufzte leise, presste sich das Tuch an den Mund und setzte sich elegant an Souls Bettkante nieder, überschlug die Beine. "Die Truppen stehen bereit. In ein paar Stunden geht es los. Brauchst du Mittel um stehen zu können? Ich werde mit Phidel reden, wenn du das möchtest." Langsam bröckelte die Maske, eine tiefe Traurigkeit wurde in seinen Augen sichtbar. "Du kannst Rahul nicht vertrauen. Seinen Worten... darfst du keinen Glauben schenken. Egal, was er dir verspricht."
Mit steifen Gliedern stemmte Soul sich hoch, keuchte als ihm ein stechender Schmerz durch den Unterleib fuhr und jede einzelne Verletzung und jeder Bluterguss sich bemerkbar machten. Trotz allem biss er die Zähne zusammen, griff er nach Loubas Hand, der diese drückte und ihn stützte, und schlang den anderen Arm um Louba, hielt sich größtenteils an ihm fest, obwohl er vermutlich auch geschunden genug war. Mit besorgt zusammengezogenen Augenbrauen drückte Louba Souls Kopf an seine Brust, blieb standhaft aufrecht, sofass er Soul halt geben konnte.
Neben ihm kniend atmete Soul seinen Geruch ein, vergewisserte sich Loubas Körperwärme, seiner Anwesenheit, während er die Tränen kaum unterdrücken konnte. "Es tut mir leid.", flüsterte er. "Ich bin ein Idiot."
"Es wird alles gut werden, Kleiner. Ich werde dich jetzt nicht mehr aus den Augen lassen, das verspreche ich dir. Ich werde bei dir bleiben und gemeinsam werden wir heilen." Liebevoll drückte Louba ihm einen Kuss auf die Stirn, streichelte langsam seine Hand. Ganz langsam ließ Louba sich mit Soul in den Armen zurück auf das Bett sinken.
Der drückte Loubas Hand fester. Es war unglaublich wie Rahul ihn hatte leiden lassen, ohne seine Bedingungen dabei zu brechen. Soul war noch am Leben. Er hatte die Möglichkeit Painter selbst zu stürzen. Und Rahul hatte Louba nicht angerührt. Das gerade eben war nur Spielerei gewesen, um zu provozieren.
Gemeinsam heilen. Lächerlich. Einfach lächerlich.
Schnulzig.
Liebenswert.
Und angsteinflößend.
Aber vor allem lächerlich. Wenn alles nach Plan verlief. Wenn Soul Painter tötete, bevor er ihn tötete. Dann würde Soul sich sicher umbringen, bevor alle seine Verletzungen geheilt waren. Sie würden sich vermutlich nie wieder so nahe sein, wie in Loubas Wohnung. Vermutlich würde Soul nie wieder in so eine erregte Extase kommen. Vermutlich würde er nie wieder Loubas warme, sanfte Finger auf seiner nackten Haut spüren, nie wieder Loubas vor Erregung heisere Stimme hören.
Was Soul aber mehr Sorgen machte, war die Frage, ob Rahul ihm alles erzählt hatte oder nur einen Teil ihres Gesprächs. Soul hatte Angst zu fragen. Zu fragen ob Louba wusste, dass Soul vor hatte zu sterben, nachdem das alles vorbei. Dass es ihm deswegen egal war, was mit seinem Körper passierte. Wie würde Louba darauf reagieren? Würde er versuchen Soul davon abzuhalten? Oder hielten sie sich an ihre Abmachung und es würde Louba nichts angehen, sobald das alles vorbei war? Souls größte Angst war es, Louna zu verletzen.
"Bald ist alles vorbei...", flüsterte Louba. Aber ich werde bei dir bleiben. Bis zum Ende." Das Auge, das Louba noch übrig geblieben war, schloss er langsam, zog Soul enger an sich. Diese wohlige Wärme, Souls Nähe, fast konnte Louba es vergessen, all diesen Hass. Aber auch nur fast.
"Dein Auge... es tut mir leid.", murmelte Soul noch, ehe er sich an Louba schmiegte.
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Hallihallo,
die schlimmste Phase des Buches ist nun überstanden. Um genau zu sein befinden wir uns in den letzten Zügen OwO.
Noch drei Kapitel und ein Epilog, freut euch darauf!
Luise-chan
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