19
In dem Raum war es nahezu komplett Still. Nur die Lüftungsanlage rauschte leise im Hintergrund und ab und zu eilten Schritte an der Tür vorbei.
Es war später Nachmittag, als sie gelandet waren und erst gegen Abend tat sich etwas. Zaghaft klopfte es an Souls Tür. Es war Sai. Er hatte noch immer Angst vor ihm, war noch immer nervös. "Würdet Ihr mir bitte folgen? Da... möchte jemand mit euch sprechen. Der Mann, mit dem Ihr hier eingetroffen seid. Tut mir leid... ich weiß nicht wie er heißt ... Naga? Naja? So ähnlich." Verlegen starrte der Junge zur Seite, kratzte wieder über die Narbe. Sehr alt sah sie noch nicht aus und war auch noch nicht vollständig verheilt.
Soul setzte sich auf. Wie viel Zeit war vergangen? Doch eigentlich war das unwichtig. "In Ordnung.", stimmte Soul zu. Naga? Das kam noch nicht einmal annähernd an Loubas Namen heran.
Zaghaft ging Sai vorran, tappste mit den nackten Füßen über den Steinboden zielstrebig die Gänge entlang.
Soul mochte dieses Anwesen nicht. Dessen war er sich mittlerweile sicher. Alles an dieser Burg war kalt und unpersönlich. Es war nicht so, dass ee diesen Ort hasste, doch er war nun einmal genauso wie seine Wohnorte. Viel lieber hätte er sich in irgendeiner überfüllten Stadt herumgetrieben. Leute, die man nicht kannte begegnetem einem am laufenden Band und doch fühlte man sich nicht einsam. Diese Burg hier war das Gegenteil. Kalt und leer. Ein Ort, an dem man zu viel Zeit zum Nachdenken hatte.
Sai führte ihn durch einen Glaskorridor mit Aussicht auf einen großen Sandplatz und dann eine Treppe hinauf in einen der brutal nüchternen Türme, welche wie grob geschlagene Holzklötze an den Seiten der Festung klebten. Am Ende der Treppe erwartet Soul ein kleiner Raum, von welchem mehrere Türen wegführten. Eine stand offen. Leise Stimmen drangen ihm entgegen.
Soul erkannte Loubas Stimme sofort. Auch wenn er geahnt hatte, dass Sai ihn zu diesem führen wollte war er doch froh. Louba war das Einzige, was ihn hier hielt. Louba und deine Aussicht auf Rache. Doch es hatte etwas Beruhigendes, dass er nicht allein hier war. Dass Soul zu Louba flüchten konnte, wenn es sein musste.
"...auch etwas eingerissen.
Du weißt, dass er manchmal etwas ungestüm sein kann." Zustimmendes Gemurmel. "Ich bin das gewohnt."
Sai betrat den Raum nicht und wartete brav davor, die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Der Raum verfügte über eine große Wand komplett aus Glas, welche ein eindrucksvolles Dschungelpanorama bei Sonnenuntergang zeigte. Davor lag Louba halb in einem Sessel, bekleidet mit einem offenen, weißen Bademantel und grauen Shorts, im Mund eine lange Pfeife. Neben ihm saß eine Frau auf einem Hocker und kümmerte sich um seine linke Hand, lackierte seine Fingernägel neu. Ganz in Schwarz. Neongrün war wohl out.
"Er bezahlt dich nicht genug, um dir das antun zu dürfen." Am Fenster stand eine vertraute Person. Es war ihre Lieblingswaffenhändlerin Phidel im stylischen, langen Kleid, welches bis auf den Boden reichte und wie Wasser von den sanften Rundungen ihres Körpers floss. Sie war die Erste, die Soul bemerkte. Loubas Sinne waren zu benebelt. "Hallo, Soul. Es freut mich dich zu sehen, Kleiner." Sie lächelte und winkte ihm zu.
Nun zuckten Loubas Augen auch zu ihm und er setzte sich ächtzend auf, verzog das Gesicht vor Schmerz und biss auf die Pfeife. Die andere Frau fing an zu zetern, weil sie durch seine plötzliche Bewegung abgerutscht war. "Was soll das!? Halt still!"
Leise entschuldigte Louna sich bei ihr und nahm die Pfeife aus dem Mund. "Lang nicht mehr gesehen." Louba gronste mit dumpfen glasigen Augen und strecke seine freie Hand nach Soul aus. Die Bewegung wirkt unkoordiniert. "Komm her, Süßer."
"Guten Abend.", grüßte Soul knapp und ging auf Louba zu. Es war mehr als offensichtlich, dass Rahul wohl das bekommen hatte, was er am Flughafen wollte. Und dass er sich dabei rücksichtslos verhalten hatte war auch klar. Ihm so zu sehen versetzte Soul einen leichten Stich ins Herz. So berauscht von irgendwelchen Drogen, mit Schmerzen und als Spielzeug Rahuls wollte Soul ihn nicht sehen. Er wusste, dass es Loubas Job war, doch gleichzeitih war er sich sicher, dass Sex mit jeder beliebigen anderen Person Soul nichts ausgemacht hätte.
Soul ergriff die Hand, die sich so hilflos zu ihm ausstreckte, verschränkte seine Finger mit Loubas und beugte sich zu ihm hinab, legte die Stirn gegen seinen Kopf. Louba roch nach Sex. Nach sich, Schweiß und Sex. Bisher war es Soul nicht aufgefallen, dass man es riechen konnte, wenn jemand Sex gehabt hatte, doch so war es wohl. "Er kennt wirklich keine Mäßigung, oder?"
"Ist dir klar, dass Louba das nur wegen dir erträgt? Er ist nicht mehr so abhängig von Rahul, wie er es früher einmal war. Er braucht ihn nicht mehr. Er muss sich nicht mehr mit den großen Jungs anlegen." Phidels Stimme blieb ruhig und klar, zeigte kaum eine nennenswerte Emotion. In ihren dunklen Augen spiegelte sich lediglich etwas Sorge wieder. Sie stolzierte zu Louba, nur um ihm die Pfeife aus der schwachen Hand zu nehmen, fast wäre sie sowieso heraus gerutscht.
"Natürlich.", murmelte Soul. "Natürlich weiß ich, dass Louba das nur wegen mir macht." Er nahm ein wenig Abstand, als die Frau ihm so nahe kam, nur um gleich wieder nach der Hand zu greifen. Wie es schien war Louba wieder hoffnungslos den Opioide verfallen, allerdings hatte er mittlerweile eine gewisse Toleranz gegenüber der Droge entwickelt, sodass er nicht annähernd so high war, wie er es gerne gewesen wäre. Der Schmerz war immer noch da, dieser tiefe, reißende Schmerz und ee fühlte sich auch noch immer absolut beschissen. Jede Bewegung war eine Zumutung. Ein kleines Lächeln huschte trotzdem über Loubas blasses Gesicht, weil Soul ihm so nahe kam. "Das ist schon ok... für dich mach ich alles, Süßer." Seine Augen waren leicht gerötet und noch feucht. Es schien ihm schwer zu fallen Soul wirklich zu fokussieren. Ganz von alleine rollten seine verkleinerten Pupillen nach oben. Energisch entriss die zweite Frau im Raum Soul Loubas Hand, um damit fortzufahren seine Nägel herzurichten. Leise meckerte sie darüber, dass der Lack noch nicht einmal trocken war.
Louba war komplett verbraucht, Rahul hatte noch nicht einmal versucht sanft zu sein. Liebe bedeutete für ihn wohl nichts weiter als Erniedrigung und Qual.
"Ein fragiler Schlangenkörper kann so schnell zertreten werden, wenn er unter die Tatzen der wirklich großen Raubkatzen gerät." Phidel streckte die schlanke Hand nach Loubas Kopf aus. Daraufhin zog dieser die Lippe hoch und zeigte seine spitzen Goldzähne. Sie strich ihm mit dem Daumen die Haare von der Stirn und sein Kopf fiel zur Seite. Louba hatte wieder angefangen zu weinen. Leise und still, sodass es bloß niemand bemerkte. Etwas, was er seit seiner frühen Kindheit zu meistern gelernt hatte. All die Übung half ihm jetzt aber nicht, wenn ihm jeder ins Gesicht starrte. Also schloss Louba die Augen und murmelte leise etwas in einer Sprache, die Soul nicht sprach. Phidel hatte es aber sehr wohl verstanden und wandte sich um, um nach ihrer Tasche zu greifen. Sie zog eine dicke Schnur hervor. Fast schon von alleine streckte Louba seinen linken Arm zu ihr. Sie schob den Ärmel seines Bademantels hoch und legte so seine Armbeuge frei. Er starrte zu Soul, während sie eine Heroinspritze vorbereitete, professionell seine Haut desinfizierte und ihm die Aderpresse anlegte. Mit geübter Hand schob sie Louba die Nadel unter die Haut. Er ertrug es mit einem Lächeln auf dem Mund und Tränen in den Augen, wie er alles in seinem Leben über sich ergehen ließ. Der Kick ging viel zu schnell vorüber und allmählich glitt Louba in einen weitaus ruhigeren, entspannten Zustand. Man sah ihm an, wie er seinen Frieden fand und die Schmerzen verpufften. Er lehnte seinen Kopf an Souls Brust, starrte in die Leere und bedankte sich leise flüsternd bei Phidel.
Loubas Anblick zerriss Soul das Herz. Er war wirklich ein absolut selbstsüchtiger Mensch. Wegen ihm machte Louba das durch, ließ sich auf diesen verrückten Perversen ein, irgendwo im Nirgendwo. Und das alles nur wegen seiner Rache, wegen nichts anderem. Soul ballte die Hände zu Fäusten und biss sich auf die Unterlippe. Er wollte Louba nicht in diesem Zustand sehen. Nicht, weil er ihn anwiderte oder Ähnliches. Nein, eigentlich wollte er Louba in den Arm nehmen, ihn küssen, sich versichern, dass es nicht so schlimm war.
Nein, er wollte Louba nicht so sehen, weil er dadurch das Bedürfnis hatte Rahul zu schlagen. Wenn er Sexualität nur offen gezeigt hätte, dann wäre es nicht so schlimm gewesen. Doch die Brutalität, die in jedem seiner Vorgehen mitschwang ließ Soul rasen. Warum musste er Louba so zurichten? Warum sah er ihn nur als das Objekt seiner Befriedigung an und nicht als Menschen? Rahul war widerlich. Er war vermutlich genauso wenig wert wie der Chef der Organisation. Er war genauso wie Painter. Was machte er hier eigentlich als Kopfgeldjäger im Hauptquartier eines offensichtlichen Verbrechers?
Phidel seufzte leise und säuberte die Spritze, packte sie dann zurück in eine kleine Schatulle und in ihre Tasche. Die andere Frau war nur froh darüber, dass Louba endlich stillhielt und sie in Ruhe seine Fingernägel pechschwarz und glänzend lackieren konnte.
Mit der freien Hand griff Louba nach Souls Arm, um ihn um seine Schultern zu legen. Langsam wiegte er sich in der Umarmung hin und her, starrte leer auf den Boden. Er konnte spüren wie Souls Brust vor Zorn zitterte und seinen aufgebrachten Herzschlag hören. Langsam blinzelnd senkte Louba seinen Blick auf die Frau, welche nun nach der anderen Hand verlangte. Die, die sie frei gab, zog Louba fast augenblicklich zu sich. Der Lack war trocken und fest, glänzte aber feucht. Ein wenig wackelte er mit den langen, dünnen Fingern, beobachtete wie sich das Licht in dem tiefen Schwarz spiegelte.
"Gefallen sie dir?", murmelte Louba halb in Souls Hemd uns schloss dann die Augen. Ja, er spürte die Schmerzen und die Angst nicht mehr. Nun spürte er aber die Müdigkeit und tief in ihm dieses dumpfe, erstickende Gefühl allmählich den Wert zu verlieren. Wie eine abgegriffene Münze, die schon durch zu viele Hände gewandert war. Rahuls Worte schnitten tief. Er kannte Soul schon länger als viele andere und er wusste genau, was zog und was nicht.
"Ja... sie sind schön. Du bist schön.", flüsterte Soul und strich mit der anderen Hand sanft durch Loubas Haare, sortierte die verschwitzen Strähnen so, dass sie ihm nicht mehr in die Stirn fielen. So schön und doch so zerbrechlich.
Soul begriff noch immer nicht vollständig, was für eine Person sich unter Loubas äußerer Erscheinung befand. Unter der Schminke, den Farben und der aufwendigen Kleidung, dem überlegenen Lächeln, das Louba ihm bei ihrer ersten Begegnung geschenkt hatte. Seine Fürsorge Soul gegenüber und die gegensätzliche Kälte Ed gegenüber. Was dachte und fühlte Louba wirklich? Soul hatte nur einen Bruchteil gesehen. Einen Bruchteil von Louba. Er hatte tiefer geblickt als andere Menschen und doch nur an der Oberfläche gekratzt. Und Soul war sich sicher, dass Rahul sehr viel weiter hinter Loubas Schutzwall gekommen war.
Es machte Soul eifersüchtig, doch zugleich machte es ihm Angst. Wie viel wusste Rahul über Louba? Wie sehr konnte Rahul ihn verletzen, wenn er es wollte? War er dazu fähig Louba Soul wegzunehmen? Soul wollte ihn beschützen, doch er hatte nicht das Recht dazu, konnte er sich doch nicht einmal selbst schützen. Wo er Louba doch in vollen Zügen ausnutze. Genauso ausnutze wie Rahul.
"Lass uns ins Bett gehen." Nachdem auch die zweite Hand fertig und trocken war, quälte Louba sich langsam aus dem Sessel hoch, hielt sich an Souls kräftiger Schulter fest. Er hielt Louba fest, legte seine Hand auf Loubas, während er ihm aufhalf. Soul wünschte er könnte ihn allein tragen. Nicht nur Loubas Körper, auch seinen Schmerz. Er möchte ihn mitnehmen nach seiner Rache. Doch er wusste, dass er das Gegenteil tun würde. Er wusste, dass er Louba nach seiner Rache nur noch mehr verletzen würde. Eigentlich wollte er nie jemanden mit in seine Rache hinein ziehen und nun war er hier. Und die Person, die er liebte, opferte sich für ihn auf.
Louba ächtzte, fühlte sich alt und verbraucht. Es war kein gutes Gefühl, wieder in alte Muster zurück zu fallen, für die er so lange gebraucht hatte, um sie los zu werden. Aber manchmal half nur noch dieses eine. Wenn er sich zwischen Opioden oder Rahul entscheiden musste, nahm er ganz klar die Drogen.
"Du bist wütend...", meinte Louba während er langsam mit Souls Hilfe aufstand, zwei Schritte humpelte und sich auf Soul stützte. "Das musst du nicht. Das hier ist mein Job. Ich bin das gewöhnt." Louba lächelte ihn dumpf an. Es klang aber mehr wie die üblichen, ausweichenden Worte, auch wenn sie wohl nicht den Effekt hatten, den Louba ihnen angedacht hatte. "In zwei Tagen sind wir hier wieder weg und du hast deine Rache in der Tasche. Du wirst dir nach all dem hier ein ruhiges Leben weit weg aufbauen. Ich spendiere dir eine neue Identität. Du kannst noch einmal ganz von vorne anfangen..."
Nein, Louba. Das ist falsch., dachte Soul. Er würde sich kein ruhiges Leben suchen. Er brauchte keine neue Identität. Und er konnte auch nicht von vorn beginnen. Es war falsch und dennoch schwieg er. Er log. Sein Körper spannte sich an und er log durch Schweigen. Er hörte Louba zu doch sagte kein Wort.
Nur sehr langsam gelangten sie zur Tür. Loubas Beine brachen bei jedem Schritt weg. Sobald Sai mitbekam was los war, fasste er ebenfalls mit an und zu dritt wurde es dann allmählich etwas. Es ging in Richtung Souls Zimmer. "Ich werde mir... ein kleines Häuschen kaufen. Irgendwo, wo es warm ist. Wo es einen Strand gibt und wo es muskulöse Surfer gibt... und dann mache ich einen Kiosk auf und verkaufe Essen und Trinken und was ein Surferherz sonst noch so begehrt." Stumm ertrug Sai sein Geschwafel. Mittlerweile hatte Louba es aufgegeben überhaupt zu gehen und wurde von ihnen nur so durch den Gang geschleift. Soul hoffte wirklich, dass Louba nach seiner Rache ein ruhiges Leben hatte. Aber so leicht fiel man nicht aus seinen eigenen Mustern.
Es dauerte nicht lange, bis sie an dem Zimmer ankamen. Sai öffnete die Tür und half Soul dabei Louba in das Bett zu bringen. Er brauchte garnicht lange, um einzuschlafen. Kaum lag er quer war Louba auch schon weg. Es schien fast so, als ob er in dem Augenblick eingeschlafen war, in dem sein Kopf das Kissen berührt hatte.
Soul setzte sich neben Louba auf die Bettkante und küsste seine Stirn. "Es tut mir leid. Du bist wegen mir hier. Nur wegen mir. Sag nicht, dass du es gewöhnt bist. Selbst wenn man es gewöhnt ist tut es doch genauso weh." Soul griff nach Loubas Hand und drückte sie. "Es tut mir leid, dass ich dir das antue."
Eigentlich müsste ich das selbst tun. Soul kam dieser absurde Gedanke. Ein Gedanke, den Louba niemals akzeptieren würde und von dem Soul nicht wusste, ob Rahul ihn annahm.
Soul küsste ihn, legte den Kopf auf Loubas Brust und hoffte darauf, dass der Schlaf vielleicht Loubas Schmerzen lindern würde oder das Leid für einen kurzen Augenblick verschwinden ließ. Soul hob den Kopf und wandte sich an Sai. Dieser stand anteilnahmslos neben der Tür und starrte ins Leere. Wie immer schien er nervös und verkrampft, kratzte an der Narbe auf seiner Brust und blinzelte dumpf in der Gegend herum.
Dieser absurde Gedanke war noch da, wollte nicht verschwinden. "Sai, würdest du mich zu Rahul bringen?"
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Hach ja, ein Cliffhanger, liebe Leser.
Was will Soul wohl von Rahul? Ich weiß es und ihr werdet es nächste Woche erfahren.
Luise-chan
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