Kapitel 6
„Lass dich nicht unterkriegen, sei frech und wild und wunderbar."
(Astrid Lindgren)
Laia:
„Ich rate ihnen dieses Mädchen in den nächsten 10 Sekunden loszulassen, wenn sie diese Nacht überleben wollen.", ertönte plötzlich eine weitere tiefe Stimme aus dem Schatten der Gassen, die aber wesentlich autoritärer klang. Seine Tonlage ließ keinen Zweifel daran, dass er hier gleich eine Schlägerei anfangen würde, wenn man ihm nicht gehorchte. Und während mein Gegenüber für einen Moment abgelenkt war, griff ich nach meinem Messer. Mit der einen Hand drückte ich seines weg, mit der anderen stach ich ihm in derselben Sekunde ins Bein.
Als er zischend vor mir in die Knie ging, rammte ich ihn noch meine Faust ins Gesicht, sodass er bewusstlos zur Seite kippte. Schnell holte ich auch noch mein zweites Messer aus seinem Versteck hervor und stellte mich kampfbereit dem zweiten Mann gegenüber. Doch dieser zuckte nicht einmal. Er stand einfach völlig gelassen da und bedachte mich mit einem erstaunten Blick.
„Was wollt ihr? Mich in die nächste Ecke ziehen und das selbe wie er versuchen?", knurrte ich ungehalten. Ich würde mich kein zweites Mal so überlisten lassen.
„Ich wollte sie eigentlich vor diesem Mann retten.", widersprach er mir ruhig und setzte sich in Bewegung. Umso näher er mir kam, desto angespannter waren meine Muskeln.
„Ich kann mich selbst beschützen!"
„Das hab ich auch mitbekommen.", gab er grinsend zurück und trat nun vollends ins Licht. Sofort stachen mir seine silberweißen Haare ins Auge, die wild in alle Richtungen ab standen. Danach fielen mir die zwei Schwerter auf, die er mit einem Gürtel über Kreuz auf dem Rücken trug, aber er griff nicht nach ihnen, zuckte nicht einmal.
„Und was wollt ihr dann noch hier? Ich bin außer Gefahr, also könnt ihr wieder gehen."
„Ich werde euch verlassen, wenn ihr zu Hause in Sicherheit seit. Sonst würde ich nicht ruhig schlafen können.", übertrieb er grinsend und legte sich eine Hand aufs Herz. Ich schüttelte nur den Kopf.
„Wieso sollte ich denn ausgerechnet euch vertrauen?"
„Weil ich ein Soldat des Königs bin, und der Leibwächter des Prinzen.", meinte er schulterzucken, als wäre das das normalste der Welt. Doch ich versteifte mich bei seinen Worten kaum merklich und ließ meine Waffen sinken. Konnte ich denn nicht einmal in meinem Leben Glück haben? Wieso musste ich ausgerechnet jemanden in die Arme laufen, dem ich wohl noch häufiger begegnen würde? Er würde mich doch hundertprozentig wieder erkennen, wenn wir uns im Schloss gegenüber standen, und mich dann verraten. Denn ich glaubte kaum, dass meine Maska ausreichte, um meine Identität geheim zu halten.
„Also ... verraten sie mir vielleicht auch, wo sie hin müssen?"
„Ähm, ja.", ich musste mich erstmal sammeln und überlegen, was ich nun tun sollte, „Ich muss zur Gaststätte: Die Jade." Er nickte und wollte sich bereits auf den Weg machen, als sein Blick zu meinem Oberkörper wanderte. Ich wollte ihm deshalb schon die Hölle heiß machen, aber dann tat er etwas, mit dem ich nicht gerechnet hatte. Er zog seinen schwarzen Umhang aus und legte ihn mir um die Schultern.
„Danke", murmelte ich leise und steckte meine Messer wieder weg, „Wie heißt ihr überhaupt?" Es wäre wohl besser seinen Namen zu wissen, wenn ich schon mit ihm unterwegs war.
„Finn. Und ihr, meine Schöne?"
„Das kann ich euch leider nicht verraten, aber ihr werdet es wohl noch früh genug erfahren.", erwiderte ich mit einem leichten Lächeln auf den Lippen. Finn zog seine Augenbrauen irritiert zusammen und sah mich fragend an. Aber ich würde da jetzt nicht weiter drauf eingehen.
„Ihr meintet doch, ihr wärt ein Soldat. Wenn ich also ein Versprechen von ihnen einfordern würde, dann müssten sie sich daran halten, nicht wahr?", fragte ich neugierig und sah, wie seine Verwirrung immer weiter zunahm. Dennoch nickte er.
„Dann versprecht mir bitte niemanden etwas von dieser Nacht zu erzählen. Weder von diesem Mann, noch von meinen Waffen.", verlangte ich ernst und blieb stehen. Er tat es mir gleich und sah mich verständnislos an.
„Aber es ist einer Frau doch nicht verboten sich zu verteidigen, und dafür auch Waffen bei sich zu tragen. Wieso sollte ich ihr Talent also für mich behalten?"
„Weil manche Menschen mich als Gefahr ansehen würden, wenn sie es wüssten.", erklärte ich und senkte leicht den Kopf. Selbst wenn die königliche Familie glauben würde, dass ich Annabell war, dann würden sie mir doch trotzdem alle Waffen abnehmen und mich damit schutzlos machen.
„Seid ihr denn eine Gefahr?", fragte er leichthin, schien sich keine Sorgen wegen mir zu machen. Ich war eine Fremde, die ihm ihren Namen nicht verraten wollte, Waffen bei sich hatte und dazu noch solch ein Versprechen einforderte, und dennoch schien er völlig unbekümmert.
„Nein! Ich will niemanden etwas zuleide tun. Ich möchte mich nur verteidigen können, wenn so etwas wie gerade eben passiert."
„Dann ist doch alles gut.", erwiderte er schulterzuckend und grinste zufrieden.
„Ihr versprecht mir also, niemanden etwas zu erzählen?", fragte ich sicherheitshalber nochmal nach. Auch wenn ich nicht wusste, ob er sich an sein Versprechen halten würde, aber das war immerhin besser als nichts.
„Versprochen.", er nahm meine Hand in seine und drückte einen federleichten Kuss auf meinen Handrücken. Sofort entzog ich ihm meine Hand wieder. Ich war eine solche Nähe zu Männern nicht gewöhnt.
Als wir kurze Zeit später an der Gaststätte angekommen waren, hielt er mir die Tür auf und wollte mich noch nach oben begleiten, aber ich wusste dies im Keim zu ersticken:„Ich bin einem Mann versprochen. Es wäre also nicht angebracht, wenn sie mich bis zu meinem Zimmer begleiten. Die Leute könnten dies falsch verstehen."
„Natürlich. Aber bevor ich gehe, dürfte ich nun endlich euren Namen erfahren?", fragte er und schloss die Tür zur Gaststätte wieder, sodass wir die Stimmen aus dem Inneren nur noch wie ein Flüstern vernahmen.
„Glaubt mir, den werdet ihr bald erfahren und es würd auch nicht lang dauern, bis wir uns wieder sehen.", grinste ich leicht. Irgendwie machte es Spaß so mit ihm zu spielen. Ihn musste das allerdings ganz schön verwirren.
„Ist es okay, wenn ich den Umhang vorerst behalte?", fragte ich noch, als ich gerade nach Drinnen gehen wollte. Ohne würde ich mich hier nicht rein trauen, zu all den angetrunkenen Männern, die sich über meinen entblößten Anblick sicherlich freuen würden.
Finn stimmte zu und wir verabschiedeten uns, bevor ich hinein ging. Mit der Kapuze über dem Kopf lief ich bis zum Hinterhof durch, ohne das mich jemand erkannte. Dort stellte ich erleichtert fest, dass Tatiana das Fenster wirklich offen gelassen hatte. Schnell kletterte ich nach oben und schloss hinter mir die Vorhänge, bevor ich das Licht an machte.
Auf dem Bett schlief Tatiana schon. Hoffentlich war sie schon vor der vereinbarten Zeit eingeschlafen und hatte sich keine Sorgen gemacht. Wäre es anders, würde sie sicherlich auch nicht so friedlich im Bett liegen.
Ich legte die Maske ab, zog mich um und ließ mich auf das zweite Bett fallen, bevor ich auch endlich die Augen schloss und von meinen Schwestern träumte, wie sie mit mir auf dem Maskenfest tanzten.
Doch dieser friedvolle Schlaf war nicht von Dauer, da ich wenige Stunden schon wieder von Tatiana geweckt wurde. Die Soldaten hatten ihr mitgeteilt, dass wir bald weiter mussten. Und aus ihrer entspannten Umgangsweise mit mir zu schliefen, hatte sie tatsächlich nichts von der letzten Nacht mitbekommen, genauso wenig wie die Soldaten. Aber der Anblick des fremden Mantels verwirrte sie sichtlich, dennoch fragte sie nicht weiter nach.
Es hatte noch eine ganze Weile gedauert, bis wir endlich unser Ziel erreicht hatten, sodass mittlerweile schon die Sonne langsam hinter den Bergen verschwand. Die Hauptstadt von Onyx war von einer Mauer umgeben, die perfekt zur dahinter aufragenden Stadt passte. Außerhalb waren auch noch viele Märkte und Häuser, aber das Zentrum war innerhalb der Mauern gelegen. Die Stadt war auf der einen Seite von Bergen umgeben, auf der anderen von dem Meer.
„Es sieht so viel schöner aus, als unsere Hauptstadt.", schwärmte Tatiana leise vor sich hin, als sie ebenfalls einen Blick aus dem Fenster warf. Ich konnte ihr nur zustimmen. Es wirkte viel heller und offener. Der Grund für letzteres war wohl, dass die Tore alle offen standen, und man nicht, so wie bei uns, nur Menschen mit Genehmigungen oder triftigen Grund einließ.
Als wir durch die Randstadt auf die Mauer zu fuhren, schauten wieder alle Bürger neugierig und winkten uns sogar manchmal freudig zu. Vereinzelt unterhielten sich die Leute auch mit den Soldaten und fragten, wen sie denn eskortieren würden. Natürlich verrieten die Männer des Königs nichts und lenkten die Gespräche auf andere Themen.
Als mein Blick weiter wanderte, erkannte ich ein paar Dachdecker, die mit Hilfe von Magie Dachziegel nach oben aufs Dach fliegen ließen, wo sie sie schließlich verbauten. Nebenbei sangen sie noch lautstark, als würde sie ihre Arbeit nicht im geringsten angstengen.
„Ich beneide sie um ihre Magie. Das Leben muss so viel einfacher sein, wenn man solche Fähigkeiten besitzt.", schwärmte Tatiana weiter, als sie meinen faszinierten Blick bemerkt hatte. Doch ich schüttelte nur den Kopf.
„Das dachte ich früher auch. Aber wenn du Magie beherrschst, dann wirst du automatisch auch zu einem Werkzeug der Mächtigen. Falls es also beispielsweise zu einem Krieg kommen sollte, dann bist du die erste, die sie als Mittel zum Sieg verwenden. Denn ein Magier hat bessere Chancen, als ein Normalsterblicher.", erklärte ich ihr meine Sichtweise auf die Dinge. Ich hatte mir schon vor einigen Jahren Gedanken darüber gemacht, weil ich dachte, dass ich meine Familie besser hätte versorgen können, wenn ich Magie wirken könnte.
„Außerdem gibt es genügend Menschen, die sich in ihrer Magie verloren haben und wahnsinnig geworden sind.", fügte ich noch hinzu. Es kam zwar nicht oft vor, aber man hörte dennoch immer wieder davon, wie diese Menschen sich nach immer mehr Magie verzehrten und die Waldgeister anflehten, ihnen etwas zu geben. Diese weigerten sich allerdings. Und so verloren die Magier ihren Verstand bei der Suche nach einem anderen Weg, um ihre Magie zu verstärken.
Tatiana schluckte hart und wendete den Blick von den Dachdeckern ab:„Da hast du auch wieder recht. Und wir beide kommen auch so gut zurecht, nicht wahr?." Letzteres fügte sie rasch mit einem breiten Lächeln hinzu und ich nickte zustimmend.
Bevor ich noch etwas erwidern konnte, stoppte die Kutsche plötzlich. Mit einem erneuten Blick aus dem Fenster erkannte ich, dass wir nun am Tor zur Innenstadt angekommen waren und die Soldaten sich gerade mit den Wächtern unterhielten.
Das einzige, was ich von der Unterhaltung mitbekam, war:„Ihr solltet euch lieber beeilen, der König hat euch schon heute Mittag erwartet." Diese Worte, die in unserem Land wohl eher einer Warnung geglichen hätten, kamen dieser Wache mit einem belustigten Unterton über die Lippen.
Danach fuhren wir wieder weiter und erreichten endlich das Schloss, welches nochmal etwas erhöht über der Stadt erbaut wurde. Auch dort mussten wir noch einmal durch ein Tor, bis wir endlich auf dem Hof stehen blieben. Ich konnte von hier aus die riesige Eingangstür erkennen, vor der einige Diener, Adlige und Wachen in Reih und Glied standen. Sie sahen alle gespannt zur Kutsche und erwarteten mich. Nein, nicht mich, sondern die Prinzessin.
„Wie soll ich sie nur alle davon überzeugen, dass ich Prinzessin Annabell bin?", hauchte ich mit zittriger Stimme. Ich war nicht am Hof aufgewachsen, kannte ihre Gepflogenheiten nicht wirklich. Und dieser Crashkurs, den mir der König aufgezwungen hatte, würde doch niemals ausreichen!
„Du schaffst das schon. Denk einfach immer daran, dass sie die echte Prinzessin nicht kennen, also brauchst du dich auch nicht komplett verstellen.", redete Tatiana mir gut zu und nahm meine Hände in ihre, bevor sie sie leicht drückte, „Außerdem bin ich ja auch noch da, um dich zu unterstützen."
Ich nickte mit einem knappen Lächeln, welches meine Augen aber nicht erreichte. Alles, was ab jetzt folgen würde, war nur noch ein Kampf ums überleben. Ein Fehltritt und ich würde auffliegen, und dabei nicht nur mein Leben beenden, sondern auch das von Tatiana. Aber das würde ich nicht zulassen.
„Dann lass uns in die Höhle des Löwen gehen.", murmelte ich noch, bevor ich mich aufrichtete. Ein Soldat öffnete die Tür der Kutsche und bot mir seine Hand an, die ich auch sogleich ergriff. Nachdem er mir aus der Kutsche geholfen hatte, bot er auch Tatiana seine Hilfe an.
Als ich meinen Blick über die vielen Menschen schweifen ließ, öffnete sich plötzlich das Eingangstor und eine wunderschöne Frau trat nach draußen, gefolgt von einigen Mädchen. Die Königin mit ihren Zofen.
Königin Amalia hatte ihr hellblondes langes Haar hochgesteckt unnd trug ein wunderschönes dunkelblaues Kleid mit langen Ärmeln und einigen goldenen Verzierungen. Dazu natürlich auch ihre Krone und ein Kette mit teuren Diamanten. Aber auch ohne all dies hätte man sie erkennen können. Ihr Gang wirkte elegant und selbstsicher, ihren Kopf hatte sie dabei stolz erhoben und sah mir ohne umschweife in die Augen. Sie fixierte mich ja beinahe schon.
Während sie sich mit schnellen Schritten näherte, verbeugte sich der anwesende Hofstaat ehrfürchtig vor ihr. In ihren Gesichtern pure Anerkennung, keine Furcht oder Angst.
Schnell setzte ich ein höfliches Lächeln auf und knickste tief, als sie vor mir zum Stehen kam. Ich traute mich beinahe nicht, ihr wieder in die Augen zu schauen. Es wirkte, als könne sie mir direkt in die Seele schauen, und das verunsicherte mich ungemein.
„Prinzessin Annabell, endlich seid ihr hier. Ich hoffe ihr hattet eine angenehme Reise?", verwickelte sie mich sofort in ein Gespräch.
„Natürlich.", erwiderte ich schnell und wagte nun doch einen flüchtigen Blick in ihre Augen, was mir kurz den Atem stocken ließ. Solch eine Farbe hatte ich noch nie gesehen. Es war ein helles violett, das einerseits sanft, aber andererseit auch berechnend wirkte. Was mir aber auch gleich auffiel, waren ihre leichten Falten im Gesicht, die sie nicht einmal zu verstecken versuchte, so wie die anderen Adligen. Nein, sie trug sie mit stolz und sie schadeten ihrer Schönheit auch nicht im geringsten.
„Das freut mich zu hören.", meinte sie lächelnd, „Lasst uns hinein gehen. Auch wenn der Winter vorüber ist, ist die Luft dennoch ziemlich eisig." Ich nickte zustimmend und lief neben ihr ins Schloss. In einem kleinen Abstand folgten uns ihre Zofen und Tatian, der Hofstaat blieb allerdings wo er war.
Und noch bevor die Tür hinter uns geschlossen wurde, hörte ich sie angeregt tuscheln.
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