☂︎ Prolog ☂︎
18. Juli
23:36
Ich blinzelte verwirrt. Ich hatte keinen blassen Schimmer, warum ich auf dieser abgenutzten Matratze lag.
„Was?", murmelte ich verzweifelt und versuchte mich zu erinnern. Doch mein Kopf schmerzte zu sehr, sodass ich keinen klaren Gedanken fassen konnte. Irgendwas stimmte nicht.
Fahles Mondlicht schien durch ein vergittertes Fenster, die einzige Lichtquelle, in dem sonst kahlem Raum. Die Scheibe war gesprungen und einzelne Glassplitter lagen am schäbigen Boden zerstreut.
Fröstelnd hauchte ich eine kleine Atemwolke hervor und rieb mir meine zitternden Finger.
Langsam erhob ich mich und blickte zur Tür an der gegenüberliegenden Wand. Zu meinem Unmut machte diese einen recht stabilen Eindruck. Ganz vorsichtig, tastete ich mich bis zum Türknauf vor. Zu meiner Erleichterung war sie unverschlossen.
Bedächtig stemmte ich die schwere Tür auf. Das schwache Mondlicht vom Fenster verlor sich sogleich in der Schwärze des Korridors, in dem es keine andere Lichtquelle gab.
Ich schluckte schwer.
So leise wie möglich schlich ich weiter. Wie war ich nur in so eine abgefahrene Situation geraten? Ich konnte es mir beim besten Willen nicht erklären.
Wo bin ich?! Panik stieg in meiner Brust auf und ließ mich schwerer atmen. Ich wollte nur eins, weg!
Ein paarmal stieß ich gegen herumstehende Möbelstücke und fluchte innerlich. Wenn ich wenigstens mein Handy hätte, um die Taschenlampenfunktion zu aktivieren oder um jemanden anzurufen. Aber dummerweise befand es sich nicht mehr in meiner Hosentasche und nochmal zurück und danach suchen, wollte ich auch nicht.
Wo ist denn nur diese blöde Eingangstür?!
Das Haus wirkte verlassen. Ich war allein. Ein erschreckender und gleichzeitig tröstender Gedanke.
Mein Kopf schmerzte immer noch heftig und teilweise verschwamm mir die Sicht. Ich war Kopfschmerzen wegen meiner Migräne zwar gewohnt, trotzdem fühlte ich mich unglaublich schlaff und müde. Mein rechtes Auge pochte und ich musste mehrfach blinzeln.
Hatte ich etwas getrunken? Und gleich in so rauen Mengen, dass ich den totalen Blackout hatte?
Ich holte tief Luft und versuchte mich zu beruhigen. Gut, ich konnte jetzt eh nichts mehr dran ändern. Ich war allein in diesem Haus und brauchte einen Ausweg - alles andere musste warten.
In diesem Augenblick hörte ich ein leises Knarren und blieb wie angewurzelt stehen.
Okay, das hier ist ein altes verlassenes Haus, alte Häuser knarren nun mal.
„Nur der Wind", flüsterte ich mir selbst Mut zu. Ich wollte weitergehen, aber meine Knie zitterten wie Espenlaub und verweigerten mir beharrlich den Dienst.
Okay, beruhige dich! Alles ist gut!
Ich schloss die Augen und zählte gedanklich bis Zehn. Dann tastete ich mich weiter.
Endlich erblickte ich die Haustür und atmete erleichtert aus.
Geschafft!
Ich streckte die Hand aus und wollte die Türklinke umfassen. Meine Fingerspitzen berührten beinahe das kühle Material, als mich auf einmal jemand von hinten packte. Ich wurde zurückgerissen, weg von der Tür und grob gegen das schmutzige Mauergewölbe gedrückt.
Durch den Aufprall wurde mir sämtliche Luft aus der Lunge gepresst und ich stöhnte schmerzvoll.
Mit stummem Entsetzen starrte ich auf den Schemen, der mich festhielt. Es war viel zu dunkel, um irgendwas zu erkennen.
Fuck! Was soll ich jetzt tun?! Was ...? Dann kam mir ein beruhigender Gedanke.
„E-Entschuldigen Sie! Aber ich bin kein Einbrecher!", sprudelte es aus mir hervor. Offenbar war das Haus doch nicht so verlassen. Und es war ja nachvollziehbar, warum der Eigentümer sich wunderte, wenn da ein Eindringling durch sein Haus schlich.
„I-Ich hatte wirklich keine schlechten Absichten! Ich weiß nicht mal, wie ich hergekommen bin! Aber sie können ruhig die Polizei rufen!"
Meine Mutter wird mich zwar umbringen, aber im Moment war mir das egal! Ich wollte nur nach Hause.
Der Fremde schwieg.
Ich biss mir auf die Unterlippe. Unter meine Panik mischte sich Wut.
„Lassen Sie mich los!" Ich versuchte den Fremden wegzuschubsen - schlug und trat wie wild um mich, doch es half alles nichts. Er ließ einfach nicht locker.
„Aua, Sie tun mir weh!", schrie ich und hoffte inständig, irgendjemand würde die Schreie hören und die Polizei verständigen.
Wieder versuchte ich mich aus dem eisernen Griff zu wenden und scheiterte erneut.
„W-Was wollen Sie von mir?"
Ich hatte das Gefühl, jeden Augenblick zusammenzubrechen.
Wenn das hier ein Scherz sein sollte, war es ein verdammt schlechter!
Der Fremde hüllte sich immer noch in Schweigen, was mir mehr Angst machte, als wenn er mich angeschrien hätte. Aus der Stimme hätte ich irgendwas herauslesen können; ob er wütend war, verunsichert, zweifelnd ... irgendwas halt!
Aber dieses eiserne Schweigen ... hatte etwas Endgültiges an sich, etwas Unvermeidbares ...
„Bitte ..." Meine Stimme versagte und ich versuchte angestrengt etwas zu erkennen. Aber ich sah nur undurchdringliche Dunkelheit.
☂︎
8 Monate später
Erschrocken fuhr ich aus dem Schlaf und setzte mich schwer atmend auf.
Nicht schon wieder ...
Mit den Fingern fuhr ich mir über die Augenlider und verschmierte dabei die Tränen auf meiner Wange. Meine Hand zitterte heftig. Einen Moment lang saß ich schweigend und reglos dar; lediglich meine Brust hob und senkte sich mit jedem Atemzug.
„Kilian?"
Ich hatte nicht gehört, wie jemand die Zimmertür geöffnet hatte und sah nun überrumpelt auf. Ein heller Lichtschein fiel ins Zimmer und ich erkannte den kleinen Umriss meiner Schwester Charlie.
Sie war barfuß, das Haar zerzaust und ihr hellblaues Nachthemd zerknittert.
Zögernd tapste sie auf mich zu und setzte sich zu mir auf die Bettkante. „Alles in Ordnung?", fragte sie besorgt.
Ich schenkte ihr ein mattes Lächeln. „Ja, alles gut."
Eine kleine Hand streichelte mir sanft über die Wange. „Hast du geweint?"
Meine Augenlider brannten. Es tat so beschissen weh in mir drin und ich konnte nicht mal genau sagen warum.
„Es geht mir gut, okay?" Meine Stimme brach weg. Ich war wirklich ein toller großer Bruder - zu ihrem Glück, hatte sie noch einen weiteren und weniger erbärmlichen.
„Soll ich dir ein Geheimnis verraten?"
Charlie setzte ein wundervolles, sehr ansteckendes Lächeln auf. Ich konnte nicht umhin, ihr ebenfalls eins zu schenken.
„Hm?"
„Ich habe heute GEBURTSTAG!", kreischte sie begeistert und quetschte sich so eng neben mich, dass ich auf der anderen Seite gegen die Wand gepresst wurde. „Also, bitte, bitte, sei nicht traurig, ja? Du kriegst auch das erste Stück Kuchen!"
Ich hustete lachend meine Tränen fort. Wenn man solch ein großzügiges Angebot von einer Sieben - Nein - Achtjährigen bekommt, musste man ja echt übel aussehen.
„Nee, echt?" Ich ließ mich hintenüberfallen und rieb mir mit den Handballen über die geschwollenen Augen. „Bist du dir auch ganz sicher, dass der heute ist?"
„Ja!"
„Ganz sicher?", hakte ich nochmal sadistisch nach und wurde zur Bestrafung spielerisch in die Seite geboxt.
„Ja-ha!"
„Meine Güte, seid ihr aber mal wieder lebhaft am Morgen!"
Unsere Mutter hatte es mal wieder eilig - und zog ohne jedes Erbarmen die geschlossenen Vorhänge auf, woraufhin der Raum in ein gemütliches, schummriges Licht getaucht wurde. Stöhnend rollte ich mich auf die Seite und bedeckte meine geblendeten Augen. „Uahh!"
Meine Schwester kicherte und auch ohne hinzusehen wusste ich, dass Emma mit den Augen rollte.
„Was gibt es denn hier drin zu feiern?", erkundigte sich mein älterer Bruder, der gerade seinen Kopf hereinsteckte und ließ geschäftig die Augenbrauen hüpfen. Er trug eine verwaschene Jogginghose und ein ausgeleiertes, graues T-Shirt. Seine dunkelblauen Augen wurden von einem schwarzen Brillengestell eingerahmt.
„Meinen Geburtstag!"
„Hä?"
Niklas legte sich eine Hand ans Ohr. „Habt ihr auch eben dieses nervige Piepsen vernommen?"
„Du bist so gemein!", schrie Charlie aufgebracht. „Wie kannst du es wagen, mich an meinem GEBURTSTAG zu ignorieren?!"
„Mama, ich glaub' ich hab nen Tinnitus - dieses Piepsen hört gar nicht mehr auf!"
Ich biss mir auf die Innenseite meiner Wangen, um nicht zu grinsen. Charlie würde es mir schwer verübeln.
Aufgebracht funkelte Charlie ihren ältesten Bruder an. „Ich finde das gar nicht lustig."
„Nicht mal ein klitzekleines bisschen?", gab Niklas zu bedenken und hielt Zeigefinger und Daumen Millimeter weit auseinander.
„NEIN!"
„Nikki, hör auf deine Schwester zu ärgern."
„Ganz wie Sie wünschen, Fräulein Emma." Er deutete eine Verbeugung an und diesmal sah ich, wie Mama ausladend mit den Augen rollte. „Und nenn mich nicht immer beim Vornamen!"
„Du nennst mich ja auch immer Nikki. Ich meine Nikki - gibt es etwas Unmännlicheres?"
„Kiki", erwiderten Mama und Charlie wie aus der Pistole geschossen und ich nickte wehleidig.
„Okay, gewonnen", gab mein Bruder sich schulterzuckend geschlagen und ich formte gespielt triumphierend mit den Fingern das Victory-Zeichen.
„Äh ... Em?", echote die Stimme unseres Vaters auf einmal durch die dünnwandige Wohnung. „Ist es normal, dass aus der Küche schwarzer Rauch quillt?"
„Oh Fuck!", japste Mama und schlug sich sofort schuldbewusst eine Hand vor den Mund, während Charlie die Arme vor der Brust verschränkte. „Mami! Ist das etwa mein Kuchen, der da gerade abfackelt?"
Grinsend fahre ich mir mit den Handflächen über meine Knie. Meine Familie war schon eine Nummer für sich ... und zumindest für den Augenblick, fühlte ich mich sicher.
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