🌶️7.2 Jekyll &Hyde
Samstag kam und meine Nervosität stieg. Wollte er sich immer noch mit mir treffen oder bereute er die Einladung inzwischen? Ich meine, jemand der ernsthaftes Interesse hatte, würde doch mehr Kontakt zu mir suchen, oder? Aber das hatte Tommy nicht, kein bisschen.
Ich überlegte, ob ich Kondome einstecken sollte und verwarf den Gedanken schnell wieder. Wir schauten nur einen Film, was ohnehin super awkward sein würde nach dieser unangenehmen Woche.
Ich war früh dran und rollte langsam den Bürgersteig entlang. Es war ein sonniger Märztag und auf der Wiese spross der Krokus und andere Frühlingsboten, die ich nicht näher benennen konnte.
Na schön Winter, reiß dich gefälligst zusammen und bleib ganz cool.
Tommy wartete überraschend bereits vor dem Hauseingang auf mich. Genau wie auf der Party letztens, sah er irgendwie anders aus als in der Schule, obwohl er sich nicht anderes kleidete oder seine Haare anderes trug. Es war mehr etwas in seiner Haltung, er wirkte lockerer und lächelte mehr.
„Hey", sagte er und stieß sich mit dem Fuß von der Hauswand ab.
„Hi", erwiderte ich ein bisschen distanziert. „Wartest du meinetwegen hier draußen?" Mich beschlich sofort ein finsterer Verdacht.
„Ich wollte ein wenig Sonne tanken", antwortete er mit einem schiefen Lächeln und zog einen Hausschlüssel hervor. „Hast du gut hergefunden?"
„Ist das ein Bewerbungsgespräch?"
Er drehte sich kurz mit erhobener Braue zu mir um, sagte aber nichts weiter und sperrte auf.
Ich wollte ja gar nicht arschig sein, aber im Gegensatz zu ihm, viel mir diese Jekyll&Hyde-Nummer nicht so leicht; ich verstellte mich nicht und sagte jedem meine Meinung direkt ins Gesicht. Na ja ... meistens.
Im Treppenhaus stellte ich erschreckend fest, dass es keinen Aufzug und keine Erdgeschosswohnungen gab. Also ...
Beunruhigt musterte ich die abgenutzte Holztreppe des Altbaus.
„Keine Sorge, wir wohnen gleich im ersten Stock", sagte er lächelnd, als er meinen Blick bemerkte.
Selbst wenn ... das es nur Treppen gab, hätte er ruhig mal erwähnen können.
Ich haute die Bremsen rein und tastete nach einer Krücke, doch Tommy war schneller und lehnte beide gegen die Flurwand.
„Ähm, also eigentlich brauche ich die jetzt schon ..." Ich war wacklig aufgestanden und streckte fordernd eine Hand danach aus, allerdings interessierte das meinen Gastgeber scheinbar nicht - bevor ich überhaupt realisierte, was er da tat, hatte er schon einen Arm unter meine Kniekehlen geschoben und mich der Sicherheit des Bodens entrissen.
„Was - was machst du denn?!"
Das Ganze war mir unglaublich peinlich, aber er hatte schon die ersten Treppenstufen erklommen. „Hm? Ich dachte, das wäre einfacher, nach deinem vorangegangenen Treppenfiasko. Außerdem sind es ja nur ein paar Stufen."
Ein paar Stufen, die ich sehr wohl auch hätte allein bezwingen können!
Aber da war Tommy schon oben angekommen und ließ mich wieder runter. Anschließend trabte er nochmal runter, um meine Krücken zu holen. Er tat, als wäre es keine große Sache gewesen, wohingegen meine Wangen vor Scham regelrecht glühten, während er die Wohnungstür aufsperrte.
Keine Ahnung wieso, aber ich hatte mir sein Zuhause völlig anders vorgestellt; statt wie bei uns Familienfotos, zierten die Flurwände dieser Wohnung alle möglichen Kuriositäten; afrikanische Holzmasken, indische Ringelblumen-Girlanden, ein indianischer Traumfänger, tibetische Gebetsfahnen - ein bunter Mix aus unterschiedlichsten Mitbringseln aus aller Welt.
„Ihr reist wohl sehr gerne", sagte ich leicht erschlagen, nachdem ich unter dem geflochtenen Türbehang hindurchtrat.
„Na ja, gezwungenermaßen", entgegnete er schulterzuckend und ging weiter ins angrenzende Wohnzimmer durch. „Meine Mum ist Flugbegleiterin und hat den Tick entwickelt von überall her Souvenirs mitzubringen und unsere Wohnung damit vollzustopfen. Manchmal ist das lästig, aber da sie die Miete bezahlt, hab ich da nicht so viel Mitspracherecht. Setz dich ruhig, willst du was trinken?"
Er deutete auf eine breite, türkisfarbene Sofagarnitur. Ich setzte mich dankbar und wich weiter seinen fragenden Augen aus. Die Situation war mir gerade extrem unangenehm.
„Ein Bier wäre super, danke."
„Oh sorry, da ich selbst kaum trinke, kann ich dir leider keinen Alkohol anbieten. Außer ... willst du vielleicht was vom Rotwein meiner Mum?"
„Ähm, klar."
Ich war kein großer Weintrinker, aber ich brauchte jetzt dringend was für die Nerven ...
„Okay."
Tommy lief aus dem Raum, vermutlich in die Küche - kurz darauf kam er schon wieder zurück und reichte mir ein Weinglas. „Ich glaube man trinkt ihn bei Zimmertemperatur, aber damit kenne ich mich absolut nicht aus", meinte er mit einem verschmitzten, entschuldigenden Grinsen.
„Du trinkst nicht? Gar nicht?"
„Nein, nicht wirklich. Alkohol macht mich nicht glücklicher, deshalb reizt es mich nicht zu trinken."
„Stört es dich, dass ich trinke?", fragte ich irritiert und verharrte einen Moment unsicher mit dem Glas an meinen Lippen.
„Nein, gar nicht. Es ist auch nicht so, als wäre ich nicht gerne berauscht; ich bevorzuge dafür einfach andere Substanzen. Das ist alles."
„Du meinst ... Gras?", forschte ich überrascht nach.
„Nein ... eher aufputschende Substanzen wie Amphetamin, Methamphetamin oder eben LSD."
Unglaublich ... so hätte ich ihn niemals eingeschätzt. Verunsichert nippte ich an meinem Wein.
Plötzlich sirrte die Hausklingel.
„Oh ja ... du hast keine Angst vor Hunden, oder?", erkundigte Tommy sich mit gerunzelter Stirn.
„Ähm ... nein."
„Gut. Ich hab unserer Nachbarin versprochen für ein paar Stunden auf die kleine Ratte aufzupassen", seufzte er ergeben und lief schon Richtung Tür davon. Ich leerte mein Weinglas mit einem Zug bis zur Hälfte.
Als Tommy zurückkam, tänzelte ein aufgeregtes, kläffendes, braunweißes Fellknäuel zwischen seinen Beinen umher. Es war einer dieser kleinen Hunde, für die Besitzer gerne Anziehsachen kauften und in einer Handtasche herumschleppten.
„Sorry, ich wollte sie abwimmeln, aber Gina kann unfassbar penetrant sein ..."
„Schon in Ordnung, er ist ziemlich süß. Wie heißt er denn?"
„Oliver."
„Hey Oliver", sagte ich und steckte ihm meinen Handrücken zum Beschnüffeln entgegen; der Kleine bellte aber nur empört und versteckte sich anschließend heldenmütig unterm Sofatisch.
„Er ist unerträglich verzogen", teilte Tommy mir augenrollend mit. „Er ist das Lückentier nach einer schlimmen Trennung und ich bin mir sicher, dass er bei Gina mit im Bett schlafen darf."
Er war unglaublich süß, wenn er wie jetzt so ungewohnt entspannt war; ich bekam richtiges Herzrasen.
„Also ... welchen Film wollen wir eigentlich schauen?"
„Ehrlich gesagt ... hatte ich irgendwie gehofft, dass du vielleicht keinen Film schauen willst und wir ... stattdessen rummachen."
„Oh ... okay."
Jetzt war ich komplett überfordert.
„Wir können natürlich auch irgendeinen Film schauen, wenn dir das lieber ist." Er klang etwas enttäuscht und senkte den Blick. „Es ist nur ... nachdem was du auf Monas Geburtstagsfeier gesagt hast ... dachte ich, du würdest dich nach etwas Intimität sehnen. Na ja ... vielleicht hab ich das missverstanden."
„Nein. Ich ... würde gerne mit dir rummachen. Ehrlich."
„Na dann ..." Er beugte sich vor und drückte schon seine Lippen auf meine. Diese selbstverständliche Selbstsicherheit verunsicherte mich; er küsste wahnsinnig gut und intensiv. Ob Garve ihn genauso küsste und er dadurch so gut geworden war? Der Gedanke quälte mich und ich wollte trotzdem mehr. Wie hatte ich ihn all die Jahre übersehen können, obwohl wir unzählige Stunden im selben Raum verbracht hatten? Das war doch schräg; er war die ganze Zeit da gewesen und ich hatte ihn kaum wahrgenommen. Er war nur dieser eine Junge in der Ecke gewesen, der nie wirklich viel sagte und meistens Kopfhörer drin hatte - der öfter mal Zielscheibe von Vince blöden Sprüchen war und mit sozialen Außenseitern wie Zahid rumhing.
Er war relativ schnell auf mir drauf und drückte mich in die weiche Sofapolsterung. Der Kuss wurde forscher und seine Hände begannen interessiert meinen Körper zu erkunden. Seine rasche Vorgehensweise verunsicherte mich zunehmend, da in mir das Gefühl aufkam nicht Schritt halten zu können. Mein Körper wollte durchaus und war auch erregt, aber mein Kopf konnte nicht richtig abschalten. Ich musste an meine erste sexuelle Erfahrung mit Felice denken und wie viel vorsichtiger, ja beinahe ängstlich er jede Berührung ausgeführt hatte. Davon war bei Tommy nichts zu spüren.
Er war offensichtlich um einiges erfahrener und machte sich keine Gedanken darüber, wie komisch es war, dermaßen viel Intimität mit einem praktisch Fremden auszutauschen. Ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, es gefiele mir nicht - denn das tat es. Sehr. Aber durch diese wachsende Unsicherheit, war ich viel steifer als normal und da war noch etwas anderes, was mich zusätzlich irritierte; natürlich war mir seit dem Unfall schnell klargeworden, dass ich nicht mehr im Vollbesitz meiner Kräfte war. Mein Körper schwächelte ständig - aber dieses Wissen, einer anderen Person praktisch völlig ausgeliefert zu sein, nicht mehr die Sicherheit zu haben, mich im Zweifelsfall wehren zu können, überkam mich zum ersten Mal, lähmte mich regelrecht.
Unsere Lippen trennten sich und er zog sich sein Shirt über den Kopf; die freigewordene Haut war schlank und drahtig, an manchen Stellen sogar richtig durchtrainiert und unglaublich sexy. Er sah mich abwartend an und ich folgte seinem Beispiel; früher war ich sehr zufrieden mit meinem Körper gewesen, er war jetzt nicht übertrieben perfekt, aber ich stufte mich selbst schon als ganz gutaussehend ein und bekam auch von anderen die Bestätigung dafür. Doch jetzt, nach der Op, zierten einige hässliche Narben meine Haut und würden niemals ganz verblassen.
Tommys Augen richteten sich sofort darauf und ich legte verlegen meine Hand auf, um sie abzudecken. „Ich weiß, sehen nicht sehr schön aus. Wenn es dich abturnt, kann ich das T-Shirt auch anlassen ..."
Zur Antwort küsste er mich nochmal, diesmal sanfter, schnappte sich zeitgleich die Hand, die die Narben verdeckt hielt und drückte sie sich in den Schritt. „So hart werde ich bei niemand anderen ...", murmelte er mir heiser gegen die Lippen.
Was für eine seltsame Aussage, als hätten wir es schon öfter miteinander getan.
„Du bist wunderschön Kilian, lass dir von niemanden etwas anderes einreden."
Er glitt mit dem Mund tiefer und leckte mit der Zunge sehr vorsichtig über das empfindliche Narbengewebe; aus irgendeinen Grund machte mich das ziemlich an. Mit einer Hand öffnete er die Gürtelschlaufe und streifte mir die Jeans vom Hintern.
Na gut, er wollte eindeutig mehr als nur fummeln, was in Ordnung war, vermutlich.
Als wir völlig nackt und ineinander verschlungen dalagen, ging mir der Arsch gehörig auf Grundeis - aus irgendeinem Grund war ich noch nervöser als damals, als ich meine Jungfräulichkeit verlor.
„Alles okay? Du zitterst ja richtig ... Oh Shit, du hast das doch schonmal gemacht, oder? Ich meine, du bist keine ...?"
„Ja natürlich, ich hatte schon Sex", erwiderte ich hastig.
„Dann ... können wir weitermachen?"
Ich nickte und er küsste mich. „Eine Sekunde, ich hol' kurz nen Gummi."
☂︎☂︎☂︎
Huhu nachdem ich gefühlt ewig an diesem Kapitel rumgedoktert habe, veröffentliche ich es jetzt einfach🙈. Es war nicht ganz einfach zu schreiben, dieses Gefühl der plötzlichen Überforderung und die ganzen neuen Empfindungen, die Kilian nun nach dem Unfall bei der Annäherung zu Tommy spürt. Ich hoffe es ist einigermaßen authentisch geworden👀
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