25. 🌶️Gruppendate
»Nochmal zum Mitschreiben, du willst mit mir und Kilian auf ein Gruppendate gehen?«
»Kein Date«, widersprach ich bemüht neutral und blickte zur Decke hoch. »Ihr sollt euch nur besser kennenlernen.«
»Oh verstehe, so ganz ohne Hintergedanken. Deshalb bittest du mich auch erst nach dem Sex darum.«
»Na ja, währenddessen wäre erst richtig komisch gewesen.«
»Das stimmt. Aber ist dir vielleicht in den Sinn gekommen, dass Kilian kein Fan von offenen Beziehungen sein könnte? Was machst du dann? Mich abservieren?«
»Wir sind nicht zusammen«, erinnerte ich Garve kühl.
»Autsch. Trotzdem könnte es zum Problem werden. Hast du das Thema zumindest schon mal angeschnitten?«
»Na ja, er hat mich gefragt, ob ich auch noch mit anderen außer dir schlafen würde und habe es verneint.«
»Tust du nicht?«
Ich trat ihn genervt unter der Decke und er lachte. Wir lagen schon eine ganze Weile nackt und aneinander gekuschelt da. Garves Nähe beruhigte mich immer. Und ja, ein kleiner Teil von mir würde es gewaltig stören, wenn Kilian sich deswegen quer stellen würde. Ich wollte ja fest mit ihm zusammen sein, aber musste ich Garve deswegen gleich aus meinen Leben streichen? Natürlich musste ich das heikle Thema langsam mal ansprechen, um mir Klarheit zu verschaffen, aber ich schob es bewusst vor mir her, weil ich Kilians Einstellung dazu schon erahnte. Er hatte bestimmt wenig Bock auf eine Beziehung mit so vielen ... Freiheiten. Und wenn ich ganz ehrlich war, machte mich allein die Vorstellung ganz rasend, dass er sich noch nebenbei mit jemand anderen vergnügte. Die hässliche Wahrheit war; ich wollte ihn nicht teilen und gleichzeitig nicht auf den Sex mit Garve verzichten - was mich wohl unweigerlich zum Arschloch machte.
Und ich hatte nicht den geringsten Schimmer, wie ich ihm das schmackhaft verkaufen sollte, ohne dass er deswegen völlig ausflippte. Zurecht. Es wäre kein besonders faires Arrangement. Am Leichtesten wäre es, wenn er von sich aus ebenfalls sexuelles Interesse an Garve entwickeln würde, aber bisher schien in dieser Richtung hin keine ausgeprägte Neigung seinerseits zu bestehen. Eher das Gegenteil. Ich würde es ja gern mal mit beiden tun, gleichzeitig, die Frage war nur, ob meine Eifersucht da langfristig mitspielte. Garve sollte in dieser Beziehung Raum haben, aber auch nicht zu viel.
Das alles klang schon in meinen Gedanken schlimm genug, wie sollte ich das jemals laut ausformulieren?
Seufzend wälzte ich mich herum und vergrub das Gesicht im Kissen. Was soll ich nur machen?
»Aww, so schlimm wird es nicht«, versicherte Garve mir und knabberte hinterrücks mein Ohrläppchen an. »Und wenn er Nein sagt, beginnen wir eben eine kleine Affäre, was soll's?«
»So will ich das aber nicht.«
»Nun, ich habe mir das mit uns auch anfangs anders vorgestellt, ohne dritte Person, die in deinen Gedanken so viel Raum einnimmt, aber manchmal kriegt man einfach nicht das, was man will. Und dann muss man aus den bitteren Zitronen des Lebens bittersüße Limonade machen.«
»Ich hasse dieses Sprichwort. Das ist schlimmer als aufzugeben, sich mit den am Boden liegenden Krümeln von anderen zufriedengeben.«
»Darum geht es gar nicht. Es geht darum, kreativ zu sein und aus jeder Situation das bestmögliche herauszuholen. Du kannst Kilian um Erlaubnis bitten oder es hinter seinem Rücken tun. Aber er wird dir sicher nicht freudig um den Hals fallen und dich zum Fremdvögeln ermutigen.«
»Ich könnte auch einfach nicht mehr mit dir schlafen«, hielt ich schnaubend dagegen. Das wäre natürlich das Vernünftigste. Aber es war schwer auf Sex zu verzichten, der einen dermaßen erfüllte.
Kilian war ja nicht unbedingt mies im Bett und ich liebte es auch wirklich mit ihm intim zu werden, aber es war eben ... anders gut. Er hatte einfach viel weniger Erfahrung und wusste noch nicht so richtig, worauf ich stand; doch selbst wenn er es irgendwann herausfand, wäre es dennoch nicht dasselbe wie mit Garve. Ich stand eben auf beides, zu dominieren mindestens genauso sehr wie dominiert zu werden. Und Kilian war eben nicht besonders dominant, genauso wenig wollte Garve dominiert werden. Ich hatte den perfekten Ausgleich in zwei unterschiedlichen Partnern gefunden und wollte nicht zwischen ihnen wählen müssen, zumindest nicht im Bett. War das wirklich egoistisch, weil ich beide meiner Vorlieben ausleben wollte?
»Das wäre unfassbar schade«, behauptete Garve und begann mich intensiv zu streicheln. »Wie harmonieren so gut ...«
Das stimmte. Mein Körper reagierte sofort auf die Berührungen und wurde scharf. Nun, wahrscheinlich sollte ich jede Gelegenheit nutzen, solange ich noch darf. Ich rutschte auf ihn drauf und begann ihn fordernd zu küssen. Da wir es erst getan hatten, brauchte es nicht viel Vorbereitung, um seinen Schwanz zu schlucken. Wie immer fickte er grandios. Er kannte einfach all meine Vorlieben und setzte sie präzise genau um. Es war leicht sich bei ihm fallenzulassen, es ohne Hemmungen zu genießen. Im Gegensatz zu Kilian, wo ich ständig mit meinen Komplexen zu kämpfen hatte und ja keinen Fehler machen wollte. Es war so entspannt, so natürlich; gleichzeitig aber auch aufregend und wild. Ich hoffte inständig, dass ich mit Kilian einmal eine ähnliche Harmonie erreichen würde und er sich in meinen Armen genauso sicher und geborgen fühlte.
Dann war es vorbei und wir lagen keuchend aufeinander. »Puh, es wäre echt hart darauf zu verzichten«, murmelte Garve und küsste mir grinsend die verschwitzte Stirn.
☂︎
Zu Hause war die Stimmung immer noch angespannt. Meine Mutter hatte sich außerplanmäßigen Urlaub genommen und lauerte mir jeden Abend auf. Sie war wild entschlossen herauszukriegen, was mit mir los war, auch wenn es nicht ihre Art war mich direkt damit zu konfrontieren. Sie wollte, dass ich es ihr freiwillig erzählte, aber je länger ich schwieg, desto ungeduldiger wurde sie. Außerdem überwachte sie meine Nahrungsaufnahme mit viel größerem Interesse als normalerweise und auch wenn ich versuchte mich dazu zu zwingen mehr zu essen, fiel es mir unglaublich schwer und ganz egal was ich aß, ihre Augen wurden weiterhin immer besorgter.
Auch heute saßen wir wieder zusammen auf dem Sofa, sie lesend und ich am Handy hängend. Oliver lag dazwischen und winselte mitleiderregend. Es spürte, dass etwas in der Luft lag.
Ich atmete tief ein und fragte so beiläufig wie irgend möglich: »Du hast mir noch gar nicht gesagt, wann dein Urlaub eigentlich endet.«
»Weil ich es noch nicht genau weiß«, erwiderte sie abwesend und blätterte eine Seite um. »Ich habe über die Jahre sehr viele Überstunden aufgebaut.«
»Du musst doch zumindest eine vage Ahnung haben. Zwei Wochen? Ein Monat? Länger?«
»Wieso willst du das so genau wissen? Störe ich dich etwa?«
Irgendwie schon. Ich war inzwischen einfach gewisse Freiheiten gewohnt, und unter der Woche nicht mehr ausgehen zu können und mich für jede auswärtige Übernachtung rechtfertigen zu müssen, war auf Dauer etwas lästig. Außerdem wollte ich eine Pause von ihrer Dauerüberwachung. Und solange sie da war, konnte ich Kilian nicht einladen, weil sie natürlich genau wusste, wer er war und mit welchen Freunden er normalerweise rumhing. Das würde ein sehr unangenehmes Gespräch nach sich ziehen, worauf ich in der aktuellen Situation wenig Lust verspürte. Und dann war da noch der fehlende Sex mit Kilian - es war gefühlt schon eine Ewigkeit her, dass wir richtig intim miteinander waren - seit meiner Party und dem daraus resultierenden Hausarrest für ihn. Und ihn jeden Tag zu sehen und ihn trotzdem nicht haben zu können, machte es nicht besser.
»Nein, gar nicht«, behauptete ich wenig überzeugend, worauf eine ihrer Augenbrauen verrutschte, sie aber nichts weiter dazu sagte.
»Ich will nur nicht, dass du meinetwegen auf der Arbeit Probleme bekommst.«
»Das kannst du beruhigt mir überlassen. Wie gesagt - ich habe sehr viele aufgestaute Überstunden, die ich sowieso irgendwann abbauen muss.«
»Aber willst du die nicht sinnvoller nehmen? Du hast so viele Flugmeilen, du könntest eine Weltreise machen.«
»Reisen ist mein Job, Darling. Urlaub ist für mich, wenn ich hier bei dir bin.«
Super.
Es gab eine Zeit, wo mich das unglaublich glücklich gemacht hätte. Die meiste Zeit vermisste ich sie auch schrecklich, aber das Timing war absolut furchtbar.
»Ich geh' ins Bett«, sagte ich und rutschte lustlos vom Sofa.
»Gute Nacht«, rief sie mir nach. »Ich mach' dir morgen früh Rührei.
»Nicht nötig, ich habe morgens kaum Hunger.«
Verdammt. Bin ich gerade in der Hölle?
Ich schob mir Kopfhörer rein und wälzte gefrustet auf dem Bett herum. Kilian war offline, aber er hatte ein neues Profilbild eingestellt. Er wusste es nicht, aber ich hatte seine Nummer schon seit fast zwei Jahren eingespeichert und nicht erst seit Monas Geburtstagsfeier diesen März. Es war eins der ersten Dinge, die ich mir aus der Freundschaft mit Hannah ergaunert hatte. Dementsprechend viele Screenshots hatte ich von seinen wechselnden Profilbildern gesammelt. Zugegeben, das war ein bisschen stalkerhaft, aber das war lange Zeit das Einzige, was ich von ihm hatte. Wenig gewechselte Worte auf dem Schulflur und diese heimlichen Profilbilder. Und wenn ich nicht aufpasste, würde sich dieser Umstand wiederholen.
Ich klickte es an und sah ihn mit von der Linse abgewandten Gesicht auf einer Schaukel neben seiner Schwester sitzen. Sie waren so unglaublich süß zusammen. So unschuldig. Und da war sie wieder, die unglaublich brennende Schuld, die ich normalerweise recht erfolgreich in mein Unterbewusstsein verbannte. Mit zitternden Händen drückte ich mir das Handy an die Brust und schloss die Augen. Es tut mir so leid, Kilian. Es tut mir leid, was ich dir angetan habe. Aber so lasse ich es nicht enden. Wir beiden gehören schließlich zusammen, ich weiß es.
☂︎
Der Tag begann mit einer unangenehmen Diskussion mit meiner Mutter, doch am Ende konnte ich mich durchsetzen und ging ohne Frühstück außer Haus. Ich war zu weit gegangen und hatte ihr vorgeworfen, mich zu bemuttern; dass ich wirklich alt genug war, um den Zeitpunkt meiner Nahrungsaufnahme selbst zu bestimmen. Ich war sogar lauter geworden, was bei uns total unüblich war; wir diskutierten unsere jeweiligen Standpunkte aus, aber wir schrien uns nie gegenseitig an. Ich hatte auch wirklich ein schlechtes Gewissen deswegen, aber ich musste anfangen Grenzen zu setzen. Irgendwie, musste ich die nächsten sieben Monate überstehen, bis ich volljährig*1 wurde und sie mich zu keiner Therapie mehr zwingen konnte.
Auch in der Schule war es angespannter. Kilian erwiderte meinen Gruß zwar lächelnd, wirkte aber insgesamt reservierter als gestern. Außerdem erwischte ich ihn im Laufe des Tages mehrere Male, wie er traurig in Katjas Richtung blickte. Das störte mich tierisch; war seine Wut den wirklich so schnell abgeklungen? Sonst war er der König der Nachträglichkeit und jetzt verzieh er ihr so einfach innerhalb eines beschissenen Tages?! Auch Hannah war offensichtlich sehr wütend auf ihn, wahrscheinlich, weil er ihr gerade so gnadenlos vor Augen führte, dass die Freundschaft zu Katja für ihn einen so viel höheren Stellenwert genoss als die ihrige, die er so bereitwillig für seinen neuen Freundeskreis weggeworfen hatte.
Nur Zahid verstand sich aus irgendeinem Grund plötzlich richtig gut mit ihm. Völlig überrumpelt hatte ich zugesehen, wie er beim Betreten des Klassenraums geradewegs auf Kilians Tisch zugegangen war und diesem eine Mappe und einen Stick überreicht hatte. Dieser war auch überhaupt nicht überrascht gewesen und hatte beides lächelnd eingesteckt.
Zahid hatte sich anschließend ohne weitere Erklärung auf seinen Stuhl fallenlassen und mir erst auf weitere Nachfrage hin erklärt, dass Kilian sich scheinbar bereiterklärt hatte, seine Skizzen für seine Graphic Novel durchzugehen.
Hannah und ich tauschten daraufhin einen beunruhigenden Blick aus und dachten vermutlich das Gleiche. Das war eine bescheuerte Idee. Wenn Kilian die Notizen in Gegenwart seiner Freunde durchsah, könnte das richtig böse ins Auge gehen. Mona und Vince machten sich sowieso schon ständig über seine Zeichnungen lustig und auch wenn ich es nicht gerne zugab, gegen Vince' körperliche Überlegenheit kam ich einfach nicht an. Ich würde Zahid nicht beschützen können, genauso wenig wie Kilian, sollte Vince ihn doch irgendwann von seiner Begünstigtenliste streichen. Noch ein Grund, warum ich Garve in meinem Leben brauchte.
»Tommy. Hey, Tommy.«
Ich blinzelte und fokussierte den Blick neu. Kilian war neben mich an die Flurwand gerollt und blickte mich fragend an. »Kriege ich vielleicht noch eine Antwort?«
»Antwort worauf?«
»Ich fragte, was wir später noch machen?«
»Oh, na ja ... keine Ahnung. Einfach etwas abhängen, schätze ich. Das Wetter ist schön, vielleicht einfach draußen etwas rumlaufen und die Sonne genießen?«
»Okay ...«, erwiderte er vorsichtig. »Es ist nur ... also ich habe dir das noch nie so direkt gesagt, aber ... ich bin relativ schnell erschöpft, also wäre ich dankbar, wenn ...«
»Kilian, sowas musst du mir nicht extra sagen. Sobald du eine Pause brauchst, machen wir eine.«
»Gut. Also ... es ist nur, seit dem Unfall bin ich unflexibler geworden. Spontanität stresst mich, also wäre ich dankbar, wenn du mir künftig einen Tag vorher schon Bescheid sagen würdest, was genau du planst.«
»Sorry, ja, ich hätte dir gestern Abend noch schreiben sollen. Ich habe nur momentan etwas Stress mit meiner Mum. Aber es wird keine Bergwanderung, meinetwegen können wir uns auch nur nen Kaffee organisieren und auf eine Parkbank chillen.«
»Was ist denn los? Mit stressigen Müttern kenne ich mich leider ziemlich gut aus.«
Ich lächelte abwehrend. »Nichts Weltbewegendes. Ich war nur ein paar Mal zu spät zu Hause. Ich bin es nicht mehr gewohnt so kontrolliert zu werden.«
Er schüttelte ungläubig den Kopf. »Du warst mehrmals zu spät und hast keinen Hausarrest bekommen? Manchmal schockt es mich, wie viel entspannter die Erziehungsstile von anderen Müttern sind. Das ist wirklich unfair. Na ja ... dann sehen wir uns später.«
Als er den Flur entlangrollte, schnappte sich Hannah meinen Arm und raunte fragend: »Wieso? Was ist denn später?«
»Ich will ihn mit Garve verkuppeln.«
Nachdem sich ihr Gesicht daraufhin zu einer entsetzten Maske verzogen hatte, musste ich loslachen.
»Nicht so wie du gerade denkst«, versicherte ich ihr. »Sie sollen sich nur kennenlernen. Er ist mein bester Freund.«
»Und auch noch ein bisschen mehr, oder?«, nuschelte sie vorsichtig. »Weiß Kilian das eigentlich?«
»Natürlich«, erwiderte ich überrascht.
»Und ... wie findet er das?«
»Wie findet er was?«
»Du weißt genau was. Du hast ihn doch gesehen, wie happy er mit Felice händchenhaltend durch die Flure geschlendert ist und sie sich gegenseitig angeschmachtet haben. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass er irgendwas Anderes will als ein monogames Beziehungsmodell.«
»Monogamie ist überhaupt nicht mehr zeitgemäß«, entgegnete ich schulterzuckend. »Es ist ein total veraltetes Modell, was uns einfach als normal anerzogen wurde. Ein Machtinstrument des Patriarchats, um Frauen zu dominieren und kleinzuhalten. Gerade du als Feministin solltest dagegen aufbegehren.«
»Ich sage ja gar nicht, dass es falsch ist mehr als eine Person zu lieben«, rechtfertigte sie sich beleidigt. »Oder keine. Aber dein Partner muss schon dieselbe Tendenz aufweisen. Es ist wie die eigene Sexualität, man kann die eigenen Vorlieben nicht einfach verändern. Und sollte es auch nicht für den Partner tun müssen.«
»Ich zwinge ihn zu gar nichts«, stellte ich genervt klar. »Ich will nur, dass er meinen besten Freund richtig kennenlernt, Hannah. Mehr nicht.«
»Tja, viel Spaß dann, wenn er dich um denselben Gefallen bittet und du plötzlich auf ein Doppeldate mit Vince und Mona gehen musst«, bemerkte sie abfällig und ließ mich anschließend stehen.
☂︎
Es wurde tatsächlich ein richtig sonniger Nachmittag, sodass wir sogar die Jacken auszogen, während wir am verabredeten Treffpunkt nach der Schule auf Garve warteten. Kilian redete über anstehende Klausuren, aber ich konnte mich kaum auf seine Worte konzentrieren. Ich war nervös und hasste es, dass ich diese innere Unruhe nicht abstellen konnte. Ich wollte unbedingt, dass das Treffen entspannt ablief und keine Qual wurde. Aber je mehr ich versuchte mich zu entspannen, desto angespannter wurde ich. Und es half überhaupt nicht, als Garve schließlich mit deutlicher Verspätung auftauchte, mit einer fremden Frau an seiner Seite, mit der er sich köstlich zu amüsieren schien. Wollte der mich jetzt komplett verarschen?!
»Das kommt jetzt doch etwas unerwartet«, bemerkte Kilian neben mir. »Ich wusste nicht, dass die sich kennen.«
»Du kennst sie?«, fragte ich noch deutlich irritierter und er nickte bestätigend. »Das ist Daria. Die Ex von meinem Bruder.«
Bevor ich noch mehr sagen konnte, waren sie in Hörweite gelangt und Garve begegnete völlig entspannt meinen finsteren Blick. »Hey, sorry für die Verspätung. Die Vorlesung ging etwas länger ... Kilian, du kennst Daria ja schon.«
»Klar«, sagte diese und beugte sich runter, um diesen kurz freudig zu umarmen. »Und woher kennt ihr euch?«, fragte Kilian während sie noch die Arme um ihn geschlungen hatte. »Wir jobben zusammen«, antwortete diese Daria ihm strahlend. »Du kennst doch dieses kleine vegane Café am Herzogsplatz? Ich sage dir schon seit Wochen, du sollst mal vorbeischauen. Ist übrigens auch der perfekte Ort für ein Date an Regentagen!«, zwinkerte sie ihm verschwörerisch zu. »Leider muss ich jetzt auch wieder.«
Sie umarmte auch nochmal Garve und wandte sich dann lächelnd mir zu. »Hat mich gefreut, ähm ...?«
»Tommy«, half Garve ihr geistesgegenwärtig aus. »Es hat ihn auch gefreut dich kennenzulernen, auch wenn er es momentan nicht zeigen kann.«
»Okay ... dann euch noch einen schönen Nachmittag!«
Garve winkte ihr mit seiner beringten Hand hinterher; er trug außerdem eine völlig zerfetzte und abgefuckte Jeansjacke und derbe Boots. Aber eigentlich war es egal, was er anhatte, allein seine Ausstrahlung war schon übertrieben hot, auch wenn mich das gerade alles ziemlich kaltließ. Jetzt war ich sauer und nervös.
»Und Kilian, wie geht es Bill? Gia meinte, dein Kumpel hätte ihn ziemlich übel erwischt.«
Er sagte das so dahin, als würde er übers Wetter sprechen.
»Ich habe nur gehört, dass er wieder aus dem Krankenhaus entlassen wurde. Aber ehrlich gesagt interessiert mich das auch nicht besonders.«
Garve lachte und legte beiläufig seine Hand auf meinen unteren Rücken. Keine Ahnung, ob er gerade versuchte sein Revier zu markieren oder es als freundschaftliche Geste gemeint war, jedenfalls hatte ich absolut keinen Bock auf Körperkontakt und signalisierte ihm das auch deutlich. Er zog auch brav seine Hand zurück, als hätte er sich übelst verbrannt, lächelte aber weiter unbeirrt. »Wollen wir? Ich hab ne Decke und Bier dabei. Dachte wir chillen uns irgendwo an den Bach bis wir Hunger kriegen und gehen dann irgendwo nen Happen essen?«
Das klang richtig gut, warum war mir das bloß nicht eingefallen? Auch wenn mir das mit dem anschließenden Essengehen missfiel, aber natürlich kriegten die anderen irgendwann Hunger.
Kilian schien der gleichen Auffassung zu sein und nickte zustimmend.
»Okay, dann los!«
Garve redete unentwegt und unterhielt Kilian mit witzigen Anekdoten von seinem Unileben. Und obwohl er anfangs noch sehr reserviert zwischen ihnen war, taute Kilian nach einer Weile auf und als das Thema irgendwann auf seinen Bruder fiel, musste er regelrecht loslachen als Garve ihm sehr lebhaft von ihrem ersten Aufeinandertreffen berichtete.
Ich musste zuweilen auch ein bisschen Schmunzeln, war aber noch zu sauer und aufgewühlt, um mich irgendwie an der Unterhaltung zu beteiligen. Trotzdem war ich Garve und seinem unvergleichlichen Talent, selbst die unbehaglichste Situation sofort zu entspannen, unendlich dankbar. Ich hätte das nie hingekriegt.
»Hier ist doch eine gute Stelle«, befand Garve als wir eine Weile am Bachufer entlanggeschlendert waren und deutete auf einen sonnigen Wiesenfleck. Ohne eine Antwort abzuwarten, ging er sofort darauf zu und setzte den geschulterten Rucksack ab. Kilian rollte ihm hinterher und ich folgte mit nervösen Herzpochen.
Garve breitete die Decke aus und schüttelte die Boots ab. Anschließend streckte er sich der Länge nach darauf aus und ließ die nun nackten Füße durchs Gras gleiten. »Awesome.«
Ich blickte fragend zu Kilian, der noch in seinem Rollstuhl saß. »Brauchst du Hilfe?«
»Nein, alles gut. Auf den Boden zu sitzen ist ohnehin keine gute Idee, am Ende komme ich nicht mehr hoch ...«
»Mach dir deswegen keine Sorgen«, meinte Garve leichthin. »Du bist zwar nicht ganz so dürr wie Tommy, aber für einen Gewichtheber wie mich immer noch ein Fliegengewicht.«
Er wusste ganz genau, dass ich es nicht mochte, wenn mein in seinen Augen zu geringes Gewicht thematisiert wurde.
»Du hebst also Gewichte? Wie klischeehaft.«
»Natürlich. Sonst kann ich doch keine unterirdisch schlechten Spiegelselfies für Insta mehr machen. Das ist quasi mein Leben, anderen vorzugaukeln wie perfekt ich bin.«
Woraufhin Kilian erneut lachen musste, was mich ehrlich gesagt gar nicht so sehr freute ... Langsam kroch mir nämlich meine beginnende Eifersucht die Magenwände hoch. Eigentlich war es besser, als ich zu hoffen gewagt hatte, die beiden verstanden sich irgendwie und die Stimmung war überhaupt nicht unangenehm, aber ich fühlte mich ein bisschen außen vorgelassen. Ich war es gewohnt, dass Garve mich anschmachtete und Kilian außerhalb der Schule mit mir flirtete. Das ... begann mich zu verunsichern.
»Also gut«, gab Kilian nach und Garve sprang sofort auf, um ihm herauszuhelfen. Als Kilian dann saß, holte Garve das Bier heraus und köpfte alle drei Flaschen routiniert mit seinem Feuerzeug. Er reichte Kilian das erste und wollte mir das zweite geben, erst da bemerkte er, dass ich noch stand. »Was ist los?«, fragte er mich. »Warum stehst du da wie angewurzelt? Setz dich schon.«
Ohne einen von beiden anzusehen, schlüpfte ich aus meinen Turnschuhen und nahm das angebotene Bier entgegen. Ich trank, obwohl mich die hohe Kalorienanzahl in Bier normalerweise abschreckte, aber meine Nerven lagen blank. Es war eigentlich, wie ich es mir in den letzten Wochen immer erträumt hatte und fühlte mich dennoch in einem Alptraum gefangen.
☂︎ ☂︎ ☂︎
Zum groben Überblick für euch, es sind hier ungefähr 45 Kapitel geplant. Also dürft ihr euch noch auf 20 weitere Kapitel hier freuen (^^)>
*1 aufgrund der neuen Richtlinien, ist man in dieser Geschichte erst ab 19 gesetzlich volljährig (siehe Hinweis). Ich wollte es erst umschreiben, aber es haben sich dadurch zu viele Plotfehler ergeben.
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