Kapitel 36
Nach der Schule wollte ich gerade aus dem Gebäude gehen, als ich Yannik vor dem Eingang stehen sah. Oh Gott, das hatte ich ja total vergessen.
„Hey", begrüßte er mich, woraufhin ich mir ein Lächeln aufzwang. „Also, wo sollen wir hingehen?"
„Äh..." zögerte ich. „Keine Ahnung."
Am liebsten würde ich mich jetzt in mein Bett legen und wieder Eis essen. Und zwar alleine.
„Wenn du willst, können wir zu mir", schlug er vor, doch die Idee gefiel mir überhaupt nicht.
Ich wusste noch nicht einmal, ob ich Yannik jetzt leiden konnte, oder nicht. Es war so schwer ihn einzuschätzen.
„Wir können auch in die Bibliothek gehen, da gibt es Kakao und Kaffee", lächelte ich und hoffte inständig, dass er nichts dagegen hätte.
„Gerne", antwortete Yannik.
Ich lächelte ihm zu und dann machten wir uns auf den Weg nach draußen.
Eigentlich hätte ich jetzt den Theater Kurs gehabt, doch heute hatte ich definitiv keine Lust darauf. Ich konnte auch einfach mal so verschwinden, wie Kilian und niemandem etwas sagen.
„Chloe? Kommst du?" Yannik sah mich verwirrt an und wartete vor seinem Auto auf mich.
„Ja, sorry." Ich lächelte ihm zu und stieg dann in sein Auto ein.
Yannik startete den Motor und ich schaltete immer wieder von Radiosender zu Radiosender, bis ein vernünftiges Lied ertönen würde. Und dann hörte ich es plötzlich und stoppte.
Ich spürte Yanniks Blick auf mir. „Unser Lied", bemerkte er sofort.
„Wie lange ist das bloß schon her?", flüsterte ich.
„Lange."
Und dann lehnte ich mich zurück und wir beide lauschten der Melodie von Rihannas Where have you been.
Und je mehr ich auf den Text achtete, je mehr dachte ich darüber nach, dass dieser Song nicht mehr zu uns passte. Früher hatte ich es gedacht. Ich hatte wirklich gedacht, dass Yannik perfekt für mich gewesen wäre.
Und jetzt hörte ich das Lied, doch Yannik war der letzte an den ich denken musste. Denn die ganze Zeit schwirrte mir eine andere Person im Kopf herum.
Kilian.
Wer auch sonst?
Doch Kilian war nicht, wie Yannik. Er war das absolute Gegenteil von ihm. Ich hatte ihn nur selten nett erlebt, während Yannik mit einem Lächeln durch die Welt ging.
„Wie sehr sich Zeiten verändern können", flüsterte ich.
***
„Also, worüber hast du die Klausur geschrieben?", wollte Yannik von mir wissen, als wir uns in die Bibliothek gesetzt hatten.
„Macbeth", seufzte ich.
„Oh Gott", erwiderte Yannik, woraufhin ich schmunzeln musste.
„Auch nicht dein Lieblingsbuch?"
„Ach, hör mir auf. Das war meine schlechteste Klausur", beschwerte Yannik sich.
„Also 13 Punkte, oder was?", neckte ich ihn.
Yannik war schon immer richtig gut in der Schule gewesen. Keine Ahnung, wie er das immer schaffte, da er für gewöhnlich nicht mit seiner Intelligenz glänzte.
Und dann gab es noch mich. Ich freute mich, wenn ich 5 Punkte hatte und somit knapp an einem Defizit vorbeikam. Zwar nicht in allen Fächern, aber schon in einigen.
„7 Punkte", flüsterte Yannik und ich dachte kurz, dass ich mich verhört hätte.
„Was?" Fassungslos sah ich ihn an.7 Punkte? Yannik?
„Die gleiche Reaktion hatte ich auch, als ich die Klausur zurückbekommen habe."
„Aber seit wann schreibst du denn eine 3-? Du warst doch immer Einserschüler", erinnerte ich ihn.
„Keine Ahnung, es ist einfach schwieriger geworden." Er zuckte mit den Schultern und schien etwas betrübt zu sein.
„Da hast du Recht." Ich lächelte ihm zu. „Manchmal unterschätzt man die Oberstufe."
„Trotzdem ist sie besser, als das alte Klassensystem."
„Oh ja, definitiv."
Seitdem es ab der 10. Klasse nur noch Kurse gab, war das Schulleben viel besser. Man hatte Freistunden, man hatte unterschiedliche Kurse, man konnte mehr Leute kennen lernen und Sport war immer am Ende des Tages. Das waren früher wirklich schreckliche Tage gewesen, wenn man in den ersten Stunden Sport hatte und den Rest des Schultages so rumlaufen musste. Mittlerweile konnte ich mir eine Klasse nicht mehr vorstellen und das wollte ich auch nicht.
Früher hatte ich tatsächlich Angst gehabt vor diesen Kursen. Ich dachte immer, dass ich alle Leute aus meiner Stufe sowieso nicht mögen würde, aber ich hatte mich so sehr getäuscht. In jedem Kurs gab es Personen, die man mag und manche, die man eben nicht mag. Ich mochte es, dass ich keine Klassenlehrerin mehr hatte, oder irgendein Klassenbuch. Ich mochte die verschieden Räume und Sitzordnungen. Ich mochte die Abwechslung. Ich mochte die Freistunden, die mir immer Energie gaben. Ich mochte einfach alles daran und ich würde niemals wieder zu normalen Klassen zurückkehren wollen.
„Also, fangen wir mit Macbeth an?", wollte Yannik wissen und holte dann seine Unterlagen heraus.
„Ja."
***
Es war bereits dunkel draußen, doch Yannik und ich saßen immer noch in der Bibliothek. Ich hatte irgendwie ein Déjà-vu nur mit einer anderen Person.
Wir hatten uns gut verstanden. Wirklich richtig gut.
Und irgendwie wusste ich jetzt wieder, warum ich Yannik damals so toll fand. Er schenkte dir all seine Aufmerksamkeit und hörte dir immer zu. Er schmeichelte dir und brachte dich immer zum Lachen.
Ich fragte mich, was passiert wäre, wenn Yannik mich damals nicht betrogen hätte. Wären wir immer noch zusammen gewesen? Hätte ich jemals richtigen Kontakt zu Kilian gehabt?
So viele Fragen, die mir niemals jemand beantworten würde. Doch das war okay. Manchmal war es gut nicht alles zu wissen.
„Träumst du wieder?", holte Yannik mich aus meinen Gedanken und lächelte mir zu.
„Kann sein", schmunzelte ich.
„Ich glaube, dass wir langsam mal einpacken sollten, oder? Ich hab definitiv genug für heute gehabt." Yannik steckte seine Unterlagen in seinen Rucksack.
„Okay", meinte ich etwas abweisend und fing dann auch an zu packen.
Wir verließen die Bibliothek und machten uns dann auf den Weg zu Yanniks Auto. Ich ließ mich müde in den Sitz fallen und schloss kurz meine Augen.
„Hast du Hunger? Wir können noch schnell etwas zu Essen holen", schlug Yannik vor und ich nickte direkt.
„Oh ja, ich habe richtig Hunger."
„Okay. Lust auf Mcces?" Yannik fuhr langsam vom Parkplatz und konzentrierte sich dann auf die Straße.
„Was ist das denn für eine Frage?", grinste ich.
Natürlich hatte ich Lust auf McDonalds. Man hätte mich um 4 Uhr morgens wecken können und ich hätte selbst dann noch Lust gehabt. Ganz besonders auf meinen McChicken. Manchmal war so ein Trash Essen einfach das richtige.
Als wir dort ankamen, ging ich direkt auf den großen Bildschirm zu und bestellte mir ein McChicken Menü. Dann ging ich bezahlen und wartete anschließend auf mein Essen.
Währenddessen sah ich mich nach einem Platz um, als ich plötzlich eine Stimme wahrnahm. Sofort sah ich zu der Person und es war tatsächlich Kilian. Bei ihm am Tisch saßen ein Junge und ein kleines Mädchen. Ich hätte am liebsten weiter gestarrt und versucht ihnen zuzuhören, doch plötzlich fing Kilian an, sich in der Gegend umzusehen, als seine Augen bei mir hängenblieben. Keiner von uns tat irgendwas. Ich bewegte mich nicht und er sich auch nicht.
„Chloe?", nahm ich Yanniks Stimme wahr und unterbrach den Augenkontakt.
„Ja?" Benebelt sah ich ihn an.
„Deine Zahl wurde aufgerufen." Er lächelte mich an.
Offensichtlich hatte Yannik nicht bemerkt, dass Kilian hier war.
Ich holte mir schnell die Bestellung und als ich langsam auf Yannik zuging, bemerkte ich, wie Kilian mich anstarrte. Er hatte genau bemerkt, dass ich mit Yannik hier war. Und irgendwie tat es mir leid. Ich wusste nicht mal wieso. Aber so wie er uns ansah, konnte er einem einfach leid tun. Obwohl er eigentlich der Idiot war.
„Ich gehe schnell mein Essen holen. Such dir schon mal einen Tisch aus."
Ich ging absichtlich in die entgegengesetzte Richtung und setzte mich an einen Tisch, an dem Kilian uns nicht sehen konnte. Doch ich fragte mich trotzdem die ganze Zeit, wer die Personen waren, die mit ihm am Tisch saßen. War das kleine Mädchen etwa seine Schwester gewesen? Doch wer war der Junge?
Yannik setzte sich zu mir an den Tisch und wir beide fingen an zu essen. Ich konnte es jedoch nicht verhindern, dass meine Gedanken ständig bei Kilian waren. Wie hätte ich das denn auch machen sollen? Er war genau im gleichen Raum wie wir und neben uns befand sich auch noch der Ausgang.
„Irgendwie mag ich Burger King mehr", murmelte Yannik mit vollem Mund.
„Schäm dich", erwiderte ich.
Gerade, als Yannik etwas sagen wollte, sah ich, wie Kilian auf den Ausgang zusteuerte. Und als wenn er gewusst hätte, dass ich hier saß, sah er mich an und verzog keine Miene. Dann unterbrach er den Augenkontakt wieder und ging heraus. Dieser Kerl machte mich verrückt. Wirklich absolut verrückt.
Das was Yannik gesagt hatte, hatte ich nicht mehr mitbekommen. Doch das schien er nicht gemerkt zu haben, denn er aß friedlich weiter, während ich mit meinen Gedanken nur bei diesem einen Kerl war.
Wieso musste ich ihn nur so toll finden?
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