13. ...Und noch mehr Fragen!
Ich fuhr hoch und schlug mir prompt am Fensterrahmen eine Delle in meinen Hinterkopf. "Fuck!"
"Alles klar?" Michael klang amüsiert.
"Äh, ja", sagte ich desorienriert und gähnte.
"Es tut mir ja wirklich leid, dass ich dich genau jetzt wecken musste. Das scheint echt ein schöner Traum gewesen zu sein", meinte er selbstzufrieden. "Kann es sein, dass du gesabbert hast?"
"Was? Ich? Nie im Leben." So unauffällig wie möglich wischte ich mir mit dem Ärmel die Mundwinkel ab, und mir viel auf, dass ich mich mehr Schlecht als Recht rausgeredet hatte. Ich spürte, wie mir die Röte ins Gesicht schoss. Oh Gott, lass mich nichts im Schlaf gesagt haben.
"Wie, ein schöner Traum?"
"Naja, die Laute, die du von dir gegeben hast, waren ziemlich eindeutig." Er grinste.
Wie peinlich. Kurz schloss ich die Augen und versuchte mit der Macht meiner Gedanken ein Loch im Boden zu machen, das mich verschlucken würde. Natürlich funktionierte es nicht. Wahrscheinlich hatte sogar Joey mehr Telekinese-Fähigkeiten als ich.
Apropos Joey. Sie hatte den Riesenschädel auf meinem Schoß abgelegt, der unangenehm kribbelte, als ich mich bewegte. Ich schaute auf die Uhr, da es draußen stockdunkel war.
"Es ist erst halb zwölf." Ein Blick in den Rückspiegel zeigte mir, dass ich nicht nur gesabbelt, sondern auch noch einen Abruck meiner Hand auf der rechten Wange hatte. Pretty. "Sind wir echt schon da?"
"Ne", lächelte er, während er am Straßenrand anhielt. "Die Fahrt dauert etwa neun Stunden. Und ich bin todmüde. Du musst jetzt fahren."
"Im Ernst? Hast du mich nicht bei dem Autorennspiel gesehen?"
"Mir egal. Immer noch besser, als wenn ich am Steuer einschlafe. Jetzt steig schon aus."
Wir tauschten und ich ließ den Wagen einigermaßen schnell weiterfahren.
Solange niemand in die Straße rannte, kein anderes Auto oder eine Abbiegung uns in die Quere kam, würde das gut gehen. Yuppie. Ein Hoch auf die (durch mich in Verruf geratende) Fahrtsicherheit!
"Was ist nur in letzter Zeit mit dir los? Du warst immer eine so klasse Fahrerin...", sinnierte Michael und fütterte Joey mit Hunde-Crackern, die einen leichten Geruch nach Kotze verströmten. Mmmh.
Langsam ging mir meine angedichtete Vergangenheit hier auf die Nerven.
Es war ja noch nachvollziehbar, dass scheinbar jeder Lehrer mich hasste (was ich angesichts meiner Feuerteufel-Karriere verstehen konnte) und ich konnte es akzeptierten, plötzlich Geschwister zu haben, aber warum stellten alle so viele Fragen?
"Hm? Du warst mal die Siegerin beim Gokartrennen, bei dem die halbe Stadt mitgemacht hat."
Ich seufzte. "Kein Kommentar bitte. Und auch nichts mehr zu meinem Traum. Wolltest du nicht schlafen oder sowas?"
Er räkelte sich und drehte das Radio auf. "Jep, eigentlich schon, aber ich muss aufpassen, dass du dich nicht verfährst. Deswegen strecke ich einfach nur die Beine ein bisschen aus."
"Hmpf. Du hättest ja weiterfahren können. Dann würden wir nicht permanent in Lebensgefahr schweben", grummelte ich zynisch, lächelte aber beim Gedanken, dass ich in weniger als zwei Stunden Dean wiedertreffen würde.
"No risk, no fun."
"Na gut. Aber als Gegenleistung dafür, dass du mich derartig in Gefahr bringst, könntest du mir schon ein paar Fragen beantworten."
"Oh nein", stöhnte er und warf dramatisch den Kopf in den Nacken. "Jetzt geht das wieder los... Ich hätte dich nie aufwecken dürfen."
"Da hast du Recht", lächelte ich zufrieden. "Das nennt man Karma, Mickey."
Kaum hatte ich es gesagt, verzog ich das Gesicht. Michael tat es mir gleich. "Bitte nenn mich nie wieder Mickey."
"Okay. Hatte ich nicht vor."
"Also, von wem hast du geträumt? Von diesem Typen, wegen dem du zu spät zur unglaublich wichtigen und lehrreichen Messe gekommen bist?"
"Halt die Klappe."
"Okay, deiner Miene nach zu urteilen nicht."
Genervt wandte ich den Blick von der Straße ab. "Woher willst du das wissen? Ich hab doch gar keinen Gesichtsausdruck drauf!"
"Also hatte ich Recht."
"Meh, meh. Jetzt bin ich dran", sagte ich genervt. "Was tust du jetzt eigentlich mit der Pistole, die du Sims abgenommen hast?"
"Hab sie verkauft."
Ich runzelte die Stirn. An wen verkaufte er sowas? Er erriet meine Gedanken.
"Auf dem Schwarzmarkt. Hab einen ziemlich guten Preis rausgehauen. Von dem Geld konnte ich mir die Anzahlung für diesen coolen Wagen leisten."
"Eas für eine Übreraschung. Mir war schon klar, dass du die nicht unbedingt auf Ebay verscherbelst. Trotzdem. Ich bin verdammt froh, dass du rechtzeitig gekommen bist, um ihn davon abzuhalten."
"Ich auch. Ich frag mich nur, wo er das Teil überhaupt her hat. Hast du den Schalldämpfer und das Zielfernrohr gesehen? So was benutzen die bei der Spezialeinheit der Polizei. Wenn man einen Selbstmord begehen will, ist eine einfache Knarre genug. Wozu also das Ganze?"
Ich zögerte mit einer Antwort. Mir war es noch gar nicht in den Sinn gekommen, mich zu fragen, wie und warum ein Priester an so ein professionelles Mordwerkzeug kam.
Jetzt, wo sie im Raum stand, war es eine verdammt gute Frage.
"Was denkst du?"
"Ich kenne ihn nicht. Das war das erste Mal, dass ich mit ihm wirklich geredet hab. Zum Glück hatte Mum vergessen, ihm ihre Einschleim-Kekse zu geben, sonst wäre er jetzt..." Er schluckte. "...ich dachte mir, vielleicht weißt du was. Wo er dir sogar von diesem Vorfall erzählt hat."
Pff. Wenn ihm klar wäre, dass ich nicht nur den Pfarrer, sondern auch ihn erst seit einer halben Woche kannte... Auch wenn es mir vorkam, als würde ich ihn schon länger kennen. Irgendwie.
"Aber irgendwie kann ich ihm ja auch dankbar sein", sagte Michael auf einmal heiter. "Ohne seine Pistole hätte ich mir diese geile Karre nie leisten können."
"Ich will dich ja nicht beleidigen, aber ist dir bewusst, in welchem Zustand sich dieses sogenannte Fahrzeug befindet? Welcher Mafioso hat dir das angedreht?"
"Mein Kumpel Colin. Erinnerst du dich, dass ihr immer gut miteinander klargekommen seid?", ein vorwurfsvoller, fast verletzter Ton schwang in seiner Stimme mit, "Er macht mir 'nen guten Preis dafür, keine Sorge. Und ich darf ihn fahren, obwohl ich erst ein Viertel bezahlt hab. Dafür kann er ihn ausleihen. Ist doch praktisch."
"Na gut." Ich hob die Hände, wie um mich zu ergeben, und umklammerte dann schnell wieder das Lenkrad. Nicht auszudenken, wenn wir einen Unfall bauten.
Unsere Eltern würden draufkommen, dass wir nicht in irgendeinem Nationalpark auf Klettertour waren, und Dean würde vergeblich auf mich warten.
Obwohl, vielleicht würde Castiel ja eingreifen und ich konnte ihn endlich zur Rede stellen... Meh. Zu großes Risiko. Bis zum Ende dieses Wochenendes würde ich das auch so tun können.
"Mary", murmelte mein Beifahrer nach einer Weile müde.
"Yup?"
"Ich bin todmüde. Fahr einfach weiter auf der Hauptstraße und weck mich in einer Stunde. Dann wechseln wir ab."
"'kay", seufzte ich und drehte das Radio auf. Als wäre ich nicht schon verschlafen genug, lief High Hopes von Pink Floyd und schläferte mich noch mehr ein. Glücklicherweise wirkte es auch bei Michael. Nach einer Viertelstunde atmete er langsam und ruhig.
Nachdem ich überprüft hatte, ob er wirklich schlief, holte ich mein Smartphone heraus und suchte das Motel raus, in dem Dean warten würde. Hoffentlich kamen wir nicht vor ihm an.
Danach aber hatte ich keine Anwechslung mehr. Die Fahrt war schlichtweg todlangweilig. Und das regelmäßige Knarzen der Karosserie wurde mit der Zeit nicht beunruhigender, sondern hypnotisierender.
Nicht einschlafen. Einfach nein. Denk an irgendwas interessantes... Nein, nicht an den Traum! Da kannst du gleich Fifty Shades of Grey lesen bei deinen Hormonschwankungen!
Ein Knacken im Radio, das irgendeinen schnulzigen Countrysong abwürgte, riss mich schließlich aus dem Strudel der Verdammnis.
"Mary?"
"Cas? Was machst du in meinem Radio?", fragte ich entsetzt, musste aber grinsen.
Mein Herz machte unwillkürlich einen Sprung. Das ist nicht wegen des Traums, sagte ich mir. Hör auf, an diesen Scheiß Traum zu denken!
"Hör jetzt genau zu. Es ist wichtig. Ich habe nur wenig Zeit und die Verbindung ist nicht leicht aufrecht zu erhalten." Er klang gehetzt.
"Naja, dann sag schon."
"Es geht darum, wie du hierhergekommen bist. In-" Er brach ab, es waren nur noch Hintergrundgeräusche zu hören. Die irgendwie nach einer Schlägerei klangen.
Ein beinahe quengliges "Lass das!" von Cas war herauszuhören und brachte mich zum Schmunzeln.
"Also Mary, die Wahrheit ist-" Ein dumpfer Laut war zu Hören und die Verbindung brach ab. Das Thema der West Side Story erfüllte wieder den Raum.
Was zur Hölle?, ging mir einige Minuten lang in Dauerschleife durch den Kopf.
Was war hier gerade passiert? Cas hatte irgendwas über meine Entführung sagen wollen, aber was?
Es musste noch mehr dahinterstecken, wenn jemand ihn davon abhalten wollte, mir die Wahrheit zu sagen.
War es am Ende doch eine Art himmlische Verschwörung, wie Sims dachte?
Oder war Cas irgendeiner Gefahr ausgesetzt gewesen, angesichts derer er sich entschuldigen oder mir den Rückweg verraten hatte wollen? Das Geräusch zum Schluss war nicht das eines sterbenden Engels gewesen, es hatte mehr so geklungen, als sei Castiel niedergeschlagen worden. Hoffentlich nur das.
Meine Gedanken überschlugen sich. Ich wusste nicht, wo, geschweige denn überhaupt, wann er war. Ich konnte ihm nicht helfen.
Ich ging noch mal alles durch, was ich gehört hatte, aber es gab keinen Hinweis darauf, wo er war.
"Verdammt!", fluchte ich und begann vor Hilfslosigkeit die Beule in meinem Schädel mittels der harten Kopflehne zu vertiefen. Was für ein verdammter Mist! Was, wenn ihm irgendwas passiert war? Wenn Dämonen ihn überwältigt hatten oder so?
Abgesehen davon, dass ich in dem Fall für immer in dieser Welt festsitzen würde (was eigentlich gar nicht mal so uncool wäre), verursachte mir die Idee, wie Cas in Crowleys, oder - noch viel schlimmer - Alistairs Folterkeller vergammelte, beinahe körperliche Schmerzen.
So etwas wünschte ich nicht mal meinem schlimmsten Feind (nicht, dass ich besonders schlimme Feinde gehabt hätte), geschweige denn meinem liebsten Trenchcoat-Engel.
"Cas, ich hoffe, du kannst mich irgendwie hören", betete ich ohne große Hoffnungen. "Wenn es dir gut geht, dann tauch jetzt auf. Bitte. Einfach auftauchen."
Nichts. Shit.
"Bitte, Castiel. Sag, dass nichts passiert ist. Komm schon." Ich schloss sogar kurz die Augen und konzentrierte mich ganz auf die Sorge um Cas, aber kein Flügelschlagen, kein verwirrter Blick. Noch nicht mal eine seiner Federn.
Tief durchatmen, nur nicht hyperventilieren. Einatmen, ausatmen. Alles wird wieder gut.
"Was tust du da?", unterbrach Michael meine Atem-Session. "Übst du heimlich für einen Schwangerschaftskurs? Gibt es da was, das du mir erzählen möchtest?"
"Ha, ha", erwiederte ich kühl, versuchend, meine Gefühle vor ihm zu verbergen. "Seit wann bist du wach?"
"Lang genug, um zu sehen, dass du die Augen beim Fahren zumachst. Ich kann es nicht glauben, dass ich schlafen konnte, während du fährst. Lass uns tauschen!"
Wir wechselten uns ab und ich begann nervös, Joeys Kopf zu kraulen. "Gern."
"Was ist los? Du bist ja total durch den Wind."
Ich versuchte mich an einem Lächeln. "Das bin ich doch immer."
"Da hast du auch wieder Recht." Sein neugieriger Seitenblick zeigte mir aber, dass die Sache damit noch nicht gegessen war.
Warum schaffte er es andauernd, einen Blick hinter mein Pokerface zu werfen? Er war ja möglicherweise noch nicht mal real! Na gut. Vielleicht genau deshalb.
Zumindest ließ er mich in Ruhe, bis wir auf den Parkplatz des Motels fuhren. Ein lila Neonschild verkündete unheilvoll flackernd 'Benjamin's'. Nur zwei andere Autos waren da, eins davon der Impala.
Überraschenderweise stieg auch Michael aus. "Was tust du?"
"Ich bin ein Gentleman und bringe meinem Schwesterchen die Sachen aufs Zimmer. Außerdem muss ich sicherstellen, dass du nicht bei einem Spinner landest oder entführt wirst. Du passt auf dich auf, ja? Mum bringt mich um, wenn dir was passiert."
Uff. So viel zu meinem Plan, abzuhauen.
Er reichte mir meine Jacke und holte die Tasche von der Ladefläche. Dann fiel sein Blick auf den Impala. "Wow."
"Jep, ich weiß. Der gehört dem Typen, den ich hier treffe. Ist das Beweis genug, dass er kein Verrückter ist?" Ich zog mir die Kapuze über. Warum musste es überall so windig sein?
"Dad hat immer behauptet, dass das eine Zuhälterkarre ist."
"Er war doch nur neidisch, dass er sich keinen leisten konnte. Mum hätte ihn umgebracht bei dem Spritverbrauch", stöhnte ich. "Außerdem klingst du wie Eve. Ist doch egal, was Dad sagt."
Er grinste. "Ich wollte dir nur das Gefühl geben, dass sie hier ist. Du hattest dich ja beschwert."
"Das... ach, ist ja egal." Ich lief zu dem einzigen Motelzimmerfenster, in dem noch Licht war, und spähte hindurch, Michaels vorwurfsvoll-belustigten Kommentar ignorierend. Tatsächlich saß Dean auf dem Bett und bastelte an einer Schrotflinte herum.
Doch bevor ich klopfen konnte, drängelte Michael sich vor und tat es statt mir.
Es dauerte etwas, bis er öffnete. Bestimmt hatte er Vorsichtsmaßnahmen getroffen. Ich hatte den starken Verdacht, dass er hinter der Tür eine Pistole auf Michael richtete.
"Ich kenn dich doch!", sagte Dean stirnrunzelnd.
"Ja", strahlte Michael, der, obwohl er etwas größer als Dean war, neben ihm aussah wie ein kleiner Junge, der zu früh in die Höhe geschossen war. Besonders seine komischen Beach-Waves verstärkten diesen Eindruck noch. "Aus der Bar. Du hast mir den Brief für Mary mitgegeben. Ich bin hier, um meine Schwester abzuliefern."
Das war mein Stichwort, mich aus den Fängen meines überprotektiven Schein-Bruders zu befreien. Ich quetschte mich an Michael vorbei. "Hey, Dean."
Zwischen den Beiden eingequetscht fühlte ich mich wie eine Zwergin und bereute spontan all die Male, in denen Lara wegen ihrer Größe gedisst worden war. Leider war ich damit etwas spät dran.
Wahrscheinlich existierte sie in diesem Universum nicht einmal.
Wie auch immer. Dean lächelte, als er mich sah.
Das gab mir das Gefühl, willkommen zu sein.
Und was man über mich wissen sollte, ist, dass man mir genau dieses Gefühl nie geben sollte. Dann werde ich nämlich emotional und fange an, Leute zu umarmen. So wie Dean jetzt.
Es herrschte ein peinliches Schweigen, das ich beendete, indem ich Michael die Tasche abnahm und sie auf dem Tisch abstellte. Er wartete im Türrahmen. Auf irgendwas. Ich hatte keine Ahnung, worauf. Trinkgeld?
"Danke für's Herfahren", verabschiedete ich mich von ihm.
Er zog mich vor die Tür, außer Hörweite von Dean. "Wir telefonieren morgen Abend. Dann sagst du mir, wann und wo ich dich abholen soll."
"Ja, Dad."
"Nur nicht frech werden, junge Dame", drohte er überspitzt. Dann beugte er sich verschwörerisch zu mir. "Von ihm hast du also geträumt. Kann ich schon verstehen... Viel Spaß euch dann!"
"Nein!", rief ich ihm hinterher, aber er war zu siegestrunken wegen seiner Ermittlungsfähigkeiten, um mich zu beachten. "Das ist nicht... nein... Trottel."
-
Sorry, aber wieso ist Eve gruselig? XD
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro