53. Halleluzi
Die Hälfte der Pizza ist bereits gegessen, als mein Handy klingelt. Ich hebe entschuldigend die Hand und werfe einen Blick auf das Display. Chase.
Mercenario ignoriert das Geräusch völlig, er ist viel zu fasziniert von den Reststücken seiner Pizza und auch Jel, der gegenüber von mir neben Mercenario sitzt, zuckt nur mit den Schultern und isst weiter. Also mache ich mir nicht die Mühe aufzustehen sondern nehme den Anruf einfach hier an. "Chase, was gibt es?"
"Lord Blackbourne..." Ich räuspere mich lautstark. Kurz stockt Chase, dann scheint er zu verstehen. "Na schön, Alvaro. Ich habe nur zu berichten, dass alle Alten und Kampfunfähigen vom Schutzlager zurück nach Hause oder ins Krankenhaus gebracht wurden. Wir hatten kaum Vorfälle während des Kampfes, nur ein Anfall, den Betreffenden haben wir vorzeitig ins Krankenhaus eskortiert. Aber keine feindlichen Gesichter hier."
"Sehr gut." Wir haben genug Leute im Krieg verloren, Probleme im Krankenlager wären das Letzte, was wir jetzt noch brauchen können. "Danke, Chase."
"Nichts zu danken. Ich tue nur meine Pflicht." Ich weiß, wie gerne er diesen Kampf an Mercenarios und meiner Seite geführt hätte. Nicht nur der alten Erinnerungen wegen, sondern auch, weil dieser Krieg gegen Harrowby ging. Es hätte Chase' Rache sein können.
Allerdings hatte ich jemanden hier gebraucht, dem ich vertrauen konnte, auf mein Volk aufzupassen, und da Mercenario als Commander zwingend mit in die Schlacht musste, war die Wahl schnell auf Chase gefallen.
Und natürlich hatte ich auch vorausdenken müssen. Es wäre möglich gewesen, dass wir den Krieg hätten verlieren können, und dann hätten Chase und seine Familie noch mehr Probleme am Hals gehabt, hätten sie aktiv mitgekämpft. Das habe ich nicht verantworten wollen, nicht nach dem, was mit Chase' kleinem Bruder geschehen ist.
Chase hat den Kampf schon geführt lange bevor der Krieg begonnen hat und ohne ihn hätte der Plan der Engel uns völlig unerwartet getroffen. Ohne ihn gäbe es unser Dämonenreich vermutlich nicht mehr so, wie es jetzt ist.
"Ich meine es ernst. Danke. Kannst du später vorbei kommen, wenn bei euch alles geregelt ist?"
"Natürlich." Seine Stimme wird schwächer, er räuspert sich. "Da ist aber noch etwas: Der kleine Engel, den du mir vom Schlachtfeld geschickt hast."
"Oh, verdammt." Den Engel, der uns zu Beginn des Krieges eine Botschaft übermittelt hat und den ich als Kriegsgefangenen aus der Schlacht herausgehalten habe, habe ich in der Aufregung ganz vergessen. "Nun ja, wir können ihn eigentlich nicht gehen lassen, bis wir festgestellt haben, wer er ist und was seine Position im Himmel ist."
"Ich hab mit ihm geredet", sagt Chase leise, als wäre jemand in der Nähe, der das Gespräch nicht hören sollte. "Sein Name ist Aiden Whitaker, er ist jetzt vierzehn Jahre alt und saß zwei Jahre lang im Himmelskerker, weil er in Konflikt mit dem Hauptmann geraten ist. Was genau passiert ist, will er nicht sagen."
Ich verschlucke mich beinahe an einem Pizzastück. "Sie haben ihn mit zwölf Jahren in den Himmelskerker geworfen?" Jel und Mercenario sehen beide gleichzeitig auf, den gleichen Gesichtsausdruck aufgesetzt, den ich gerade vermutlich habe.
"Jep", meint Chase. "Freiheit und Nächstenliebe, was? Sie haben ihn nur da rausgeholt, damit er als Kriegsbote funktionieren konnte, weil sie davon ausgegangen sind, dass du ihn sowieso umbringen würdest. Seiner Aussage nach hat er keine Familie, also kann ich niemanden kontaktieren. Ich weiß nicht, Alvaro, er scheint mir völlig in Ordnung zu sein. Ich würde ihn ungern einfach wieder zurück an den Himmel geben, wenn die ihn da so behandelt haben."
"Nein, du hast Recht." Ich wäge kurz die Möglichkeiten ab, dann schlucke ich das letzte Stück Pizza herunter und sage: "Behalte ihn noch da. Ich vermute zwar, dass Michael nichts von ihm wusste, aber ich würde mich auch nicht gut dabei fühlen, ihn einfach zurückzuschicken. Ich werde mit Michael sprechen und so lange bleibt er noch hier. Hast du genug Kapazitäten dafür?"
"Ja, aber wenn es in Ordnung ist, würde ich ihm lieber Zimmerarrest bei mir daheim geben, als ihn hier im Sicherheitsbereich zu lassen. Dann kann ich das Schutzlager endlich zu machen." Ich nicke zufrieden. "Dann tu das. Aber er bleibt in einem Zimmer und ich will, dass du die Ausgänge mit Magie abriegelst. Von ihm geht vermutlich keine Gefahr aus, aber nach diesem Kampf will ich nichts dem Zufall überlassen."
"Ist gut." Kurz sagen wir beide nichts, dann fragt Chase leise: "Alvaro?"
"Ja?", antworte ich, und ich ahne schon, was er fragen wird. Und tatsächlich: "Weißt du schon, was du mit Harrowby tun wirst?"
Seufzend reiße ich ein Stück von dem leeren Pizzakarton vor mir ab und drehe es in meiner Hand hin und her. "Das darf ich dir noch nicht sagen, tut mir leid. Eigentlich darf ich gar nichts tun, bis er offiziell angeklagt wird."
"Ja, das dachte ich mir schon", erwidert Chase nur.
"Er wird mit nichts davon durchkommen", füge ich hinzu. "Das verspreche ich dir."
Wir haben noch nicht wirklich darüber gesprochen, was damals passiert ist, als Chase für ein Jahr zu Harrowby musste und uns nichts davon gesagt hat. Natürlich kann ich mir vorstellen, was dort passiert ist, Harrowbys Strafen waren ja nie ein Geheimnis. Aber es tut weh, auch nur darüber nachzudenken, dass das alles mit Chase geschehen ist, mit meinem besten Freund, den ich hätte beschützen sollen.
Ich kann es nicht mehr rückgängig machen, aber ich kann zumindest versuchen, es wieder gut zu machen. Und das habe ich vor.
"Komm einfach vorbei, wenn das Schutzlager geschlossen und Aiden untergebracht ist. Dann reden wir über alles."
"In Ordnung. Bis später." Und dann legt er auf.
Kopfschüttelnd lege ich mein Handy beiseite. "Einen Zwölfjährigen in den Kerker werfen... und da dachte ich, meine Verachtung könnte sich nicht mehr steigern."
Aber Mercenario scheint etwas anderes zu beschäftigen. "Er hat nach Harrowby gefragt."
Ich nicke. "Verständlicherweise."
"Wo ist Harrowby gerade?", fragt Jel auf einmal. Ich kann seinen Blick nicht genau definieren, seine Augen sind weiter geöffnet als sonst, aber da sind ein paar härtere Züge um seinen Mund.
"In Haft", antworte ich. "Und sobald ich dem Dämonenkreis wieder in den Arsch treten kann, werden wir ihn anklagen. Allerdings muss jeder der anderen Lords der Anklage persönlich zustimmen, und dafür müssen wir erst einmal Can Windsors Posten neu besetzen."
"Wird nicht mehr lange dauern", wirft Mercenario ein. "Ich habe schon Rückmeldung von seinem Sohn bekommen. Der Test zur Führungsunfähigkeit wird morgen stattfinden."
Ich hebe mein Glas. "Darauf ein Halleluzi." Mercenario hebt sein Glas ebenfalls, nickt mir zu und kippt den Rest seines Wassers herunter.
Jel dagegen sieht mich etwas fragend an. "Ein bitte was?" Ich nicke zu Mercenario. "Frag ihn, er erklärt so etwas gerne." Mercenario grinst nur. "Halleluzi ist ein Spottausruf, den es seit Jahrtausenden unter den Dämonen gibt - also nein, die Idee kam nicht von mir, auch wenn sie es hätte sein können. Halleluzi war eine Reaktion auf das herkömmliche Halleluja."
"Achtung, das Nerd-Level steigt", kommentiere ich, aber Mercenario zeigt mir nur den Mittelfinger und redet weiter. Als könnte ich etwas dafür, dass er alle historischen Fakten, die er jemals hört, abspeichert. Und er kann wirklich nicht bestreiten, dass er ein Mythologiefreak ist, allein schon mit seinem Name: Commander Mastema.
"Halleluja kommt ursprünglich aus dem Hebräischen. "Hallelu" ist der Imperativ von "Hillel", was "preisen" oder "loben" bedeutet. "Jah" ist eine Kurzform für den Gottesnamen Jehova. Im Grunde sagt man mit Halleluja also wortwörtlich "Lobet Gott!". Die Dämonen haben es sich einen Spaß daraus gemacht, diesen Ausruf mit Luzifers Namen zu vermischen et voilà: Halleluzi war geboren."
"Im Grunde hätte es gereicht zu sagen, dass man einfach "Halleluja" und "Luzifer" vermischt hat", meine ich. "Aber Commander Mastema gibt gerne an, also lassen wir ihm den Spaß." Jel grinst breit während Mercenario so tut, als wäre er beleidigt. Lange wird er nicht durchhalten. Dafür redet er viel zu gerne. Und ich habe da meine Tricks.
"Also, ich habe über June nachgedacht." Sofort schießt Mercenarios Blick wieder zurück. "Was ist mit ihm?" Jel lacht laut auf und hält sich dann grinsend die Hand vor den Mund, als Mercenario ihn mit einem strafenden Blick bedenkt. Dann wendet er sich wieder mir zu.
Ich zucke mit den Schultern. "Er hat verdammt hart gearbeitet dafür, dass er noch so jung ist."
"Ist er nicht ein Jahr älter als du?", wirft Jel ein und ich muss grinsen. "Erstens ist es kein ganzes Jahr und zweitens sind Kämpfer in der Regel einfach nicht so jung. Bei mir war es eine Pflicht, so früh schon zu funktionieren, aber er hat das aus freien Stücken hinbekommen und das ist ziemlich bewundernswert."
"Was jetzt bedeutet...?", hakt Mercenario nach und sieht mich eindringlich an. Oh, das macht viel zu viel Spaß. "Das bedeutet, dass er verdammt gute Dienste geleistet hat. Ich konnte jede Sekunde auf ihn zählen, er war immer zur Stelle und hat sich kein einziges Mal beklagt. Er ist einer unserer besten Kämpfer und ist trotzdem bescheiden."
"Spuck's endlich aus", knurrt Mercenario und wirft eine Serviette nach mir. Ich fange sie in der Luft auf. "Ich habe entschieden, ihn in Frührente gehen zu lassen. Er hat mir alles gegeben, was ich von ihm verlangen könnte."
Kurz sieht Mercenario aus, als hätte ich ihm ein Schwert in den Bauch gerammt, er starrt mich einfach nur an, blinzelt ein paar Mal verwirrt. "Du...was?" Dann scheint er sich wieder zu fangen. "Das kann nicht dein Ernst sein. June lebt für diesen Job, du würdest ihm keinen Gefallen tun, wenn du ihn jetzt schon rentierst. Es geht ihm doch nicht um das Geld, das solltest du eigentlich gemerkt haben."
Ich gebe meine Fassade auf und grinse. "Wow, ich hätte nicht gedacht, dass du darauf reinfällst."
"Du..." Und dann zieht sich auch über Mercenarios Gesicht ein Grinsen. "Na warte."
"Nichts da, das war meine Revanche für die Aktion heute morgen." Ich werfe die Serviette zu ihm zurück. "Du solltest es wirklich besser wissen als mich in aller Frühe aus dem Bett zu schmeißen."
"Ohne mich würdest du dein ganzes Leben im Bett verbringen", kontert er und sieht dann Jel an, der sich vor Lachen gar nicht mehr halten kann. "Andererseits wäre dir das vielleicht ganz recht." Unmöglich. Mein bester Freund ist wirklich unmöglich.
"Also, ich habe aber tatsächlich etwas mit June vor", hebe ich an, bevor die ganze Konversation ins Niveaulose abrutschen kann. "Wir werden Verstärkung hier auf Burning Castle brauchen, was die Wachen angeht, und wir brauchen zumindest ein kleines stehendes Heer, solange wir uns noch in der Nachkriegszeit befinden. Und ich weiß, dass du das alleine gemanagt bekommen würdest, aber ich brauche dich zur Zeit mehr an meiner Seite bis alles geregelt ist und deshalb werde ich dir Unterstützung geben."
Mercenario legt den Kopf schief. "Du meinst June?" Ich nicke. "Mit deinem Einverständnis würde ich ihn gerne zum Second-in-Command machen. Die Position hatten wir bisher nicht, aber mit den wachsenden Leuten und größeren Aufgabenbereichen wirst du einen Stellvertreter brauchen. Wenn es für dich in Ordnung ist, versteht sich."
"Natürlich!", bringt Mercenario voller Elan hervor. "Wann wirst du es ihm sagen?" Ich muss lächeln. Jel hatte recht, das ist mehr als Mercenarios normale Flirterei. "Warum sagst du es ihm nicht?" Und innerhalb von Sekunden ist mein Commander aufgestanden und aus der Tür verschwunden. Kopfschüttelnd sehen Jel und ich uns an.
"Gib's zu, du hattest einen kleinen Hintergedanken bei der Sache", sagt er lächelnd. Ich reiße die Augen auf und zeige gespielt überrascht auf mich selbst. "Ich?" Er lacht. "Und wie. Weil du glaubst, dass es den beiden leichter fallen wird, etwas miteinander anzufangen, wenn ihr Rangunterschied nicht so groß ist."
"So etwas würde ich nie tun", antworte ich bestimmt und beginne, die Pizzakartons abzuräumen. Jel umrundet den Tisch, bleibt vor mir stehen und hindert mich daran, weiter aufzuräumen. Stattdessen legt er die Arme um meinen Nacken und küsst mich sanft. Dann sagt er leise: "Ihr tut zwar so, als würdet ihr die ganze Zeit streiten, aber ihr Idioten liebt euch trotzdem über alles." Ich lache nur leise und erwidere den Kuss. Aber wir wissen beide, dass er Recht hat.
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Ein neues Cover! Wie findet ihr es? Hat lange genug gebraucht... ich hatte erst mal fünf andere Versionen und dann konnte ich mich nicht entscheiden :D Typisch.
Danke an die Kommentatoren von letztem Mal (39 Kommentare! Wow!):
#animedraw354, #momoho, #Rockylovesbooks, #ButterflyEffekt, #Traumschwingen, #ali99xd, #L0000VE, #Nelliby, #_Magic_of_love_, #Aescha-07, #alibiheart, #Morgenmuffel2002 und #xxvessaliusxx
Und es gibt tatsächlich mal wieder Kommianreger!
~ In den Kommentaren lese ich, dass Mercenario mehr und mehr an Beliebtheit gewinnt, obwohl ihn viele zu Beginn nicht so recht mochten. Was findet ihr gut an ihm bzw. was macht ihn sympathisch?
~ Ein Engel, der mit 12 Jahren in den Kerker musste? Wusste Michael davon? Und was hat Aiden überhaupt getan?
~ Mercenario und June... kann das etwas werden?
~ Irgendwelche Gedanken zu Chase? Mögt ihr ihn? War es richtig von Alvaro, ihn nicht mit in den Kampf zu nehmen?
Das war es mal wieder fürs Erste.
Go back to reality. Stay yourself.
Eure StreetSoldierin
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