13. Taken away
Was ist da nur los? Schnell verlassen wir den Raum und laufen auf die Quelle des Geräusches zu. Es kommt tatsächlich aus dem Zimmer, in dem Fineen liegt. „Bleib hinter mir!", weist Cheveyo mich an. Seine weißen Flügel beben unruhig. Dann macht er die Tür auf. Erschrocken ziehe ich die Luft ein und kann mich gerade noch so beherrschen, nicht zu schreien. Alvaro steht in geduckter Haltung vor dem Bett seines Bruders, in voller Dämonengestalt. Vor ihm stehen drei weitere, ausgewachsene Dämonen. Alvaro bleckt die Zähne und knurrt gefährlich, aber die drei scheint das nicht groß zu interessieren. Fineen schläft noch immer tief und fest, und ich kann mir sofort denken was die Dämonen wollen. Cheveyo faucht und springt an Alvaros Seite. Dieser zuckt kurz zusammen, hält aber Stellung. „Gibst du ihn uns nicht freiwillig, Blackbourne?", lacht der eine Dämon gehässig. „Wir können auch gern noch spielen." „Fan amach ó dó!", knurrt Alvaro. „Faigh amach!" Doch der Dämon ignoriert ihn einfach und geht auf das Bett zu. Alvaro macht einen schnellen Schritt und schubst ihn zurück. „Dúirt mé a fháil amach as dó!" „Wie du willst, Blackbourne, dann eben mit Gewalt!" Und dann stürzt sich der Dämon auf Alvaro, der andere setzt zum Kampf mit Cheveyo an, der dritte eilt dem ersten zu Hilfe. Das kann nicht gut gehen. Cheveyo ist noch geschwächt, so wie das gerade aussieht wird er nicht lange durchhalten. Und Alvaro gegen zwei? Wie stehen da die Chancen? Selbst der mächtigste Dämon des Landes wird sich nicht ewig gegen zwei körperlich stärkere wehren können, schon gar nicht gegen drei, wenn Cheveyo nicht durchhält. Oder? Ängstlich drücke ich mich an den Türrahmen. Ich würde so gerne helfen, aber hier wäre ich wohl eher Last als Hilfe. Plötzlich schreit einer der Dämon auf. Alvaro hat eine Hand auf den Flügel des Größeren gepresst, darunter fangen die Schwingen an zu brennen. Der Dämon schreit noch einmal auf, windet sich aus Alvaros Griff und rennt dann stolpernd an mir vorbei Richtung Ausgang. Der zweite Dämon hält Sicherheitsabstand, umkreist Alvaro nur noch angespannt. Kurz kann ich Alvaros Handfläche sehen. Sie glüht, wahrscheinlich ist das eine seiner Fähigkeiten. Ich bin so fasziniert, dass ich Cheveyos erstickten Schrei beinahe nicht höre. Auch Alvaro fährt herum, der andere Dämon hat den Halbengel niedergestreckt und presst ihm die Hand über Mund und Nase, drückt ihm die Luft ab. Cheveyo strampelt wie wild, ringt verzweifelt nach Sauerstoff, aber seine Bewegungen werden immer schwächer. Mit weit aufgerissenen Augen starrt er den Dämon über sich an. Ich mache schon einen Schritt, um den Dämon von ihm runter zu schubsen, aber Alvaro schüttelt wild mit dem Kopf, also trete ich wieder zurück. Mit einem letzten, schwachen Aufbäumen verliert Cheveyo schließlich das Bewusstsein. Gott sei Dank kann ich sehen, dass sich sein Brustkorb noch schwach hebt und senkt. Der Dämon steht auf und grinst dreckig. Alvaro knurrt bösartig und spannt seine Muskeln an. Aber plötzlich sagt der andere etwas auf Gälisch. „Thar tá chuid leannán! Faigh ceann a théann chomh maith." Alvaro reißt die Augen auf und brüllt dann: „Aon! Tá sé faic a dhéanamh leis é!" Als der Dämon sich umdreht, fällt Alvaro ihn von hinten an, die beiden gehen zu Boden. Der andere dagegen ist so schnell bei mir, dass ich ihn erst bemerke, als es zu spät ist. Kräftige Arme legen sich um mich und drücken mich an den Dämon heran. Ich schreie auf und trete nach ihm, doch ihn scheint das nicht zu interessieren. „Aon! Jel!", brüllt Alvaro und schubst den Dämon mit einem Fausthieb von sich runter. Dann springt er auf und bleibt zitternd vor Wut vor uns stehen. Der Dämon hinter mir lacht gehässig. „Keine Angst, Blackbourne, zwar wäre es nicht tragisch, wenn wir ihn hier statt deinem Bruder mitnehmen würden, aber wir halten uns lieber genau an unsere Anweisungen. Also mach Platz oder du kannst deinen kleinen Freund einen langsamen, qualvollen Tod sterben sehen." Ich erstarre und versuche das Messer zu ignorieren, dass der Typ auf einmal in der Hand hat. Alvaro spuckt den Dämon neben sich an und tritt aber doch zur Seite. „Macaibh de soith!" Das habe ich heute doch schon mal gehört. Hat Alvaro die beiden etwa gerade Hurensöhne genannt? „Bist ein braver Junge, Blackbourne!", meint der Dämon hinter mir aber nur. Und ausgerechnet in dem Moment fängt Fineen an, sich zu bewegen. Alvaro will zu ihm, aber der andere Dämon hält ihn zurück und geht selbst zu dem Bett. Die Hände zu Fäusten geballt und vor Wut bebend, bleibt Alvaro wo er ist. Ich sehe, wie Fineen die Augen aufschlägt. Als er den Dämon sieht, schreit er auf und sitzt sofort kerzengerade im Bett. „Fin! Rith!", ruft Alvaro, aber bevor Fineen irgendetwas tun kann, hat der Dämon ihn auch schon gepackt. „Lig dul dó, diabhal é!", brüllt Alvaro und will schon wieder vorstürzen, aber der andere Dämon erinnert ihn mit einem Räuspern daran, dass er mich noch in seiner Gewalt hat. Ich versuche vorsichtig, seinen Griff etwas zu lockern, aber er bemerkt es sofort und drückt mich nur noch fester an sich. Jetzt hat auch Fineen mich entdeckt. „Was ist hier los? Nimm deine Finger da weg, ich kann sehr gut alleine laufen!" Aber der Dämon zerrt ihn ein paar Schritte weiter. „Tá brón orm, Fin", sagt Alvaro mit zitternder Stimme. „Tá mé leithscéal sin. Ba chóir dom a bheith ag súil. Feicfidh mé a gheobhaidh tú amach ann, gealltanas mé!" Fineen sieht ängstlich zu ihm. "Wirklich?" Alvaro nickt heftig. „Tá mé tromchúiseach. Is é seo go léir mo locht!" Fineen nickt unsicher, während der Dämon ihm die Hände fesselt. "O-okay, dann... dann warte ich auf dich. Was wollen die überhaupt?" Alvaro sieht zu Boden. „Níl anois. Feicfidh mé a mhíniú go níos déanaí." Fineen scheint noch völlig verschlafen und nach wie vor geschwächt, aber er nickt ängstlich. „Dann wann anders. Tut mir leid, Jel, dass die dich hier mit rein ziehen." Die Situation hat etwas sehr merkwürdiges an sich. „Ist schon okay", antworte ich nur, dann knurrt der Dämon auch schon: „Okay, genug geredet, wir verschwinden jetzt." Der Dämon bei Fineen packt in an der Schulter und zerrt ihn Richtung Tür. Erst da scheinen Fineens Kräfte ein wenig zurückzukommen, zumindest wehrt er sich schwach. Ich sehe die Tränen und die Angst in seinen Augen als er nach seinem Bruder ruft. „Alvaro!" Seine Stimme überschlägt sich, Panik scheint in ihm hochzusteigen. „Ná bíodh imní ort!", antwortet Alvaro leise. „Beidh mé ag teacht." Fineen schluchzt, nickt aber nochmal und dann hat der Dämon ihn auch schon in den Flur gezerrt. Mit einem gehässigen Lachen stößt der andere mich von sich, so ruckartig, dass ich stolpere, aber Alvaro springt vor und fängt mich auf. Statt jedoch loszulassen zieht er mich fest an sich und hält mich fest. Vorsichtig erwidere ich die Umarmung. Erst nach ein paar Momenten bemerke ich, dass sein nackter Oberkörper so zuckt, weil er weint. „Hey." Sacht streichle ich ihm über den Rücken. Dabei spüre ich, wie die Flügel verschwinden. Dieser Alvaro vor mir ist nicht mehr der angriffslustige Dämon, er ist wieder er selbst. Jemand mit großer Angst um seinen Bruder. „All die Jahre hab ich dafür gekämpft, dass das hier nicht passiert", schluchzt er leise. „Und alles, alles was ich getan habe, wofür ich mich selbst so hasse, das alles war umsonst! Fineen war schon immer das Wichtigste in meinem Leben, und jetzt haben sie ihn mir weggenommen!" „Du wirst ihn wiederbekommen", sage ich leise. „Du bist stark, Alvaro, der Kampf ist noch nicht vorbei. Ich werde dir helfen, egal wie. Okay? Wir schaffen das." Erst nach einigen Minuten beruhigt er sich wieder. Dann drückte er mir einen federleichten Kuss auf die Haare. „Danke, Jel. Es tut mir leid, ich bin sonst nicht so... na ja, du weißt schon. Wir sollten nach Cheveyo sehen." Ich nicke und lasse ihn los. Mein Herz klopft wie wild, als mein Blick seinen Oberkörper streift, der gerade noch so dicht an mich gedrängt war. Alvaro kniet sich neben den noch immer bewusstlosen Cheveyo und dreht ihn erst einmal auf den Rücken. Die Züge des Halbengels sind friedlich, als würde er schlafen und nicht ohnmächtig sein. Alvaro tätschelt seine Wange. „Cheveyo? Hey. Wach auf." Aber bei dem Jüngeren tut sich nichts. Alvaro seufzt und streicht dann mit dem Zeigefinger ein paar Mal über Cheveyos geschlossene Augen. Und nur Sekunden danach fährt dieser plötzlich auf, beginnt zu husten und ringt nach Luft. „Langsam." Alvaro legt ihm eine Hand auf den Rücken und wartet, bis die Hustenattacke vorbei ist. Nach ein paar Momenten hat Cheveyo sich gefangen. Mit noch glasigen Augen dreht er sich zu uns um. „Was... was ist passiert? Wo...?" Verwirrt sieht er sich um. „Wo sind sie hin? Und Fineen? Haben sie... oh gott." Seine Stimme bricht, wird kurzzeitig zum Keuchen, dann fängt er sich wieder. „Sie... sie haben ihn?" Alvaro nickt traurig. „Ich hätte nicht erwartet, dass sie schon so früh wiederkommen, sonst wäre ich viel besser vorbereitet gewesen. Aber jetzt ist es wie es ist, sie hatten den Überraschungseffekt und haben es geschafft." Ungläubig schüttelt Cheveyo den Kopf und setzt sich auf. „Das darf doch nicht wahr sein! Und... was willst du jetzt tun?" Alvaro seufzt frustriert und steht auf. „Erstmal kann ich nicht viel tun, außer meine Männer zu Harrowby zu schicken um ihn und sein Anwesen im Auge zu behalten. Ich bin mir sicher, dass Fineen dort hingebracht wird, aber beweisen können wir leider gar nichts. Die drei Typen sind wahrscheinlich bezahlt worden, es waren ganz normale Unterschicht-Dämonen. Im Dämonenkreis wird man denken, dass Fineen so entführt wurde wie all die anderen Kinder, die als Spielzeug benutzt werden. Ich muss einen Grund haben, um bei Harowby nach Fineen suchen zu dürfen und wahrscheinlich hat er das perfekte Alibi." Das sind ja mal klasse Aussichten. Ich will mir gar nicht vorstellen, was mit Fineen gerade passiert. Aber wie sollen wir es schaffen, ihn zurück zu holen? Ich erinnere mich kaum noch daran, wieso ich in Wirklichkeit hier bin. Was hat Alvaro damals gesagt? Wenn ein Dämon zu viel Ärger macht, wird er umgebracht. Hingerichtet, um genau zu sein, aber das macht gar nichts besser. Nur inzwischen ist diese Tatsache kaum noch existent, schließlich ist jeder davon überzeugt, dass Alvaro und ich zusammen sind. Inzwischen geht es um viel mehr, es geht um verbitterten Hass und zerbrochene Liebe, Leidenschaft und Rache. Gefährliche Mischungen, die alles durcheinander würfeln. Wie soll das nur gut enden?
Fineens Pov
„Jetzt stell dich nicht so an, Kleiner! Ändern kannst du sowieso nichts mehr!" Der Typ hat gut reden. Immerhin sitzt er nicht gefesselt und mit einer Augenbinde auf der Rückbank eines fremden Wagens. Ich dagegen habe Angst, und versuche jetzt schon die ganze Zeit, Fesseln und das Stoffband über meinen Augen loszuwerden. „Wirklich, du machst mich wahnsinnig! Wenn du nicht sofort aufhörst zu zappeln, fährst du fest verpackt im Kofferraum mit, verstanden?" „Bitte nehmt mir nur die Augenbinde ab!", wimmere ich, doch die beiden ignorieren mein Flehen. Schluchzend lasse ich den Kopf gegen die kalte Fensterscheibe sinken. „Wo bringt ihr mich hin? Was wollt ihr von mir?" „Das wirst du noch früh genug erfahren!" Verzweifelt rüttele ich an dem Seil. „Aber ich hab nichts getan! Lasst mich gehen!" Plötzlich spüre ich, wie ich von einem der beiden an der Schulter gepackt und näher zu ihm gezogen werde. „Hör zu, du kleiner Pisser. Vielleicht solltest du jetzt mal gründlich nachdenken. Du bist nicht nur ein äußerst hübscher Junge, du bist auch noch ein Blackbourne, der kleine Bruder des mächtigsten Dämonen des Landes. Wenn du jetzt scharf nachdenkst, dann fällt dir bestimmt jemand ein, dem beide dieser Eigenschaften nur allzu recht sind. Jetzt hast du etwas, über was du nach grübeln kannst, also halt die Klappe und lass uns unsere Arbeit machen!" Mit diesen Worten stößt er mich wieder zurück, sodass ich hart gegen die Rückenlehne pralle. Wen meint er? Das mit Alvaro kann ich vielleicht noch verstehen, dass jemand versucht, mich als Druckmittel zu benutzen. Allerdings wären da noch zwei andere Tatsachen: Vielleicht wäre Alvaro nicht bereit, sich erpressen zu lassen. Wer weiß, wie tief seine Abscheu gegen mich wirklich ist. Zwar hat sich das eben anders angehört, ich habe fast schon geglaubt, dass er in Tränen ausbrechen würde. Aber das war wahrscheinlich ohnehin nur Wunschdenken. Der zweite Punkt war jedoch durchaus bedeutender: Wem würde meine Eigenschaft ein 'hübscher Junge' zu sein gefallen? Das hört sich gar nicht gut an, denn wenn ein Dämon einen anderen so nennt, dann hat dieser spätestens in fünf Minuten seine Unschuld verloren. Nicht, dass ich meine noch hätte. Nein, die habe ich schon lange verloren, auch wenn der, der dafür verantwortlich ist nun tot ist. Egal wie, wenn so etwas gegen meinen Willen geschieht, ist das was ganz anderes! Ich muss hier weg! Dann kommt mir plötzlich eine Idee. Zwar bin ich noch zu schwach, um es mit den zwei ausgewachsenen Dämonen aufnehmen zu können, aber wenn ich mich einfach verwandeln würde, könnte ich zumindest meine Fesseln aufbeißen, aus dem Auto springen und rennen. Und hoffen, dass wir uns nicht auf irgendeiner leeren Landstraße befinden, wo sie mich nach ein paar Momenten wieder einholen. Die Verwandlung eben hat mich viel Kraft gekostet, aber wenn ich sie dieses Mal nur beginne und dann abbreche, wenn es genügt, dürfte es mich nicht so auslaugen. Also konzentriere ich mich darauf, wenigstens ansatzweise Dämonengestalt anzunehmen. Hoffentlich drehen sich die beiden jetzt nicht um, denn am Gesicht könnte man mir ansehen, dass ich mich verändere. Ich versuche, die Flügel zurückzuhalten, das Auffälligste an meiner Gestalt. Mit der Zunge streiche ich über meine Zähne. Sie sind schon länger, aber es reicht noch nicht. Bevor ich die Verwandlung aber fortsetzen kann, trifft mich ein heftiger Schlag im Gesicht und unterbricht meine Konzentration. „Halt kurz an, Ed! Der kleine Mistkerl versucht sich zu verwandeln!" Verzweiflung schlägt über mir zusammen. Ich bin nicht gut genug, kann mich nicht konzentrieren wenn etwas unerwartetes geschieht. Das sollte nicht so sein, immerhin bin ich ein Blackbourne. Alvaro hätte die beiden bereits zerfleischt, oder wäre zumindest schon längst abgehauen. Das war meine letzte Chance, und nun habe ich versagt. Eine Tür knallt, dann wird die neben mir aufgerissen. „So, ich hab dich gewarnt. Jetzt ist das Maß voll!" Ich werde am Arm gepackt und aus dem Auto gezerrt, kann mich nicht halten und lande auf hartem Asphalt. Statt mir hoch zu helfen drückt mich der Dämon runter und ich spüre etwas an meinen Lippen. „Mund auf!" Ich drehe panisch den Kopf weg, aber er zwingt mich eisern zurück. „Mund auf, hab ich gesagt, oder soll ich dich erst weich prügeln?" Widerwillig öffne ich die Lippen ein Stück und sofort wird mir etwas aus Stoff zwischen die Zähne geschoben. Ich wimmere und will es wieder ausspucken, aber der Dämon über mir hält mir den Mund zu und kurz darauf ratscht es, ich spüre, wie mir etwas über die Lippen geklebt wird. Das heißt dann wohl, dass meine Chancen in den Minusbereich sinken. Geknebelt könnte ich selbst verwandelt nichts ausrichten, die Fesseln sind mit Stahl verstärkt, wie ich gesehen habe. Durchbeißen würde noch funktionieren, einfach zerreißen ist allerdings unmöglich, da ich auch als Dämon noch furchtbar geschwächt bin. Nur noch mit einem letzten, verzweifelten „Mmmh!" versuche ich, am Mitleid des Dämonen zu appellieren, allerdings ignoriert er das gekonnt und schubst mich zurück in den Wagen. Es ist vorbei.
Nach langer Fahrt hält der Wagen endlich. Mir tut alles weh, vor allem die Hände. Dass die Dämonen mich grob hinter sich her zerren, macht es nur noch schlimmer. Ich kann noch immer nichts sehen, höre nur Türen schlagen, Stimmen flüstern. Ich lasse es geschehen, die Gegenwehr habe ich aufgegeben. Irgendwann werde ich geschubst, stolpere und lande auf dem Boden. Ich habe keine Kraft mehr, um mich aufzurichten, also drehe ich mich nur auf den Rücken und warte ab. „Gut gemacht, Jungs", sagt oben neben mir eine fröhliche, aber dennoch gehässige Stimme. „Ihr dürft jetzt gehen, euren Lohn wird Alex euch geben." Ein Schauer läuft mir über den Rücken. Ich kenne diese Stimme, obwohl ich sie schon ewig nicht mehr gehört habe. Die Tür schlägt, dann lacht der Mann. „Ach Finchen, du hast dich ja gar nicht verändert. Lass dich anschauen." Eine Hand legt sich auf meine Schulter, ich zucke zusammen. Dann, ganz plötzlich, wird mir das, was vermutlich Klebeband ist, von den Lippen gerissen. Mein Schmerzensschrei wird von dem Stück Stoff in meinem Mund unterdrückt, dass ich dann so schnell wie möglich mit der Zunge heraus drücke. Dann spüre ich Finger an meinem Hinterkopf, die an der Augenbinde herum machen. Schließlich fällt auch diese. Erschrocken sehe ich hoch und starre in ein Gesicht, das niemand anderem als Matteo Harrowby gehört. Er grinst mich an und wirft das schwarze Stück Stoff beiseite. „Hättest du jemals gedacht, dass wir uns mal wiedersehen, Fineen? Ich auch nicht, merkwürdigerweise. Aber wäre dein Bruder ein bisschen... sagen wir gehorsamer gewesen, dann wärst du jetzt nicht in dieser Situation." Verwirrt schüttele ich den Kopf, habe keine Ahnung, von was er da eigentlich redet. „Wieso bin ich hier? Was soll das?" Harrowby lacht und zieht mich auf die Füße. „Du bist hier, weil du ein wunderhübscher, junger Dämon bist. Aber der wichtigere Punkt ist, dass dein Bruder sich wohl für seinen Gefährten, und nicht für dich entschieden hat." Wieso sagt er so etwas? Das stimmt doch nicht, oder? „Ich weiß, was du denkst, Fineen, aber dein Bruder war bereit, jeden Preis zu zahlen, damit Jel nicht zu mir kommen muss. Sogar dich hat er dafür hergegeben." Mein Mund ist trocken, und nur mühselig bringe ich Worte hervor. „Das ist nicht wahr. Er hat das nicht freiwillig getan, er hat versucht mir zu helfen." Harrowby lacht und streichelt mir über die Wange, woraufhin ich ängstlich den Kopf wegdrehe. „Du bist so naiv, dass es schon wieder süß ist, Kleiner. Dein Bruder hat natürlich versucht dir zu helfen, aber am selben Tag hat er im Dämonenkreis zugestimmt, dass ich meine Männer wegen dir schicken kann. Sei nicht allzu traurig, die Entscheidung fiel ihm schwer. Aber schließlich lag ihm wohl Jel mehr am Herzen." Ich spüre, wie Tränen in mir aufsteigen, kann mich aber beherrschen. Das Schlimmste, was ein Dämon in so einer Situation tun kann, ist weinen. „Schwer zu ertragen, hm?", flüstert Harrowby und kommt ganz nah an mein Ohr. Ich wimmere und versuche ihn wegzuschieben. „Es ist schwerer zu ertragen, dass ich überhaupt hier bin. Was willst du eigentlich von mir? Wieso ich?" Harrowby's Grinsen verschwindet. „Hast du deine eigene Vergangenheit vergessen, Kleiner?" Nein. Das kann nicht sein Ernst sein. „Ich dachte das wäre abgeschlossen. Lag ich damit so falsch? Sollte es dir nicht reichen, dass du für seinen Tod nie bestraft wurdest?" Die Erinnerung an Seldró tut weh, tut so unglaublich weh. Harrowby schnaubt. „Ich hab deinen kleinen Freund nicht erschossen." „Nein, aber es war einer deiner Männer, der auf deinen Befehl gehört hat." Er packt mich am Arm, zerrt mich zu sich. „Das kann keiner beweisen, und das weißt du auch. Vielleicht hättest du dich damals besser entschieden, mein Gefährte zu werden, dann wäre er jetzt noch am Leben." „Gib mir nicht die Schuld an seinem Tod!", schluchze ich, aber keine einzige Träne läuft über. „Wieso hätte ich dein Gefährte werden sollen? Du kanntest mich noch nicht einmal persönlich, und trotzdem hast du behauptet, mich zu lieben! Ich hatte einen Freund damals, einen, den ich über alles geliebt habe und der mich auch liebte, aber du hast das alles aus purer Eifersucht zerstört! Hättest du mich wirklich geliebt, dann hättest du mir das nicht angetan!" Knurrend hält Harrowby mich an den Schultern fest, funkelt mich böse an. „Du hattest eine Chance damals, aber du hast mich zurückgewiesen, hast mich beleidigt und ja, auch verletzt. Du hättest alles richtig machen können, aber du hast an deinen dummen, kindlichen Gefühlen festgehalten, deshalb ist es jetzt eben wie es ist. Ich habe gewonnen, aber das hätte auch ohne den Tod deines kleinen Freundes passieren können. Und jetzt wirst nicht nur du, sondern auch Alvaro dafür bezahlen." Ich will Abstand zu ihm gewinnen, wehre mich gegen seinen Griff, aber mit gefesselten Händen ist es aussichtslos. „Wenn mein Bruder mich ohnehin nicht liebt, wirst du ihn auch mit mir nicht erpressen können." Jetzt stiehlt sich das Grinsen zurück in Harrowbys Gesicht. „Das lass mal meine Sorge sein. Du wirst jedenfalls in der Zelle neben meinem Schlafzimmer wohnen bleiben und tun, was ich dir sage, mit dir machen lassen, was ich will. Und wenn es sein muss, dann bis in alle Ewigkeit in deinem unsterblichen Leben." Mit vor Schock geweiteten Augen starre ich ihn an. Meint er das Ernst? So wie er guckt, ja. Ich spüre die kalte Panik, die sich in mir breitmacht. „Wie-Wieso? Wieso willst du mir so etwas antun? Nur weil ich dich damals verletzt habe? Du hast mich mit Seldrós Tod mehr bestraft, als du es auf andere Weise jemals hättest schaffen können. Bitte lass uns das alles einfach vergessen und lass mich gehen." Harrowby lächelt giftig. Er ist eindeutig verrückt. Ein Psychopath. Völlig abgedreht. „Tut mir leid, Finchen, aber das hier hat nicht nur mit dir etwas zu tun." „Aber wieso? Wieso tust du das?" Er packt mich an der Schulter und zieht mich neben sich her, durch die Tür, den Flur rauf. „Die Frage nach dem Wieso wirst du noch früh genug erklärt bekommen. Jetzt zeige ich dir erst einmal dein neues Zimmer." „Bitte!", flehe ich. „Muss ich denn wirklich für immer bleiben? Für immer?" „Das, Honey, kommt ganz auf gewisse Umstände an. Und jetzt mach den Mund zu, wir sind da." Er öffnet eine Tür, zieht mich in den Raum. Es ist sein Schlafzimmer. Ein riesiges Doppelbett, Farbgebung dunkelrot bis schwarz. Sehr dunkel, erinnert sehr an Blut. Wie das Blut, dass mir damals über den Körper lief, als ich versuchte, Seldró wiederzubeleben. Harrowby zieht mich zu einer kleineren Tür. Sie ist aus schwerem Stahl. Ein Schlüssel wird gedreht, die Tür öffnet sich. Vor Angst zitternd versuche ich etwas in der Dunkelheit dahinter zu erkennen. Erbarmungslos schleift Harrowby mich in die kleine Kammer. Wände, Decke und Boden bestehen ausschließlich aus schwarzen, rauen Stein. Es gibt kein Licht, ist völlig dunkel, nur durch das Licht, was von hinten hereinfällt, kann man etwas erkennen. Wenn es etwas zu erkennen gäbe. Aber etwas außer Stein gibt es in dem vielleicht zwei auf zwei Meter großen Raum nicht. Entsetzt sehe ich Harrowby an. „Meinst du das Ernst? Du willst mich hier einsperren?" „Ist der junge Blackbourne etwa etwas Feineres gewöhnt?" Er lacht und drückt mich an die Wand, sodass ich mit dem Rücken zu ihm stehe und er an meinen Handfesseln herum machen kann. „Tja Finchen, es geht nicht immer komfortabel. Und ja, es ist mein Ernst. Hier bleibst du." Ich spüre, wie nicht nur meine Hände zittern. Es macht mir große Angst, allein in diesem kleinen, dunklen Raum eingesperrt zu werden, vor allem wenn niemand kommen würde, um mich hier rauszuholen. Alvaro hat es zwar versprochen, aber wird er sich daran halten? Und wenn, kann er es auch schaffen? Schließlich sind meine Hände frei, Harrowby lässt mich blitzartig los. Ich hab mich kaum umgedreht, da wirft er schon die Tür ins Schloss. Eine kleine Klappe geht auf, ein Lichtstrahl dringt ins Pechschwarz ein. „Nur zur Info, du wirst versorgt, also keine Sorge, du wirst nicht verhungern oder so." Damit wird die Klappe wieder zugeschlagen und ich bleibe wimmernd in vollständiger Dunkelheit zurück.
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So Wackies, ich weiß, das Chapi ist ein bisschen zu spät, tut mir leid ._. Aber dafür ist es jetzt extra lang und ich hoffe es hat euch gefallen :)
Lasst mir bitte ein paar Kommis da, wie fandet ihr es? ;)
Was haltet ihr davon, dass Fineen jetzt bei Harrowby ist? Was hat Harrowby vor?
Fineen denkt noch immer, dass Alvaro ihn hasst. Wird er erfahren, dass Harrowby hinter all dem steckt? Und wenn ja wie? Von wem? Wann? :D
Ich freu mich auf eure Kommis ;)
Hab euch lieb und hasta la vista, wackies :*
Eure StreetSoldierin
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Anhang
Fan amach ó dó! → Bleibt weg von ihm!
Faigh amach! → Verschwindet!
Dúirt mé a fháil amach as dó! → Ich sagte weg von ihm!
Thar tá chuid leannán → Dort ist sein Geliebter.
Faigh ceann a théann chomh maith → etwa: Geh unnd hol ihn dir.
Aon → Nein
Tá sé faic a dhéanamh leis é! → Er hat nichts damit zu tun!
Rith! → Renn!
Lig dul dó, diabhal é! → Lass ihn los, verdammt noch mal!
Tá brón orm! → Es tut mir leid!
Tá mé leithscéal sin! → Es tut mir so leid!
Ba chóir dom a bheith ag súil → Ich hätte das erwarten müssen.
Feicfidh mé a gheobhaidh tú amach ann, gealltanas mé → Ich werde dich da rausholen, das verspreche ich.
Tá mé tromchúiseach → Ich meine es ernst.
Is é seo go léir mo locht → Das ist alles meine Schuld.
Níl anois → Nicht jetzt.
Feicfidh mé a mhíniú go níos déanaí → Das werde ich später erklären.
Ná bíodh imní ort → Mach dir keine Gedanken
Beidh mé ag teacht → Ich werde kommen.
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