3. KAPITEL
Wütend und aufgelöst zugleich ging ich mit Ian im Schlepptau durch die Flure in Richtung der Wohnanlagen. Diese befanden sich direkt hinter der Zentrale und machten einen weniger imposanten Eindruck. Es waren mehrere Betonklötze mit einem großen Innenhof, über dem sich im Sommer immer eine saftige Wiese erstreckte. Zu dieser Jahreszeit fing alles erst wieder an zu sprießen, es würde also noch ein wenig dauern, bis hier alles wieder in vollem Grün erstrahlte. Das hielt die Agenten aber nicht vom Training ab. Manche trainierten auf der Freifläche, andere wiederum saßen auf den Bänken und unterhielten sich mit den Verwundeten. Mit einigen Verwundeten, wie ich feststellen musste ...
Plötzlich zog mich Ian beiseite und wir blieben abrupt stehen. Vor mir stand Kathrin, sie war nicht in dem selben Ausbildungsjahr wie ich, sondern ein Jahr unter mir gewesen. Während ich das Schauspiel im Innenhof betrachtete, hatte ich ganz vergessen wo ich hingelaufen bin und wäre beinahe in sie reingelaufen. Ihr Gesicht war verschmiert mit getrocknetem Blut und erst jetzt sah ich ihre komplett zerfetzte Uniform, welche einen Anblick auf ihre offenen Wunden gab.
»Oh, Kathrin! Was ist passiert?«, fragte ich entsetzt.
»Ich komme von Washington, die Tekis haben Washington erreicht. Es ... es waren einfach zu viele«, schniefte sie und eine Träne kullerte ihre Wange hinunter.
»Fast mein ganzes Team ist tot. So viele Tote... Max ... Er ... Er hat es nicht geschafft«, sagte sie leise und ihr Körper fing an zu zittern. Sie sank in sich zusammen und weinte zusammengekauert am Boden. Ich ging zu ihr runter und nahm sie vorsichtig in den Arm und fuhr sanft mit meiner Hand über ihren Rücken, stets bedacht nicht an ihre Wunden zu kommen.
»Shht. Du bist jetzt in Sicherheit«, versuchte ich möglichst beruhigend zu sagen.
Ich war nicht gerade die Beste, wenn es um Sozialkompetenz und Empathie ging. Dennoch konnte ich ihren Schmerz verstehen. Ihren Verlust ihres Zwillingsbruders Max, um den sie bitterlich weinte. In meinem Kopf spielten sich Bilder von den zwei ab, wie sie gemeinsam trainierten und lachten. Sie waren ein unzertrennliches Team und schon damals in den Trainingseinsätzen immer gemeinsam unterwegs. Das hatten diese widerlichen Kreaturen ihr genommen, für immer.
Ich spürte wie sie sich langsam beruhigte und ihre Atmung von Minute zu Minute ruhiger wurde. Ich löste mich von ihr, stand auf und hielt ihr meine Hand entgegen. Sie brauchte dringen ärtzliche Versorgung. Kathrin schaute zu mir hoch, ihre Tränen hatten sich mit dem Blut vermischt und tropften ihr vom Kinn auf den Asphalt. In ihren Augen sah ich Trauer, Wut und Hass zugleich. Vorsichtig nahm sie meine Hand und ich zog sie sachte nach oben. Ian stand immer noch wie angewurzelt an dem selben Fleck und schaute mich betrübt an.
»Komm, wir bringen dich in den Krankenflügel«, sagte ich und ging gemeinsam mit Kathrin und Ian in die Richtung, aus der wir gekommen waren.
Im Krankenflügel angekommen erschütterte mich der Anblick, der sich dort bot. Ein Dutzend besetzter Krankenbetten, verletzte Agenten, die gerade erst versorgt wurden oder mal mehr und mal weniger eingegipst waren. Das Piepsen verschiedener Geräte gemeinsam mit einem Stimmenwirrwar erfüllte den kompletten Raum. Ein Raum, der eigentlich der Eingangsbereich des Krankenflügels sein sollte.
»Zur Seite!«, hörte ich eine dunkle Stimme hinter mir rufen.
Wir machten schnell Platz und wenige Sekunden später schob ein Ärzteteam hektisch eine Pritsche an uns vorbei. Ich konnte nur kurz einen Blick erhaschen und sah einen Mann mittleren Alters. An seinem Bein konnte ich einen Druckverband erkennen und Blut, viel Blut. So schnell wie sie an uns vorbei gerauscht sind, verschwanden sie am anderen Ende des Raums in einem der Zimmer.
Ich sah zu Ian, welcher schwer schluckte. Solch einen Anblick war er nicht gewohnt. Allerhöchstens von Filmen, die wir uns gemeinsam ansahen. Aber so etwas in Echt zu sehen, das war schon etwas anderes.
Mit Kathrin in meinem Arm gingen wir vorbei an den vielen Betten zu der eigentlichen Anmeldung des Krankenflügels. Ich hatte es mir denken können, der Platz war natürlich nicht besetzt.
»Hey! Entschuldigung, kann ich weiterhelfen?«, ertönte eine quietschend hohe Stimme hinter mir.
Wir drehten uns um und eine Krankenschwester schaute erst Ian, dann mich und schließlich Kathrin fragend an. Ihr Blick blieb an Kathrin hängen und ihre Frage hatte sich wohl erübrigt.
»Kommen Sie mit!«, sagte sie hektisch und ich half ihr vorsichtig Kathrin zu übernehmen, sodass sie sie beim Laufen gut stützen konnte. Die beiden verschwanden schließlich in einem der Behandlungsräume und ließen Ian und mich alleine zurück. Ich nahm wortlos Ians Hand und verließ mit ihm gemeinsam den Krankenflügel. Wenn ich das ganze Leid schon nicht aushalten konnte, wie würde es dann erst Ian damit gehen?
Wieder an der frischen Luft angekommen atmete ich tief ein und aus. Ich versuchte meine Gedanken zu beruhigen und die Bilder von den Verwundeten zu verdrängen, die sich immer wieder vor mir abspielten.
»Alles okay?«, fragte Ian fürsorglich.
Ich spürte seinen Blick auf mir ruhen, aber ich schaute in die Ferne. Es war lieb, dass er das fragte, aber eigentlich sollte ich ihn das fragen. Stattdessen spürte ich nur die Wut, die in mir aufkochte und drohte auszubrechen. Ich war gefangen in meinem Gedankenkarussell, dass sich stetig weiter drehte. Es waren so viele Verletzte, so viele Agenten, die für uns kämpften und alles für diesen Kampf in Kauf nahmen. Wie konnte in dem jetzigen Zustand alles okay bei mir sein? Die Welt um uns drohte zu kollabieren und ich schaute einfach weg. Ich spürte, wie meine Atmung schneller wurde und versuchte tief ein und aus zu atmen, aber es half nicht.
»Ob alles okay ist? Nichts ist okay! Hast du gesehen, was da drinnen abging? Hast du gesehen wie viele verwundet sind?! Verdammt was mache ich hier eigentlich? Da drinnen liegen dutzend Verletzte. Und was mache ich? Ich laufe einfach davon. Als ob mich das nichts anginge. Und sie? Sie kämpfen da draußen gegen diese Monster. Sie kämpfen für eine bessere Welt! Sie kämpfen für uns!«, sagte ich aufgebracht und schaute Ian schließlich an.
Ian schaute mir in die Augen und wirkte wie versteinert.
Ich musste etwas tun. Ich war zwar aus dem Dienst, aber ich konnte meine Kameraden doch nicht im Stich lassen, geschweige denn tatenlos rumsitzen und zusehen, wie immer mehr Menschen starben! So bin ich nicht. Ein richtiger Agent rennt nicht einfach weg, ein Agent geht auf die Herausforderung zu und handelt. Und ich war nicht die einzige die Familie hatte, einen Partner hatte. Viele der Agenten hatten sogar Kinder und dennoch waren sie so altruistisch. Ich lief unruhig vor Ian auf und ab und überlegte, was ich nun tun sollte.
Konnte ich das Ian antun? Würde er mich überhaupt verstehen?
Er hatte nie etwas für meinen Job als Agentin übrig gehabt und war immer der Meinung, dass ich mich zu sehr aufopferte und zu leichtsinnig mein Leben aufs Spiel setzte. Ich hatte aus Liebe zu ihm das FBI verlassen. Aber habe ich damit vielleicht auch einen Teil von mir aufgegeben? Ein Teil, der einfach zu mir gehörte?
»Ian ich muss ihnen helfen.«, sagte ich fest entschlossen.
»Du kannst dich doch nicht einfach da rein stürzen!«, sagte er nun wütend. In seinen Augen spiegelte sich jedoch etwas anderes wieder als die Wut: Panik.
»Sie brauchen mich!«, antwortete ich stur, denn mein Entschluss stand fest.
»Verdammt Kira, was ist wenn dir ebenso etwas zustößt? Was ist mit uns?!«, sagte er und wurde so laut, dass die Gespräche um uns verstummten und die Leute uns aufmerksam betrachteten. Ich schaute wieder zu Ian und ich sah die Verzweiflung in seinen Augen.
»Ian, ich muss helfen. Meine Entscheidung ist gefallen. Mir wird nichts passieren, ich war Jahrgangsbeste. Ich werde vorsichtig sein und wieder heil zurück kommen, ich verspreche es dir«, sagte ich, nahm seine Hand und drückte sie vorsichtig. Um ehrlich zu sein, wusste ich nicht, ob ich mein Versprechen einhalten konnte. Woher auch?
Aber was sagt man jemanden, den man liebte und beruhigen wollte?
Und eigentlich wusste er, dass ich stur war und er mich niemals umstimmen konnte, wenn ich mir etwas in den Kopf gesetzt hatte. Ian atmetet schwer aus.
»Mir gefällt das zwar gar nicht, aber ich weiß, dass es hoffnungslos ist dich umzustimmen«, sagte er nun nach wenigen Minuten des Schweigens.
Ich umarmte Ian fest, löste mich dann aber wieder schnell von ihm und küsste ihn innig. Ich hielt kurz inne und flüsterte »Danke.«
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