Kapitel 33
Sanft spielte der Wind mit Makhahs Haaren und brachte frische Luft in seine Nase. Tief in ihm herrschte eine Harmonie und Ruhe, er war mit sich und seiner Welt zufrieden. Der Blick aufs Tal ließ ihn lächeln. Pah Koha, wie es von der Sonne erwärmt und erleuchtet wurde. Gleichzeitig streichelten die Sonnenstrahlen seine Haut und er erlebte genussvoll den friedlichen Moment mit geschlossenen Augen.
Ein Quietschen ließ ihn diese wieder öffnen und er wandte seinen Kopf zur Seite. Sein Herz klopfte schneller und in seiner Brust breitete sich das Gefühl unendlichen Glücks aus. Sie war hier. Khione, die zu ihm lächelnd auf Sakari saß, und ein wenige Monate altes Kind in den Armen wog. Es hatte dunkles Haar und bronzefarbene Haut wie er, doch die Augen ... Sie waren so rein und hell wie das Wasser des Meeres. Das hatte es von seiner Mutter.
Das Kind lag in Felle gewickelt an Khiones Brust und kuschelte sich an sie. Der Blick war jedoch auf Makhah gerichtet, der ihn stolz erwiderte.
Er drängte Denali dicht an Sakari, was die Stute mit einem leisen Schnauben begrüßte, und streichelte dem Kind sanft die Wange. Daraufhin strahlte es und grabschte nach seinem Finger, um daran zu nuckeln. „Willkommen zuhause, Khione und Aiana", flüsterte er.
Mit einem Ruck fuhr Makhah hoch und keuchte. Blinzelnd sah er in die Dämmerung hinter den Fenstern. Sie ließ den Raum fast in Dunkelheit versinken, wäre da nicht ein kleines Feuer im Kamin, das ihn in ein orangefarbenes Licht tauchte. Leicht neigte er den Kopf zur Seite. Merkwürdig, wann hatte er es entzündet? Wie spät war es überhaupt?
Murrend rieb sich Makhah die Schläfe. Sein Schädel brummte und dröhnte und war Schuld an den Lichtpunkten, die vor seinen Augen tanzten.
Eine neue Vision der Götter ... Sie war komplett anders als die Erste.
Langsam den Kopf schüttelnd tastete Makhah nach seiner Frau. Ihre Seite war leer und kalt, doch sie musste hiergewesen sein, denn die Decke war nicht fein säuberlich zusammengelegt. Das passte nicht zu Khione.
Stirnrunzelnd nahm er den Stoff in die Hand und betrachtete ihn im dämmrigen Licht. Mit einem Mal beschleunigte sich sein Pulsschlag. War das ... Blut? Makhah schnupperte und erstarrte. Das ... das konnte nicht sein.
Vor seinen Augen tauchten erschreckende Bilder auf, die ihn schaudern ließen. Mit einem Sprung stand er auf den Beinen und beim Anblick der blutbefleckten Laken nach Luft. „Nein ... nein ...", keuchte er der Panik nahe und folgte der Blutspur zur Tür in riesigen Schritten. Mit düsterer Vorahnung riss er sie auf und starrte Tehew und Yakari ins Gesicht. „Wo ist Khione?", fragte er und wollte im gleichen Atemzug an ihnen vorbei, doch die beiden hielten ihn an den Armen fest.
„Sie ist im Stall. Asku ist bei ihr", erwiderte Tehew knapp und musterte ihn von oben bis unten. „Ist dir überhaupt bewusst, was deine Tat für Folgen hat?"
„T-Tat?", stotterte Makhah und sah zwischen den Männern hin und her. „Wovon sprichst du?"
Wortlos trat Tehew zur Seite und gab Blick auf eine dunkle Spur, die sich über den Gang herzog.
Mit aufgerissenen Augen starrte Makhah sie an. Trotz der schwachen Belichtung ahnte er, woraus sie bestand. Blut. Langsam kniete er sich hin und ließ seinen Finger über einen Fleck fahren. Er war getrocknet und würde nicht leicht zu entfernen sein. Das juckte ihn im Moment wenig. Mit einem Kloß im Hals sah er wieder auf und schluckte. „Was ist passiert?"
„Du erinnerst dich nicht?", fragte Yakari.
Beim Aufstehen schüttelte Makhah den Kopf. „Nein ... Bitte sagt mir, dass es Khione gut geht", drängte er, doch Tehew packte mit der Aussage, ihn zu Pahra zu bringen, seinen Arm. Aufgewühlt entriss er sich und funkelte seinen Berater wütend an. „Sag mir sofort, was los ist!", forderte er streng.
„Du hast die Ehre und Gesetze der Arakis gebrochen", antwortete Tehew kühl. Er und Yakari ergriffen erneut seine Arme und zogen ihn mit sich.
Die kalte Art, mit der ihm begegnet wurde, verwirrte Makhah. Widerwillig stolperte er hinterher und versuchte auf dem Weg zu Pahra, sich den Abend ins Gedächtnis zu rufen. So krampfhaft er nach seinen Erinnerungen fassen wollte, es gelang ihm nicht. Sie lagen ab dem Besuch im Tempel völlig im Dunkeln. Dafür blitzten ihm beim Anblick der Blutspur Szenarien vor seinen Augen auf, die ihm die Kehle zuschnürten. Sie waren nicht leicht zu einem aussagekräftigen Bild zu verknüpfen, doch ihm wurde heiß und kalt, je mehr er der Spur folgte.
Schweigend brachten Yakari und Tehew ihn zum Heilerflügel und klopften an eine der Türen. Auf ein heiseres: „Herein", öffneten sie diese, schoben Makhah hinein und positionierten sich an der Tür.
Das Oberhaupt erblickte die Heilerin, die am Tisch Kräuter zerrieb. Kurz sah diese auf und nickte wortlos zum Stuhl. Er ignorierte die Sitzgelegenheit und schritt eilig auf sie zu. „Pahra, sag mir, was geschehen ist!", bat er eindringlich.
Seelenruhig beendete sie das Reiben im Mörser und füllte die Kräuter mit einem Löffel in kleine Säckchen. „Wie geht es dir?", erkundigte sie sich. „Bist du wieder bei Sinnen oder immer noch im Rausch?"
„Lass die Fragerei und antworte!", erwiderte Makhah unwirsch. „Was ist mit Khione?"
„Das kann ich dir kaum beantworten. Dem ersten Anschein nach hast du dich letzte Nacht an ihr vergangen", sagte Pahra und fixierte ihn mit einem musternden Blick.
Makhahs Kinnlade fiel buchstäblich zu Boden. Mehrmals setzte er zum Sprechen an, doch sein Entsetzen war so groß, dass keine Laute aus seinem Mund kamen. Mit gesenktem Kopf tastete er nach dem Stuhl und ließ sich darauf fallen. Ausgerechnet er – der ein Vorbild und Anführer sein sollte – hatte versagt und die Gesetze gebrochen!
„Sie hat nichts gesprochen und ist verschwunden, als ich zu dir gerufen wurde", fuhr Pahra fort und holte neue Säckchen zum Abfüllen. „Ich war heute Morgen bei ihr im Stall, aber sie schweigt und lässt absolut niemanden an sich heran, daher passt Asku auf sie auf."
Makhah rang nach Fassung. All die kurzen Erinnerungsstücke, die ihn seit dem Aufwachen verfolgten, entsprachen der Wahrheit? Was hatte er nur angerichtet? Er hatte sich von seiner Sehnsucht nach Ahyoka und dem Zorn gegenüber den Sheikahs leiten lassen ... und seine Frau verletzt. Nicht nur körperlich, sondern auch seelisch. Das war unverzeihlich. „Tehew, gib ihm bitte Bescheid, dass er ab sofort ihr persönlicher Beschützer ist", bat er leise. Sein Berater verschwand, doch Yakari blieb stehen.
Minutenlang herrschte eine bedrückende Stille im Raum, in der Pahra einen Trank zubereitete und ihn stumm Makhah übergab. „Trink. Er soll deinen Körper langsam wieder ins Gleichgewicht bringen", sagte sie und wandte sich von ihm ab, um ein Tuch in einen Wassereimer zu tunken. Halbherzig wrang sie es aus und breitete es auf dem Tisch auf, ehe sie eine Paste aus dem Regal holte und diese darauf verstrich.
„Ist das ... für Khione?", fragte Makhah, der den Trank in winzigen Schlucken zu sich nahm.
Pahra verneinte und seufzte leise. „Ich komme nicht an sie heran und weiß nicht, welche Verletzungen sie genau hat. Dabei würde sie die Versorgung dringend brauchen. Ich bereite zwei Tücher für Sabah und Sorin vor."
„Geht es ihnen besser?", fragte das Oberhaupt leise.
„Ein wenig, wobei sie bald über den Berg sein sollten. Ich mache mir im Moment mehr Sorgen um Khione."
Makhah erwartete eine Standpauke von Pahra, die ihn in den Boden stampfen würde. Vorwürfe, dass sie ihn vor der Wirkung der Aislingblüte gewarnt hatte. Anschuldigungen, dass er nicht auf sie gehört hatte ... Sie blieben zu seiner Überraschung aus. Die Heilerin schwieg und das bedrückte ihn, da es nicht zu ihr passte. Sonst hielt sie oft Vorträge über einen vernünftigen Umgang mit Kräutern ...
„Kannst du mich nicht wenigstens anschreien oder tadeln?", fragte er zweifelnd, in der Hoffnung, dass er sich dadurch besser fühlte.
„Warum sollte ich das, Makhah? Du wirst am besten wissen, wie es zu gestern gekommen ist", erwiderte Pahra und legte die beiden Tücher zur Seite. Sie stützte sich mit den Händen auf dem Tisch ab, kam ihm ein wenig näher und sah ihn eindringlich an. „Ich kenne dich als einen Mann mit besonderer Auffassungsgabe. Wenn du selbst darüber nachdenkst, wirst du wissen, dass Vorwürfe unnötig sind. Wie ich es sehe, reicht dein schlechtes Gewissen aus", sagte sie ernst.
Niedergeschlagen starrte Makhah auf den Kelch in seiner Hand. Sie hatte recht.
Es ist alles meine Schuld ... Ich bin ein elender Hund, der Teufel in Person, dachte er bitter. Er verdiente Khione nicht. Sie, die ihm bisher nie ein Haar gekrümmt und stattdessen versucht hatte, mit ihm auszukommen. Manchmal hatte er Fortschritte zwischen ihnen gesehen, doch dann ... Bei jedem Gedanken an Ahyoka war es vorbei. Oh, warum hatte er sich nur von seinem Zorn und seiner Sehnsucht leiten lassen?! Khione litt unter dem Verlust ihrer Familie, und trotzdem zeigte sie es kaum! Er hätte sich ein Beispiel daran nehmen sollen, aber er war blind vor Wut gewesen ... „Ich wünschte dennoch, du würdest mich zusammenstauchen", murmelte er.
„Und dann? Meinst du, das hilft Khione?", fragte die Heilerin kopfschüttelnd. „Nein, Makhah. Was auch immer zwischen euch vorgefallen ist, es hat sie komplett zerbrochen."
Das Oberhaupt versteckte die aufkommenden Tränen hinter dem Kelch. „Denkst du, sie wird mir noch eine Möglichkeit geben und mir wieder vertrauen?", wollte er mit zitternder Stimme wissen. Schon lange war ihm das nicht mehr passiert. Ihm war hundeelend zumute.
„Das kann ich dir nicht beantworten. Die vergangene Nacht wird Konsequenzen haben, das sollte dir bewusst sein", antwortete sie und seufzte, als er nickte. „Leider kann ich dir nicht weiterhelfen. Es liegt an dir, ob alles wieder ins Reine kommt oder nicht", fuhr sie fort. „Deinen Beutel mit Aislingblüten habe ich in Beschlag genommen. Geh jetzt und ruh dich aus."
„Danke", flüsterte Makhah dankbar. Die Blütenblätter waren ein Teufelszeug ... Nein, sie waren Medizin, die er missbraucht hatte. Er war der Teufel selbst und keineswegs besser als die Sheikahs. Nie wieder wollte er die Aislingblüte nutzen! „Ich werde nach Khione sehen", sagte er und stand auf.
Als er Pahra den leeren Kelch reichte, legte sie ihm eine Hand auf seinen Arm. „Nimm meinen Rat an und gib ihr Zeit. So wirst du sie nur noch mehr von dir wegjagen. Vielleicht versteht sie nach der Verhandlung, dass deine Tat Konsequenzen hat und du nicht einfach damit davonkommst."
„Richtig ... die Verhandlung", seufzte Makhah. „Wann wird sie veranstaltet und wer übernimmt die Leitung?", fragte er. Ihm war bewusst, welche Folgen seine Tat hatte und er würde sich ihnen stellen. Das war das Mindeste!
„Kabiha und Tehew werden sie leiten. Wann genau ist noch unklar. Sie hoffen, dass sich Khione versorgen lässt und in der Lage ist, daran teilzunehmen. Bis dahin halte dich besser von ihr fern."
Es war ein gut gemeinter Rat, der Makhah sauer aufstieß. Er wollte mit seiner Frau sprechen, ihr sagen, wie leid ihm sein Verhalten tat und dass er es wiedergutmachen würde, doch er bezweifelte, dass sie ihm Gehör schenken würde. Das geschah ihm recht. Er hatte alles selbst vermasselt.
Er nickte der Heilerin zu und lief zur Tür. Wie erwartet, folgte Yakari ihm wie ein Wachhund, aber das machte Makhah nichts aus. Nach einigen Schritten blieb er am Fenster stehen und sah hinauf zum Himmel. Es war an der Zeit, Ahyoka ruhen zu lassen und sich dem Neuen gegenüber zu öffnen: seiner Frau.
„Göttin Inara ... ich weiß, ich war ein Monster. Dennoch bitte ich dich: sei so gütig und gib mir noch eine einzige Möglichkeit, Khione zu beweisen und ihr zu zeigen, dass ich nicht so bin, wie sie mich kennengelernt hat. Sie ist mir unglaublich wichtig ...", murmelte er und hoffte inständig, dass die ersten Sonnenstrahlen über den Bergspitzen eine positive Antwort der Göttin war.
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