Kapitel 6
Wir schwiegen, als wir den dichten Wald durchquerten, um zurück zu unserem zu Hause zu gelangen. Jenes zu Hause, welches wir seit 19 Jahren versteckt hielten.
Noch immer rannen mir die Tränen still über die Wangen, während sich mein gesamter Körper taub anfühlte. Alles um mich herum wirkte so falsch, angesichts der Tatsache, dass mein Vater aufgehört hatte zu atmen. Ich wusste, dass es passieren würde und doch war es, als würde man ein stumpfes Messer durch meine Brust bohren. Ich war so in meinen Gefühlen und Gedanken verloren, dass ich nicht merkte, wie still der Wald geworden war. Bis mich Blaise plötzlich festhielt und einen Finger auf seine Lippen legte.
Augenblicklich zückte ich meinen Bogen und spähte in die Umgebung. Auch Nale tat es Blaise und mir gleich, während wir uns Rücken an Rücken positionierten.
Der gesamte Wald schien wieder zum Leben zu erwachen, als ein Wolf durch den Wald heulte. Fast so, als hätten wir uns alles nur eingebildet. Warum fühlte es sich aber dennoch so falsch an?
Ich hatte das Gefühl knapp dem Tod entronnen zu sein. >>Habt ihr auch so eine Gänsehaut?<< fragte Nale in die Runde. Die Frage blieb unbeantwortet, als ein gellender Schrei durch den Wald fegte. Aus der Richtung unserer Höhle.
Blaise hielt mich am Ärmel fest, als ich voraus sprinten wollte und egal wie sehr ich versuchte mich aus seinem Griff zu winden, er war erbarmungslos fest. >>Aelia. Du weißt, was du in so einer Situation zutun hast.<< erinnerte mich Blaise, woraufhin ich entschlossen in die Richtung sah, aus der die Schreie kamen. >>Pass auf dich auf und halt dich an den Plan.<< verlangte Nale.
>>Sollte es mehr als einer sein, blast das Horn und ich löse die Fallen aus.<< Blaise zog mich fest in seine Arme, bevor er mich los ließ. Nale sah mich mit zusammengepressten Lippen und einer stummen Bitte an. Ich nickte nur, bevor ich mir meinen Bogen wieder umschnallte. >>Wir sehen uns in 10 Minuten am Notausgang, falls alles schief läuft.<< erwiderte Blaise, bevor ich mich daran machte auf einen Baum zu klettern.
Es gab eine feste Abfolge, bei einem Angriff. Und jede dieser kleinen Abfolgen sollte dazu führen, dass wir alle zum Notausgang unseres Unterschlupfs gelangen, um dann die gesamte Höhle einstürzen zu lassen. Meine Aufgabe war simpel. Im ganzen Wald sind nahe an der Höhle Fallen aufgestellt. Fallen, die noch zu der Zeit aufgestellt wurden, als Technologie noch ein wichtiger Bestandteil der Menschheit war. Meine Aufgabe war es Baum um Baum zu überwinden, um die Fallen mit meinen Pfeilen auszulösen. Ich hatte es mehrfach geübt und doch hätte ich nicht geahnt, wie anstrengend es sein konnte die Aufgabe auszuführen, während mein Herz vor Angst gegen die Brust hämmerte.
>>Atmen.<< verlangte ich von mir selbst, als einer der Äste unter mir brach, weil ich zu aufgewühlt war und nicht konzentriert genug. So klammerte ich mich paar geschlagene Sekunden an den Baum, bevor ich mich etwas beruhigt hatte und kletterte weiter von Ast zu Ast. Wir hatten Glück, dass der Wald so dicht war und ich im allgemeinen sehr begabt im Klettern. Es war für mich wie laufen und mein größter Vorteil gegenüber den Vampiren. Denn sind die Bäume hoch genug, ist es schwerer für sie meinen Geruch aufzuspüren. Bin ich leise genug, dann rettet mich ihr Starrsinn davor, ihr nächstes Mahl zu werden. Denn sie würden nie daran glauben, dass wir Menschen uns annähernd gegen sie wehren könnten.
Ich sprang gegen den letzten Baum und horchte in den Wald. Hoffnung keimte in mir auf, als keine Schreie zu hören waren, sodass ich mich weiter hervor tastete. Doch bevor ich den Baum wechseln konnte, presste ich meinen Körper gegen den Stamm, als unbekannte Stimmen zu hören waren.
>>Wieviele haben wir?<< fragte eine tiefe Männerstimme. >>Fünf. Ich hoffe wir kriegen dieses Jahr mehr zusammen. Die sterben uns ja weg wie Fliegen.<< hörte ich die genervte Stimme eines jungen Mädchens. Sie konnte keine 14 sein. Zwei Vampire. Mit zwei würden wir zurecht kommen, versuchte ich meine Hoffnung aufrecht zu erhalten, aber dieser Tag schien der schlimmste in meinem gesamten Leben zu sein. Weitere Schritte hallten durch den Wald und gesellten sich zu den anderen zweien. >>Der Mensch hatte tatsächlich recht. Der Geruch ist überall und zieht sich bis zu dem Berg.<< hallte nun die Stimme eines Jungen durch den Wald. Mein Herz klopfte mir gegen meine Brust, als ich meinen Pfeil zückte und meinen Fluchtweg einkalkulierte. Die Falle würde wie eine Kettenreaktion funktionieren und mir genug Spielraum geben, damit ich von hier verschwand. Es konnte nichts schief gehen, immerhin wurden die Systeme beim Bau dieses Untergrundes mehr fach geprüft. Warum hatte ich dennoch immer noch das Gefühl, dass das alles schief geht? Seit dem Moment in dem Viktor diese Mauern verlassen hatte, schien etwas in mir zu wissen, dass es bald vorbei sein würde. Warum bestand dieses Gefühl und übermannte alles andere?
Ich fühlte mich so verloren und alleine hier. Das schlimmste an all dem, war die Angst um die Menschen dort in der Höhle.
Ich spannte meinen Pfeil an der Sehne, mit einem erdrückenden Chaos in mir, welches plötzlich verstummte, als ein Horn ertönte. Und dann geschah alles auf einmal. Nale, der unsanft auf den Boden geschmissen wurde. Mein Pfeil, welcher um eine Haaresbreite die Falle verfehlte. Und dann alle Augen, die hinauf in die Baumkronen sahen.
>>Aelia jetzt!<< brüllte Nale, bevor er dem einen Vampir einen Pfahl durch den Körper rammte und schnell hinter die Bäume hechtete. Mein zweiter Pfeil zischte durch die Luft und durchbohrte die Falle. Licht explodierte, begleitet von einer sengenden Hitze. Der Baum auf dem ich bis gerade noch stand, wurde von dem Feuer getroffen und begann ebenfalls zu brennen, sodass ich schnell auf den nächsten kletterte und beim absteigen schließlich bei der Hälfte abrutschte und auf den Rücken fiel. Verzweifelt rang ich nach Atem, als meine Lungen für einige Sekunden versagten, bevor ich im nächsten Moment hochgezerrt wurde. >>Beeil dich Aelia. Wir müssen die Höhle sprengen.<< durchdrang mich Nales Warnung und sorgte dafür, dass sich meine Sicht wieder fokussierte und mein Lebenswille die Kontrolle über mich übernahm.
Schreie durchdrangen den Wald, während sich der widerliche Gestank von verbranntem Fleisch durch den kalten Wind ausbreitete. Es dauerte noch weitere geschlagene Sekunden, bis ich meine Fassung wieder gewann und Nale mich nicht mehr nur hinter sich her zerren musste.
>>Wir schaffen es nicht.<< keuchte ich, als das Gefühl in mir weiter Anstieg, dass alles schief gehen würde. Als wir endlich durch die Höhle rannten und Nale den Schalter umlegte, sprinteten wir nach unten und öffneten den Kasten, den wir bis jetzt noch nie öffnen mussten. Nale zog an dem Schalter, um die Höhle zu sprengen, doch als nichts geschah, drang die Erkenntnis unweigerlich durch mich hindurch. >>Mein Vater hatte recht. Die Entfernung ist zu groß.<< flüsterte ich still und lehnte mich an die Wand, ehe Nale seine Hände um meine Wangen legte. >>El. Was ich jetzt von dir verlange wird hart, aber du musst es tun. Du darfst nicht zögern.<< drang seine verzweifelte Stimme durch mein Bewusstsein.
Der nächste Schalter war kurz vor dem Ausgang der Höhle und würde für einen von uns den Tod bedeuten. Ich sah auf, in diese warmen Augen, die mich so lange begleitet haben. Die Augen, die mir Trost in solch einer grausamen Welt geschenkt hatten. Nale gab mir einen letzten Kuss. Er schmeckte so grausam nach Abschied. >>Okay.<< hauchte ich an seine Lippen, bevor er sich zum gehen wandte. Doch er kam nicht weit, als ich ihm auch schon im nächsten Moment meinen Bogen über den Kopf zog und er auf den Boden zusammensackte. >>Leb wohl.<< flüsterte ich still und hinderte die Tränen nicht mehr die Kontrolle über mich zu nehmen. Ich weiß nicht, wie ich durch den Tränenschleier nach oben gelangte und schließlich den Schalter fand, welcher draußen kurz vor dem Ausgang war. Ich weiß nur, dass ich bereit war zu sterben für die Menschen, die ich liebte. Mit diesem Gedanken zog ich an dem Schalter und richtete meinen Mittelfinger im gleichen Moment nach draußen, als vier Gestalten dort standen und zu dem Eingang der Höhle sahen.
Und dann explodierte alles um mich, bevor tiefe Finsternis nach mir griff. Finsternis, nach der ich meine Arme bereitwillig ausstreckte.
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