prolog : noch lange nicht
Kezia stand im Schatten der hohen, knorrigen Bäume des Azgeda-Waldes. Der frostige Wind zog durch die Äste, und das leise Knirschen des Schnees unter ihren Stiefeln war das einzige Geräusch, das den Wald durchbrach. Sie trug ihre übliche Ausrüstung – schwarze, eng anliegende Lederpanzerung, die perfekt an ihren Körper geschmiedet war und die Bewegungen der Kriegerin nicht einschränkte. Ihre Haare waren in einen strengen Zopf gebunden, das blasse Weiß ihrer Haare stand im scharfen Kontrast zu der düsteren Landschaft um sie herum. Um sie war der Wald dunkel, die Bäume standen wie Wachen in der Stille der Kälte.
Ihre Augen verfolgten jede Bewegung. Sie war nicht hier, um zu üben, nicht um an einem Ziel zu arbeiten, sondern um zu beobachten. Als Mitglied der Wachen wusste sie, wie entscheidend ihre Aufmerksamkeit und ihre Instinkte waren. Kezia hatte die Kunst des Beobachtens perfektioniert, jedes Geräusch, jede Geste, jede Veränderung in der Luft war ihr bekannt. Ihre Aufgabe war es, zu sehen, was andere nicht sahen, zu wissen, bevor es zu spät war. Ihr Blick war unnachgiebig, durchdringend – sie war diejenige, die für Sicherheit sorgte, die die Dunkelheit und die Bedrohungen, die von außen kamen, bannte.
Vor ihr stand Echo, die den Bogen in der Hand hielt. Ihre Bewegungen waren präzise, die Pfeile flogen mit tödlicher Genauigkeit auf das Ziel. Kezia spürte den Druck, der auf ihr lastete – Echo wollte sich beweisen, wollte die Anerkennung von Königin Nia erlangen, doch Kezia wusste, dass es nicht um Anerkennung ging. Es ging um das Überleben. Es ging um die Entscheidung, Leben zu nehmen, ohne zu zögern. Kezia hatte es selbst getan – und sie wusste, dass der wahre Test der eigenen Stärke in der Fähigkeit lag, das Leben eines anderen ohne Bedauern zu beenden.
„Top that", hörte Kezia Echo sagen, ihr Lächeln stolz und herausfordernd.
Ash, die immer noch unsicher mit dem Bogen stand, sah zu Echo auf. Ihre Finger spielten nervös mit dem Holz des Bogens, als wollte sie sich entschuldigen, bevor sie den Bogen überhaupt anlegte. „Du weißt, dass ich das nicht kann", antwortete Ash, ihr Lächeln war schüchtern, als wäre sie sich der eigenen Schwäche bewusst.
Kezia sah sie beide an, eine Spur von Abneigung in ihren Gedanken, doch sie blieb still. In dieser Welt gab es keinen Platz für Schwäche. Sie wusste, was passieren würde, wenn Ash versagte. In Azgeda war der Preis des Versagens der Tod.
Echo reichte Ash den Bogen. Ihre Hand ruhte einen Moment zu lange auf dem Holz, bevor sie ihn losließ. „Willst du, dass sie denkt, du bist nutzlos? Dann tu es, wie ich es dir gezeigt habe. Stell dir Nias Gesicht im Zentrum des Ziels vor", sagte Echo mit einem leicht höhnischen Unterton, doch Kezia bemerkte den Hauch von Nervosität in ihrer Stimme. Sie spürte den Druck, der auf beiden lastete. Der Druck, nicht zu versagen. Der Druck, die Erwartungen zu erfüllen.
Ash zögerte, doch schließlich legte sie den Bogen an. Kezia konnte den Schweiß auf ihrer Stirn sehen, die Unsicherheit, die in ihren Bewegungen lag. Sie wusste, dass sie es nicht schaffen würde. Die Kälte in ihr verlangte keine Entschuldigung. Sie war hier, um zu überleben. Der Rest war unwichtig.
Die Ruhe des Waldes wurde plötzlich von den Hufen der Pferde durchbrochen. Kezia spürte die Veränderung in der Luft, als die vertrauten Hufgeräusche näher kamen. Ihre Augen weiteten sich kaum, doch ihr Körper spannte sich an. Sie wusste, was kam, noch bevor es sichtbar war.
Königin Nia ritt mit ihrer Garde in den Wald, ihr selbstbewusster Blick erfasste alles, was sich um sie herum bewegte. Kezia kannte den Stolz und die Härte in diesen Augen nur zu gut. Sie hatte diese Augen oft genug gesehen, die Augen einer Frau, die keine Fehler duldete, die für Macht und Kontrolle lebte. Nia stieg elegant von ihrem Pferd, ihre Kleidung glänzte im schwachen Licht, das durch die Bäume drang, als ob sie die Dunkelheit selbst herausforderte.
„Ist das dein Geheimnis, Echo?", fragte Nia mit einem spöttischen Lächeln, als sie die Kriegerin musterte. Echo trat vor und verneigte sich, ihre Stimme fest, aber Kezia konnte die Nervosität darin erkennen. „Eure Hoheit, vergebt mir..." „Ruhe!", befahl Nia. „Ich kümmere mich nicht darum, warum dein Ziel präzise ist – nur, dass es das ist." Ihre Worte fielen wie ein Urteil, kalt und unnachgiebig.
Kezia beobachtete still, das Gefühl der Macht und des Zorns, das von Nia ausging, ließ keinen Zweifel daran, dass die Königin immer die Kontrolle behielt. Doch hinter den Augen von Echo sah Kezia mehr – Zweifel, Kampf, der innere Kampf einer Kriegerin, die sich nach Anerkennung sehnte, aber das Töten noch nicht vollständig akzeptiert hatte.
„Es ist an der Zeit, Echo", sagte Nia, ihre Stimme war ruhig, fast beiläufig, doch Kezia wusste, was das bedeutete. „Sangedakru erwartet dich in drei Tagen. Du hast ihren Dialekt gemeistert, ihre Bräuche studiert, aber bist du bereit, im Namen deiner Königin zu töten?" Echo nickte, doch Kezia konnte den Moment der Unsicherheit in ihr sehen. Sie wusste, was folgen würde. Und sie wusste, dass Echo es nicht schaffen würde.
„Beweise es. Dieser Dreck hier ist ein Spion von Sangedakru", sagte Nia, ohne den Mann, der vor ihnen auf die Knie gefallen war, auch nur eines Blickes zu würdigen. Die Kriegerin schien keine Gefühle zu haben, keine Sympathie, kein Mitgefühl. Der Spion wurde vor Echo gestoßen, und Kezia bemerkte, wie Echo zögerte. Der Mann, der gefesselt vor ihnen kniete, sah nicht wie ein Krieger aus. Er war gebrochen, verzweifelt. Doch das war nicht ihre Entscheidung. Nia hatte ihre eigenen Gesetze.
„Lauf, du Dummkopf", rief Nia dem Spion zu, der daraufhin verzweifelt davonrannte. Kezia konnte den Moment des Zögerns spüren, als Echo den Bogen anlegte. Ihr Finger zitterte, der Pfeil flog vorbei. Die Unfähigkeit, zu töten, war in den Augen von Echo zu lesen. Nia sprach das Urteil, das keiner mehr hören wollte: „Schwäche."
Kezia kannte das Gefühl. Sie wusste, was es bedeutete, zu zögern. In Azgeda gab es keinen Platz für Zweifel.
„Seitdem du zu feige bist, einen Spion zu töten, gebe ich dir noch eine letzte Chance. Töte sie", sagte Nia, und ihre Stimme war so kalt wie der Wind, der durch die Bäume zog.
Kezia sah die Klinge, die zu Echo fiel. Sie wusste, dass dies der Moment war, in dem die Kriegerin entweder ihre wahre Natur zeigen oder alles verlieren würde. Echo nahm die Klinge, doch als sie auf Ash losging, war Kezia bereits sicher, dass sie versagen würde.
Und dann war es so weit. Echo stach zu, und Ash, die nichts anderes tat, als sich zu verteidigen, griff nach einem Pfeil. Der tödliche Pfeil traf Echo mitten in den Bauch. Kezia konnte die Trauer in Ashs Augen sehen, doch sie hatte keinen Platz für Mitleid. In Azgeda gab es nur den Überlebenden.
„Es tut mir leid", flüsterte Ash, doch Kezia hörte es nur als leises Echo, das in der kühlen Luft verwehte. Der Spion, der den Wald überlebt hatte, wurde noch immer erwartet. Doch für Kezia war der wahre Kampf der, den sie in den Augen ihrer Krieger sah. Und sie wusste: In dieser Welt gab es keine Vergebung.
Kezia stand still, der Blick in die Ferne gerichtet, während Echo vor ihr auf dem kalten Boden lag. Der Pfeil hatte sein Ziel gefunden, und das Leben der Kriegerin war in einem einzigen, verhängnisvollen Moment erloschen. Doch Kezia konnte sich nicht erlauben, von der Szene überwältigt zu werden. Der Tod war kein Feind, sondern eine vertraute Präsenz in ihrem Leben, der sie schon oft gegenübergestanden hatte. Der kalte Wind wehte durch den Azgeda-Wald, doch für Kezia gab es keine Kälte, die tiefer ging als diejenige, die sich in ihr Herz eingebrannt hatte.
Sangedakru erwartete Echo. Doch sie würde nicht kommen. Ihre Mission war beendet, bevor sie je begonnen hatte. Nia, die Königin, hatte ihre Aufgabe erfüllt, und Kezia wusste, dass das Töten nicht aus Mangel an Gefühlen geschah – Nia hatte keinerlei Skrupel, wenn es darum ging, die Schwächen eines Kriegers zu beseitigen. Und Echo war schwach gewesen. Kezia spürte das in der Luft, als sie noch immer über dem leblosen Körper der Kriegerin stand.
„Sangedakru erwartet ein Mädchen namens Echo", sagte Kezia schließlich, ihre Stimme ruhig, beinahe gleichgültig, als sie auf die sterbende Kriegerin hinabblickte. Sie wusste, dass diese Worte eine Tatsache aussprachen, die niemand ändern konnte. Echo war nicht mehr als eine Erinnerung, ein Schatten, der jetzt im Dämmerlicht verschwand.
„Herzlichen Glückwunsch, Echo. Enttäusche mich nicht", erklang die kalte Stimme von Nia hinter ihr. Kezia konnte das Geräusch von Nias leichten Schritten hören, das Metall ihrer Rüstung klirrte in der Stille des Waldes, als sie den Dolch aufnahm und sich dann ohne ein weiteres Wort entfernte. Kezia spürte, wie sich die Spannung in der Luft löste, und die Kälte wurde erträglicher, auch wenn der Schock noch immer in ihren Knochen nagte.
Die Wachen und anderen Krieger, die um sie standen, schauten Kezia an, erwartungsvoll, doch Kezia gab ihnen keine weiteren Anweisungen. Ihre Augen fielen wieder auf das Mädchen, das soeben einen weiteren Kampf gewonnen hatte, einen, der auf der Härte von Azgeda beruhte. Doch Kezia wusste, dass Ash nicht so leicht war wie Echo. Ash hatte die Wahl getroffen, und sie hatte sich entschieden, zu kämpfen – nicht nur für sich selbst, sondern auch für Kezia.
Kezia kniete sich neben den Körper von Echo und strich leicht über die kalte Stirn der Kriegerin, als ob sie ihr letzten Respekt zollte. Dann richtete sie sich auf und sah das Mädchen an, das sie in den Augen eines anderen Kriegers spürte. Ash war noch jung, doch sie hatte längst begriffen, was es hieß, in dieser Welt zu überleben.
„Gut gemacht, kleine Schwester", sagte Kezia leise, ihre Stimme war fast ein Flüstern, aber sie war von einer unnachgiebigen Wärme durchzogen, die in dieser kalten Welt selten war. Sie beugte sich vor, um Ash eine Hand zu reichen. Ihre Finger schlossen sich sanft um Ashs Hand, die noch immer den Bogen umklammert hielt, als wäre sie noch immer in der Übung, noch immer bereit, sich einem Kampf zu stellen.
Ashs Augen suchten die ihren. Es war mehr als Anerkennung, die sie in Kezias Blick sah. Es war Vertrauen, etwas, das in einer Welt wie dieser kaum zu finden war. Sie hatte getan, was von ihr verlangt wurde, doch Kezia wusste, dass Ash noch weit mehr in sich trug, als sie zu zeigen bereit war.
„Komm", sagte Kezia, und zog Ash sanft hoch. Ihre Hand zog sie weiter, weg von der toten Echo und dem Blut, das den Boden bedeckte. „Es ist noch viel zu tun, und das Spiel ist noch lange nicht vorbei." „Wirst du mir weiterhin helfen?", fragte Ash leise, als sie neben Kezia herging. Ihre Stimme war kaum mehr als ein Hauch im Wind, aber Kezia hörte die Frage klar und deutlich. Es war die Frage eines Kindes, das in einer Welt, die von Krieg und Verrat geformt wurde, nach einem Anker suchte.
„Solange du nicht vergisst, wer du bist", antwortete Kezia. „Du bist Azgeda. Und du wirst stärker, wenn du das verstehst." Ash nickte, doch Kezia konnte die Ungewissheit in ihren Augen sehen. Sie wusste, dass Ash mit dem Tod von Echo und den Erwartungen der Königin noch längst nicht abgeschlossen hatte. Doch Kezia wusste auch, dass dies der Weg war, den Ash wählen musste, wenn sie in dieser Welt überleben wollte.
„Lass uns gehen", sagte Kezia, ihre Stimme nun wieder fest und entschlossen. „Es gibt keinen Raum für Schwäche in Azgeda." Und so gingen sie weiter, der Schnee unter ihren Füßen knirschte, während der Wind unaufhörlich um sie heulte. In Kezias Herzen wusste sie, dass dieser Moment der Wendepunkt für Ash war. Doch sie wusste auch, dass sie es schaffen würde. Die junge Kriegerin hatte in ihren Augen etwas, das nicht jeder hatte – sie war bereit, alles zu opfern, um in dieser Welt zu überleben. Kezia hatte viele Kämpfe gekämpft. Aber der Kampf, den Ash führen musste, war der, der alles entscheiden würde. Und Kezia würde sicherstellen, dass Ash nicht fiel.
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