23. Türchen
Weihnachtsgeschichte
In den Pausen ist sie immer allein. Aisha meine ich. Sie redet mit niemandem, ist still, so still, dass man manchmal glauben könnte sie würde gern mit der Wand verschmelzen. Wenn der Lehrer sie aufruft zuckt sie zusammen und wünscht sich sichtlich unsichtbar zu sein um den grinsenden Gesichtern um sie herum entkommen zu können. Doch das es ihr so unangenehm ist im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen ist sie quasi gefundenes Fressen. Bei uns in der 4c ist man cool wenn man lustig ist. Und mit „lustig“ meine ich fiese Kommentare über Aisha abgeben damit alle dann grölend in Gelächter ausbrechen. Deswegen hat Aisha keine Freunde, was ganz schön ungerecht ist, finde ich.
Aisha ist mit ihrer Familie Anfang des Jahres hierher gezogen. Woher weiß ich gar nicht so genau, ich hab noch nichts klares mitbekommen. Aber ihre Haut hat die Farbe von Karamellbonbons und ihre sind dunkelbraun gelockt. Sie sieht aus als käme sie von weit her, ihr Deutsch ist jedoch perfekt. Trotzdem ist es seit dem Umzug schwer für sie ind unserer Klasse Anschluss zu finden, oder eher unmöglich. Es hat angefangen mit ein paar Bemerkungen zu ihrer Hautfarbe, da hat sie noch schwach gelächelt obwohl die Witze blöd waren. Inzwischen ist alles viel schlimmer. Nicht nur wird sie komplett ausgeschlossen und schikaniert, sondern wenn ich das richtig mitbekommen habe hat Pia ihr eine Ohrfeige gegeben in der Mädchentoilette. Ich verstehe nicht so genau warum ihr das alles geschieht nur weil ihre Eltern wahrscheinlich woanders herkommen, das hat ja gar nichts mit Aisha zu tun. Um ehrlich zu sein, sie tut mir sogar richtig leid und ich habe ein ganz schlechtes Gewissen wenn ich neben meinen Freunden stehe die davon erzählen wie sie Aisha beobachtet haben als sie ihr Deutschbuch aus dem Dorfbach fischen musste.
Aber ich helfe nie. Das gibt nur Ärger. Dann behandeln sie mich sicher auch so. Davor hab ich Angst, auch wenn ich sonst immer sehr mutig bin. Je mehr schlimme Dinge mit Aisha passieren, desto dringender sollte ich wenigstens einmal gegen die Gemeinheiten wiedersprechen. Aber es wird auch immer gefährlicher in den Konflikt einzusteigen. Ich schäme mich zwar für den Gedanken, aber ich bin froh, dass ich nicht Aisha bin, ich würde auf keinen Fall mit ihr tauschen wollen, im Leben nicht.
Heute ist der letzte Schultag vor den Weihnachtsferien. Wir sitzen mit unserer Lehrerin im Stuhlkreis. Wie jedes Jahr wird das Wichteln aufgelöst. Man muss auch nicht sagen von wem das Geschenk ist wenn man „anonym“ bleiben will. Das Wort ist voll cool und bedeutet man weiß nicht von wem das Geschenk ist. Ich weiß das schon seit meine Oma mir das in der ersten Klasse erklärt hat. Und ich bin schon so gespannt! Ich bin gespannt auf mein Geschenk und wie Paul mein Geschenk für ihn gefallen wird. Das war nämlich ganz schön schwer. Aber ich habe mir entschieden ihm ein kleines Modellauto zu schenken, es darf ja nicht zu teuer sein. Pauls bester Freund Tom meine, dass er Rennautos mögen würde.
Als endlich mein Name aufgerufen wird höre ich auf zu zappeln und schnapp mir mein Päckchen. Es ist eingepackt in Goldpapier mit kleinen Sternchen und hat eine blaue Schleife umgebunden. Wer immer das gemacht hat muss sich ziemlich Mühe gegeben haben. Trotzdem reißt das Papier beim Auspacken. Im inneren befinden sich eine Karte und ein kleiner Radiergummi in Form einer Lokomotive. Das Geschenk ist großartig. Ich liebe Eisenbahnen.
Weil meine Mama so oft arbeiten muss, gehe ich meistens nach der Schule zu meinen Großeltern. Mein Opa hat eine ganz tolle elektronische Eisenbahn, die er immer vergrößert und ausbaut. Ich fand die schon immer unglaublich! Manchmal darf ich mit ihr fahren und Opa erklärt mir dann die verschiedenen Lokomotiven. Ich weiß auch schon ganz genau was ich später mal werden will: Lokomotivführer!
Vorsichtig drehe ich nun also meinen neuen Radiergummi in der Hand und schaue mir anschließend die Karte an. In einer verschnörkelten kleinen Handschrift steht dort ein einfaches „Fröhliche Weihnachten“. Ich erkenne die Schrift sofort von geklauten Heften hung als ich gerade zu ihr hinüberschauen will wird ihr Name aufgerufen: „Aicha!“ Die Klasse wird von einen Moment auf den anderen mucksmäuschenstill. Das Geplapper verstummt und alle starren auf das Mädchen, das nach vorn huscht.
Sanft öffnet sie die Verpackung. In Aishas Geschenk befinden sich gebrannte Mandeln und eine Karte. Der noch ein wenig hoffende Blick ist aus ihrem Gesicht verschwunden und ihre Nase zuckt. Die ganze Klasse weiß seit letztem Monat, dass Aisha gegen Mandeln allergisch ist. Schon ein doofes Geschenk und ich will gar nicht erst wissen was auf der Karte steht. In dem Moment würde ich am liebsten vorgehen und sie beschützen. Ich würde denen allen mal ordentlich sagen, dass das nicht nett ist, vor allem ist Weihnachten das Fest der Liebe. Das sagt zumindest meine Oma immer. Allerdings sage ich nichts. Ich bleibe still auf meinem Stuhl sitzen und sehe zu wie Aisha sich leise bedankt und hämisches Lachen durch den Kreis zischt. Die Frau Peronda ignoriert das natürlich wieder. Die restlichen Minuten haben alle einen bitteren Beigeschmack. Ich kann mich weder über die Ferien und den Schnee, noch auf das kommende Weihnachtsfest mit den selbstgebackenen Plätzchen meiner Oma freuen.
„Bin wieder da!“, rufe ich als ich die Tür zuschlage. Meine Oma kommt sofort aus der Küche und begrüßt mich: „Und? Wie war dein letzter Schultag?“ Ich schweige. Ich habe meiner Oma schon einmal von Aisha erzählt, bei Kakao und ihrem Hefezopf.Und sie hatte mir geraten mutig zu sein und auf mein Herz zu hören. Am tag danach bin ich dann total motiviert in die Schule gegangen, aber ich war gar nicht mutig und als Aisha geärgert wurde bin ich auf die Toilette gerannt. „Aisha hat gar kein tolles Geschenk bekommen…“, meine ich leise und vermeide es meine Oma anzuschauen. Sie schaut sicher wieder so kritisch. „Und wie fühlst du dich dabei?“, fragt sie erstaunlich sanft. Ich zucke mit den Schultern, aber wir beide wissen, das es mir nicht sonderlich gut geht. Meine Oma seufzend dann dreht sie sich einfach um und geht in die Küche. Ich sitze auf der Kommode im Flur und habe keine Lust meine Sachen auszuziehen. Ich schaue zu den Bildern an der Wand. Da sind welche von meiner Mutter als sie kleiner war und natürlich auch welche mit mir. Besonders interessant fand ich jedoch immer schon das Bild von der Hochzeit meiner Eltern. Mein Vater sieht ein bisschen aus wie ich. Er hat auch blaue Augen zum Beispiel. Aber ich mag ihn nicht, er ist abgehauen als Mama schwanger war. Deswegen muss sie jetzt so viel arbeiten um genug Geld zu verdienen. Ich seh sie gar nicht mehr… Aber ab heute Abend wird sie wieder da sein, für die restlichen Ferien, darauf freue ich mich schon.
Mein Blick fällt auf das Bild von mir und Opa mit unserer Schatzkiste, die wir im Sommer gemeinsam gebaut haben und dort dann die wichtigsten Spielsachen verstaut haben. Da sind zum Beispiel der alte Holzengel von meiner Großmutter drin und meine Fußballkarten, das Bilderbuch mit der Weihnachtsgeschichte, das Oma mir so toll vorliest und eine kaputte Lokomotive von der elektrischen Eisenbahn. Vielleicht sollte ich meinen neuen Radiergummi dort nun auch hinein tun. Das war wirklich ein tolles Geschenk von Aisha.
Aisha... Aisha hat nichts tolles bekommen, wahrscheinlich bekommt sie von an Weihnachten was besseres, aber nicht von ihren Klassenkameraden. "Warte Mal", murmele ich und springe dann auf. Mit meinen schnee nassen Schuhen flitze ich auf den Dachboden. Ich höre nur noch Oma aus der Küche rufen: "Kind! Was machst du denn?" Ich habe keine Zeit zu antworten. Ich krame hinter den Kartons mit den Verkleidungen, bis ich die Kiste in der Hand halte. Vorsichtig öffne ich den Deckel. Dann nehme ich die Fußballkarten heraus und verschließe den Karton wieder. Als nächstes schreibe ich so schön es geht "Fröhliche Weihnachten" auf ein quadratisches rotes Papier. Ihre Schrift sieht jedoch besser aus. Ich glaube das Papier ist zum Falten von Kranichen, Oma macht es manchmal, aber das ist jetzt egal.
Die Karte packe ich auch schnell ein und renne wieder runter. An der verwirrten Oma vorbei, stürme ich auch schon aus der Tür. Je näher ich ihren Haus komme, desto langsamer werde ich. Auf einmal bin ich total nervös. Aber jetzt ist kein zurück mehr! Ich werde das schaffen! Nur für heute! Trotzdem muss ich erstmal durchatmen, als ich bei Aishas Haus ankomme. Ich weiß wo sie wohnt, weil wir sie schon einmal nach Hause verfolgt haben, ganz schön seltsam eigentlich. Zuerst einmal sehe ich mich hier nach einem guten Versteck um, denn ich habe einen Plan und nichts soll schief gehen. Das große Auto sollte genügen um nicht gesehen zu werden, denke ich. Also geht es jetzt los. Mission Aisha ein besseres Geschenk zu geben hat begonnen. Langsam öffne ich das Gartentor, es quietscht und ich renne schnell hinters Auto um mein klopfendes Herz zu beruhigen. Nach ein paar Atemzüge traue ich mich wieder hervor und beginne erneut. Diesmal schaffe ich es tatsächlich durch den kleinen Vorgarten bis an die Haustür. Meine Hände zittern ein bisschen während ich das Geschenk ablege. Jetzt nur noch klingeln und weg. 3, 2, 1, go!
Ich drücke die Klingel und renne so schnell ich kann und sinke hinters Auto. Oh nein! Hoffentlich macht auch Aisha auf und nicht jemand anderes. Es wäre aber peinlich, wenn ihre Eltern das Geschenk finden würden. Ich höre das Geräusch der sich öffnenden Tür und luke durch des Autos zur Tür hin. Erleichtert sehe ich Aisha, die auf das kleine Päckchen blickt, das zu ihren Füßen liegt. Sie hat sich umgezogen. Inzwischen trägt sie ein rotes, sehr hübsches Kleid. Es steht ihr. Ich beobachte mit klopfendem
Herzen wie sie sich hinkniet und die Karte nach zwei Blicken nach links und rechts öffnet. Aufgeregt sehe ich wie sie schüchtern lächelt beim Lesen. Zum Glück bleibt sie draußen, denn wenn sie das Geschenk mit hinein genommen hätte, hätte ich gar nichts sehen können. Obwohl es sehr kalt ist bleibt sie. Jetzt öffnet sie das Päckchen. Ich bin etwas nervös, wenn ich ehrlich bin. Ich weiß nur, das Aisha wirklich gut im Fußball ist und sie hat einen Sticker auf ihrem Schulranzen. Deswegen hoffe ich, dass sie sich freut. Ich sehe aufgeregt durch die Scheibe des Fensters, ich will nichts verpassen.
Doch anders als erwartet beginnt Aisha zu weinen. Ganz still, sie reibt sich mit einer Hand die Tränen weg, mit der anderen hält sie die Karten, auf die sie immer noch starrt. Ich will mir gerade schon Sorgen machen, da sehe ich das strahlende Lächeln auf ihrem Gesicht. Sie lacht? Und sie weint. Aber anscheinend vor Freude. Aisha geht die Karten eine nach der anderen genauestens durch und mustert jede einzelne, bis aus dem Haus geschrien kommt: „Aisha! Mach die Tür zu, es zieht!“Aisha zuckt überrascht zusammen und ruft dann zurück: „Tschuldigung! Mama, schau mal was ich bekommen habe!“ Und damit verschwindet sie im Haus. Ich stehe noch ein paar Minuten beseelt da und denke nach. Ihr Lächeln war so schön, traue ich mich in Zukunft vielleicht mehr für sie einzustehen? Ich weiß es nicht…
Was auch immer kommt, eine Sache weiß ich genau: Nächstes Jahr überreiche ich ihr das Geschenk persönlich!
cheryl24_love hat diese echt süße Geschichte geschrieben.
Morgen ist es soweit... Seid ihr schon aufgeregt?
Da diese Geschichte eben von Cheryl geschrieben wurde, gibt es nun auch das Rezept zu ihren Lieblingsplätzchen (die echt super lecker sind).
Schokoladenmakronen
Zutaten:
- 50g Zartbitterschokolade
- 2 Eiweiß
- 100g feiner Zucker
- 1 Päckchen Vanillezucker
- 1 EL Kakao
1. Die Schokolade fein reiben.
2. Das Eiweiß ganz steif schlagen.
3. Den Zucker nach und nach dazu geben.
4. Vanillezucker, Schokolade und Kakao vorsichtig unterheben.
5. Kleine Häufchen der Masse auf ein Backblech setzen.
6. Etwa 30 Minuten bei 130° backen.
7. Abkühlen lassen.
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