Kapitel 8
Tessa konnte sich kaum konzentrieren, als sie ihr Auto über nasses Kopfsteinpflaster lenkte.
Sie konnte sich kaum konzentrieren, als sie einen Parkplatz in der Nähe ihrer Wohnung suchte und als sie über die von Regen durchnässten Wege zu ihrer Haustür ging.
Immer wieder dachte sie an Alexander.
An die Tiefe seines Blickes und seine Hände die unter ihrer eigenen merklich an Anspannung verloren hatten.
Sie dachte an seine Stimme die so tief war, dass sie in ihr nachzuvibrieren schien.
Sie dachte an alles was er ihr an diesem Tag offengelegt hatte.
Sie konnte kaum aufhören an ihn zu denken, als sie ihre Wohnung betrat und erneut alle Lichter erleuchten ließ, ehe sie sich einen Tee machte und versuchte sich zu entspannen.
Ihr war bewusst, dass ein kein professionelles Verhalten einem Patienten gegenüber war, wenn sie so viel über ihn nach dachte.
Es ging ihr zwar schon immer so, dass sie gedanklich selten von der Arbeit befreit war. Ihr fiel es immer schwer wirklich abzuschalten und nicht in ihrer Freizeit über Therapiesitzungen nachzudenken, die sie den Tag über gehabt hatte.
Aber ihre Gedanken drifteten gefährlich oft von therapeutischen Gedanken weg.
Viel zu oft wanderten ihre Gedanken an die Venen die deutlich zu sehen waren, wenn Alexander seine Hände auf der Tischplatte ablegte.
Viel zu oft dachte sie drüber nach, wie seine kurzgeschorenen Haare unter ihren Fingern kitzeln würden, wenn sie mit der Hand über sie streichen würde.
Sie fragte sich, wie es wäre von seinen Händen berührt zu werden. Wie es wäre, wenn seine Hände ihren Körper entlang wandern würden. Wenn seine Hände sie gegen eine Wand drücken würden und ihr ihre Klamotten vom Körper reißen würden.
Sie stellte sich vor, wie er ihren Hals liebkoste, an ihr knabberte, während er mit seinen Händen unter ihre Bluse ging.
Wie es wäre, wenn seine Hände den Weg in ihre Hose finden würden.
Wie er sie nehmen würde.
Sie zuckte so heftig zusammen als ihr Handy klingelte und sie aus ihren Gedanken riss, dass sie sich heißen Tee auf ihre Hose kippte.
„Scheiße" , murmelte sie während sie versuchte sich mit einer Hand aus ihrer Hose zu befreien und mit der anderen Hand das Gespräch entgegen zu nehmen.
„Ich dachte du würdest dich mal von selber melden." , die Stimme ihrer Mutter war in dem typisch beleidigten Ton, den sie immer hatte, wenn Tessa sich nicht von selber bei ihr meldete.
Sie war immer beleidigt, wenn man sich anders verhielt als sie es in ihren Gedanken für richtig empfinden würde.
„Ich hatte viel zutun. Falls du es vergessen hast: ich hatte meinen ersten Arbeitstag."
Sie wusste genau wie ihre Mutter gerade gucken musste.
Sie saß mit Sicherheit in ihrem Ohrensessel am Fenster, ein Glas Weißwein auf dem Mamortisch neben ihr.
Ihre Lippen fest auseinander gepresst und den Blick starr nach draußen gerichtet.
„Ich habe es nicht vergessen. Ich war mir bloß nicht sicher, ob du nach deinem Aussetzer am Samstag bereit bist mit mir zu sprechen."
„Ach ja." , Tessa klang resigniert. Sie hatte keine Lust auf eine Auseinandersetzung darüber, ob sie sich respektlos ihrer Mutter gegenüber verhalten haben könnte.
Ihre Mutter würde eh nicht einsehen, dass Tessas Verhalten nur eine Antwort auf das Verhalten ihrer Mutter war.
In den Augen von Babette Olden war sie unfehlbar. Sie konnte keine Fehler machen, weil sie perfekt war. Nur die Welt um sie herum machte Fehler.
„Hast du etwas von Benjamin gehört?"
Es war klar, dass Babette nichts von dem ersten Tag ihrer neuen Arbeit hören wollte. Es hatte sie noch nie interessiert, wie Tessas Arbeitsalltag aussah oder wie es auf der Arbeit lief.
„Ich weiß nicht mal, ob ich etwas von ihm hören will."
„Du bist so undankbar Tessa. Er hat alles für dich getan und du tust so, als wäre er Schuld an der Trennung."
Tessa verdrehte die Augen, während sie sich mit einer Wolldecke, die Mia einmal für sie gestrickt hatte, auf dem Sofa ausbreitete.
„Nun ja, er hat eine neue Beziehung in sofern war es seine Entscheidung die Beziehung zu beenden. Ich sage nur, dass ich nicht traurig über das Ende bin."
Zumindest nicht so traurig, wie Tessa es selber erwartet hätte.
Das Gefühl des wieder-atmen-Könnens überwiegte.
„Du wirst nicht nochmal einen Mann finden der das alles für dich tut was Benjamin getan hat."
Sie würde nicht mit ihrer Mutter über das nicht vorhandene Sexleben mit Benjamin sprechen.
Sie würde ihr nicht erzählen wie langweilig ihre Abende die letzten Jahre geworden sind.
Wie schlecht der Sex war, wenn es welchen gab und wie leidenschaftslos ihre Beziehung gewesen ist.
Sie wusste, ihre Mutter würde ihr die Schuld dafür geben.
Du machst ja auch nichts mehr aus dir.
Man muss auch mal nur geben können.
Du lebst ja auch nur noch für deine Arbeit.
Du bist auch nicht mehr anziehend für einen Mann, wenn du zuhause in Jogginghose herumläufst.
Stattdessen sagte sie : „vielleicht brauche ich auch nicht jemand der all das für mich tut."
Sie war erleichtert, als sie nach einer nicht enden wollenden halben Stunde das Gespräch mit ihrer Mutter beenden konnte.
Es fühlte sich jedesmal kräftezehrend und nervtötend an, wenn sie mit ihrer Mutter sprach.
Sie konnte sich nicht an das letzte Mal erinnern an dem ihre Mutter ihr liebevolle und freundliche Worte entgegenbrachte.
Oft hatte Tessa das Gefühl, dass ihre Mutter sie unterbewusst für das Ende der Ehe mit ihrem Vater verantwortlich machte.
Dass Babette die Schuld in ihrer Tochter sah.
Dass sie für ihre Mutter der einzige Grund war, dass die Ehe scheiterte würde zu ihrer Mutter passen.
Sie würde nie einen Fehler bei sich suchen.
Tessa versackte den ganzen Abend vor einer Dokumentation über Pinguine und die Monogamie in der sie lebten.
Ihr war nicht bewusst gewesen, dass sich männliche Pinguine gegenseitig zerfleischten, wenn sie ihr Weibchen mit einem anderen sahen.
Bis einer starb.
Sie stellte sich vor, wie absurd es wäre, wenn sie und Benjamins neue Freundin sich so lange prügelten und misshandelten bis schließlich eine der beiden zusammenbrach und starb.
Wie die Leiche einfach in ihrem Blut liegen gelassen werden würde.
Vergessen werden würde und schließlich verrotten oder von Geiern zerpickt werden würde.
Damit Benjamin mit der anderen in Ruhe leben konnte.
Tessas Blick viel auf die Sushiplatte vor ihr.
Sie hatte es geschafft die Hälfte der Sushi zu essen.
Natürlich hatte sie viel zu viel bestellt.
Es war so normal gewesen eine große Menge Sushi zu bestellen, damit sie und Benjamin genug hatten.
Damit beide satt wurden.
Sie war es nicht gewohnt für sich alleine Essen zu bestellen.
„Dann hab' ich morgen noch was." ,dachte sie, als sie die Plastikplatte mit dem durchsichtigen Deckel in den Kühlschrank stellte.
Der eingelegte Ingwer, der immer mitgeliefert wurde landete unangerührt im Mülleimer.
Den hatte immer Benjamin gegessen, aber nur weil er es schrecklich fand Lebensmittel wegzuwerfen.
Er hatte Tessa mal angeschrien und war tagelang wütend über sie, weil sie ein frisch gekauftes Brot hatte hart werden lassen, während Benjamin für eine Woche bei seinen Eltern war.
Sie wäre viel zu verschwenderisch und egoistisch, weil sie das Brot nicht hatte mit Wasser angefeuchtet und erneut gebacken, um es weicher werden zu lassen.
Stattdessen hatte sie das ganze Laib in den Müll geworfen.
Bevor sie schlafen ging, ging sie ein weiteres Mal durch die Notizen, die sie die letzten beiden Sitzungen über Alexander gesammelt hatte.
Selbst ihre eigenen Notizen wirkten auf sie verwirrend und undurchschaubar.
So wie er es war.
Der Tod seiner Schwester war ein traumatisches Erlebnis für ihn gewesen und Tessa hatte den Eindruck, dass er es sich zur Aufgabe gemacht hatte, Menschen die ihm etwas bedeuteten zu beschützen.
Vielleicht war er schon immer ein beschützerischer Typ Mensch gewesen, aber seit er das Gefühl hat versagt zu haben.
Seine Schwester nicht von allem Bösen beschützen konnte schien er einen ausgeprägten Beschützerinstinkt entwickelt zu haben.
Vielleicht war dieser Instinkt am Ende auch eine Begründung für die Taten die er vollbrachte.
Vielleicht hat er Menschen verletzt, um andere zu beschützen.
Sie machte sich noch einige Notizen, ehe sie sich ins Bett legte und in einen tiefen Schlaf fiel.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro