Kapitel 7
Als Alexander das erste Mal seine Augen von ihren Händen losriss und seinen Blick kurz über ihr Gesicht schweifen ließ, wirkte er als wäre er selber erschrocken über seine Offenheit.
Er hatte mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht geplant ihr heute einen so wichtigen Teil seines Lebens zu eröffnen.
Tessa konnte sich ebenfalls nicht erklären, was ihn am heutigen Tag dazu bewegen konnte ihr solch eine Ehrlichkeit entgegenzubringen.
Sie wusste nicht, ob sie irgendetwas dazu beigetragen hatte, dass er über sein Leben zu erzählen begann oder ob es ihm einfach gut tat mit Jemandem offen sprechen zu können.
Jemand der ihn nicht verurteilen oder belehren würde.
Sein Blick war unleserlich.
„Fühlst du dich verantwortlich für ihren Tod?"
Sie wusste seine Antwort. Sie wusste, dass ihn Schuldgefühle plagten. Das hatte man spüren können, während er sprach.
„Ich bin dafür verantwortlich."
Sein Kiefer spannte sich an und er wippte mit seinem Bein nervös aus und ab.
„Niemand kann für den Verlust eines Menschen verantwortlich gemacht werden, außer der Mensch der ihr Leben genommen hat. Das war nicht dein Versagen sondern die Grausamkeit eines Menschen."
Alexander zuckte lediglich mit den Schultern, als hätte er schon oft gehört, dass er für etwas nicht verantwortlich war, er sich aber dennoch so fühlte.
„Das sagen nur Menschen, die noch nie mit Schuld leben mussten."
Vielleicht hatte Alexander Recht mit dem was er sagte. Vielleicht konnte Tessa seinen Verlust und seine Trauerbewältigung, in dem er die Schuld bei sich zu suchen schien, nicht verstehen.
Vielleicht würde sie ähnlich denken, wenn sie den Verlust eines geliebten Menschen auf solch grausame Art und Weise hätte miterleben müssen.
„Ich hätte es früher merken müssen. Ich hätte mich nicht nur um meinen Kram kümmern müssen, sondern sehen müssen, dass sie viel zu viel durchmachen musste. Dann wäre das nicht passiert."
„Was hättest du tun müssen, damit all das nicht passiert?"
„Jemanden töten." , er sagte das als wäre es das Normalste der Welt. Als hätte er das ohne mit der Wimper zu zucken tun können
Sie hielt den Mann vor ihr nicht für einen kaltblütigen Killer.
Nachdem sie ihn etwas kennenlernen konnte und ihn als Jemand einschätzte, der zwar viele falsche Entscheidungen getroffen hatte, aber nicht stolz auf diese war.
Viele sogar bereute und sich ein anderes Leben gewünscht hätte. Nach ihrer Einschätzung glaubte sie ihm nicht, wenn er so tat, als könnte er kaltblütig morden.
Auch nicht für seine Familie.
Nachdem der Rest der Sitzung eher schleppend verlief verabschiedete sich Tessa von Alexander.
Für einen kurzen Augenblick standen sich beide gegenüber. Tessa musste hochschauen, um ihn in seine Augen sehen zu können.
Sie spürte seine Präsenz und Nähe deutlich und musste dem Drang widerstehen, sich einfach auf Zehenspitzen zu stellen und ihn zu küssen.
Sie konnte sich nicht erklären, was diesen Mann so unwiderstehlich zu machen schien
Es konnte die Art sein wie er sie anschaute oder wie er eine Selbstsicherheit ausstrahlte von der viele Menschen träumten.
Oder es war einfach ihre eigene Unsicherheit nach der Trennung die sie verzweifelt machte.
„Danke." , es war ein einziges Wort bevor er ging.
Als die Tür ins Schloss fiel und Tessa alleine in ihrem Büro stand und zu realisieren versuchte, was in den letzten Stunden und Sekunden passiert war, war sie sich sicher.
Sie war sich sicher, dass sich die Sitzungen mit Alexander Brandon lohnten.
Dass sie wirklich etwas bewirken konnte.
Dass sie ihm helfen konnte seine Vergangenheit aufzuarbeiten um seine Zukunft zu ebnen.
Seitdem Tessa sich der Kriminalpsychologie zugewandt hatte, hatte sie noch nie das Gefühl gehabt etwas mit ihrer Arbeit wirklich zu erreichen.
Sie konnte vielen mit Gesprächen temporär helfen oder Menschen zumindest zum nachdenken und reflektieren ihrer eigenen Taten anregen, aber noch nie hatte sie den Eindruck gehabt, jemand würde sich ihr wirklich öffnen.
Sie hatte nie gesehen, dass ein Häftling bereit war mit ihr wirklich über Gefühle oder die Vergangenheit zu sprechen.
Es erfüllte sie mit Stolz, dass Alexander Brandon es schaffte sich ihr zu öffnen. Dass er sich sogar für ihre Arbeit bedankte.
Tessa saß lange an ihrem Laptop und das Gespräch mit Alexander Brandon zu protokollieren und zu analysieren. Es fiel ihr besonders schwer, da sie selber keine Erklärung für seine plötzliche Offenheit hatte.
Nachdem sie den Bericht fast fertig hatte, fühlte sie sich, als hätte sie etwas vergessen.
Die löschte einen Großteil des geschriebenen und fing erneut an.
Er war ein schwer zu verstehender Mensch.
Sie hatte nicht das Gefühl ihn zu kennen oder zu wissen warum er Dinge sagte oder nicht sagte.
In seiner Körpersprache sah man oft eine gewisse Ablehnung. Als würden ihn die Sitzungen bei ihr viel Überwindung kosten und im nächsten Moment wirkte er gelöst und erleichtert sich jemanden mitteilen zu können.
Als sie einigermaßen zufrieden mit ihrem Bericht war und ihn abspeicherte klopfte es erneut an ihre Tür.
Sie hatte für diesen Tag keine weiteren Termine und da es schon später Nachmittag war, glaubte sie nicht, dass einer der Sicherheitsmitarbeiter noch etwas von ihr wollte.
Sie öffnete die Tür ihres Büros, aber sie konnte niemanden auf dem hell erleuchteten Gang entdecken. Weder jemand der sich von der Tür entfernte noch jemand der unschlüssig wirkte, ob er wirklich zu ihr wollte und sich in der Nähe ihres Büros herumdrückte.
Als sie gerade wieder in dem Raum verschwinden wollte um die Tür zu schließen, fiel ihr Blick nach unten.
Auf dem Boden vor ihrer Tür, lag eine kleine eingeschweißte Tablette.
Im ersten Moment dachte Tessa es könnte sich um Drogen handeln, aber der Gedanke machte keinen Sinn.
Warum sollte jemand seine Drogen vor der Tür der Gefängnispsychologin ablegen!?
Es handelte sich um eine einzelne Kopfschmerztablette.
Tessa musste unweigerlich lächeln, als sie die Tablette aufhob und die Tür ihres Büros erst schloss, nachdem sie sich ein weiteres Mal umgeschaut hatte.
Alexander Brandon war mehr als verwirrend und undurchschaubar für sie.
Und sie konnte die Sympathie die sie für ihn hegte nicht leugnen.
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