Kapitel 16
Tessa spürte ihre Nervosität und ihre aufkommende Scham, während sie viel zu nackt vor ihm in ihrem Bürostuhl saß.
Sie spürte seinen Blick auf ihr, als sie ihre Notizen durchblätterte und so tat, als würde sie etwas von Wichtigkeit suchen.
Sie hatte keine Ahnung was sie sagen sollte.
Wie sie ein Gespräch mit dem Mann beginnen sollte, der sie vor wenigen Minuten zum Orgasmus gefingert hatte.
Und dennoch war sie sich der Wichtigkeit bewusst ein normales Therapiegespräch zu beginnen.
Sie konnte es sich nicht leisten weitere Protokolle zu fälschen, nur weil sie sich nicht im Griff hatte, sobald Alexander vor ihr stand.
Sie hatte das Gefühl der Deckel ihres Stiftes war deutlich schwieriger zu öffnen als bisher, als sie sich bemühte etwas Professionalität in ihre Therapiesitzung zu bringen, in dem sie eine Überschrift in ihr Notizbuch kritzelte.
Sie wusste, auch ohne das sie ihn ansah, dass Alexander sie bei jeder Bewegung beobachtete.
Wahrscheinlich belustigte ihn ihre Fahrigkeit.
Sicherlich lachte er innerlich über ihren kläglichen Versuch professionell zu erscheinen.
„Hast du gestern ein Protokoll geschrieben?" , seine Stimme war ruhig und er saß nach wie vor mit ausgestreckten Beinen in dem Stuhl ihr gegenüber. Sein Rücken lehnte an der Stuhllehne und seine eisblauen Augen schauten sie so ruhig an, dass man denken könnte, dass Ihr Techtelmechtel wenige Minuten zuvor gar nicht stattgefunden hatte. Er wirkte gefasster als sie es jemals könnte.
Sie schluckte ehe sie antwortete : „ich habe mir eins ausgedacht."
Tessa hörte wie er belustigt ausatmete, während sie kleine Sterne auf ihren Block kritzelte.
„Worum ging es in unserem Gespräch?" , erst jetzt verstand Tessa, dass Alexander ihr gerade versuchte zu helfen.
Dass er ihr einen Einstieg in ihr Gespräch ebnete und sie musste lächeln, als sie aufsah und ihn erwischte wie er auf ihre Brüste guckte.
„Konfliktlösungsstrategien. Darüber wie solche theoretischen Methoden helfen können sich selber zu regulieren."
„Ich hab' davon gehört. Hat nie was gebracht."
Tessa war nicht überrascht, es war schwer für Menschen die ihre Konflikte ihr Leben lang anders gelöst hatten, anzufangen andere Strategien in Betracht zu ziehen.
„Wo hast du davon gehört?" , sie spürte seinen Blick auf ihrer Haut und bekam eine Gänsehaut bei dem Gedanken an das was zuvor zwischen beiden passiert war.
„Jugendvollzugsanstalt. Ich war 14 - es hat mich absolut nicht interessiert. In dem Alter gibt man einen Fick auf solche Tipps." , er zuckte die Schultern während er, zu Tessas Überraschung, seinen Pulli über den Kopf zog und ihr ihn über den Holzschreibtisch zuschob. Er schien ihre Gänsehaut bemerkt zu haben.
Sie konnte es sich nicht verkneifen an dem warmen Stoff zu riechen, während sie sich den viel zu großen schwarzen Pulli überzog.
Er roch nach Alexander. Nach Waschmittel und Minze. Er roch viel zu gut als das sie sich vorstellen konnte, ihm den Pulli zurückzugeben.
Alexander beobachtete sie weiterhin, als er sein T-Shirt glatt strich.
„Steht dir." , das Lächeln das er ihr schenkte war so warm und herzlich, dass Tessa ihn am liebsten erneut geküsst hätte. In seinen Armen geschmolzen wäre und ihre Hände immer wieder über seinen Körper hätte streichen lassen.
„Danke." , sie hatte den Faden des Gesprächs verloren. Alexander Brandon brachte sie vollkommen aus dem Konzept und das machte Tessa Sorgen.
„Wurden dir auch Selbstregulationsstrategien in der JVA gezeigt?"
Alexanders Mundwinkel zuckte : „Du meinst sowas wie Atemübungen um sich zu beruhigen? Ganz ehrlich, wenn ich beginne Atemübungen zu machen, wenn mich jemand provoziert, habe ich schneller ein Messer im Rücken als ich ausatmen kann."
Tessa hatte noch nie jemanden kennengelernt der unter Aggressionsproblemen litt und Strategien zur Konfliktbewätigung oder Selbstregulation als sinnvolle Alternative ansah. Es war wie ein ungeschriebenes Gesetz, dass solche Methoden zuallererst auf Ablehnung trafen.
„Es geht nicht ausschließlich um Strategien die man bei direkter Provokation anwendet. Es kann auch etwas sein, dass man in seinen Alltag einbaut um sich generell besser selbst zu regulieren."
Tessa spielte leicht am Ärmel von Alexanders Pulli, der weit über ihre Hände hing. Sie fühlte sich wohl in dem weiten Stoff der ihr irgendeine Geborgenheit gab, die sich nicht erklären konnte.
„Das kann zum Beispiel Meditation sein." , sie zuckte mit den Schultern sie wusste schon bevor Alexander ein freudloses Lachen ausstieß, dass er den Vorschlag ablehnen würde. Ein typisches Verhalten. Sie kannte die Verhaltensweise von den meisten Häftlingen mit denen sie über solche Methoden gesprochen hatte.
„Du glaubst nicht ernsthaft, dass ich hier in einer 5 Quadratmeter Zelle sitze und meditiere?!" , Alexander versuchte sich ein ungläubiges Grinsen zu verkneifen und zog eine Augenbraue hoch.
Tessa versuchte ihn sich wirklich beim Meditieren vorzustellen, aber so weit schien ihre Fantasie nicht reichen zu können.
Sie gab ihr Bestes sich vorzustellen, wie er seinen Atem regulierte, seinen Kopf abschaltete und irgendwann zu seiner inneren Mitte fand.
Es war eine Geduldsprobe, bis man die positive Wirkung die Meditation auf den eigenen Geist hatte, spürte. Bis man erkennen konnte, dass man sich anders wahrnimmt als vorher.
Man musste es wirklich wollen um zu diesem Punkt zu kommen.
Tessa konnte verstehen, dass ein Mensch in der Lebenssituation wie Alexander Brandon kaum in der Lage sein würde diese Geduld aufzubringen.
„Es könnte einen Versuch wert sein?!"
Es würde keinen Versuch wert sein.
Tessa wusste das.
Dennoch versuchte sie ihn davon zu überzeugen einen Weg anzunehmen.
Alexander schnalzte mit der Zunge während er den Kopf leicht schüttelte und seinen Blick immer wieder über ihr Gesicht wandern ließ. Von ihren Augen über ihre Nase zu ihren Lippen wo seine Augen jedes Mal für einen so kurzen Moment hängen zu blieben schienen, dass Tessa sich nicht sicher war, ob sie es sich eventuell nur einbildete.
„Sei mal ehrlich Tessa - was macht dich so richtig wütend? Unehrlichkeit? Untreue? Verrat?" , seine Augen bohrten sich in ihre und er schien zu versuchen in ihre Seele blicken zu können.
Tessa wühlte in ihrem Kopf nach einer passenden Antwort verwarf aber jede einzelne wieder.
„Ich bin selten wütend."
Sie konnte sich tatsächlich nicht an das letzte Mal erinnern, an dem sie wirklich wütend gewesen war. Wann sie das letzte Mal das Bedürfnis verspürt hatte Türen hinter sich zuzuknallen, zu schreien und irgendetwas das ihr im Weg stand zu zerstören.
Tessa hatte viele solche Momente in ihrer Jugend gehabt.
Oft hatte ihre Mutter in ihrer Vergangenheit einen Nerv bei Tessa treffen können, der sie zum eskalieren brachte.
Aber das war lange her. Inzwischen konnte Tessa anders auf Provokation reagieren.
Alexanders Blick war immer noch auf Tessa geheftet. Er wusste, dass sie nach einer Antwort suchte und keine finden konnte, die ihr passte.
„Wenn dein Typ dich hinter geht, eine andere Frau bumst, während du zuhause wartest, bist du doch wütend."
Tessa sah sofort Benjamin vor sich. Wie sie vor einer Woche in dem beschissenen Kaffee in der Nähe des U-Bahnhofes gesessen hatten und er nervös in seiner Tasse herum gerührt hatte.
Wie er sie angesehen hatte, voller Mitleid und schlechten Gewissen und dennoch mir einer Standhaftigkeit im Blick.
Er hatte seine Entscheidung getroffen.
Sie tat ihm leid, aber das würde nichts an der Situation ändern.
Sie sah sich selber ihm gegenüber sitzen mit rasendem Herzschlag und schwitzigen Händen. Mit einer Übelkeit die ihr in den Magen traf.
Unvorbereitet.
Ohne Vorwarnung.
Ihr wurde an dem Tag der Boden unter den Füßen weggerissen.
Sie hätte am liebsten die Zeit angehalten.
Ihre Wunden geleckt.
Sie hätte am liebsten den Tag vergessen an dem sie es erfuhr.
Sie spürte die Tränen die ihre Wangen heruntergelaufen waren noch deutlich auf ihrem Gesicht.
Ja, er hatte sie verletzt und sie fühlte sich hintergangen, aber sie war nicht wütend über ihn oder die neue Frau an seiner Seite.
Manchmal mussten sich Türen schließen um neuen die Chance zu geben sich zu öffnen.
„Nein, das war ich nicht." , ihre Stimme klang belegt als sie antwortete. Viel zu monoton und rau. Als müsste sie sich dringend räuspern.
Erst als sie erneut in Alexanders Gesicht schaute, wurde ihr klar, dass sie soeben einen Teil von sich preis gegeben hatte.
Dass sie etwas aus ihrem Privatleben preis gab, dass eigentlich nicht für ihre Patienten bestimmt war.
Allerdings hatte sie schon viel zu viel vor Alexander Preis gegeben, als sie sich ihre Bluse von ihm hat herunterreißen lassen.
In diesem Moment, indem sie Alexander ansah konnte sie mehr Emotionen über sein Gesicht huschen sehen, als sie bisher erlebt hatte.
Er schien selber überrumpelt von ihrer Antwort, als wüsste er nicht was er antworten sollte.
Er schien ebenso ungläubig, über ihre Aussage.
Und für einen kurzen Moment konnte sie einen Hass in seinen Augen aufblitzen sehen mit dem sie nicht gerechnet hatte.
Eine Wut die unberechenbar sein konnte.
„Was warst du dann?"
Sie schluckte ihre eigene Überraschung herunter ehe sie antwortete. Das Gespräch hatte eine Wendung genommen die persönlicher wurde.
„Ich war verletzt. Ich war traurig und sicherlich auch enttäuscht. Aber nicht wütend. Niemand kann etwas dafür, wenn sich jemand in eine andere verliebt."
Er beobachtete sie für einen weiteren Moment bevor er antwortete : „dann hast du ihn nicht geliebt."
Und sie würde es niemals zugeben, aber vielleicht hatte er Recht damit.
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