Kapitel 10
Normalerweise rauchte Tessa nicht.
Sie schnorrte sonst nur auf Partys auf denen alle betrunken waren gelegentlich eine Zigarette, um mit Freunden draußen zu stehen und dieses vermeintliche Gemeinschaftsgefühl zu erleben.
Aber ihre letzte Sitzung hatte sie gestresst. Mehr als sie es erwartet hätte.
Es ist nichts ungewöhnliches passiert und die Sitzung mit Jason Dokahol lief relativ entspannt ab, aber sowohl seine Körpersprache als auch seine Mimik und seine Art Sachen zu sagen, hatten Tessa schlecht werden lassen.
Er war kein angenehmer Patient.
Es war eine unangenehme Sitzung mit ihm und sie war sich, nach seinen letzten Worten, sicher, dass sie ihn öfter in ihrem Büro haben würde.
Vielleicht irgendwann sogar öfter als Alexander.
Sie wollte nicht daran denken.
Nach nur wenigen Zügen von der Zigarette zerdrückte Tessa die rote Glut im Aschenbecher und ließ den nur noch qualmenden Glimmstängel ins Innere fallen.
Der Innenhof der für die Mitarbeiter vorgesehen war grenzte an den Innenhof der Insassen und war durch einen unangenehmen Maschendrahtzaun getrennt.
Als wäre der Innenhof der Mitarbeiter in irgendeiner Art besser.
Er war genauso mit grauem Kies zugeschüttet, es gar ein paar Sitzmöglichkeiten und ein vorstehendes Dach, um sich bei Regen vor den nassen Tropfen schützen zu können und trotzdem Zeit im Hof zu verbringen.
Der einzige Unterschied war ein Snackautomat und ein Getränkeautomat im Hof der Mitarbeiter die neben der Eingangstür standen.
Tessa ließ viel zu viel Kleingeld in dem Automaten verschwinden, nur um eine kleine Packung Kaugummis zu erhalten. Sie konnte den Geschmack von kaltem Rauch in ihrem Mund, der sich ausbreitete nachdem man die Zigarette zu Ende geraucht hatte, nicht leiden.
Bevor Tessa in den Gängen des Gefängnisses verschwand, lies sie ihren Blick ein weiteres Mal über den Innenhof wandern.
Und dann fing sie seinen Blick ein.
Seine eisblauen Augen blitzen kurz auf, als seine Augen ihre trafen.
Alexander stand mit einigen anderen Insassen an den Klimmzugstangen. Tessa war sich sicher, dass wenn sie sich einige Zeit länger auf dem Hof rumdrücken würde, würde sie einen Blick auf Alexander beim Training werfen können.
Sie könnte sehen wie sich seine Muskeln anspannen während er seinen Körper an der Metallstange nach oben zog.
Sie könnte beobachten, wie er mit der Anstrengung zu schwitzen begann und seine Oberarme noch muskulöser wirken würden als sowieso schon.
Kurz spielte sie mit dem Gedanken einfach zu bleiben, sie wusste allerdings, dass das für ihr Kopfkino nicht unbedingt förderlich sein würde.
Sie warf ihm noch einen letzten Blick zu, ein kleines Lächeln stahl sich auf ihr Gesicht als er ihr lässig zunickte, bevor sie im inneren der Gefängnismauern verschwand.
Es würde nicht lange dauern, bis sie Alexander am heutigen Tag wiedersah.
Er hatte um 13 Uhr einen Termin bei ihr.
Wahrscheinlich würde er direkt nach dem Mittagessen zu ihr ins Büro kommen.
Tessa konnte die Vorfreude nicht leugnen Zeit mit ihm alleine zu haben.
Sie konnte es nicht leugnen, dass sie es kaum erwarten konnte mit ihm in ihren kleinen Büro zu sitzen und ihm zumindest etwas nah sein zu können.
Auch wenn zwischen ihnen immer ein großer Tisch stand - wie ein Wall der beide von einander trennte. Der eine zufällige körperliche Nähe, zu der sie sich in seiner Anwesenheit wie ein Magnet angezogen fühlte, schwierig machte.
„Tessa wie schön dich zu sehen! Wie waren deine ersten Tage?" , Ronald strahlte sie an, als er sie sah und drehte abrupt die Richtung um Tessa noch einige Schritte zu begleiten.
„Die ersten Tage waren sehr gut, muss ich sagen. Ich muss mich noch etwas zurechtfinden, aber ich habe das Gefühl mich immer besser orientieren zu können." , Tessa lächelte den freundlichen Sicherheitsbeamten zu, während sie ihren Gang etwas entschleunigte, damit Ronald ihr nicht hinterher hasten musste.
„Natürlich." , Ronald tätschelte Tessas Schulter. Es war eine motivierende und liebevolle Geste. „Als ich hier vor 15 Jahren meinen ersten Arbeitstag hatte, dachte ich ich würde mich in dem großen Gebäude nie zurechtfinden." , er lachte ehe er weitersprach „und heute kenne ich jede Ecke des Gefängnisses wie meine Westentasche." , Ronald lachte wieder und haute sich mit der Handfläche gegen seine imaginäre Westentasche.
Tessa konnte das Alter des Mannes schwer einschätzen. Sie war beeindruckt, dass er tatsächlich seit so langer Zeit an diesem trostlosen Ort ausharrte und dennoch mit einem Lächeln zur Arbeit erschien.
„15 Jahre. Das ist eine echt lange Zeit." , Tessa konnte die Bewunderung in ihrer Stimme selbst hören und sah, dass es Ronald mit Stolz erfüllte, dass jemand sein Durchhaltevermögen anerkannte.
Wahrscheinlich konnten die wenigstens Menschen seines Umfeldes verstehen, was es hieß sich für seine Arbeit im Gefängnis aufzuopfern.
Wie wertlos die eigene Arbeit erscheinen konnte, wenn man Menschen sah, die gebrochen ankamen und teilweise die Mauern die sie umgaben nie wieder verlassen würden.
Hoffnungslose Menschen zu betreuen die im Leben vermeintlich nichts mehr zu verlieren hatten.
Es konnte schmerzhaft sein am Abend die Mauern verlassen zu können, während einem Menschen dabei zusahen, die teilweise seit Jahren nichts mehr von der Welt in Freiheit mitbekamen.
Es war zwar erleichternd zu wissen, dass man selber gehen konnte aber bei jedem Schritt war einem das Schicksal der anderen bewusst.
Nicht das es falsch wäre, Menschen wie Jason Dokahol oder andere einzusperren, dennoch fühlte es sich komisch an.
„Ja nunja, es ist nicht immer einfach und ich hatte Momente in denen ich was anderes wollte, aber ich weiß doch, dass ich hier gebraucht werde.", Ronald blieb kurz vor Tessas Büro stehen, während sie in ihrer Manteltasche nach dem Schlüssel kramte.
Als Tessa die Tür zu ihrem Büro öffnete schenkte Ronald ihr ein letztes Lächeln ehe er den Weg wieder zurück ging.
„Hab' einen guten Tag Tessa." , sagte er und winkte ihr über seine Schulter zu.
Als Tessa ihr Büro betrat kam ihr der penetrant, unangenehme Geruch ihres letzten Patienten schlagartig entgegen.
Sie hatte fast das Gefühl der beißende Geruch nach Urin und Schweiß, wäre jetzt noch deutlicher vernehmbar als zu dem Zeitpunkt, als sie den Raum vor einer Stunde verlassen hatte.
Der Geruch schien in dem Stoff des Stuhles, auf dem Jason Dokahol gesessen hatte, festzuhängen. Als würde der Gestank sich einen Weg aus den Fasern des Stoffes suchen und die Luft um sie herum so stark zu verpesten, dass sie sich kaum in der Lage fühlte zu atmen.
Sie stellte den Stuhl auf dem der unsicher wirkende Mann gesessen hatte vor die Tür ihres Büros und nahm einen der Ersatzstühle, die in einem Aufbewahrungsraum standen, der ihr am ersten Tag von Ronald gezeigt wurde, mit in ihr Büro.
Vielleicht wurde die Luft davon etwas erträglicher werden.
Während sie darauf wartete, dass es 13 Uhr wurde erstellte Tessa ein psychologisches Profil über Jason Dokahol.
Das Protokoll und vor allem die Erstanalyse seines psychologischen Profil kosteten Tessa viel Arbeit.
Ihr fiel es schwer das Protokoll ihrer ersten Sitzung wertfrei zu schreiben und dennoch jeden seiner Blicke und Gesten wahrheitsgemäß aufzuzeichnen.
Es war eine Gratwanderung zu beschreiben wie er seine Augen hektisch immer wieder über ihren Körper hat wandern lassen und dennoch unsicher und verängstigt gewirkt hatte.
Er hatte gewirkt, als wäre er absolut eingeschüchtert und wüsste nicht, wie er sich in ihrer Anwesenheit verhalten sollte.
Gleichzeitig hatte er ihr ein solch ungutes Gefühl vermittelt, dass sie das Gefühl bekam er wäre ein gefährlicherer Straftäter als die meisten anderen die sie bisher in den Korridoren des Hochsicherheitstraktes bemerkt hatte.
Er wäre nicht einer der Männer der ihr hinterher grölen würde, wenn sie zur Arbeit erschien.
Er wäre einer der Männer denen sie zutrauen würde ihr in einer Ecke aufzulauern.
Alleine bei dem Gedanken wurde Tessa schlecht.
Aus einem Grund der in der Psyche von Jason Dokahol versteckt lag, hatte er auf sie eine Ausstrahlung, die sie erschaudern ließ - die ihr Angst machte. Eine Angst, die sich in Tessas gesamten Körper ausbreitete, wenn sie nur an die nächste Sitzung mit dem Mann dachte.
Sie schluckte das ungute Gefühl, dass sich beim abtippen des Protokolls in ihr ausbreitete herunter, während sie nach etwas Kleingeld suchte, um sich etwas zu trinken aus dem Automaten am Ende des Korridors zu holen.
Als sie ihr restliches Geld in den kleinen Schlitz des Automaten steckte, wurde ihr durch die Stille auf dem Korridor bewusst, dass sich die Häftlinge in diesem Moment wohl beim Mittagessen befinden würden.
Und das bedeutete, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis Alexander Brandon mit drei festen Schlägen an ihre Tür klopfen würde.
Sie spürte, dass sie sich auf ihn freute.
Dass sie sich freute mehr über ihn erfahren zu können.
Dass sie sich auf seine Anwesenheit freute.
Auch wenn sie wusste, dass dies kein angemessenes Verhalten für eine Therapeutin ihrem Patienten gegenüber war.
Und dennoch konnte sie die Vorfreude die sich wie ein leichtes Kribbeln in ihrem Bauch anfühlte, nicht abschalten.
Sie spürte das Gefühl ganz deutlich.
Als sie in ihrem Stuhl saß versuchte sie krampfhaft den Geruch im Zimmer zu ignorieren, während ihre Augen immer wieder zu den Zeigern der Uhr huschten.
Sie wusste es würde jeden Moment an der Tür klopfen und dennoch erschrak sie, als die vertrauten drei Schläge am Holz erklangen.
Sie war selten schneller an der Tür gewesen.
„Die Handschellen können Sie dem Häftling entfernen. Vielen Dank." , sie nickte dem Sicherheitsbeamten zu, als dieser den Schlüssel im Metall der Handschellen drehte und sie mit einem klick aufsprungen.
Sie vernahm deutlich den überraschten Ausdruck der über Alexanders Gesicht huschte.
Als sie die Tür schloss, nachdem Alexander eingetreten war spürte sie deutlich wie sich sein ganzer Körper anzuspannen schien.
Es wirkte, als wäre er unter Strom gesetzt worden.
Als würde er jeden einzelnen Muskel in seinem Körper in diesem Moment anspannen.
Tessa konnte sehen, wie Alexander seine Zähne aufeinander biss, wie sich seine Kiefermuskulatur deutlich anspannte.
Sie wusste nicht was es war, dass ihn dazu veranlasste seinen gesamten Körper anzuspannen und seine Hände zu Fäusten zu ballen.
Er drehte sich zu ihr um und sein Körper war ihrem gefährlich nahe.
Sie konnte seinen Atem spüren als er ausatmete, nachdem er anscheinend die Luft für einige Sekunden angehalten hatte.
„War Jason Dokahol hier?" , seine Augen guckten auf sie herab und seine Stimme war gefährlich ruhig.
„Ich kann nicht mit dir über meine anderen Patienten sprechen, Alexander." , sie holte kurz Luft „aber ich werde morgen Raumspray mitnehmen."
Er beobachtete jeder ihrer Bewegungen, während er einen weiteren Schritt auf sie zuging. Inzwischen war kaum noch Abstand zwischen ihnen.
Wenn Tessa versuchen würde den Abstand zu vergrößern, würde sie mit dem Rücken gegen die Tür prallen.
„War er hier?" , seine Stimme vibrierte während er sprach. Die Ruhe war aus ihr verschwunden seine Augen verengten sich, während er krampfhaft versuchte ruhig zu bleiben.
„Ich kann dir das nicht sagen." , Tessa wusste, dass Alexander die Antwort bereits wusste. Dass ihm der beißende Geruch vertraut war. Dass ihm klar war, dass der stinkende Mann mittleren Alters in ihrem Büro gewesen sein musste.
„Du darfst den nicht hier rein lassen."
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