II
»Die Boote sehen wunderschön aus.«
Langsam drehte ich meinen Kopf zur Seite.
»Seit wann sitzt du da?«
»Noch nicht lange. Lange genug.«
Ich richtete meinen Blick wieder auf das Meer.
Ich war mir sicher, dass er eben noch nicht dort gesessen hatte.
Ich musterte ihn misstrauisch.
Mit einer Selbstverständlichkeit, als würde er dort bereits den ganzen Tag sitzen, strahlte er eine Ruhe aus, die ich noch nie bei einem Menschen erlebt hatte. Sein blondes Haar tanzte im Wind, der uns umwehte, und seine Muskeln zeichneten sich unter einem weißen T-Shirt ab. Feingliedrige Hände lagen lässig auf seinen Beinen. Zwischen uns stand ein Rucksack auf dem Boden. Den hatte er wohl abgestellt, als er sich zu mir auf die Bank gesetzt hatte.
Das Lächeln, das er mir schenkte, hätte mein Herz schmelzen müssen. Aber da gab es nichts mehr, was hätte schmelzen können.
Ich spürte absolut gar nichts mehr. Mein Herz war zu Stein geworden.
Teilnahmslos beobachtete ich wieder die großen, weißen Flecken, die sich da draußen auf dem Meer immer näher kamen.
»Heute ist ein schöner Tag.« Seine Stimme war angenehm. Tief, dunkel, geheimnisvoll und sanft. Ich konnte es hören, aber in mir löste es nichts aus. Da waren keinerlei Emotionen mehr in mir.
Ich sah in den Himmel. Er war inzwischen blau und fast wolkenlos. Der Wind ließ nach und sogar das Meer hatte sich beruhigt und bildete nun eine nahezu glatte Oberfläche. Nur über dem Segelboot zu meiner Rechten hatte sich eine Wolkenformation gebildet, die gemeinsam mit dem Boot auf uns zusegelte. Eine nur noch leichte Brise, die uns ständig umwehte, bewirkte, dass die Sonne uns nicht verbrannte.
»Ja, das Wetter ist wohl gut.« Es war so bedeutungslos für mich.
»Es ist schön, hier zu sitzen und auf das Meer zu schauen. Es ist so friedlich. Ich mag das sehr. Es ist entspannend. Findest du das nicht auch?« Ich konnte spüren, dass er mich ansah und auf eine Antwort wartete. Ich nickte mechanisch.
»Ich bin übrigens Finn. Es ist doch in Ordnung, dass ich hier mit dir sitze, oder?«
Ich drehte meinen Kopf und sah ihn an. Auch auf den zweiten Blick sah er unverschämt gut aus. So hatte ich mir in der Vergangenheit den perfekten Mann vorgestellt. Damals. Vor ihm.
Finn hatte etwas Besonderes an sich. Er schien zu leuchten, aber das musste am Lichteinfall liegen. Sein Anblick löste keine Emotionen in mir aus, obwohl ich spürte, dass er es sollte. Ich konnte es ahnen. Doch in mir war nur noch eine hohle Leere.
Erneut nickte ich als Antwort auf seine Frage und wandte mich wieder dem Meer zu.
»Hast du vielleicht Lust, zu reden? Ich bin ein guter Zuhörer.« Ich spürte seinen Blick auf mir.
»Sagst du mir deinen Namen?«
Seine Worte drangen an mein Ohr, aber ich hatte das Gefühl, er hätte aus weiter Entfernung gesprochen.
»Kayleen.« Meine Stimme war kraftlos. Gebrochen. Wie mein Herz. Trotzdem drängte etwas in mir dazu, diesem wildfremden Mann zu antworten. Es war ein Trotz, der sich tief in mir zu regen begann.
»Ein schöner Name.« Als ich ihm, wie in Zeitlupe, meinen Blick wieder zuwandte, lächelte er mich an. »Kennst du seine Bedeutung?«
Diesmal schüttelte ich den Kopf. Eine kleine Bewegung, die mich eine unendlich große Kraftanstrengung kostete.
»Er bedeutet so viel wie »Seelenwächterin«. Eine wundervolle Übersetzung, findest du nicht auch? Ich mag übrigens die Bedeutung von Namen.« Er lachte leise.
Ich wusste, dass es höflich wäre, ihm zu antworten, aber ich konnte nichts darauf erwidern.
Sein Blick veränderte sich. Er wurde weicher und ernster. Sein schönes Lächeln verschwand.
»Doch deiner Seele geht es nicht gut.«
Ich legte meinen Kopf schief. Finn hatte nicht gefragt. Es war eine Feststellung. Und sie traf mich im Inneren. Eine dumpf pochende Erinnerung wollte sich aus der Tiefe wühlen.
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