9. Kapitel: Sarah
Freitag, 31. Juli
Ruckartig schreckte ich aus dem Schlaf, als ich das laute Knallen der Haustür vernahm. Zunächst musste ich mehrfach blinzeln, um überhaupt zu realisieren wo ich war und was eigentlich gerade los war. Noch etwas verschlafen und leicht verwirrt sah ich mich um. Ich lag so schräg und verwinkelt in meinem Bett, dass man fast hätte meinen können, ich wäre eine Katze. Um mich herum und schön über den Boden verstreut lagen die teils geöffneten, teil noch verschlossenen Briefe. Ich hatte mir fest vorgenommen gehabt alle zu lesen, aber scheinbar war ich dann doch zwischendrin ungeplant eingeschlafen. Es war aber schließlich auch ein anstrengender und ereignisreicher Tag gewesen.
Von unten drangen Schritte und Gelächter an mein Ohr. Nathan musste zurück sein. Schnell setzte ich mich auf, strich mir durchs Haar, um wenigstens die schlimmste Frisur wieder etwas aufzubessern und sah zu meinem Wecker auf dem Nachttisch. Halb drei – morgens wohlgemerkt. Wo zur Hölle hatte er so lange gesteckt? Ich musste ziemlich lange geschlafen haben. Das letzte Mal als ich auf die Uhr gesehen hatte, war es gerade einmal elf gewesen. Eigentlich war mein Plan gewesen auf ihn zu warten und mit ihm zu sprechen oder zumindest es zu versuchen. Offensichtlich vergebens und scheinbar hatte er heute oder besser gesagt gestern wohl keine Lust mehr auf ein Gespräch mit seiner Nichte gehabt. Nicht einmal nach so einem verrückten Tag.
Gerade war ich aufgestanden und schon kurz vor meiner offen stehenden Zimmertür, da hörte ich wieder dieses Gelächter, was so gar nicht zu Nate passte. Ich hatte ihn noch nie solche Laute von sich geben hören. Nicht auf diese Art und Weise, sehr seltsam. Wie konnte er da nur so gut drauf und bester Laune sein? Oder war er am Ende schon wieder betrunken? Ich wollte besser erst gar nicht daran denken, aber wenn ich ehrlich zu mir war, konnte ich mir sonst keine plausible Erklärung zurechtlegen.
Ich trat in den Flur, hatte den Namen meines Onkels bereits auf den Lippen, den Mund schon zur Begrüßung geöffnet, da hörte ich zusätzlich auch noch jemand anderes lachen. Diese Stimme und das dazu gehörende Lachen kamen mir auch so überhaupt gar nicht bekannt vor, aber es gehörte definitiv zu einer Frau. Hatte Nate etwa doch eine Freundin? Ich hatte zwar erst gestern aufgrund der Briefe darüber nachgedacht, aber irgendwie war ich mir ziemlich sicher, dass ich oder zumindest meine Mum Bescheid wüsste, wenn es so wäre.
Ich entschied mich schließlich dafür, mich ruhig zu verhalten und ging leicht geduckt und auf Zehenspitzen zum Treppengeländer. Vorsichtig presste ich mich dagegen und linste über die Brüstung nach unten ins Wohnzimmer. Nate stand mit einer Blondine neben seinem Sofa und führte sie gerade, mit einer Hand auf dem unteren Rücken platziert, weiter in dessen Richtung. Die hochgewachsene Frau warf ihre kitschige Handtasche auf den kalten Boden und ließ sich neben Nate auf das Polster sinken, auf dem er bereits platzgenommen und nur noch auf sie gewartet hatte.
Ihr tiefer Ausschnitt, der knallrote Lippenstift, der so rein gar nicht zu ihrer Haut passte, das Outfit und das restliche Make-Up ließen mich die Stirn runzeln. Dieser Effekt verstärkte sich nur noch, als ich die Dame von vorne sah. Sie war bestimmt vier oder fünf Jahre jünger als Nate, wenn nicht sogar noch mehr. So genau konnte man das mit den Tonnen an Make-Up in ihrem Gesicht nicht sagen. Generell war ich mir nicht so ganz sicher, was an dieser Blondine überhaupt noch echt war.
Natürlich ließ sie sich nur kurz neben Nate nieder. Es dauerte nicht einmal zehn Sekunden und sie saß provokant auf seinem Schoß, fuhr ihm mit beiden Händen über die Brust und kicherte dabei wie ein dummes Huhn. Schon in dem Moment, als mein Onkel einen ganz seltsamen Gesichtsausdruck bekam, den ich so noch nie bei ihm gesehen hatte, das Lächeln erwiderte und seine Hände an ihre Hüfte wandern ließ, zog ich hastig meinen Kopf runter.
Es war offensichtlich in welche Richtung das gehen würde. Nein, das wollte ich mir nicht geben. Ich musste schwer mit mir kämpfen, dass mich die plötzlich auftretende Übelkeit nicht gänzlich überrollte. So etwas wollte man bei keinem Familienmitglied mitbekommen.
Nachdenklich verharrte ich hier oben am Geländer und schlang meine Arme um die angewinkelten Knie. Wer war bloß diese Tussi? Gehörte Nate tatsächlich zu der Sorte Männer die sich, wenn sie gerade dazu in der Stimmung waren, irgendwelche wildfremden Frauen anlachten und direkt zu sich nach Hause brachten, um für ein paar Stunden Spaß zu haben und sie danach rauszuschmeißen? Das wollte ich einfach nicht wahrhaben. Es passte einfach so rein gar nicht zu ihm oder zumindest zu dem Nate, den ich glaubte zu kennen. Hatte er etwa vergessen, dass ich auch noch hier war? Sowas machte man doch nicht, wenn man genau wusste, dass man nicht alleine war. Oder doch wieder betrunken? Vielleicht wusste er gar nicht so genau, was er eigentlich tat. Die Frage war, wie ich mich nun am Besten verhalten sollte. Das was da unten abging wollte ich jedenfalls nicht miterleben. Die Geräusche die von unten kamen, bereiteten mir ein immer mulmigeres und unangenehmes Gefühl. Vielleicht sollte ich mich doch besser bemerkbar machen und dazwischen gehen, bevor es gänzlich grässlich werden würde. Auch wenn das total peinlich sein würde und ich möglicherweise schon jetzt Dinge sehen würde, die ich in meinem ganzen Leben nicht mehr aus dem Kopf bekommen würde. Unschlüssig und nervös kaute ich auf meiner Unterlippe herum. Vermutlich blieb mir wirklich keine andere Wahl. Wer wusste schon, wie lange das gehen würde? Das konnte ich nicht mitmachen und schweigen. Schließlich wollte ich dann ja auch wieder schlafen.
Leise setzte ich mich wieder auf, holte tief Luft und seufzte, während mein Herz immer schneller zu schlagen begann. Ich hörte Nate und die Tussi reden, verstand aber nicht worum es ging, aber ich war mir ziemlich sicher, dass ich es auch gar nicht erst wissen wollte. Gott, war das peinlich. Wie sollte ich das bloß machen, ohne komplett im Boden zu versinken?
Kurz spielte ich mit dem Gedanken, es doch lieber sein zu lassen, doch das war eigentlich echt keine Option. Von Anfang an nicht. Genug war genug und außerdem wollte ich mit ihm sprechen. Vielleicht besser nicht jetzt, wenn er gerade mal wieder unter Alkoholeinfluss stand, aber wenn möglich dann umgehend am nächsten Morgen, der in wenigen Stunden schließlich schon anfangen würde.
Mein Puls raste und meine Wangen glühten, doch ich riss mich zusammen, stand auf und sah erneut runter in Nates Wohnzimmer. Die Lage war unverändert, aber es kam mir fast so vor, als wäre die Spannung in der Luft greifbar.
Ich versuchte mich zu räuspern. Erst zaghaft und mit Bedacht, dann immer etwas Lauter und Energischer. Nichts passierte. Keine Anzeichen dafür, dass Nate, geschweige denn Miss Künstlich etwas mitbekommen hatten. Offensichtlich waren sie zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Wer hätte das gedacht?
Meine bereits stark schwitzenden Hände verstärkten den Griff um das Geländer, was aktuell mein einziger Halt war, der mich davor bewahrte, schreiend davon zu laufen. Auch wenn mir der Gedanke überhaupt nicht gefiel, wurde mir schnell klar, dass das nicht zum gewünschten Erfolg führen würde. So schwer es mir auch fiel, ich musste nach unten zu den Beiden. Das war wohl der beste Weg.
In der Hoffnung, dass ich vielleicht doch noch den peinlichsten Moment in meinem Leben verhindern konnte, trampelte ich wie ein Elefant im Porzellanladen die Stufen runter, doch leider half mir das auch so überhaupt gar nicht weiter. Nach wie vor Gekicher und andere eindeutige Geräusche.
Endlich am Ende der Stufen angekommen, erhaschte ich wiederholt einen Blick auf sie. Die Tussi war wohl offensichtlich gerade dabei Nates Hemd aufzuknöpfen, denn obwohl ich hauptsächlich nur sie sah, bemerkte ich die bereits großzügig geöffneten Knöpfe unterhalb des Kragens. Anscheinend ging Nate das aber nicht schnell genug, denn jetzt war er auf einmal mit seinen Händen unter ihrem eng anliegenden Top und koordinierte sie rücklings aufs Sofa, während er sie keine Sekunde aus den Augen ließ. Ich war zwar noch jung und hatte keine große Ahnung, aber ich erkannte den Ausdruck in seinen strahlenden Augen selbst von hier.
Er packte sie sanft am linken Oberschenkel und versuchte mit der anderen Hand gleichzeitig ihr Oberteil nach oben zu schieben. Die Frau versuchte ihn zu küssen, doch er legte ihr bloß schnell einen Zeigefinger auf die Lippen. Im ersten Augenblick wirkte sie irritiert, aber schien sich nicht weiter daran zu stören. Eine interessante Geste und ich war mir daraufhin doch ziemlich sicher, dass die Dame also nicht seine Freundin war.
„Ähm... Nate?", fragte ich fast schon schüchtern in den großen Raum, während ich meine Handflächen nervös aneinander rieb. Wie konnte man nur so taub sein? Und dann auch noch beide!
Ich hörte, wie er ihr etwas ins Ohr säuselte. Mittlerweile war ich wirklich nicht mehr sehr weit entfernt vom Ort des Geschehens. Gerade überlegte ich, ob ich mir tatsächlich irgendeinen Gegenstand holen und auf sie werfen oder einen Eimer Wasser über sie kippen sollte, doch da drehte mein Onkel sich gerade so zur Seite, dass er mich natürlich sofort sah.
„Was zum... Sarah! Was... machst du denn hier! Verdammt nochmal!", rief er erschrocken aus, als sein Hirn nach einem kurzen Augenblick des Anstarrens wohl begriff, wer da eigentlich vor ihm stand.
Eilig versuchte er aufzustehen, blieb dabei aber irgendwo hängen und fiel bäuchlings auf den Boden vor dem Sofa. Noch während er völlig hektisch und durcheinander versuchte aufzustehen, schloss er wieder seine Gürtelschnalle und begann umgehend danach auch mit raschen Handbewegungen sein Hemd so gut es ging wieder zuzuknöpfen. Das klappte jedoch nicht so wirklich. Die Knöpfe passten nicht zu den Löchern, doch scheinbar merkte er das gar nicht.
Ich sah die Überraschung in seinem Gesicht, wohingegen die Blondine immer noch auf dem Sofa hockte und offenkundig enttäuscht aussah.
„Gute Frage... Ach ja, genau! Ich verbringe doch gerade hier meine Ferien. Bitte entschuldige, dass ich mir jetzt nicht unbedingt möglicherweise stundenlang euer Gekicher anhören will", entgegnete ich amüsiert und verschränkte doch irgendwie amüsiert über diese obskure Situation die Arme vor der Brust.
Blondi schien sich nicht angesprochen zu fühlen. Ihr IQ schien noch niedriger zu sein, als von mir angenommen. Ich hätte Nate echt nie im Leben für jemanden gehalten, der tatsächlich etwas auf solche Frauen hielt. Bevor Nate etwas entgegnen konnte, kam sie ihm aber dann doch zuvor, obwohl er den Mund bereits geöffnet hatte.
„Was ist denn jetzt, Nate? Ich warte", sagte sie in einem Tonfall, der mich fast mein Essen hochwürgen ließ. Einfach nur billig. Zu allem Überfluss stand sie jetzt auch noch auf, ging hinter Nate und schlang ihm provozierend von hinten die Arme um die Brust.
„Verflucht, es reicht jetzt, Roxanne! Nicht vor meiner Nichte!", fuhr er sie an und entledigte sich unsanft ihrer Umklammerung, was sie doch ernsthaft zu einem Schmollmund veranlasste.
„Ach, plötzlich stört es dich, ja?", gab ich nun ebenfalls absichtlich provozierend meinen Kommentar ab.
„Sarah, jetzt...", begann Nate und machte den Anschein, dass er jeden Moment aus lauter Zorn und Unentschlossenheit in dieser Situation platzen würde, doch dann unterbrach er sich selbst und holte erst einmal tief Luft. „Roxanne, bitte geh jetzt", sagte er dann. Sein Tonfall ließ keine Widerrede zu und das schien selbst Blondi zu kapieren, denn sie sah ihn augenblicklich sauer an, schnappte sich ihre Tasche, richtete sich ihr Oberteil und dann hörten wir auch schon, wie die Haustür mit einem lauten Krachen ins Schloss fiel.
„Wie? Keine Entschuldigung Blondi gegenüber?", fragte ich gespielt schockiert nach und sah ihn schräg an. Es machte Spaß ihn zu provozieren.
„Nenn sie nicht so", entgegnete Nate lediglich und ließ sich wie ein Kartoffelsack wieder aufs Sofa sinken.
„Hast du wieder getrunken oder was?", stellte ich ihn harsch zur Rede. Nathan schüttelte nur den Kopf.
„Nein, ich habe mir nur zwei oder drei Bier gegönnt. Alles in Ordnung", murmelte er zähneknirschend und sah mich dann aber endlich an. „Darf ich nur, weil du momentan hier bist in meinem Haus etwa nicht mehr machen was ich will?"
„Du musst doch zugeben, dass es etwas unangebracht ist so etwas bei einem Familienmitglied miterleben zu müssen oder?", konterte ich immer noch trotzig und in einer gewissen Abwehrhaltung, als mir sein aufgebrachter Blick auffiel.
„Ich dachte du schläfst schon", gab Nate beherrscht zurück und fuhr sich mit der rechten Hand durchs Haar.
„Naja, so laut wie ihr wart... Was war das überhaupt für eine? Kennst du die schon länger?", hackte ich nach einer längeren Stille dann doch nach, jedoch erhielt ich keine brauchbare Antwort.
„Ich wüsste nicht was dich das angeht", schoss Nate giftig zurück und ich merkte, dass ich womöglich zu weit gegangen war, doch ich beließ es dabei.
Vielleicht waren wir beide einfach nur müde und deshalb sowieso schon mehr gereizt als sonst... Nachdem wir nun aber beide unschlüssig hier in Nathans überdimensionalen Wohnzimmer standen und er auch nicht richtig zu wissen schien was er mit sich anfangen sollte, fasste ich kurzerhand einen Entschluss. Ich hatte schon wenige Stunden zuvor keine richtige Antwort bekommen, also wollte ich vorerst wenigstens dafür eine Erklärung hören. Vielleicht keine gute Idee, aber die Gelegenheit kam vielleicht nie wieder.
„Was sind das für Briefe unter deinem Bett?"
Kaum, dass ich die Frage ausgesprochen hatte, zuckte Nate richtig zusammen.
„Wovon redest du?", entgegnete er, jedoch war seine Stimme eindeutig zu stark desinteressiert.
„Ach komm schon, Nate. Wir sind doch mittlerweile über dieses Level hinaus oder?", versuchte ich ihm ins Gewissen zu reden, auch wenn ich mir fast schon sicher war, dass das auch diesmal nicht bei ihm ziehen würde. Die Art, wie er nun seine Zähne so fest zusammenbiss, dass seine Wangenknochen sich deutlich unter seiner Haut abzeichneten, zeigte mir deutlich, dass er genau wusste, wovon ich redete, doch er war offensichtlich nicht bereit mit mir darüber zu sprechen.
„Sag mir mal lieber, wieso du in meinen Sachen herumschnüffelst, Sarah", konterte er nach einem etwas ausgedehnterem Schweigen und ich musste zugeben, dass ich zunächst nicht genau wusste, wie ich darauf antworten sollte. Nate wirkte gefährlich ruhig.
„Wenn ich keine Antworten bekomme, suche ich mir meine Antworten eben selbst", antwortete ich trotzig, woraufhin Nate endlich seinen Blick anhob und mich ansah.
Seine gesamte Haltung und Körpersprache war gerade wirklich sehr seltsam und es lag dieser ganz besondere Ausdruck in seinen Augen, der mich stutzen ließ. Sie wirkten plötzlich so leer, aber gleichermaßen las ich auch großen Schmerz aus ihnen heraus. Aber wieso? Schließlich hatte Nate keinen direkten Bezug zu den Briefen und der bedingungslosen Liebe, welche hinter den Worten stand. Er hatte mit großer Wahrscheinlichkeit weder seinen Vorfahren, noch die Frau mit der der Schriftwechsel stattgefunden hatte gekannt.
„Was fällt dir ein dich in mein Zimmer zu schleichen? Darf ich kein Privatleben mehr haben, solange du hier bist? Es gibt einfach Dinge, die dich nichts angehen, Kleine. Ist das so schwer für dich in den Kopf zu bekommen?", brach mein Onkel ohne weitere Vorwarnung aus. „Wie viele Briefe hast du gelesen?", fuhr er kurz darauf fort und sah mich nun mit so einem durchdringenden Blick an, dass man gerade meinen konnte, von der Antwort auf diese Frage hinge sein Leben ab.
„Fast alle", sagte ich, ohne auf den ersten Teil seiner kleinen Ansprache einzugehen.
„Verdammt nochmal, Sarah! Verflucht, wieso musst du dich aber auch immer in alles einmischen? Wieso kannst du die klaren Grenzen nicht akzeptieren und einhalten?", fuhr Nate mich nun sichtlich gereizt und sauer an. Es erstaunte mich doch immer wieder, wie schnell seine Stimmung in letzter Zeit kippen konnte.
Gut, vielleicht war es doch keine so gute Idee gewesen dieses Thema ausgerechnet jetzt anzusprechen, aber ich hatte mich einfach nicht länger zusammenreißen können. Ich musste es einfach wissen und jetzt wurde meine Neugierde noch schlimmer. Wieso reagierte Nate so? Wieso lagen ihm diese zugegebenermaßen sehr romantischen und zu gleichen Teilen voller Liebe, als auch Trauer gefüllten Briefe so sehr am Herzen? Ich konnte mir einfach keinen Reim darauf machen.
„Warum regst du dich denn so auf? Die Briefe betreffen dich doch nicht einmal. Ich will einfach nur gerne wissen, wer Samantha war und ob du deinen Vorfahr, der zufälligerweise auch Nathan hieß, kanntest. Das ist alles", meinte ich schulterzuckend und verstand die ganze Aufregung nicht. Anfangs hatte ich sehr wohl meine Hemmungen gehabt durch Nathans Sachen zu gehen, aber mittlerweile war mir das so hoch wie breit. Wenn er mir gegenüber nicht mit offenen Karten spielte, musste ich das schließlich auch nicht oder?
„Wo sind die Briefe jetzt, Sarah? Was hast du mit ihnen gemacht?", schrie Nate nun schon fast, während er wie von einer Biene gestochen vom Sofa aufsprang und mich mit feurigen Augen förmlich durchbohrte.
Er überging mich einfach, aber bei diesem Verhalten musste ich sowieso erst einmal schlucken und dachte gar nicht mehr großartig daran.
„In... in meinem Zimmer. Ich wollte sie alle in Ruhe lesen, aber ich bin währenddessen eingeschlafen und erst wieder aufgewacht, als du und Miss Künstlich hier herein geplatzt seid", erklärte ich etwas verunsichert.
Als Nate das hörte, ging er einen großen Schritt auf mich zu, so als ob er etwas ganz Bestimmtes tun oder sagen wollte, doch scheinbar hielt er sich innerlich gerade noch rechtzeitig zurück, denn er erstarrte kurz vor mir in der Bewegung. Nervös war ich ein kleines Stückchen vor ihm zurückgewichen. Ich konnte schon verstehen, wieso er sich so darüber aufregte, dass ich durch seine Sachen gegangen war, doch ich glaubte, dass das nicht einmal das eigentliche Problem war. Viel mehr war für ihn scheinbar der Knackpunkt, dass ich die Briefe gefunden und fast alle gelesen hatte.
Für einen Moment musterte er mich lediglich, doch dann ließ er abrupt von mir ab, stürzte zur Treppe und ich konnte gar nicht so schnell gucken, da war er bereits in meinem Zimmer verschwunden. Eilig hechtete ich meinem Onkel hinterher, der bereits begonnen hatte, alle Briefe zusammenzusuchen, zu ordnen und wieder sorgfältig in der Kiste zu verwahren.
„Hättest du nicht wenigstens etwas vorsichtiger damit umgehen können?", blaffte er mich an, jedoch ohne auch nur eine Sekunde den Blick von den für ihn wohl doch sehr wertvollen Briefen zu wenden.
„Was kümmert es dich?", meinte ich desinteressiert, während ich mich mit vor der Brust verschränkten Armen in den Türrahmen lehnte.
„Ich werde einen Teufel tun und dir das sagen! In Zukunft lässt du gefälligst deine Hände aus meinen Sachen, klar?", schrie Nate schlussendlich und drückte sich unsanft an mir vorbei, nachdem er endlich alles aufgesammelt hatte und schlug lautstark die Tür zu seinem Schlafzimmer hinter sich zu.
Eine wirklich interessante Wendung wie ich fand. Gut, ich war kein Stück schlauer geworden und hatte wohl die peinlichste Situation erlebt, die man nur erleben konnte, aber es war wenigstens schon einmal ein Anhaltspunkt. Zu gerne würde ich ihm nachgehen und ihn so lange nerven, bis er mit etwas mehr Informationen herausrücken würde, doch ich war mir ziemlich sicher, dass das überhaupt keine gute Idee war.
Noch immer stand ich im Türrahmen, als mich eine Idee durchzuckte. Als ich mein Handy aus der Hosentasche zog, sah ich bereits drei verpasste Anrufe von ihm auf dem Display. Offensichtlich machte er sich nach der Aktion am Strand Sorgen. Ich überlegte. Es war zwar mittlerweile fast halb vier morgens, aber ich konnte jetzt nicht einfach schlafen gehen. Hoffentlich war Kaden mir nicht böse. Eilig ging ich zurück in mein Zimmer, schloss die Tür und tippte auf Kadens Namen.
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