8. Kapitel: Nathan
Donnerstag, 30. Juli
„Was ist denn mit dir wieder los heute, Nate?", sprach Damien mich plötzlich an und riss mich so aus meinem Trübsinn.
„Nichts, ich bin nur müde und schlecht gelaunt", gab ich lustlos zurück und widmete mich wieder meinem Auftrag.
Eigentlich war ich alleine hier hochgeschickt worden. Wieder auf der anderen Seite der Insel, wieder im feuchten Regenwald. Vor einem Haus, was etwas abseits von allen anderen stand und welches so tief in dem Urwald lag, dass niemand von den Nachbarn etwas bemerken würde. Wieso Damien und noch ein anderer Kerl, den ich noch nicht kannte, weil er neu bei den Keepern war, mitgekommen waren, war mir nicht ganz klar. Besser gesagt: Ich wollte besser nicht darüber nachdenken. Nauk wollte mich augenscheinlich kontrollieren. Ob ich meine Arbeit noch ordnungsgemäß ausführen konnte. Aus welchem Grund auch sonst hätte sie mich so abrupt wieder hierher beordern sollen?
„Nathan, worauf wartest du?", wendete sich nun der neue Keeper an mich.
„Du hast einen dienstälteren Keeper nicht so respektlos anzusprechen, klar? Das ist immer noch mein Auftrag und den führe ich aus, wie ich es für richtig halte", entgegnete ich giftig und schenkte dem Kerl den unfreundlichsten Blick, den ich machen konnte. Er verstummte sofort und musterte plötzlich ganz interessiert seine schwarzen Sneakers, die für meinen Geschmack nicht unpassender hier sein konnten.
Ich richtete noch einmal mein Sakko und meine Krawatte und wartete, bis ich mir sicher war, dass die beiden hinter mir endlich die Klappe halten würden. Damien wusste, wann er mir nicht in die Quere zu kommen hatte, doch bei dem Neuen war ich mir noch nicht so sicher. Schlussendlich klingelte ich aber.
Als das junge Opfer die Tür öffnete, starrten ihm drei nicht gerade freundlich dreinschauende Männer entgegen. Ich verstand seine Angst, als er sofort versuchte, uns die Tür wieder vor der Nase zuzuschlagen, doch dafür war es zu spät und auch selbst wenn er es geschafft hätte, das wäre überhaupt kein Hindernis für uns gewesen.
Blitzschnell schoss mein linker Fuß vor und klemmte sich zwischen Tür und Angel. Während der junge Mann, dessen Hintergrund ich natürlich nicht weiter kannte immer noch versuchte meinen schwarzen Lackschuh herauszustoßen, zog ich ganz gelassen und mit einer Seelenruhe meine Lederhandschuhe an und schloss den Verschluss.
Während mein einer Fuß immer noch in der Lücke verblieb, holte ich nun mit dem anderen aus und trat die dünne Haustür mit einem ordentlichen Tritt ein. Der Mann dahinter taumelte und fiel rücklinks zu Boden. Ich machte unbeirrt einen weit ausholenden Schritt in das von innen betrachtet noch hässlichere Haus. Einfach und billig hochgezogen.
„Wer zur Hölle sind Sie? Ich... ich rufe die Polizei!", stammelte der immer noch am Boden liegende Blondschopf.
Er versuchte dabei doch tatsächlich einschüchternd zu klingen, doch natürlich scheiterte er dabei kläglich. Allein sein Blick sagte mir schon etwas gänzlich anderes. Ganz zu schweigen von dem stetigen leichten Zurückweichen, während ich langsam immer näher auf ihn zukam.
„Also ob dir das etwas helfen würde. Abgesehen davon: Glaubst du wirklich, dass du es überhaupt bis zum Telefon schaffen würdest? Wohl kaum", antwortete ich ruhig, aber bedrohlich.
„Verschwinden Sie endlich aus meinem Haus, Spinner!", schrie er plötzlich und seine gespielte harte Fassade brach.
„Ich würde an deiner Stelle aufpassen wie du mit mir redest, Jason", knurrte ich, machte einen Satz nach vorne, drehte ihn mit einer schnellen Bewegung auf den Rücken und riss seine Arme nach hinten.
Jason stöhnte aufgrund meiner unsanften Behandlung und begann panisch zu zappeln, doch ich nagelte ihn kurzerhand auf dem Boden fest, indem ich mein eines Knie in seinen Rücken presste und mein gesamtes Gewicht auf ihn verlagerte.
„Woher... kennst du meinen Namen?", fragte er und ich hörte nun mehr als deutlich die Panik heraus. Ich konnte mir das Lachen einfach nicht verkneifen.
„Das ist wirklich alles worüber du dir gerade Sorgen machst? Du bist ja wahnsinnig", antwortete ich trocken und wieder ernst und holte nebenher mit meiner freien Hand die Kabelbinder aus meiner Sakkotasche.
„Was tust du da? Bitte, ich habe niemandem etwas getan! Das ist eine Verwechselung! Ich schwöre es! Lass mich gehen, bitte!", bettelte und flehte der Typ, doch ich fuhr unbeirrt fort. Ich konnte ihn kaum mehr verstehen, weil er mit dem Gesicht so fest an den Boden gedrückt wurde, dass er fast nicht mehr richtig sprechen konnte.
Seine Hände waren so eng aneinander fixiert, dass ich schon nach wenigen verstrichenen Sekunden sehen konnte, wie ihm das Blut aus den Händen wich.
„Nauk macht keine Fehler. Niemals", murmelte ich fast schon mehr zu mir selbst, als zu diesem armen Tropf, dessen Tod unausweichlich war.
„Was? Wer oder was soll das sein? Ich kenne nichts und niemandem mit diesem Namen."
Für den Bruchteil einer Sekunde lockerte ich meinen Griff etwas und war weit weg von dem Geschehen im Hier und Jetzt. Selbstverständlich musste der Idiot die von ihm geglaubte Chance nutzen und versuchte mit aller Kraft von mir loszukommen, doch das war zwecklos. Schlagartig war ich wieder voll da, packte ihn an den Schultern und riss seinen Oberkörper grob hoch, sodass er vor mir kniete.
„Halt endlich dein Maul und hör auf mit diesen erbärmlichen Versuchen dein klägliches Leben zu retten, Mistkerl", fauchte ich ihm ins Ohr, stand auf und stand nun blitzschnell unmittelbar vor ihm. Die Art wie er mich von untenher anstarrte, ließ mich völlig kalt.
Erst merkte ich es gar nicht, wie ich immer und immer wieder auf Jason einschlug. Ins Gesicht, in die Magengrube, was weiß ich wohin. Erst als meine geballte Faust voller Blut, der Mann vor meinen Füßen zusammengekrümmt und blutüberströmt vor mir lag, merkte ich richtig, was ich gerade tat. Ich hörte aber nicht auf. Nein, noch lange nicht. Im Nachhinein konnte ich wirklich nicht genau erklären, was da über mich gekommen war. Es war wie eine Art Sog gewesen, der mich dazu getrieben hatte. Tief in meinem Innern war mir klar, dass diese übermäßige Gewalt alles andere als nötig war und normalerweise war das auch überhaupt nicht meine Art, aber irgendetwas trieb mich dazu. Ich schob die Schuld eindeutig auf den in mir schier unstillbaren Zorn auf Nauk und die gesamte verfluchte Welt.
Ich befand mich schon in einem Stadium der Ekstase, in der mir alles nur noch gleichgültiger wurde und mich nichts und niemand mehr kümmerte. So genau bekam ich überhaupt nicht mehr mit, wie meine Faust immer erbarmungsloser auf mein Opfer herabsauste und ihn zum schmerzhaften Röcheln brachte.
Plötzlich legte sich eine Hand auf meine Schulter. Eine andere umklammerte, gerade als ich erneut ausholen wollte, mein Handgelenk. Rasend vor Wut drehte ich meinen Kopf ruckartig zur Seite und starrte dem Kerl ins Gesicht, der mich zurückhielt. Anscheinend war mein Blick so wild und mordlustig, dass selbst der Neue Angst bekam, denn er wich sofort vor mir zurück und ließ mich umgehend los. Trotz allem hatte er sein Ziel erreicht. Ich ließ ab von Jason.
„Was glaubst du wer du bist?", knurrte ich bösartig und ließ nebenher mein Opfer achtlos zu Boden fallen, welches ich bis eben unbewusst bei den Schlägen nach oben gezerrt hatte.
Ein dumpfer Aufschlag und kein ertönendes Keuchen oder Stöhnen signalisierte mir, dass Jason wohl das Bewusstsein verloren hatte. Ob erst jetzt oder schon während der Tortur war schwer zu sagen.
„Ruhig, Nathan. Er ist noch neu und weiß gar nicht genau, was hier eigentlich abläuft. Du erinnerst dich doch sicher noch daran, wie du dich damals gefühlt hast oder?", versuchte Damien auf mich einzureden und legte mir beruhigend eine Hand auf die Schulter.
„Was kümmert mich das? Er ist genauso verdammt wie wir und je schneller er sich damit abfindet, desto besser. Hat der Bastard etwa ein Problem mit übermäßiger Gewalt? Scheu vor der wahren Natur von Nauk? Oder ist er einfach nicht Manns genug um zu töten, wenn es darauf ankommt?", konterte ich, direkt in die Richtung des Neuen, während ich kleine Schritte auf ihn zumachte. Die Hand von Damien hatte ich gekonnt abgeschüttelt.
„Ein erbärmlicher Schwächling ist das hier. Wie konnte Nauk so einen Versager auswählen? Sieh dir mal die Angst in seinem Gesicht an! Der macht sich gleich in die Hosen", fuhr ich unbarmherzig fort und schubste ihn kräftig gegen die Wand, was ihn unmittelbar zurücktaumeln ließ. „Das, mein trauriger Freund, ist nur der Anfang. Gewöhn dich besser dran und zwar so schnell wie möglich, das macht es um einiges leichter. Ich spreche aus Erfahrung, also kannst du mir glauben."
„Nathan, was soll das?", ertönte Damien Stimme unmittelbar hinter mir, doch ich hob bloß warnend meine Hand, die ihn sofort verstummen ließ. Er wartete ab.
„Wie heißt du?", wollte ich von dem neuen Keeper wissen und ging vor ihm in die Hocke. Ich lächelte ihn an, doch anhand seiner Reaktion war mir klar, dass er mir das nicht abkaufte. Ganz so dumm war er also doch nicht.
„Äh... Rusty", bekam ich als Antwort gestammelt, doch ich nickte nur ernsthaft.
„Okay, Rusty", sagte ich, griff zum Holster unter meinem Sakko und holte meine Pistole hervor. Rustys Augen weiteten sich, doch ich schüttelte nur auch weiterhin falsch lächelnd den Kopf.
„Keine Sorge, dir will ich damit nichts Böses. Hier, nimm", erklärte ich und hielt ihm auffordernd den Griff der Waffe entgegen, doch er zögerte. „Komm schon, jetzt nimm sie. Angst sie zu benutzen oder was?" Diesmal war mein Tonfall nicht mehr so freundlich und verständnisvoll. Er merkte das, denn obwohl er schwer atmend oft zwischen meinen Augen und der Waffe hin- und herwechselte, nahm er sie schlussendlich doch entgegen. Meiner Meinung aber nicht aus Überzeugung, sondern aus Furcht, wie sich kurz darauf auch bestätigte.
„So, mein Freund", meinte ich erfreut, packte ihn grob an den Schultern und zog ihn vorwärts in die Richtung von Jason. „Lass mich dich testen, Rusty. Eigentlich ist das mein Job, aber ich lasse dir gerne den Vortritt. Leg diesen Typ da um, wenn du mir beweisen willst, dass ich mich in dir getäuscht habe."
Ich bohrte meine Fingerspitzen in den Nacken des Keepers und verstärkte den Rundumgriff um ein Mehrfaches. Mir entgingen nicht der heftige Herzschlag und die Schweißperlen auf seiner Stirn. Er hob langsam die Pistole hoch und zielte auf den Kopf des immer noch ohnmächtigen Mannes. So wie seine Hand zitterte und er mehrfach schluckte war mir sofort klar, dass er nicht den Mumm dazu hatte.
„Jetzt drück schon ab! Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit, du Memme", stachelte ich ihn nach einigen verstrichenen Augenblicken an, doch es half nichts. Dadurch wurde es nur noch schlimmer. „Und du willst ein Mann, ein Keeper sein?", fauchte ich, schnappte ihm blitzschnell die Pistole aus der Hand und drückte sie ihm unsanft an die Schläfe.
„Nate, das reicht jetzt! Lass ihn gefälligst los!", schrie Damien mich unerwartet an und ging bereits drohend auf mich zu, wie ich aus den Augenwinkeln erkannte. Ich lachte nur, nahm die Waffe weg und warf Rusty daraufhin mit voller Wucht an die Wand, an der er keuchend herabglitt und dort zusammengekauert auf dem Boden verweilte.
„Mit solchen Rekruten können wir nichts anfangen", murmelte ich gerade so laut, dass Damien mich noch hören konnte.
Ohne zu Zögern hob ich die Waffe in einer fließenden Bewegung wieder hoch und schoss dem Mann ins linke Knie. Natürlich kam er dadurch sofort wieder zu Bewusstsein und schrie qualvoll auf, das brachte mich aber nicht von meinem Vorgehen ab.
Als ich in gemächlichem Tempo nach draußen schlenderte und einen roten Kanister von meiner Pick-Up Ladefläche holte hörte ich zwar, wie Damien mir wütend hinterher schrie, doch ich beachtete ihn nicht.
Als ich aber wieder im Flur des kläglichen Hauses angekommen war, versuchte er mir den Kanister aus der Hand zu reißen, da er wohl zu ahnen schien, was mein Plan war. Er wusste aber eigentlich, dass ich stärker war als er, das hatten wir schon vor einer ganzen Weile deutlich herausgefunden. Wir verstanden uns in der Regel gut, aber trotz allem war ich der Boss.
„Lass es, Nate. Es ist genug", grummelte Damien, doch ich entzog ihm sofort wieder den Kanister und schlug ihm mit der freien Hand in die Magengrube.
„Du hast mir nichts zu sagen, Damien. Und jetzt nimm den Kleinen und dann raus mit euch. Wenn ihr nicht sofort verschwindet seid ihr eben auch dran", schrie ich ihn grob an, während er sich eine Hand auf seinen Bauch presste.
Den Blick den er mir zuwarf, als er den Kopf wieder hob, strotzte nur so vor Aufgebrachtheit.
„Na los!", brüllte ich jetzt, als er mich immer noch kühl anstarrte und versuchte zu widerstehen, doch dann schien schließlich seine Vernunft zu siegen, denn er löste seinen Blick von mir, schnappte sich den neuen Keeper und stützte ihn auf dem Weg nach draußen.
Nachdem ich endlich alleine war, drehte ich den Deckel vom Kanister ab. Sofort drang ein beißender Benzingeruch an meine Nase, also hielt ich die Öffnung soweit von mir fern wie nur möglich.
Jason, der sich immer noch am Boden krümmte, schien noch gar nicht genau zu verstehen, was hier eigentlich vor sich ging. Er war wohl zu sehr mit seinen Verletzungen beschäftigt, aber im Endeffekt spielte das auch überhaupt keine Rolle.
In aller Ruhe begann ich, die Fläche des Flurs einmal abzulaufen und die leicht entzündbare Flüssigkeit großzügig zu verteilen. Auch mein Opfer an sich ließ ich nicht aus und übergoss es ebenfalls mit etwas Flüssigkeit.
„Was... Nein, bitte nicht! Ich flehe dich an!", realisierte Jason endlich und versuchte aufzustehen, doch ich stieß ihn grob zurück auf den Boden, wo er geschlagen liegen blieb. Ihm fehlte schlichtweg die Kraft. Alles andere hätte mich auch sehr gewundert.
„Stirb wie ein Mann, Jason", sagte ich so leise, dass er es vermutlich nicht einmal gehört hatte.
Ein letztes Mal sah ich ihn an, ging dann in Richtung Ausgang und trat schließlich ins Freie. Als ich dort ankam, war der Kanister vollständig leer und ich pfefferte den leeren Plastikbehälter zurück auf meine Ladefläche. Wer wusste schon, ob ich ihn nicht bald noch einmal brauchen würde.
Damien stand urplötzlich neben mir. Seine Miene verhärtet. Von Rusty fehlte jede Spur. Vermutlich hatte er ihn in seinem Wagen verstaut. Damien sagte kein Wort, doch natürlich sah ich nun erst recht den Vorwurf und das Misstrauen in seinem Gesicht. Keiner von uns sagte etwas.
Langsam holte ich ein Feuerzeug aus meiner Hosentasche hervor und erzeugte eine kleine Flamme. Eigentlich war ich schon seit ein paar Jahren kein Raucher mehr, doch jetzt konnte ich einfach nicht widerstehen. Ich brauchte jetzt einfach eine Kippe und glücklicherweise hatte ich seitdem ich aufgehört hatte trotzdem immer noch eine Packung in meiner Sakkoinnentasche. Irgendwie hatte ich sie immer wieder eingesteckt. Vielleicht einfach aus alter Gewohnheit. Genüsslich zündete ich mir also eine Zigarette an und nahm einen tiefen Zug. Es war ein ungewohntes Gefühl, aber ich genoss es. In dem Moment, indem ich ausatmete und einen neuen Zug nahm, warf ich das Feuerzeug ein Stückchen vor mich. Es dauerte nur einen Wimpernschlag und die aufstrebende Flamme fraß sich in einer rasenden Geschwindigkeit über den getränkten Boden bis hinüber zum Haus. Ich sah, wie das Feuer bereits im Flur zu wüten begann und mit großer Wahrscheinlichkeit in wenigen Sekunden Jason erreicht haben musste. Die Flammen leckten auch bereits an der Außenverkleidung des Hauses. Es breitete sich immer weiter aus und begann die Umgebung in ein wärmendes Orange zu tauchen, was mit Sicherheit nicht unter dem normalen unauffälligen Vorgehen der Keeper zu verstehen war, doch eben das hätte mir in dieser Situation nicht gleichgültiger sein können.
Ich meinte einen erstickten Aufschrei vernommen zu haben, war mir aber nicht ganz sicher, da das Feuer nun weit über das Haus hinaus nach oben in den Himmel züngelte, dass es durchaus der Lärm der materiezerstörenden Flammen hatte sein können.
Noch während Damien und ich stumm zurück zu unseren Fahrzeugen liefen, nachdem wir uns das Spektakel einige Augenblicke angesehen hatte, brannte mir die Hitze des tobenden Feuers im Nacken.
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