17. Kapitel: Sarah
Samstag, 08. August
Ich wusste nicht genau wie viel Zeit vergangen war, seit Kaden aus dem Zimmer gestürmt war, in dem immer noch Sam an der Seite von Nate saß und sich um ihn kümmerte. Ich weigerte mich liebevoll zu denken, aber wenn ich ehrlich zu mir war, war es so. Ich wollte sie dafür nicht verurteilen, da es schließlich einmal ihre große Liebe gewesen war oder besser gesagt immer noch war, aber es fiel mir alles andere als leicht. Ich versuchte nach wie vor nicht allzu sehr darüber nachzudenken.
Ich hatte einige Zeit in meinem von Samantha zugewiesenen Gästezimmer verbracht, aber Kaden war nicht aufgetaucht. Ich hatte ihn seitdem nicht mehr gesehen. Er hatte sich irgendwohin verkrochen und ich hatte ihn auch nicht stören wollen, aber langsam machte ich mir Sorgen und zudem wollte ich einfach mal nach ihm sehen.
Entschlossen setzte ich mich auf dem Bett auf und beendete mein Trübsal blasen, während ich gefühlt Stunden an die raue weiße Decke gestarrt und beinahe schon begonnen hatte, die Unebenheiten zu zählen.
Als ich aus dem Zimmer trat, herrschte immer noch absolute Totenstille. Nicht einmal eine Uhr tickte irgendwo. Kaden war weit und breit nicht zu sehen. Ich ging nach hinten, wo am Ende des Ganges sein Zimmer lag. Die Tür stand weit offen, aber er war nicht darin. Ich zögerte. Abgehauen war er doch nicht oder? Das würde er nicht tun, nachdem er erst gesagt hatte, dass er meinetwegen bleiben würde. Oder hatte er es sich möglicherweise doch noch einmal anders überlegt. Nein, das glaubte ich einfach nicht.
„Kaden?", rief ich leise durch den Flur, doch es kam keine Antwort. Ich trat näher an die Balustrade und rief erneut, aber auch diesmal hörte ich nicht das geringste Geräusch.
Die Geräusche, die meine Schritte auf den kühlen Fliesen der Treppe hinterließen, klangen fast schon gespenstisch, angesichts der Tatsache, dass ich ganz allein hier war.
Da entdeckte ich ihn. Die Terrassentür stand leicht offen und er lehnte an dem Glasbalkon, der beinahe zu schweben schien und von dem aus man einen Blick über das gesamte Panorama hatte. Ich blieb kurz stehen und wartete, ob er mich vielleicht doch schon gehört hatte, doch anscheinend nicht. Vorsichtig quetschte ich mich durch den schmalen Spalt der bereits offenstehenden Tür und trat ins Freie.
Im ersten Moment musste ich meine Augen etwas zusammenkneifen. Ich hatte den ganzen Tag fast nur im Dunkeln und im Inneren des Hauses verbracht, da fühlte ich mich fast schon wie ein Vampir, als ich hier heraustrat.
Mittlerweile war es früher Abend geworden und die Sonne sank langsam aber sicher den Himmel hinab und färbte sich immer mehr rot-orange. Sie würde in wenigen Minuten bereits vollständig untergegangen sein. Auf Hawaii ging das alles immer ziemlich schnell und früh von statten.
„Kaden?", sagte ich erneut, diesmal aber mit dem Unterschied, dass er mich hörte.
Seine Arme lagen lässig auf der Balustrade, auf der er sich abstützte und über die Landschaft blickte, sein kakifarbenes T-Shirt flatterte lose im Wind. Als ich seinen Namen murmelte, bemerkte ich aber eine kaum wahrnehmbare Bewegung, doch er sagte nichts.
„Hast du dich überhaupt ausgeruht? Du musst doch auch mal müde sein", versuchte ich ein Gespräch anzufangen, nachdem einige Zeit lang nichts von seiner Seite aus gekommen war.
„Mir geht es gut, mach dir keine Sorgen", wimmelte er mich mehr oder weniger ab, was mich doch mehr kränkte, als ich angenommen hätte.
„Du musst vor mir nicht den harten Kerl spielen, das weißt du oder?", meinte ich sanft, ging auf ihn zu, umarmte ihn von hinten und legte mein Ohr an seinen Rücken.
„Es tut mir leid wegen vorhin, Sarah, aber diesen Kerl hier immer noch zu sehen, macht mich ganz wahnsinnig", gestand er schließlich und ich merkte, wie er stark ausatmete, dann aber doch endlich seine Hände auf die meinen legte.
„Dafür musst du dich nicht entschuldigen, Kaden. Uns allen fällt das gerade doch alles andere als leicht."
„Ich weiß, aber im Moment sollte ich wohl eher versuchen, mehr für dich da zu sein und nicht zu streiten, aber..."
„Ist schon gut, Kaden. Ich habe mich eh schon die ganze Zeit gefragt, wie du so ruhig bleiben konntest", beruhigte ich ihn auch weiterhin, während wir beide einfach nur auf die Weite des Landes starrten und den wärmenden Sonnenuntergang genossen. Einige Momente verstrichen, in denen wir beide nur hinsahen und schwiegen.
„Wir sollten wohl mal nach Sam sehen oder warst du zwischenzeitlich nochmal bei ihr?", brach Kaden schließlich das Schweigen, auch wenn ich das viel lieber so noch eine ganze Weile beibehalten hätte.
Es tat einfach wahnsinnig gut, wenn man nicht jeden Moment dazu gezwungen war, an sein eigenes gesamtes verkorkstes Leben zu denken, was sich nur noch immer tiefer und tiefer manifestieren würde und ich keinerlei Vorstellung davon hatte, wie schlimm alles noch werden würde in Zukunft. Wie ich mit allem umgehen sollte und ob am Ende alles noch schlimmer werden konnte, als es das eh schon war. Ging das überhaupt noch? Wie sollte ich das irgendwann alles meiner Mutter erzählen? Sollte ich sie etwa anlügen oder sollte ich ihr die Wahrheit sagen und es riskieren, dass sie mich mit fast hundertprozentiger Wahrscheinlichkeit für verrückt erklären würde?
„Nein, noch nicht. Ich... habe mich allein ehrlich gesagt nicht getraut", gestand ich, löste mich dann doch mal von ihm und lehnte mich selbst gegen die Brüstung.
„Das ist doch völlig verständlich, Sarah. Dafür kann dir keiner einen Vorwurf machen. Dann lass uns zusammen nach ihr sehen. Sie hat schon seit Stunden kein Auge mehr zugemacht", kam es von ihm und ich meinte diesmal doch tatsächlich trotz der ganzen abstrusen Situation so etwas wie Besorgnis in seiner Stimme wahrzunehmen. Trotz allem mochte er Samantha.
„Ja, du hast recht", seufzte ich und sah ihn dann bestätigend nochmal an.
„Ich kann auch alleine gehen, Sarah", ermutigte Kaden mich und drückte bestätigend meine Hand, doch ich schüttelte nur den Kopf.
„Ist schon okay, ich komme mit. Ich will sehen wie es ihr geht", antwortete ich wie aus der Pistole geschossen, doch innerlich fragte ich mich sehr wohl, ob das die ganze Wahrheit war und ich mir das einfach nur nicht eingestehen wollte.
Wieder nahm er mich an der Hand, als wir nach drinnen gingen. Diesmal war die Tür geschlossen, doch wir zögerten nicht lange und wir klopften auch nicht, da wir nicht der Annahme waren, dass wir stören könnten.
Als wir eintraten, schreckte Samantha gerade offensichtlich aus dem Schlaf hoch. Ihr Haar war zerzaust und ihr hing sogar etwas Speichel am Mundwinkel. Sie war wohl mit offenem Mund auf dem Stuhl vor dem Bett eingeschlafen. Der Oberkörper hatte beinahe auf seiner Brust gelegen.
„Wow, du siehst echt verdammt fertig aus", sprach Kaden hemmungslos das aus, was mir gerade auch durch den Kopf geschossen war, aber ich hätte es garantiert nicht so drastisch formuliert.
„Ich bin nur mal kurz eingenickt, es ist alles gut", konterte sie schon leicht giftig, was aber bestimmt auch von dem starken Schlafmangel kam.
Hastig wischte sie sich den Speichel vom Mund und den Schlaf aus den Augen und griff sofort wieder nach dem Stück Stoff, um seine Stirn zu kühlen. Diesmal lag er vollends ruhig da, ich sah lediglich wie sich seine Brust anhob und sich kurz darauf wieder absenkte. Er lebte also noch.
„Du solltest dich erst einmal hinlegen, Samantha. Ich übernehme das", bot Kaden jetzt an und musterte sie erwartungsvoll.
„Nein, auf keinen Fall. Nach der Nummer vorhin lasse ich ihn besser nicht alleine mit dir", entschied sie sofort energisch und schüttelte gleichzeitig auf der Stelle hellwach den Kopf.
„Ich werde deinem geliebten Nate schon nichts tun", schnaubte er verächtlich und rollte genervt mit den Augen, aber ich bemerkte trotzdem die Angespanntheit, die nun durch seinen Körper strömte. Ob es nun wegen ihr oder Nathan war, konnte ich nicht sagen.
Mein Blick hing auf Nathan. In seinem momentanen Zustand wirkte er zum wiederholten Male so friedlich, dass er mich an den Nate erinnerte, der er früher mal gewesen war.
Plötzlich durchfluteten mich wieder diese quälenden Bilder Erinnerungen in meinem Kopf. Ich bildete mir ein, seine Stimme wahrzunehmen, welche mich reflexartig zusammenfahren ließ.
„Sarah, alles okay bei dir? Du bist auf einmal wieder so blass. Soll ich dich erst einmal wieder auf dein Zimmer bringen?", fragte Sam besorgt, als sie meinen verlorenen Blick kurz streifte.
„Ich glaube ihr braucht beide dringend noch etwas Erholung", bemerkte Kaden entschieden, als er Sams besorgtem Blick gefolgt war.
„Ja, okay. Wenn es aber etwas Neues gibt will ich, dass ihr mich sofort weckt, ist das klar? Und benimm dich, Kaden", kam es nun eindringlich von ihr, während sie den Hawaiianer kritisch musterte.
„Ich verspreche es, aber jetzt ab mit euch."
Sanft legte er mir seinen Arm um die Schultern, zog mich kurz an sich und küsste mich beruhigend erst auf die Stirn, die Wange und schlussendlich auf den Mund. Ich spürte Samanthas Blick auf uns ruhen. Sie freute sich für uns, aber gleichermaßen schien auch eine Spur Eifersucht in ihr aufzukommen. Nicht auf Kaden natürlich, aber auf die ganze Situation an sich. Was wir hatten und sie nicht. Was bei uns so einfach zu sein schien, aber bei ihr nicht.
„Ich danke dir, Kaden", überwand sie sich dann doch zu sagen, woraufhin er ihr nur als Entgegnung zunickte.
„Schlaf gut", flüsterte mir der hawaiianische Junge abschließend noch ins Ohr, was meine Haut an der Stelle, an der mich sein Atem berührte, wieder kribbeln ließ.
Mit diesen Worten schob er mich mit leichter Gewalt in Richtung Tür und schloss sie dann leise hinter uns, nachdem wir hinausgetreten waren. Samantha seufzte erleichtert neben mir, nachdem sie wohl endlich die volle Erschöpfung zuließ und sich offenkundig über ein paar Stunden Schlaf zu freuen schien.
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