Run || Kapitel 2: Isabelle needs to work, work, work
Kapitel 2
Isabelle needs to work, work, work
"Erst mal gar nicht. Es tut mir leid, Isabelle."
Ich stand wie behindert da. Okay, behindert sagt man nicht, aber so war es nun einmal. Ich konnte mich nicht rühren und nicht sprechen. Aber wie ein Bekloppter glotzen, das konnte ich ziemlich gut. Meiner Meinung nach war ich gerade die Weltmeisterin des Glotzens. Yeah.
"Du siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen", stellte Colton fest und legte den Kopf leicht schief.
"Sollte ich sterben, werde ich dich sowas von heimsuchen. Das verspreche ich dir", sagte ich jetzt doch und raufte mir die Haare. Sein Tut-mir-leid-Geschwafel konnte er sich in den Arsch schieben. Er sah einfach nur erschöpft aus, als er sich an den Türrahmen lehnte und die Arme verschränkte.
"Es ist nur zu deinem Besten, Isabelle", meinte er und ich wurde noch wütender. Im Rückblick hatte er Recht, aber in dieser Situation fühlte ich mich einfach nur in meinen Rechten und Freiheiten beschnitten, beraubt.
"Du weißt nicht, was zu meinem Besten ist!", fauchte ich und Colton seufzte müde. Leise dämmerte es mir, dass er mir nur helfen wollte. Dieser Mann hatte sich selbst in Gefahr gebracht, um mich zu decken und mir ein sicheres Versteck zu geben. Und irgendwie trat ich dieses Opfer gerade mit Füßen. Ich legte das Gesicht in meine Hände und seufzte erschöpft. Danach hob ich sie vor mich und lächelte entkräftet. "Es tut mir leid", flüsterte ich und wandte den Blick ab. Diese Situation war mir so unfassbar unangenehm.
"Es ist in Ordnung, Isabelle. Wirklich. Ich weiß, wie du dich jetzt fühlen musst", sagte Colton und in seiner Stimme schwang Mitgefühl mit. Nein, dachte ich. Du weißt nicht, wie ich mich fühle. Aber dafür konnte er nichts. Ich war alleine mit meinen Gefühlen und Gedanken. So wie immer. Damit kam ich klar. Ich meine, damit war ich immer klar gekommen. Wieso sollte es jetzt anders sein?
"Ich muss meine Ausbildung weiterführen", meinte ich und Colton nickte.
"Wir besorgen dir gerade eine Stelle im hiesigen Krankenhaus. Die werden dich mit Kusshand nehmen." Erleichterung fühlte sich anders an, aber ich nickte trotzdem und kleisterte mir ein falsches Lächeln auf die Lippen.
"Danke", murmelte ich und schob mich an ihm vorbei. Sein Blick musterte mich eindringlich und ich hatte alle Mühe nicht hier und jetzt wie eine Verrückte Dinge herumzuwerfen. Meinen Frust musste ich anders kompensieren. Obwohl ich eindeutig in einem schlechteren Krankenhaus arbeiten würde, als bisher, war ich tatsächlich froh über die Möglichkeit. Colton hielt mich nicht gefangen, wie einen Vogel im goldenen Käfig. Trotz der vielen Einschränkungen und Regeln, wusste ich, dass ich ein vollwertiger Erwachsener war. Egal wie dämlich das jetzt klingen mag, es ist wahr.
"Isabelle?", rief Colton plötzlich hinter mir her und ich blieb mitten in der Bewegung stehen. Unnötig vorsichtig drehte ich mich um. Er stand ein paar Meter entfernt, hatte die Hände in die Taschen seiner Hose gesteckt und schaute mich an. Ziemlich neutral um ehrlich zu sein. Mein Herz pochte plötzlich unnatürlich schnell und ich musste die Hände an meine Seite pressen, damit er nicht sah, wie sehr ich plötzlich zitterte. Verdammte Hormone. Gerade jetzt mussten sie ihre kleinen Botengänge bestreiten. Pfff.
"Ja?", fragte ich und war ziemlich stolz auf mich, weil meine Stimme kein bisschen seltsam klang. Er verlagerte sein Gewicht vom einen Bein aufs andere und sog seine Unterlippe zischen die Zähne. Guter Gott...
"Ein so hübsches Mädchen wie du sollte nicht den ganzen Tag im Haus hocken. Geh an den Strand. Genieße die Sonne", sagte er und zwinkerte, als ich überrascht die Luft einsog. Mein verdammtes Herz klopfte wie ein Presslufthammer und ich legte eine Hand an die Wand, um den Realitätsbezug nicht zu verlieren. Zu spät... viel zu spät.
"Danke...schätze ich", murmelte ich und drehte mich schnell um. Sein tiefes Lachen folgte mir auf dem Weg in mein Zimmer und hallte den ganzen Tag in meinem hohlen Kopf wieder.
Einige Tage später hatte ich mein fettes Lehrbuch aufgeschlagen vor mir, eine Sonnenbrille vor den Augen und den Geruch nach Meer in der Nase. Ich lümmelte auf einem Liegestuhl am Strand und büffelte. Zugegeben gerade fand ich es gar nicht mal sooo schlimm, dass die Sonne brannte und das Wetter angenehm war. Kleine Heuchlerin... Ich fand es hier klasse. Auch wenn ich den ganzen Tag über nichts anderes zu tun hatte, als zu lernen oder zu baden. Zu essen oder zu schlafen. Seufzend rieb ich mir über den Bauch und schaute wehmütig zurück zum Haus. Ein kleines Täfelchen Schokolade klang gerade wirklich verlockend. Die Idee fanden mein Arsch und meine Hüften auch nicht schlecht.
"Hey", sprach mich plötzlich jemand an und ich schaute auf. Trey Parker blickte lächelnd auf mich hinunter und verschränkte die Arme locker vor der Brust.
"Selber Hey", antwortete ich ebenfalls lächelnd und klopfte auf die Liege neben mir. Ich mochte Trey. Er war absolut liebenswürdig, auch wenn er total bedrohlich aussah. Auf eine attraktive Art natürlich. Colton hatte ihn quasi als Babysitter engagiert. Aber anders als die anderen Aufpasser hatte er sich für mich interessiert, mit mir geredet und versucht mir etwas über den Verlust meiner Eltern hinweg zu helfen. Er war ein Freund geworden.
"Ich bin eigentlich hier, weil das Krankenhaus gerade angerufen hat", sagte er und hielt mir seine Hand hin. Ich griff sie, doch er zog mich noch nicht hoch.
"Was wollen die denn heute schon?" Seltsam.
"Du sollst heute schon da antanzen, weil sie dich in einer höheren Position als bisher sehen wollen. Wenn du den Job willst, brauchen sie dich jetzt." Ah jaaa. Na klar. Ich lachte trocken auf und verdrehte die Augen. Als ich meine Hand wegziehen wollte, hielt er sie fester.
"Verarsch mich nicht, Trey. Ich bin im 2. Jahr. Nicht mal in meinem alten Krankenhaus hatten sie eine Stelle fürs dritte Jahr offen", sagte ich und zog wieder an meiner Hand. Trey seufzte und fuhr sich durchs Haar.
"Du hast doch die Genehmigung dafür, ein Jahr zu überspringen oder nicht?" Hatte ich, aber das spielte keine Rolle, weil er mich eh verarschte.
"Hör auf damit. Ich habe wirklich besseres zu tun, als mir deine Märchen anzuhören", zischte ich und er seufzte.
"Ich verspreche dir, dass ich dir die Wahrheit sage, Isabelle. Wirklich", beteuerte er und seine Stimme klang genervt. Ich klappte mein Buch zu und Trey zog mich von der Liege hoch.
"Hoffen wir für dich, dass du nicht lügst", meinte ich und Trey lachte.
"Also fürs Erste sollten wir ein MRT machen, um Klarheit über die Ursache Ihrer Brustschmerzen zu bekommen, Mr. Jones", sagte ich einem netten, älteren Patienten und tätschelte seine Hand. "Dr. Ross wird Sie dorthin begleiten." Ich warf meinem Assistenzarzt einen scharfen Blick zu und lächelte leicht, als er geschockt schluckte. Anfänger quälen machte einen riesen Spaß.
Er schob Mr. Jones gerade durch die Notaufnahme, als das Telefon klingelte. Wenig später rief eine Schwester, dass ein Krankenwagen mit einem angeschossenen Mann auf dem Weg zu uns wäre. Ich schnappte mir eine Art Kittel und ein paar Handschuhe und positionierte mich vor dem Krankenhaus.
Der Wagen kam und mein Herz schlug bis zum Hals, als die Sanitäterin alle Angaben runterratterte.
"Maxwell! Buchen Sie einen OP und piepen sie die Allgemein Chirurgie an!", schrie ich und presste meine Hände auf die blutende Wunde. Was für ein erster Tag.
Sechs Stunden später trat ich aus dem OP und streckte mich. Marco Juarez war auf einem guten Weg der Besserung. Das hoffte ich zumindest. Die Nacht war entscheidend.
Trotz der Erschöpfung war ich glücklich. Das hier war eine Solo-OP gewesen. Ich fühlte mich wie ein Rockstar. Kein Oberarzt hatte mir auf die Finger geguckt, abgesehen von dem Chirurgen der Allgemeinen, der sich um abdominale Verletzungen gekümmert hatte.
"Gute Arbeit, Dr. Claire", sagte plötzlich Dr. Annalise Forbes. Sie hatte mit mir zusammen operiert.
"Das kann ich nur zurückgeben, Dr. Forbes", meinte ich und sie lächelte.
"Wollen wir noch was trinken gehen?", fragte sie ganz unverblümt und ich warf einen Blick auf die Uhr. Eigentlich hatte Colton mich schon seit zwei Stunden zu Hause erwartet. Zu Hause. Wieso dachte ich über diesen Platz schon als mein Zuhause nach? Großer Gott, das war doch nicht richtig.
"Heute nicht, aber vielleicht ein anderes Mal. Ich bin übrigens Isabelle", sagte ich und gab ihr meine Hand.
"Anna", erwiderte sie lächelnd und zog sich dann die OP-Kappe vom Kopf. "Hübsches Muster übrigens." Sie deutete auf meine eigene Kappe.
Ich zuckte mit den Schultern und sagte: "Ich steh auf Einhörner."
"Tut das nicht jeder?", meinte sie lachend und ich nickte.
"Das glaube ich auch." Ich schlüpfte in meinen Kittel und schnappte mir ein Tablet. Dieses Krankenhaus hatte vor einigen Monaten alle Krankenakten digitalisiert und trotzdem setzten viele Ärzte noch auf die guten, alten Papierakten. Ich trug gerade die Werte und Medikation für Juarez ein und wollte mit einer Schwester über meine Behandlungsmethoden sprechen, als ich an den Schultern gepackt und herumgewirbelt wurde. Meine Herz pochte mir bis zum Hals und beinahe hätte ich das Tablet fallen lassen. Doch ich blickte schnell durch meine Überraschung und erkannte einen wütenden Colton. Ich riss mich los und funkelte ihn sauer an.
"Was soll das denn werden!", zischte ich und er verdrehte die Augen. Gleich würde ich ihm seine wunderschönen Zähne umsortieren.
"Das fragst du mich? Du solltest längst Zuhause sein", knurrte er und ich stieß einen genervten Laut aus.
"Tut mir leid, dass sterbende Menschen sich nicht an deinen Zeitplan halten", gab ich spöttisch zurück und sein Gesichtsausdruck wurde noch härter. Er legte seine Hand um meinen Oberarm und zog mich zur Seite.
"Wo ist das Bereitschaftszimmer?", fragte er unterdrückt und ich stemmte praktisch die Füße in den Boden.
"Ich werde da garantiert nicht mit dir reingehen", zischte ich und er schaute mich genervt an.
"Dann willst du das auf dem Flur klären?" Seine blauen Augen schauten ungläubig drein.
"Wenn du wüsstest, was für ein Ruf das Bereitschaftszimmer hat, dann wärst du auch dagegen", sagte ich und musste unwillkürlich lächeln, als Verständnis sich auf seinem attraktiven Gesicht breit machte.
"Oh", flüsterte er nur. Ja, oh.
Ich machte mich los und ging in Juarez' Zimmer. Er war noch immer nicht aufgewacht, deshalb könnten wir auch schnell hier reden. Das war verdammt gegen die Vorschriften, aber das war mir im Moment so egal.
"Hier können wir reden", sagte ich und Colton blieb im Türrahmen stehen. Er vermied es Marco anzusehen und verschränkte die Arme vor der Brust.
"Was ist dem armen Schwein passiert?", fragte er und ich schluckte.
"Darf ich dir nicht sagen. Tut mir leid." Er biss sich auf die Unterlippe und schaute mich besorgt an. Häh?
"Kann ich denn reinkommen?" Diesmal rollte ich mit den Augen. Wurde er jetzt etwa zum Moralapostel?
"Jetzt mach schon", drängte ich und er trat widerwillig ein. Sofort spürte ich seine Anwesenheit und irgendwie war das ziemlich creepy.
"Weißt du, mir ist klar, dass alles hier schwer für dich ist. Aber du kannst nicht so egoistisch-", begann er mich anzufahren, als sein Blick auf Juarez fiel. "Was zur Hölle?!" Colton starrte ihn weiter an und langsam begann ich mich unbehaglich zu fühlen. Irgendwas stimmte hier ganz gewaltig nicht.
"Was?", fragte ich und er zuckte zusammen. Jaaaa....
"Bist du vollkommen lebensmüde?", knurrte er und ich wich überrascht einen Schritt zurück. Bitte was?
"Woah, brüll mich nicht an, Freundchen", zischte ich und er bohrte mir einen Finger in den Solarplexus. Mein dummer Körper reagierte sofort darauf. Scheiß Hormone.
"Nein, wirklich? Jetzt bist du nicht nur blond sondern auch noch blöd. Da habe ich ja den verdammten Jackpot gewonnen!" Langsam reichte es mir.
"Raus", sagte ich und ignorierte, dass meine Stimme zitterte. Colton zuckte aufgebracht mit den Schultern und rückte an mich heran. Seine Nase berührte beinahe meine, als er mir wütend in die Augen sah.
"Du schmeißt also alles weg, ja?" Ich zog die Augenbrauen zusammen und fühlte mich plötzlich unfassbar verletzlich. Komisch, wo Colton doch eigentlich gar keine Bindung auf emotionaler Ebene zu mir aufgebaut hatte. Ich trat unwillkürlich einen Schritt auf ihn zu.
"Was, Colton? Was soll ich wegschmeißen? Ich habe doch gar nichts mehr!", zischte ich und er lachte bitter auf. Irgendwie wirkte er verletzt. Und seltsamer Weise traf mich das ungemein.
"Tatsächlich? Ist dein Leben gar nichts? Dann, Isabelle, bist du es verdammt noch mal nicht wert gewesen, dass ich mein eigenes für dich riskiert habe. Zur Hölle! Noch immer riskiere", knurrte er und ich zuckte zurück, als hätte er mich physisch geschlagen.
"Was zur Hölle?!", rief ich, doch er war bereits zu aufgebracht. Colton trat auf mich zu, legte seine Hände um mein Gesicht und sagte: "Er war einer der Attentäter auf deine Eltern."
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