Kapitel 20 - Fang
"Ich bin mir absolut sicher, dass Kaya nicht auf frisch gejagte Hasen steht.", Maeve bedachte ihn mit einem frechen Grinsen, bevor sie sich genüsslich über die mit Eis verschmierten Lippen leckte und Fang hätte seiner besten Freundin am liebsten das Eis aus der Hand geschlagen, so genervt war er von ihrer Belustigung.
Er strich sich eine lästige Locke aus der Stirn und bedachte sie mit einem entnervten Gesichtsausdruck, der die Rothaarige zum Kichern brachte. "Ich hatte auch nicht vor einen blutenden Hasen vor ihrer Haustür abzuladen.", grummelte er und warf einen Blick in das riesige Schaufenster auf seiner Seite, in dem Taschen in unterschiedlicher Größe und Form ausgestellt waren. Fang verzog das Gesicht bei den wilden Mustern, die diese zierten.
Ein Geschenk für einen Menschen zu finden, gestaltete sich weitaus schwieriger als gedacht. Als er nach seiner Rückkehr ihre gemeinsame Wohnung betreten hatte, hatte Maeve ihn sofort im Hausflur abgefangen und anzüglich mit den Augenbrauen gewackelt, nachdem sie einen tiefen Atemzug genommen hatte. "Meine Güte, Fang.", hatte sie gesagt und war dabei verspielt um ihn herum getänzelt, ein breites Grinsen auf den Lippen, "Was habt ihr getrieben, dass du so kräftig nach ihr riechst?"
Er hatte dieser Frage ausweichen wollen und hatte nur oberflächlich darauf geantwortet, aber Maeve hatte so lange nachgebohrt, bis er ihr die gesamte Geschichte erzählt hatte. Angefangen mit ihrem kleinen Fangen-Spiel durch den Wald, bis zum See und dem gemeinsamen Frühstück.
Maeve hatte die gesamte Zeit über wissend gelächelt und es hatte ihn in den Wahnsinn getrieben. Und jetzt waren sie hier, in der Stadt und auf der Suche nach einem passenden Geschenk, dass Fang ihr als Zeichen seines Interesses zukommen lassen konnte. Um die Rituale seines Rudels einzuhalten.
Und obwohl er Maeve gerade am liebsten einen stinkenden Kadaver vor die Tür legen würde, war er ihr dankbar, dass sie sich mit ihm auf die Suche gemacht hatte. Maeve hatte durch ihre endlosen Besuche in der Welt der Menschen weitaus mehr Erfahrungen, als er selbst, was vernünftige Geschenke anging. Und sie war eine Frau. Sie musste wissen, was Kaya gefallen könnte.
Er ließ von dem Schaufenster ab und lief einige Schritte weiter. Darauf bedacht, bei den sich vermischenden Gerüchen der Abgase und des Schweißes der hetzenden Menschenmassen um sie herum, nicht die Nase zu verziehen. Fang würde nie verstehen, wie sich die Menschen dies freiwillig antaten. Oder Maeve. Seine beste Freundin war begeistert gewesen, als er ihr gesagt hatte, dass er nach einem Geschenk suchen musste. Sie hatte sich auf den Shopping-Trip gefreut.
Ein funkelndes Band um den Hals einer älteren Dame, die mit Einkaufstüten bepackt an einer Ladentür verharrte, erregte seine Aufmerksamkeit und er kniff die Augen zusammen, um das Band besser zu begutachten. Es schimmerte golden in der Sonne und an einem Ende funkelte ein Steinchen, das ihn immens faszinierte.
Maeve bemerkte seinen Blick und riss die Augen auf.
"Du willst ihr Schmuck kaufen?", sie stieß ihm den Ellbogen in die Seite und er grummelte und rieb sich abwesend seinen Arm, "So ernst ist es dir also?"
"Hm?", verwirrt sah er sie an.
Natürlich war es ihm ernst. Er konnte sich nicht daran erinnern, wann er sich jemals so viele Gedanken um ein Geschenk gemacht hatte. Oder wann er generell einmal eine Frau umworben hatte. Etwas tief in ihm hatte sich festgelegt, als er Kaya das erste Mal erblickt hatte. In dem Club. Sein Wolf war bereits dort ganz vernarrt in sie gewesen und von dort an, hatte er die Anziehung zu ihr deutlich gespürt.
Sie war so stark gewesen, dass er beinahe die Kontrolle über seinen Körper verloren hatte, verdammt. Zweimal.
Maeve zuckte nur mit den Schultern und hakte sich schmunzelnd bei ihm unter, bevor sie ihn in den Laden zog, vor dem die Frau stand und der voll mit aller Art von diesem Schmuck war, wie Maeve es genannt hatte. Tausende von diesen glitzernden Bändern lagen in Theken aus, hingen um die Hälse von Büsten und funkelten um die Wette. Aber da waren auch andere Schmuckstücke. Weitaus Kleinere. Ringe, die um steinerne Finger von Statuen glänzten. Voller Verwunderung für diese menschlichen Dinge trat er einen Schritt näher und betrachtete einen nach dem anderen. Diejenigen mit glatter Oberfläche und die mit den schimmernden Steinchen. Gold und Silber. Große und kleine Ringe.
"Kann ich Ihnen helfen?", erklang eine sanfte Stimme über seiner Schulter und eine Frau schob sich neben ihm in sein Blickfeld und folgte seinem Blick in Richtung des Ringes, den er gerade betrachtet hatte.
Fang schluckte und zwang sich zu einem Lächeln. Dann nickte er und blickte hilfesuchend zu Maeve, die sich aber kichernd umgedreht hatte und so tat, als würde sie interessiert die Gegenstände im Thresen hinter ihnen begutachten. So viel zum Thema, dass sie ihm eine große Hilfe sein könnte.
"Was suchen sie denn? Ein Verlobungsring für ihre Geliebte?", ein feines Lächeln zeichnete sich auf den Lippen der Frau ab und sie zeigte auf den Ring vor ihnen. Fang runzelte verwirrt die Stirn. Verlobungsring? Das einzige Wort, dass in ihm nachhallte, war das Wort Geliebte.
Er wusste nicht, ob er bereits so weit gehen würde, sie als solche zu bezeichnen, aber ihn durchfuhr ein wohliges Gefühl bei dem Gedanken daran und er probierte das Wort aus, in dem er es leise vor sich hin flüsterte. Maeve kicherte hinter ihm wieder leise, aber er warf ihr schnell einen bösen Blick zu und sie verstummte.
Fang zuckte etwas hilflos mit den Schultern und die Frau lachte leise, als wäre sie diese Art der Unentschlossenheit gewohnt. Maeve entschied sich glücklicherweise ihn aus dieser unangenehmen Situation zu retten, denn sie stellte sich jetzt auf die andere Seite neben ihn und sagte zu der Frau:
"Er sucht nach einem Geschenk für jemand Besonderen."
Fang spürte wie ihm die Röte in die Wangen schießen wollte und er kratzte sich verlegen im Nacken. Dann fügte Maeve hinzu:
"Kein Verlobungsring. Aber etwas, dass zeigt, dass er nicht aufhören kann an sie zu denken."
Ein breites, ehrliches Lächeln erschien auf dem Gesicht der Verkäuferin und sie bedachte ihn mit einem verträumten Gesichtsausdruck, bei dem es ihm unwohl wurde und er den Blickkontakt abbrechen musste. Aber sie schien Maeves Anweisung verstanden zu haben, denn sie drehte sich zu einem anderen Tresen um und bedeutete ihnen ihr zu folgen.
"Kein Ring, Fang.", flüsterte Maeve ihm ins Ohr und zog ihn am Ärmel seines Hemdes hinter der Verkäuferin her, "Ringe haben einen gewissen Symbolgehalt für die Menschen. Ähnlich wie die Tattoos, die Eric an Gefährten im Rudel vergibt. Verstehst du?"
Er riss die Augen auf und nickte schnell, bevor er die Büste betrachtete, die die Verkäuferin vor ihm abstellte.
"Wie wäre es mit einer Kette?", fragte die Frau und Fang warf Maeve einen panischen Blick zu, den diese mit einem Lächeln beantwortete. Erst dann nickte er vorsichtig und traute sich die Kette näher zu begutachten. Menschen hatten so viele andere Bräuche und Symbole, an die er sich immer noch zu gewöhnen versuchte. Das letzte, was er wollte war, bei seinem Versuch sich anzupassen, irgendwem auf die Füße zu treten, in dem er sich einen Fauxpas nach dem anderen leistete. Also gut. Keine Ringe. Vorerst. Ketten waren in Ordnung.
Die Kette vor ihm ließ ihn den Atem anhalten und seine Augen skeptisch zu der Frau vor ihm wandern. Am Ende der silbernen Kette hing ein Anhänger, der eine zierliche Mondsichel zeigte. Als hätte die Verkäuferin geahnt, welche Art von Symbol dieser Mond für ihn darstellte. Aber ein tiefer Atemzug verriet ihm, dass er tatsächlich nur einen Menschen vor sich hatte und keine versteckte Wolfs-Gestaltswandlerin. Die Frau konnte also nicht wissen, wen sie vor sich hatte und das der Mond eine starke Bedeutung für sein Volk hegte. Der Mond, der die Verkörperung der Göttin Luna war.
Mit bedächtigen Fingern strich er über den Anhänger, der in seiner Mitte von hellblauen Steinchen verziert war. Die Kette war wunderschön und er konnte Kaya regelrecht vor sich sehen. Die Kette um ihren zierlichen Hals, wie sie sich an ihr Brustbein schmiegte.
"Das ist sie.", hauchte er und sah erst die Verkäuferin, dann Maeve an. Zweitere hatte sich wieder dazu herabgelassen, ein amüsiertes Grinsen zur Schau zu stellen und er schnaubte bei dessen Anblick widerwillig. Aber die Kette musste mit. Sie war das perfekte Geschenk für Kaya und er konnte es kaum erwarten, ihre Augen zu sehen, wenn er damit vor ihr auftauchte.
"Also gut.", die Dame lächelte und er beobachtete jede ihrer Bewegungen dabei, als sie die Kette von der Büste hob und in eine kleine Schmuckschatulle steckte, bevor sie diese eintütete und sie ihm über den Tresen hinweg überreichte und ihm den Preis des Geschenkes nannte.
Mit Maeves Hilfe bezahlte er die Kette und bedankte sich mit einem höflichen Lächeln bei der netten Verkäuferin, die ihm bei der Suche so aufmerksam geholfen hatte. Aber die Verkäuferin winkte nur ab und bedachte ihn mit einem schiefen Lächeln:
„Sie kann sich glücklich schätzen. Viel Erfolg."
★ ★ ★
Mit der Tüte fest im Griff betrat er die Wohnung und verstaute sie schnell in der Nachttisch-Schublade seines Schlafzimmers. Eigentlich hatte er vorgehabt, Kaya das Geschenk so früh wie möglich zu übergeben. Aber nach ihrem aufgelösten Anruf bei Maeve und der Bekanntgabe, dass sie bei ihnen vorbeischauen würde, hatte er das Vorhaben sofort nach hinten verschoben. Es hatte sowieso keine Eile. Die Rettung seines Rudels sollte nach wie vor seine Priorität darstellen.
Eigentlich konnte Fang keine Ablenkungen gebrauchen. Aber er war eben auch nur ein Wolf und hatte nichts gegen das stetige Verlangen Kaya nah zu sein entgegen zu setzen.
Wer sagte denn, dass er nur das eine haben konnte?
Nachdem er das Geschenk verstaut hatte, machte er sich schnell frisch, um den stinkenden Gestank der Stadt loszuwerden. In der Dusche spülte er sich eilig die Gerüche von der Haut und schrubbte ihn sich aus den Haaren, bevor er sich abtrocknete und in neue Klamotten warf.
Fang roch Kaya schon, bevor er mit noch triefenden Haaren das Wohnzimmer betrat, auf dessen Couch sie bequem neben Maeve lümmelte, ein verzweifelter Gesichtsausdruck auf ihrem Gesicht. Der Freudenhüpfer, der sein innerer Wolf bei ihrer Witterung vollziehen wollte, erstarb so schnell, wie er entsprungen war. Bei ihrem traurigen Duft zog sich sein Herz augenblicklich zusammen und er ließ sich mit besorgtem Blick auf der Seite ihr gegenüber nieder, um sie vorsichtig zu mustern.
Kaya beobachtete ihn bereits seit er durch die Tür des Badezimmers getreten war und ihr Blick hatte sich sofort auf seine noch nassen Haare geheftet, wobei sich ein leicht rosiger Schimmer über ihre Wangen gelegt hatte. Fang war sich fast sicher, dass sie sein Anblick an einen gewissen Abend am See erinnert haben musste und er musste trotz der bedrückten Stimmung schwach lächeln. Dann besann er sich eines besseren und fragte sie, was passiert war.
Entsetzt beobachtete er, wie sie ihre Hand kurzerhand in ihr Dekolleté steckte und daraus ein kleines Foto zog. Maeve war sofort näher gerückt, aber sein hormongesteuertes Gehirn musste erst den Anblick wegschütteln, bevor er sich räusperte und aufstand, um ebenfalls einen Blick auf das Foto zu werfen.
„Selene.", murmelte Kaya und deutete mit dem Kopf auf das Bild und Fang riss die Augen auf bei der Ähnlichkeit, die ihm entgegen blickte. Kaya sah der ehemaligen Alpha so ähnlich, dass er nur nach einer Weile konzentrierter Musterung die Unterschiede in ihren Gesichtszügen wahrnehmen konnte. Kayas Lippen hatten einen weicheren Zug, als die von Selene. Und ihre Nase verlief in eine sanftere Nasenspitze, wie die der Alpha. Und doch waren das unverkennbar die gleichen Augen, die ihm entgegen blickten. Er erinnerte sich an die Art und Weise, wie Timea vor ihr nieder gekniet war, nachdem sie Kaya erblickt hatte und er bekam eine Gänsehaut.
„Sie ist meine leibliche Mutter.", hauchte Kaya jetzt und drehte das Foto um, so dass Maeve und er die Schrift entziffern konnten, die auf die Hinterseite des Fotos gekritzelt war. Und Fang wusste beim besten Wissen nicht was er sagen sollte - wie er reagieren sollte.
Kaya. Die versteckte Tochter der letzten Alpha ihres Rudels. Seit Selene von ihnen gegangen war, hatte das Rudel keine Alpha mehr gehabt. Nur noch Timea und Dako als die Ältesten, die das Rudel führten. Sie waren zwar nicht weniger respektiert im Rudel, aber eben doch nicht eine Alpha. Kaya, die Kaya für die er heute Morgen noch eine Kette gekauft hatte, sie hatte nach ihren Regeln ein echtes Anrecht auf die Rudelführung. Und gemessen an Maeves ersticktem Aufkeuchen, hatte auch sie die nötige Erkenntnis gemacht. Einziges Problem war nur... Kaya war ein Mensch.
Fassungslos beobachtete er, wie sich eine stumme Träne aus Kayas Augenwinkel drückte und er rückte geistesabwesend einen Schritt näher, bis er fast von der Kante seines Sessels fiel.
„Ich weiß nicht, was ich jetzt tun soll. Was bedeutet das für mich?", Kaya klang regelrecht verzweifelt und es brach ihm das Herz, sie so zu sehen.
„Erst einmal garnichts.", beeilte sich Maeve zu sagen und schlang die Arme um die jetzt zitternde Kaya und Fangs innerer Wolf winselte bei dem Anblick, den die beiden auf der Couch boten, „Es muss garnichts bedeuten. Hast du mit deinen Eltern gesprochen?"
Ein Kopfschütteln und Fang schluckte schwer. Sie hatten Kayas Leben auch ohne diese erschütternde Erkenntnis bereits genug aus den Achsen gehoben. Bei der großen Luna, sie musste sich schrecklich fühlen. Und Fangs Wolf flehte ihn an, ihr in jeder erdenklichen Weise Trost zu spenden. Am liebsten hätte er sie berührt. Sie an seine Brust gezogen und die Arme um sie geschlungen, so wie Maeve es gerade tat. Seine Nase tief in ihren Haaren vergraben und beruhigende Muster auf ihre Haut am Rücken gezeichnet, die sich unter dem grauen T-Shirt erstreckte, das sie trug. Nur mit Mühe und Not konnte er sich auf der Kante seines Sessels halten - seine eigene kleine selbst hochgezogene Grenze.
„Schlaf eine Nacht drüber.", riet Maeve ihr und er fühlte sich, als hätte er eine außerkörperliche Erfahrung während er die Zwei mit einer tiefen Sorgenfalte musterte, „Dann können wir immer noch Pläne schmieden."
Ein Beben durchzuckte Kayas Körper und nun stand Fang doch auf seinen Beinen und war in wenigen Schritten bei ihr, um ihr näher zu sein.
„Heißt das, ich bin eine Wolfs-Gestaltswandlerin?", schluchzte sie und Fang ging vor ihr in die Hocke, ohne Maeve eines einzigen Blickes zu würdigen und legte ihr beruhigend eine Hand auf das zitternde Knie, während er nach Blickkontakt suchte, den sie ihm nur ganz kurz durch tränenbenetzte Augen gewährte.
„Ich weiß es nicht, Kaya. Aber ich schwöre dir, dass ich es für dich herausfinden werde und das ich dir helfe."
***
A/N: Ein wenig später als üblich, tut mir Leid.
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