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Fifty Two ~ An Angel Dies

Kays PoV

Hören?

Tat ich nichts mehr.

Sehen?

Alles was ich sah, waren die verweinten Augen meines kleinen Bruders.

Sprechen?

Konnte ich nicht. Wenn ich es versuchen würde, würde wahrscheinlich bloß ein gequälter Schrei ertönen.

Fühlen?

Nur kläglich. Ich war nicht nur taub, was meine Ohren anging. Nein, meine Gefühle überwältigten mich so stark, dass es fast mein ganzes Nervensystem lahmlegte.

Ich versuchte den Kloß, der in meinem Hals war, herunterzuschlucken, aber es ging nicht, denn es bildete sich immer wieder ein neuer.

"Kway?" Er hatte Angst. Er verstand nicht, was gerade passierte. Alles was er wusste, war, dass es ihm schmerzte.

Ich wollte ihm antworten, aber ich brachte bloß ein verweintes Atmen zustande.

Meine Brust hob sich unregelmäßig und mit zittrigen Händen strich ich meinem kleinen Bruder die Wellen aus dem Gesicht.

Er schmiegte sich an meine Hand und sein Anblick ließ mich vergessen, dass ich selbst verletzt war.

Der Gedanke, dass ich ihn verlieren würde, brach mir das Herz und ich war mir sicher, dass man das Knacken bis nach Japan hören würde.

"Kway? Ich will nach Wause", murmelte er, als er gleich danach dazu gezwungen wurde zu husten.

Meine andere Hand presste sich auf den Bauch von Toby, welcher reichlich an Blut verlor.

Es war so schnell geschehen.

Ich sah nur noch, wie Luke nach unten stürmte, nach jemandem greifen wollte, ich gehe davon aus, dass es Toby war und keine Sekunden später drückte Lorenz ab.

Ich hatte mich auf die Kugel vorbereitet, aber alles, was ich auf mir gespürt hatte, war Toby, der mich ansprang.

Ich wusste direkt, dass er den Schuss abgefangen hatte und ging mit ihm zu Boden.

Mir war direkt klar, was das bedeutete und ich wollte es nicht wahrhaben.

"Wir gehen gleich nach Hause", stotterte ich und legte meine Hand auf seine Wange. Mit dem Daumen strich ich seine Tränen weg und zog ihn näher an mich heran.

Es war meine Schuld.

Ich war derjenige, der meinen Eltern nicht helfen konnte und nun hatte ich es auch bei Toby versaut.

Er wollte mir helfen. Er wollte mich retten.

Er hat mich gerettet und es riss mich in tausend Einzelteile. Er hatte noch sein ganzes Leben vor sich.

Der Tod war bei ihm doch noch ganz weit weg.

"Gweht es dir gwut?" Der Kleine musterte mein Gesicht und langte danach. Seine kleine, geschwächte Hand fuhr über meine Lippen und streichelte mir über meine Wange.

Ich nickte und lehnte mich zu ihm herunter. Ich presste meine Augenlider fest aufeinander und versuchte stark zu bleiben.

Ich wollte nicht, dass er dachte, dass etwas Schlimmes passiert war.

Sachte spürte ich dünne Finger unter meinen Augen und als ich diese wieder öffnete, sah ich zu, wie mein kleiner Bruder mir die Tränen wegstrich.

"Wiw sind ein Tweam...", flüsterte er fast unverständlich und eine rote Flüssigkeit verfärbte seine Lippen.

Ich wimmerte auf und senkte meinen Blick, als meine salzigen Tränen auf das Gesicht meines Bruders tropften.

"Wir sind ein Team", antwortete ich weinend und strich ihm erneut durch sein Haar.

Toby hustete ein weiteres Mal und mehr Blut floss aus seinem Mund.

Ich wollte das nicht sehen, zwang mich aber dazu und hielt dem hilflosen Blick meines Bruders stand. "Wann höwt es auf?"

Mit dem Daumen strich ich ihm das Blut von den Lippen und ich versuchte weitere Tränen zu unterdrücken. "Was?"

Wieder hustete er. Sein sonst so weißes Shirt war blutrot und klebte an seinem Körper.

"Wann twut es nicht mehw weh?"

Ich atmete ruckartig aus und meine Tränen hatten gegen mich gewonnen.

Ich weinte gequält und lehnte mich zu ihm runter. "Bald..."

"Bweibst du bei miw?" Seine Stimme wurde immer feiner und leiser. Ich nickte und berührte seine Stirn mit meiner.

"Ich bleibe hier... Ich bin bei dir."

Ich spürte Tobys Wimpern an meinem Gesicht und hoffte einfach, dass das nur ein böser Traum war.

Toby war die einzige Person, welche ich noch hatte. Ich wollte ihn nicht loslassen. Ich konnte nicht. Er war mein kleiner Bruder und er sollte noch viel länger als ich leben.

Ich war nicht derjenige, der seinen Tod miterleben sollte. Er sollte viele Jahre später mit seiner eigenen gegründeten Familie an meiner Beerdigung anwesend sein.

Es stimmte einfach nicht. Es war nicht fair, dass ein kleines 5-jähriges Kind starb.

Mein Herz schlug nur noch ganz schwach und ich verspürte einen Schwindel, der mich, wenn ich nicht schon am Boden wäre, umhauen würde.

"Kway?", Tobys Stimme war nun kaum mehr identifizierbar und ich schluckte. "Hmm?"

"Es macht nicht mehw so weh..."

"Das ist gut", murmelte ich ihm entgegen und hastig strich ich mir die Tränen von meinen Wangen.

Alles, nur kein Schmerz.

Ich wollte nicht, dass er noch länger litt. "Wawum bin ich so müwe?"

Ich konnte ihn kaum noch verstehen. Schluchzend strich ich ihm erneut über die Lippen und versuchte das Blut wegzuwischen.

Sein ganzer Mund war damit bedeckt und mir wurde klar, dass er nicht mehr lange hatte.

"Toby?" Sein schlaffer Körper bewegte sich nur ganz leicht in meinen Armen und ich hob seinen Kopf an. Er sah mir erschöpft entgegen.

"Es wird alles gut, okay? Dir wird nichts mehr passieren und ich werde immer bei dir sein." Er nickte und eine Träne rollte seine Wange runter.

Das Kleinkind in meinen Armen wollte wieder etwas sagen, aber es wurde vom eigenen Husten unterbrochen.

Bei jedem weiteren Husten hörte man, wie er immer weniger Luft bekam und ich versuchte den Gedanken, dass mein Bruder in meinen Armen starb, zu verdrängen.

Ich würde gleich aufwachen und Toby würde dann neben mir sitzen, mir glücklich von der Nachbarkatze erzählen und gleichzeitig einen Pinguin malen.

Sein Mund war nun komplett rot und da konnte ich mit meinen Fingern nicht mehr wirklich nach helfen. Es war zu viel.

Meine Luftröhre zog sich ganz eng zusammen, als ich zusah, wie mein kleiner Bruder vergebens versuchte zu atmen.

In der Ferne nahm ich die Sirenen wahr und ich erwischte mich dabei optimistisch zu sein.

Sie würden Toby helfen können.

Das wollte ich mir einreden, aber ich erkannte aus eigenen Augen, dass es nicht mehr lange gehen würde.

"Ich will nicht wehen." Toby weinte mir bitterlich entgegen.

Ich wollte auch nicht, dass er ging. Ich wollte ihn für immer bei mir behalten. Er war der einzige Grund, warum ich mich die letzten Jahre durchgekämpft hatte. Ich wollte ihm ein normales Leben schenken.

Aber was tat ich?
Ich lockte ihm den Tod entgegen.

"Du musst keine Angst haben. Ich bin da und passe auf dich auf", schluchzte ich und fuhr ihm wieder einmal durch sein Haar.

Auf dem Boden um mich herum war eine Blutlache und betäubt zog ich meinen kleinen Bruder näher an mich heran.

Ich wollte es nicht wahrhaben. Tobys Atmung klang kratzig und stockend. Er bekam keine Luft mehr. Mein Bruder erstickte an seinem eigenen Blut.

Ich drückte ihn an mich ran und suchte nach einem Ausweg.

Wie konnte ich ihm diesen Schmerz nehmen?

Was hatte er getan, dass er dieses Leid durchleben musste?

"Kway, ich weiß wicht, was pawiert." Seine schwache Hand vergriff sich in meiner und es fühlte sich so an, als würde er, wenn er mich loslassen würde, vom Leben losgelassen werden.

"Nichts passiert. Du wirst mich jetzt anschauen und gemeinsam warten wir, bis wir nach Hause können, okay?"

Mein Versuch das ohne Pausen zu sagen, versagte und ich ertrug den Schmerz in meiner Brust nicht mehr. "Was ist miw Luke und Twaktow? Werden die auch miwkommen?"

Mit glasigen Kulleraugen sah Toby auf in mein Gesicht und ich nickte. "Wir alle werden mitkommen."

Meine Hand, welche zu Beginn versucht hatte Tobys Blutungen zu stoppen, umgriff seinen Körper enger und ich war dazu gezwungen meinem Bruder beim Sterben zuzusehen.

"Spiewen wiw, wenn wir zu Wause sind?" Mein Wimmern ertrank in meinen Tränen und ich bejahte seine Frage. "Und mawst du dann einen Pwinguin füw mich?"

"Ein Pinguin mit Krone... Versprochen."

Meine Lippen zitterten, als ich zusah, wie die Augen meines Bruders immer mehr an Glanz verloren.

Toby wurde immer blasser und ich wollte schreien. Ich wollte es verhindern. Ich wollte ihm helfen.

Aber ich wusste, dass ich nichts mehr tun konnte und ließ mich von meiner Trauer einnehmen.

Ich empfand so viele Emotionen auf einmal.

Trauer, Verzweiflung, Angst, Panik, Schuld und Hass...

Hass auf mich selbst.

Hass auf die Realität, welche mich gerade mit ihrem Gürtel durchpeitschte.

Der Drang zu schreien oder einfach einzuschlafen und nie wieder aufzuwachen, war riesig.

Aber ich konnte beides nicht. Toby sollte in Frieden gehen. Ich wollte ihm zeigen, dass alles okay war. Er sollte keine Angst verspüren.

Meine Lippen presste ich fest aufeinander, als ich wahrnahm, wie Tobys Griff immer schwächer wurde.

Seine Augen waren groß und seine Haut war mit Blut bedeckt. Mein Gesicht war verweint, obwohl ich die ganze Zeit versuchte meine Trauer zurückzuhalten.

"Dwu bist dwer beste Bwuder..."

Das Licht in seinen Augen, welches immer seine Lebensfreude widerspiegelte, löste sich komplett auf und seine Hand ließ meine los.

"Bin ich nicht", weinte ich auf, als ich mich zu ihm herunterlehnte und zusammenbrach.

Ich vergriff mich in seinem Shirt und verkrampfte mich.

Ich brach...

Ich zerbrach in Millionen Einzelteile und drückte den leblosen Körper meines kleinen Bruders an mich heran.

Warum?

Warum er?

Warum nicht ich?

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