Kapitel zwölf - High auf Schmerzmittel
Kara dachte tatsächlich über das nach, was Clint gesagt hatte. Seine Worte spukten förmlich in ihrem Kopf - immer wieder wiederholten sich seine Worte.
"Vielleicht kann SHIELD gar nicht mehr gerettet werden." Je länger sie diese Worte wiederholte, desto mehr regten sie sie auf.
Wie konnte Clint auch von ihr erwarten, über seine Worte nachzudenken und gleichzeitig ein wenig Schlaf zu bekommen? Er wäre in ihrer Situation doch genauso entrüstet gewesen.
Und es war ja nicht so, als wäre SHIELD jemals sein ganzes Leben gewesen. Das war der Unterschied zwischen ihnen beiden, schätzte sie, sie hatte alles für SHIELD aufgegeben - ihre Freundin, ihren Status, ihr Leben -, während er derjenige war, der sich von Anfang an ein Leben außerhalb geleistet haben konnte.
Er war einer von Furys Lieblingen, anders konnte Kara sich Clints Freiheiten nicht erlauben. Seine Frau war nie in der SHIELD Datenbank aufgetaucht, und er hatte mindestens zwei Schwerverbrecher in seinen inneren Kreis gelassen, die nun beide SHIELD Agenten waren - hätte sie das gebracht, hätte man sie vermutlich gefeuert.
SHIELD hatte ihn immer gut behandelt, doch jetzt trat er noch mal nach gegen die bereits am Boden liegende Organisation, als müssten sie sich nicht sowieso schon der Öffentlichkeit früher oder später stellen.
Später am Tag kam noch mal der Doc, um ihre Bandage an ihrem Oberarm zu wechseln. Mittlerweile hatte der körperliche Schmerz mehr oder weniger nachgelassen - der Doktor meinte nur, dass ihm Karas konstant erhöhter Puls ihm ein wenig Sorgen machte. Sie sollte daher weiter liegen bleiben, er würde später mal sehen, ob er ihr etwas zu Essen holen könnte.
"Meinetwegen", sagte sie.
Kara hatte keinen Hunger.
Wie Clint angekündigt hatte, kam er den ganzen Nachmittag nicht mehr vorbei. In dem Raum, in den sie gebracht wurde, war nichts, mit dem sie sich befassen konnte - keine Bücher, keine Poster, noch nicht einmal eine interessante Tapete - also entschloss sie sich eine Runde zu schlafen. Und dennoch lag sie die ganze Zeit hellwach und starrte an die Decke, als könnte sie alle ihre lösen.
Der Doc kam nicht zurück, aber das war ihr auch egal. Ihr Hungergefühl kam nicht zurück, obwohl sie unter normalen Umständen bereits drei weitere Mahlzeiten zu sich genommen hätte.
Je länger sie dort lag, ihre Gedanken schweifen ließ - über Clint, seine Worte und SHIELD -, desto mehr brummte ihr Kopf. Sie konnte nicht mehr liegen, geschweige denn weiter diese verdammte Wand ansehen.
Kara musste aus diesem Zimmer raus, oder sie würde durchdrehen.
Langsam richtete sie sich auf, doch trotz aller Vorsicht brannten ihre Innereien wie frisch aus dem Fegefeuer.
"Scheiße", murmelte sie, als sie vorsichtig ihre Beine über die Kante schlug.
Die Welt drehte sich ein wenig, als sie für eine Weile an der Kante sitzen blieb. Eine genaue Zeitangabe konnte sie nicht angeben - die Uhr im Raum hatte bereits vor einigen Stunden den Geist aufgegeben.
Als sie aus dem Zimmer getorkelt war, war es bereits dunkel draußen. Der Flur, in den sie gelangt war, war leer und dunkel. Sie fragte sich, wo Clint wohl alle übrigen Agenten untergebracht hatte, denn sie waren mit Sicherheit nicht hier. Und das brachte sie wieder zu Clint. Der Bastard würde ihr wohl nie seelischen Frieden geben.
Die Lichter im Gang gingen an und ihre dumpfen Schritte hallten leise an den Wänden, als sie sich ohne ein wirkliches Ziel fortbewegte. Vielleicht sollte sie mal etwas trinken, dann würden vielleicht auch ihre leichten Kopfschmerzen weggehen.
Nur, hatte diese Station überhaupt so etwas wie eine Teeküche? Sie waren in Frankreich, alles was es überhaupt geben könnte, war ein Weinkeller und Kara ging nicht davon aus, dass ihr Alkohol jetzt mit dem Antibiotikum in ihrem Blut bekommen würde.
Eine Erinnerung schlich sich zurück an die Oberfläche ihres Gehirns, als sie vor einigen Jahren für eine hochstehende Person Kaffee holen musste. Sie hasste ihn bis zu dem heutigen Tag, obwohl sie schon längst seinen Namen vergessen hatte.
Aber wo war jetzt die Teeküche?
Sie irrte noch ein wenig durch das Geschoss herum, wobei sie sich ab und zu damit verriet, dass sie gegen eine Tür rannte, wenn jene verschlossen war. Wenn sie Pech hatte, würde bald jemand auf sie schießen, weil man sie für einen Einbrecher hielt.
Wie sich herausstellte, war die Teeküche am Ende des Ganges neben dem Eingang zum Treppenhaus. Bis sie dort ankam, hatte sie schon dreimal anhalten müssen, um ihren Beinen eine Pause zu gönnen. Ihr Kopf hörte nicht auf unangenehm zu brummen, was die Gesamtsituation nicht besser machte. Aber wenigstens war die Teeküche nicht abgeschlossen - ein kleiner Sieg.
Kara drückte die Klinke runter und wurde mit Dunkelheit begrüßt. Zwar wusste sie nicht, wo zur Hölle der verdammte Lichtschalter war, aber durch das grelle Licht der Flurbeleuchtung konnte sie noch genug in dem Raum erkennen, um ein Glas zu finden, das sie mit Leitungswasser füllen konnte. An die Ablage angelehnt setzte sie das Glas an ihre trockenen Lippen und schloss ihre Augen.
Lustig, wenn man die Augen geschlossen hielt, drehte sich Welt auch nicht so.
Im Flur hörte sie leise Schritte, gefolgt von dem leisen Klicken einer entsicherten Pistole. Bereits an den Schritten wusste sie, wer gleich zur Tür kommen würde, um eine Waffe auf sie zu richten. Clint.
Für eine Sekunde hörten die Geräusche auf - er musste sich hinter der Tür versteckt halten -, dann tauchte er in der einzigen Lichtquelle auf, warf somit einen großen Schatten in den Raum, der Kara vollkommen bedeckte.
"Auch dir einen schönen Abend, Barton", sagte sie und hob ihr Glas, als wollte sie ihm zuprosten.
Die Waffe wurde augenblicklich gesichert. Sein Gesicht lag im Schatten und war daher für sie undefinierbar, doch sie war sich sicher, dass er ihr gerade seinen besten Bitch-Blick gab. Er kam in den Raum rein und drückte auf etwas in der Wand, woraufhin das Licht anging.
Kara musste von dem plötzlichen Licht blinzeln.
"Du solltest im Bett liegen", meinte er, als er seine Pistole in seine Hose steckte und ihr näher kam.
"Lieg du doch mal für 'nen Tag auf 'ner Pritsche. Selbst der Boden ist bequemer." Auf seinen Blick hin seufzte sie. "Mir geht es gut."
"Kara, du bist blasser als die Wand. Leg' dich wieder hin."
Irgendwie wollte sie ihn provozieren - seine Steifheit an dem Tag lud einfach extrem dazu ein. Als hätte er sich noch nie von den Anweisungen des Docs gedrückt. Sie wusste von mindestens einer Story, als er trotz mehrerer Abratung mit ihr eine Mission in Moskau vollendet hatte, obwohl er drei tiefe Schnittwunden und eine Schusswunde hatte - da war er doch auch nicht so zimperlich gewesen.
"Bring mich doch dazu." Sie grinste leicht.
Clint dagegen machte den Eindruck, als wollte er sie gleich ausknocken.
"Kara, bitte. Es war ein anstrengender Tag."
"Hättest du dir vorher überlegen sollen, als du mich rekrutiert hast." Spätestens bei ihrem harschen Ton musste ihm klar gewesen sein, was sie nun wieder meinte.
"Okay, du bist noch sauer", stellte er fest. "Wir sollten noch mal darüber sprechen, wenn du nicht high vom Schmerzmittel bist."
"Du denkst also wirklich, dass das Ende von SHIELD ist?"
"Komm schon, wir sollten das jetzt nicht diskutieren."
Sie nahm das als ein "ja", noch nicht einmal wissend warum sie das so fertig machte. Vielleicht weil das bedeutete, dass ein weiterer Abschnitt ihres Lebens vorbei war - und sie sich wieder eine neue Berufung suchen musste.
"Kara?"
Im Laufe dieser Konversation hatte sie ihren Vornamen häufiger gehört als das letzte Jahr unter ihren Mitarbeitern in der Normandie zusammengezählt.
In ihren Augen sammelten sich Tränen, obwohl SHIELD nie etwas für sie zum Heulen war. Vielleicht war es auch nicht wirklich SHIELD, das sie wusste, was sie vermissen würde, sondern das Gefühl von Zugehörigkeit, von dem sie seit ihrer Kindheit nicht viel kosten konnte.
"Oh Gott", machte Clint, als er bemerkte, wie sie anfing zu weinen.
Sie fühlte sich wie eine verdammte Idiotin. Er konnte schließlich nichts dafür, dass sie sich in alles reinsteigerte wie ein gottverdammtes kleines Kind.
"Sorry", schniefte sie, während sie fast schon aggressiv ihre unaufhaltsamen Tränen von den Wangen wegzuwischen versuchte. "Ich reagiere über."
"Ne ne, schon in Ordnung." Er versuchte es zu verstecken, doch Kara konnte förmlich die Unbeholfenheit in seiner Präsenz riechen. "Lass es raus."
Er hatte Recht, sie war high auf Schmerzmittel und verhielt sich auch so.
Ein kleiner Versuch sie zu trösten endete damit, dass er seine Arme um sie schlang - ein Ausdruck von Intimität, die sie in dieser Form nur selten ausübten. Wäre sie nicht so beschäftigt damit gewesen, endlich mit dem Heulen aufzuhören, hätte Kara diesen Akt der Freundschaft schon fast komisch gefunden.
"Hey, es ist alles in Ordnung." Clint nahm ihr Kinn, um sie dazu zu bringen zu ihr aufzuschauen. "Wir müssen das nicht besprechen."
Die Tränen in ihren Augen glitzerten, als sie ihm verschwommen in die Augen sah. Der Moment hielt an, sodass man als Außenstehender fast denken könnte, sie würden gleich übereinander herfallen. Stattdessen standen sie einfach nur da, kein Zentimeter zwischen ihnen, als Kara stumm Tränen über die Wangen liefen.
Vielleicht war es der Schlafmangel, aber sie fing an diese körperliche Nähe zu ihm zu genießen - vielleicht ein wenig zu sehr, als es für normale Freunde typisch war.
Doch auf der anderen Hand, was an ihnen war überhaupt normal?
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