Kapitel vierzehn - Immer nur Probleme
Kara hatte sich schnell organisieren können. Ihren Rucksack hatte sie in der Ecke des Krankenzimmers gefunden, und es war auch nicht schwierig gewesen einen unbemerkten Ausweg aus dem Zimmer zu finden. Durch das Fenster konnte sie wunderbar verschwinden. Es war schon fast zu einfach.
Für den Fall, dass sich Clint noch darum kümmern würde, hatte sie eine Nachricht zurückgelassen - er sollte schließlich nicht denken, dass sie unwillentlich gegangen wäre.
Als sie draußen auf das Taxi wartete, das sie vor ihrem waghalsigen aus-dem-Fenster-klettern Manöver gerufen hatte, klingelte ihr Handy. Am Ende der Straße konnte sie den silbernen Mercedes von Taxi erkennen. Sie nahm ab, wusste bereits, was sie jetzt hören würde.
"Kara, wo zur Hölle bist du?", ertönte Clints Stimme - er hörte sich so an, als würde er Treppen runterrennen.
Das Taxi blieb vor ihr stehen. Sie lächelte leicht.
"Du hattest recht. Wir sollten SHIELD begraben", sagte sie, während sie in das Taxi einstieg und dem Fahrer sagte, er solle sie zum Bahnhof bringen.
"Kara-"
"Geh' nach Hause, Barton. Du wirst doch bestimmt erwartet."
"Du musst nicht immer weglauf-"
Mitten im Satz legte sie auf. Wieso sollte sich das noch weiter anhören? Sie wusste ganz genau, was er sagte.
Der Fahrer fuhr los, ohne ein Wort zu sagen, während die Eingangstür des Gebäudes aufgerissen wurde und Clint rausgestürmt kam. Durch das Fenster des Kofferraums beobachtete Kara den Agenten - versuchte anhand seiner Gesichtsstrukturen festzustellen, ob sie ihn wenigstens ein wenig getroffen hatte.
Doch alles, was sie sah, war Enttäuschung. Wegen ihr? Oder nur wegen ihrer Feigheit?
Es war schließlich nicht das erste Mal, dass sie ihre Beine in die Hand nahm und rannte - mehr oder weniger wortwörtlich. Für manche war ihr Überlaufen zu SHIELD doch ebenfalls der Versuch gewesen ihrer Vergangenheit zu entfliehen. Einen neuen Namen annehmen, sich eine neue Persönlichkeit anzueignen - am Ende war doch alles nur dafür da, um nicht immer mit ihrer Vergangenheit konfrontiert zu werden, ob sie es nun zugeben wollte, oder nicht.
"Das ist eine unsichere Gegend. Sie sollten sich hier nicht allein herumschlagen", bemerkte der Taxifahrer, als er sie um die Ecke lenkte. "Ich hörte, gestern sollen Schüsse gefallen sein."
"Oh, ich kann auf mich aufpassen", beschwichtigte sie.
Clint rief sie erneut an.
"Wollen Sie da nicht lieber drangehen?"
Sie lächelte leicht.
"Nein danke."
Dann nahm sie den Akku des Handys heraus. Die Überreste würde sie später wegschmeißen.
Kara Richards war tot. Lang lebe, welche Identität sie als nächstes annehmen würde.
"Du bist absolut von Sinnen." Deke am Telefon hörte sich gar nicht begeistert an.
"Meine psychische Gesundheit geht dich nichts an", erwiderte sie kühl. "Das ist die letzte Sache, die ich von dir brauche."
"Ich kann nicht jedes schmutzige Detail, das Black Widow veröffentlicht hat, von SHIELD aus dem Internet löschen. Das verbreitet sich wie ein Lauffeuer."
Sie verzog ihr Gesicht. Natürlich war das unmöglich. Was auch sonst.
"Klar."
"Tut mir leid, Kara. Du bist auf dich gestellt."
Damit legte er auf und sie schaltete wieder das Handy aus.
Fürs erste hatte sich Kara in einem Safe House am Stadtrand niedergelassen, um die ersten Tage abzuwarten. Aus Tagen wurden Wochen, und daraus schon wieder Monate. Sie fand keinen Zeitpunkt, diese Stadt zu verlassen - vielleicht würde sie es nie.
Wie zu erwarten, hatte die Welt kein gutes Bild von SHIELD mehr - hätte sie aber auch nicht, wenn sie in ihrer Haut gesteckt hätte. Zudem hatte Natasha Romanoff alle Daten vom SHIELD Server veröffentlicht - damit auch Karas Akte. Verschlüsselt natürlich, doch das wäre nur ein kleiner Umweg für die, die ein wenig was von Codes verstanden.
Nicht gerade der nahtlose Übergang, den sie sich gewünscht hätte. Aber sie hätte wissen müssen, dass irgendwie alles ans Licht kommen würde. In Zeiten des Internets mehr, als je zuvor.
Es waren vier Monate vergangen, in denen sie nur die Wohnung verlassen hatte, wenn sie einkaufen oder spazieren ging. Von Clint hatte sie lediglich über die Nachrichten etwas gehört - er wurde in die Vereinigten Staaten geflogen, um als mehr oder weniger prominentes Ex-Mitglied SHIELDs vor dem Kongress auszusagen -, aber das war ja auch das, was sie wollte, oder?
Normalerweise ging sie Abends spazieren, wenn es dunkel wurde und die meisten Menschen bereits zuhause waren. Die Clubs waren voll, der Bürgersteig dagegen wie leer gefegt. Es war einfach der perfekte Zeitpunkt, um seinen Beinen ein wenig Freilauf zu gewähren.
Ihre übliche Runde ging um zwei Blocks, doch, wenn es irgendwo Stress gab, nahm sie manchmal eine Abkürzung, oder ging gar nicht.
Heute war einer dieser Tage, an denen man lieber nicht das Haus verließ. Schon bevor die Sonne untergegangen war, hatten sich die Anwohner in ihrer Stammkneipe versammelt, um eines dieser Fußballspiele zu gucken. Es wurde in den Nachrichten berichtet, dass sich eine große Menge von Fußballfans auf dem Platz vor der Notre-Dame versammelt hatte, um gemeinsam das Spiel von zwei beliebten Mannschaften in Frankreich zu sehen - mit Tumult war zu rechnen, was bedeutete, dass mehr Polizei vor Ort sein würde.
Da wollte Kara doch nicht zwischen kommen.
Durch die dünnen Wände konnte ab und zu Sirenen hören, während sie auf ihrem Bett saß und irgendeinen Film im Free-TV verfolgte. Ihre Nachbarn - ein dicker Glatzkopf und seine ebenso runtergekommene Frau - hatten ihren Fernseher auf laut gestellt, sodass jedes Wort des brüllenden Sportmoderators verstanden werden konnte. Wenigstens übertönte das manchmal die Kommentare ihrer Nachbarn.
Werbepause. Ein ehemaliger Kinderstar stellte Bohnen aus der Dose zur Show. Kara schaltete den Fernseher aus und rieb sich die Schläfen.
Musste das jetzt den ganzen Abend so weiter gehen?
Gelangweilt richtete sie sich auf und verließ den Raum. Von der Küche aus konnte man den Mischmasch von drei Stimmen zwar immer noch hören, doch sie bildete sich ein, dass es sie hier weniger nerven würde.
Ein klirrendes Geräusch ertönte, als sie gerade ihre Tiefkühltruhe nach Schätzen durchsuchte. Augenblicklich war ihr Kopf hochgefahren.
Oh bitte nicht.
Das Flashback vom letzten Mal, als sie in ihrer eigenen Wohnung angegriffen wurde, drängte sich zurück an nach ganz vorne in ihrem Gehirn. Gerade, als sie nach der Schusswaffe in ihrer Schublade greifen wollte, wurde ihre Wohnungstür aufgetreten.
Sie presste sich gegen die Küchenzeile und entsicherte ihre Waffe. Zeit, die Tiefkühltruhe zu schließen, war nicht. Wohl übel musste sie ihrem Eis beim schmelzen zusehen.
Schritte ertönten aus zwei unterschiedlichen Richtungen - sie vermutete aus ihrem Schlafzimmer und dem kleinen Gang, den man kaum Gang, sondern eher einen sehr schmalen, sehr kleinen Raum nennen konnte.
Zu ihrem Glück und gleichzeitig Pech waren die Fernsehergeräusche immer noch nervig laut zu hören. Das bedeutete, man hörte sie nicht schnell - die Einbrecher hörte man jedoch auch nicht gut.
Der Fakt, dass sie so gut wie umzingelt war - mit beiden ihrer Ausgänge versperrt -, stresste Kara ein wenig. Auch, dass ihr Küchenfenster so klein war, dass sogar die Luft kaum daraus abzog, machte alles nicht besser.
Ihr blieb also nur noch kämpfen. Sie wünschte sich nur, das hätte sie vorher gewusst. Dann hätte sie nicht so viel vorher gegessen.
Die Personen in ihrem Schlafzimmer schienen näher an ihr dran, doch sie ließ sie zu sich kommen. Kara kletterte auf die Arbeitsplatte ihrer Küche. Wenn sie schon angegriffen wurde, konnte sie wenigstens den Überraschungseffekt nutzen.
Der Erste öffnete die Tür zu ihrem Schlafzimmer und wurde von einem ungespühlten Kochtopf am Kopf erwischt. Er ging zu Boden, während der nächste nach ihm über seinen Körper stolperte.
Es war unmöglich von der Arbeitsplatte festzustellen, ob der Typ tot war. Wo sich Kara sicher sein konnte war, dass er blutete, und dass er nicht bei Bewusstsein war. Fürs erste musste das reichen.
Der zweite, der über seinen bewusstlosen Kollegen gestolpert war, brachte eine Sekunde, um wieder sein Gleichgewicht zu sammeln. Kara gab ihm diese nicht und schoss ihm in den nicht geschützten Kopf.
Abrupt wurde der Fernseher auf der anderen Seite der Wand leiser gestellt. Auch die Nachbarn waren auf einmal ganz still.
Na scheiße.
Demnächst konnte sich Kara schon wieder ein neues Zuhause suchen.
Zeitgleich stürmte ein Haufen schwer bewaffneter Männer mit Schutzkleidung und allem drum und dran aus der anderen Tür und zielten ihre Waffen auf sie.
Sie fragte sich, von wem sie wohl geschickt wurden. Der Grund, warum sie geschickt wurden, war ihr zu 90% bewusst. Das Serum musste seine Runden gemacht haben.
Hatte Clint es erwähnt, als er verhört wurde? Oder war es der Doktor, der sie als seine wissenschaftliche Entdeckung nutzen wollte?
Die amerikanische Regierung war es mit Sicherheit nicht - das war nicht die Art, die sie kennengelernt hatte. Aber wer war es dann?
"Habt ihr Jungs euch verlaufen?", überspielte die Situation mit einem Witz.
Als einen letzten Versuch, die Situation in ihrem Sinne zu wenden, sprang sie auf die Männer zu - in der Intention, sie umzuschmeißen wie Bowlingpins.
Der Typ, der ganz vorne stand, schoss dennoch auf sie und sie ging zu Boden wie ein losgelassener Stein. Umwerfen tat sie keinen mehr.
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