Kapitel achtzehn - Königin der Lügen
Ihr wurde gesagt, dass sie erstaunlich schnell für einen Menschen heilte. Dazu konnte man ja nur noch sagen, dass ihr Organismus eher untypisch war.
Sollte Kara irgendwann mal Captain America kennenlernen, würde sie ihn fragen, ob man als Supersoldat auf irgendetwas achten sollte. Vielleicht konnte er ihr gewisse Flüssigkeiten empfehlen, mit denen sie beide auch noch betrunken wurden.
Es brauchte ein paar Debatten, aber irgendwie konnte Coulson sie gehen lassen, als sie ihm ihren Standpunkt erklärte. Auch wenn das bedeutete, sie aus dem Gebäude zu "schmuggeln", damit es seine "Opposition" Gonzales nicht aktiv verhindern konnte. Alles, was sie im Gegenzug versprechen musste, war keinem der Avengers zu erzählen, dass er noch am Leben war.
Coulson meinte, das würde ihre Meinung SHIELD gegenüber nur noch verstärken, und wenn Kara mal ehrlich war, ihre hätte das auch verstärkt.
In den Schuhen von manchen der Avengers wäre sie Nick Fury persönlich an den Kragen gegangen, wäre er nicht tot. Aber gut, das war bestimmt auch debattierbar.
Man schmiss sie ziemlich im Nirgendwo raus. Es schien jedoch wenigstens schon mal der Kontinent Amerika zu sein - also wenigstens das. Dann musste sie ja niemanden bestehlen, um an ein Münztelefon zu kommen.
Kara wanderte vielleicht für zwanzig Minuten über ein Kornfeld, als sie endlich Zivilisation hinter den Pflanzen sehen konnte. Für sie roch es verdächtig viel nach stereotypischem Süden der USA, obwohl sie sich nicht sicher war, wie sie das erkannte. Vielleicht, weil die Gegend aussah wie das Set von Sweet Home Alabama.
Die "Zivilisation" stellte sich als Bauernhaus heraus. Kara fiel erst auf, wie schrecklich sie aussehen musste, als sie verschwitzt mit fettigen Haaren, dreckiger Kleidung und müdem Gesichtsausdruck auf der Türschwelle des Hauses stand und anklopfte. Aber ja, vielleicht würde es ihr helfen, Mitleid zu erzeugen.
Man musste nicht sagen, dass die Bewohner des Bauernhauses schockiert waren über ihren Zustand. Kara tischte ihnen eine oscarwürdige Geschichte über ein Kidnapping von einem Irren auf, der Geld von ihrem reichen Bruder wollte, und brachte sie am Ende dazu, sie das Telefon nutzen zu lassen, um ihren "Bruder" anzurufen und ihm zu versichern, dass es ihr gut ging.
Ursprünglich hatte sie geplant, dass ihr "Bruder", die Person, die sie nun anrufen würde, Clint wurde. Es stand für sie nie zur Debatte. Bisher hatte sie ihn immer angerufen, wenn sie in Schwierigkeiten war. Bisher hatte sie zu dem Augenblick aber auch nicht so groß verkackt wie jetzt.
Würde er ihr überhaupt antworten? Als Kara seine Nummer, die sie natürlich unlöschbar in ihrem Gehirn eingespeichert hatte, in das gegebene Telefon tippte, überkamen sie erhebliche Zweifel.
Das Ehepaar lungerte hinter einer Glastür und starrte durch sie auf Kara, als würden sie erwarten, dass sie jederzeit zusammenbrechen würde.
Kara konnte nicht auf Wählen drücken. Das konnte sie ihm doch nicht antun. Jede Chance auf eine normale, platonische Beziehung hatte sie sich mit ihrem filmreifen Abgang vor ein paar Monaten verdorben.
Und was wollte sie dann überhaupt in New York machen? Sie erwartete nicht, dass sie einfach so in die Avengers aufgenommen werden würde, und einen normalen Job anzunehmen, um Clint ab und zu mal zwischen seinen Missionen und Familienbesuchen zu sehen, war es ihr nicht wert.
Warum war sie in Amerika? Sie hasste dieses Land.
Nein, sie konnte Clint einfach nicht anrufen.
Kara sah von dem Telefon auf und stahl einen Blick auf das Ehepaar.
Was zur Hölle sollte sie jetzt tun? Wie konnte sie sich aus dieser Situation befreien? Was sollte sie vor allem den beiden normalen Leuten dort sagen? "Ach, das war nur ein Prank. In Wahrheit bin ich ein Killer, der von anderen Killern gekidnappt wurde, und die ihr Leben nicht im Griff hat."
Sie ging nicht davon aus, dass die Wahrheit den beiden gut tue. Also entschied sie sich für die dümmste und heuchlerischste Variante: sie weinte und tat so, als würde sie tatsächlich ein Telefonat führen.
Wäre es vor einer Kamera gewesen und würde sie hier nicht mit den Leben von echten Menschen spielen, wäre sie vielleicht stolz auf ihre schauspielerischen Fähigkeiten gewesen.
Aber heute war keiner solcher Tage.
Als sie "aufgelegt" hatte, spielte sie dem Ehepaar etwas davon vor, dass sie ihren "Bruder" am nächsten Tag am Dunkin Donuts in der nächsten Stadt treffen würde, woraufhin diese ihr anboten, sie am nächsten Tag in die Stadt zu fahren. Sie nahm es an.
An dem Abend hatte die kleine Familie ihr Kleidung geliehen und sie hatte eine Dusche genommen, während ihre eigentliche Kleidung in Tüten gelagert wurde, um sie als "Beweismittel" zu nutzen, so der Ehemann. Erst dann wurde ihr gesagt, dass der Bruder des Mannes ein Polizist war, der sie am nächsten Tag mit zur Seite stehen würde.
In dem Augenblick wusste Kara, dass sie schneller als erwartet aus diesem Haus verschwinden musste. Während das Ehepaar sich bettfertig machte, durchsuchte Kara den Raum, in den sie untergebracht wurde, um nach etwas nützlichen zu suchen, was sie auf der Flucht nutzen konnte.
Eigentlich wollte sie die beiden nicht bestehlen - sie waren gute Menschen -, aber sie war es nicht. Ihr war bewusst, was jetzt wieder vor ihr war - es war schließlich auch nicht ihre erste Flucht aus einem Haus, in dem andere Leute waren. Nur hatte sie bei dem letzten Mal Hilfe... damals war sie nicht allein. Was sie sich nicht alles kaputt gemacht hatte durch ihre Entscheidungen.
Schritte kamen auf ihren Raum zu, weswegen Kara schnell die Schublade, an der sie gerade zugange war, zuschob und auf das Bett sprang - keine gute Entscheidung, die Mattratze war fucking hart wie Stein.
Die Türklinke wurde heruntergedrückt und die Frau kam hinein.
"Ich wollte nur sagen, dass du jederzeit in der Nacht mit uns reden kannst, wenn du willst", sagte sie, als würde irgendjemand wie Kara dieses Angebot annehmen.
"Ja, danke." Kara setzte ihr bestes offensichtlich gefaktes Lächeln aus, um eine innere Zerrissenheit vorzuspielen.
"Du bist so mutig. Ich könnte das nicht durchstehen, wenn ich du wäre", äußerte sie direkt hinterher, als wollte sie das wirklich gerne von sich gegeben haben.
"Ich stehe es auch nur zur Hälfte durch", erwiderte Kara und spielte ein Gähnen vor.
Die Frau verstand das Signal. "Ich werde jetzt ins Bett gehen. Gute Nacht."
Und dann schloss sie die Tür.
Kara wartete ein paar Minuten, bis sie sich versichern konnte, dass sie wirklich weg war. Langsam, damit das Bett kein gefährliches Knarzen von sich gab, erhob sie sich und rollte elegant vom Bett. Anschließend sah sie unter den Türspalt, um festzustellen, dass das Flurlicht ausgestellt wurde.
Die Wahrscheinlichkeit, dass beide wirklich im Bett waren, war hoch, aber nicht hundertprozentig. Als Kara die Tür öffnete, um aus dem Zimmer zu gehen, war sie auf ihren Zehenspitzen.
Auf dem Gang war eine Kommode, von der Kara wusste, dass dort etwas wertvolles verstaut war, da die Ehefrau Kara sehr offensichtlich davon weggeschoben hatte, als sie ein Familienfoto betrachtet hatte. Doch sie musste vorsichtig sein, bevor das Ehepaar sie bemerkte.
Dieser Spaß erinnerte sie an ihre frühen 20er, als sie und Marie reiche Arschlöcher um ihr Geld gebracht hatten, indem die eine den Mann verführte und die andere seinen Tresor knackte. War vielleicht ethisch nicht korrekt, aber sie hatten ihren Spaß damit. Und irgendwie musste man doch auch eine Flucht finanzieren.
Sie zog die Schublade der Kommode auf - und siehe da, Bargeld. Warum ließen diese Leute auch so eine große Menge Bargeld in ihrem Haus. Das lud doch nur dazu ein, es zu nehmen.
So viel sie konnte stopfte sie in ihre Taschen. Neben ihr hing passenderweise ein Morgenmantel. Sie zog ihn an und stopfte noch mehr Geld in die Taschen des Morgenmantels.
Als nächstes knöpfte sie sich das Wohnzimmer vor, in dem sie vorher in einer Vitrine eine Goldkette gelegen hatte. Sie brach die Vitrine auf und nahm sie.
Anschließend ging sie in den Eingang, um sich ihre Schuhe zu holen und zu verschwinden. Doch dann sah sie einen faken Pelzmantel, den sie an den erinnerte, den ihre Mutter immer getragen hatte.
Sie nahm ihn an und verließ das Haus.
Als sie das Auto des Ehepaars kurzschloss, dachte sie darüber nach, was sie als nächstes machen könnte. Mit Marie in Kontakt treten und die alten Zeiten wiederbeleben? Nein, das wäre geschmackslos. Und sie hasst mich sowieso.
Wie es schien, kam die Identität "Kara" ihrem Ende entgegen, wie sie es vorher vorgehabt hatte.
Aber - da hatte sie die Idee plötzlich. Vielleicht hatte sie noch eine einzige Aufgabe vor sich. Wieso hatte sie HYDRA eigentlich in einem nicht-SHIELD Safe House gefunden?
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