- Kapitel 43 -
Zu guter Letzt liegt meine Aufmerksamkeit auf den zwei gegenüberliegenden Türen der linken Seite des Flures, die bereits offenstehen. Sie geben einen Blick auf das Büro von Davis und ein Gästezimmer frei.
Ich betrete zuerst in aller Ruhe sein geräumiges Arbeitszimmer, in dem sofort ein massiver Mahagoni-Schreibtisch ins Auge fällt. Bei näherer Betrachtung hat dieser sogar eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Resolute Desk aus dem Oval Office. Diese Tatsache wundert mich nicht im Geringsten, denn General Davis ist derart hochnäsig, so dass er sich auch für den verdammten Präsidenten halten könnte!
Dabei sehen der überdimensionale, moderne Dreifach-Bildschirm, die Tastatur und Maus eher fehl am Platz aus auf dem alten, schönen Stück. Was mich jedoch wundert, sind die drei Regale voller Bücher an der gegenüberliegenden Wand. Sie erinnern an Waben eines Bienenstocks und gehen fast bis zur Decke, die ungefähr 2,70 m hoch ist. Vorsichtig fahren meine Finger über die teilweise schon sehr alten Lederbuchrücken, die ich auf Augenhöhe habe.
Hier werde ich bestimmt einen Großteil meiner spärlichen Freizeit verbringen, falls der General es überhaupt zulässt!? Zeitgleich kann ich mir diesen Mann irgendwie kaum als großartigen Bücherwurm vorstellen, der es sich in einem Ohrensessel bequem macht, Tee trinkt und Charles Dickens liest ... Er ist für mich niemand, der gerne in einer Traumwelt versinkt, eher der harte Realist ...
Ob Davis die Stücke trotz dessen alle gelesen hat oder sammelt er lediglich bestimmte Bücher?
Diese Fragen wird er mir wahrscheinlich sowieso nie beantworten. Ich seufze wegen meiner unbefriedigten Neugierde und verlasse andächtig den Raum.
Für einen kurzen Moment halte ich jedoch wieder inne und starre ich auf die weißen, kargen Wände des Flurs vor mir. Seltsam, der General hat kein einziges Bild im gesamten Bungalow hängen. Eigentlich schade, denn es wäre dadurch um vieles wohnlicher ...
Das großzügige Gästezimmer vor dem ich zuletzt stehe, liegt natürlich ausgerechnet gegenüber von Davis' Raum, aber was macht das schon!? Schließlich werde ich mein Möglichstes tun, um ihm auf keinen Fall begegnen zu müssen ...
Nach einem kurzen Blick hinein, schleiche ich auf Zehenspitzen ins Wohnzimmer zurück, um rasch meine Tasche und den Rucksack zu holen. Allerdings kribbelt es mir unvorhergesehen in den Fingern und ich nehme mir einen kurzen Moment Zeit, in dem ich, gehässiger Weise, eine teuer aussehende Tischlampe auf dem Sideboard im Wohnzimmer verrücke ...
HA! Nimm das, du Perfektionist!
Mich überkommt sogleich ein ungutes Gefühl ... Ein weiteres Aufeinandertreffen mit dem General würde ich besonders heute nervlich niemals ertragen können! Genau deswegen flüchte ich beinahe lautlos, aber mit äußerst zügigen Schritten in meinen neuen Schlafbereich und schließe fest die Tür hinter mir.
Geschafft, in Rekordzeit! Selbst Speedy Gonzales, die schnellste Maus von Mexico, hätte in den Sekunden nicht die geringste Chance gegen mich gehabt!
Zufrieden grinsend werfe ich das ungeöffnete Gepäck in einen weißen Kleiderschrank mit zwei schweren Schiebetüren, bevor ich meinen ausgelaugten Körper rückwärts auf das erstaunlich gemütliche Doppelbett fallen lasse. Die Sonne scheint mir währenddessen angenehm warm ins Gesicht ... herrlich ...
Es dauert nicht besonders lange und mir fallen für ein kurzes Nickerchen die Augen zu ...
**********
Ich werde aus dem Schlaf gerissen, als es bei Davis' an der Haustür klingelt, wobei der Ton nur dumpf und wie durch Watte zu meinem im Halbschlaf befindlichen Gehirn vordringt. Wenige Sekunden später ist ein leises Klicken zu hören und ich nehme unbewusst das Geräusch einer sich öffnenden und wieder schließenden Tür wahr.
"Stabsgefreite Janssen, sind Sie da?"
Verdammt! Es ist die unverkennbare, glockenhelle Stimme von Melina Wagner, die durch den Eingangsbereich schallt und mich augenblicklich komplett aus dem Schlaf reißt. Schnell wische ich mir über die schlaftrunkenen Augen, springe vom Bett und bewege mich im nächsten Moment auch schon mit hastigen, aber vorsichtigen Schritten durch die Schlafzimmertür und in ihre Richtung ... immer darauf bedacht, das schlummernde Biest nicht zu wecken ...
"Ja ... Ja, ich bin hier."
Die Helligkeit, der von ihr betätigten Deckenleuchten im Wohnbereich, überrascht mich dann doch ziemlich und ich blinzle unwillkürlich, weil es so stark blendet.
"Oh, entschuldigen Sie bitte, ich wollte Sie keinesfalls wecken."
Die Oberstabsärztin lächelt mir anscheinend zu, jedoch kann ich ihre Mimik nicht genau erkennen und reibe abermals über mein verschlafenes Gesicht. Ein kurzer Blick auf die roten Zahlen der Mikrowellenuhr verraten mir, dass es bereits 19.30 Uhr ist. Meine Aufmerksamkeit gleitet abrupt wieder zu ihr. Mit einer gewissen Selbstverständlichkeit greift sie jetzt, wie nebenbei, nach der Wolldecke vom Sofa, um diese ordentlich zu falten und glattgestrichen über die Lehne zu legen. Ganz so, als wäre sie hier zu Hause ...
Ich schlucke schnell meine aufkommenden Emotionen runter, bevor ich ihr murmelnd zu verstehen gebe:
"Das ist kein Problem. Es ist eigentlich sogar besser, sonst bekomme ich heute Nacht wahrscheinlich gar keine Ruhe."
"Ja, das ist gut möglich", erwidert sie mit ihrem gewinnenden Lächeln.
"Wie geht es Ihnen abgesehen davon? Kopfschmerzen, Gliederschmerzen oder fühlen Sie sich schlapp?"
Die Oberstabsärztin ist inzwischen neben den Couchtisch getreten und verstaut die dort liegende Fernbedienung des an der Wand hängenden, 90 Zoll Fernsehers in einer kleinen, versteckten Schublade des weißen Möbelstücks.
Es würde mir sicherlich besser gehen, wenn sie gar nicht erst hier wäre ...
Bei ihm ...
Mit einem weiteren, eigenen Schlüssel ...
Und all diese Dinge tut ...
Für ihn aufräumt ...
Nichtsdestotrotz kann ich die Worte ja schlecht laut aussprechen, deswegen ist meine Antwort, die ich ihr gebe höflich, jedoch kurz und knapp:
"Ein bisschen was von allem, aber es geht schon. Danke der Nachfrage."
Der Gedanke 'Oh Gott, bitte geh doch jetzt einfach schnell wieder' schießt mir plötzlich durch den Kopf. Ich kann selbst Melina Wagners prüfenden Blick nicht standhalten, ohne aufs Neue daran denken zu müssen, wie ich mich heute bei ihrem 'Freund' angebiedert hatte ...
Armselig ...
Ob diese scheinbar absolut perfekte und herzensgute Frau mich wohl dafür hassen würde?
Mit Sicherheit!
"Okay, das ist ganz normal. Gönnen Sie Ihrem Körper die notwendige Ruhe und legen sich hin. Sie müssen viel trinken und zwischendurch etwas essen."
Ihre braunen Augen mustern mich abermals bedächtig von Kopf bis Fuß, bevor ich zustimmend nicke und mir ein kleines Lächeln abringe. Hoffentlich merkt sie nicht, wie falsch es ist ...
Melina Wagner wirkt auf mich zufrieden, denn einen Augenblick später verschwindet sie bereits fröhlich winkend Richtung Haustür. Ich folge ihr mit einem noch immer aufgesetzten Lächeln auf meinen verkrampften Lippen.
"Gut, dann will ich mal wieder los. Falls etwas ist, melden Sie sich gerne bei mir. Schönen Abend und weiterhin gute Besserung, Janssen", ruft sie mir währenddessen zu.
"Danke. Mache ich. Ihnen ebenfalls."
Ich schließe rasch die Tür hinter ihr und atme erleichtert auf. Zugleich erschöpft von meiner Heuchelei, lehne ich mich mit dem Rücken gegen die helle Flurwand neben mir. Dieses Unwohlsein in ihrer Nähe ...
Eigentlich ist das auch kein Wunder, schließlich hat mein moralischer Kompass seit einiger Zeit einen ziemlichen Defekt! Zumindest, wenn es um General Davis geht. Da scheint jemand mit einem LKW vorwärts drüber gebrettert zu sein, legte den Rückwärtsgang ein und hat mein Gewissen zweifellos nochmal überrollt!
**********
Den restlichen Samstagabend verstecke ich mich in meinem neuen und sehr bequemen Bett unter der weichen, dunkelgrauen Daunendecke und döse ein wenig. Zwischendurch versuche ich meinen neu erworbenen Liebesroman zu lesen. Einen Klassiker, den ich zusammen mit 'Ein ganzes halbes Jahr' in der Bücherrei am Bahnhof gekauft hatte, als ich auf dem Weg zum Marinestützpunkt war. Das ist allerdings zum Scheitern verurteilt, weil ich bereits das vierte Mal auf die erste Seite starre.
"Welcher Art die Gefühle und Wünsche eines solchen Mannes im übrigen auch immer sein mögen ..."
Die Worte verschwimmen. Welche Gefühle und Wünsche Davis wohl ... Genervt stöhne ich auf! Wegen meiner fehlenden Konzentration lege ich das Buch stattdessen auf den Nachttisch neben die geschwungene, rosa Leselampe. Was den General bei dieser Auswahl bloß geritten hat, würde mich ebenso interessieren ... Stopp! Zuviel Neugier könnte mir gewiss schaden, denn ganz zurechnungsfähig fühle ich mich noch immer nicht ...
Einerseits bin ich mittlerweile froh ein paar Stunden Zeit nur für mich zu haben, um das Geschehene verarbeiten und meine Gedanken sortieren zu können, andererseits ist diese absolute Stille seltsam, nahezu unheimlich.
Davis sehe und höre ich auch nicht mehr. Ich bin mir darüber hinaus kaum sicher, ob er überhaupt zu Hause ist. Soviel zum auf mich achten! Irgendwie verspüre ich dabei Verärgerung, aber es ist wahrscheinlich besser für uns beide, wenn wir uns schlicht und einfach aus dem Weg gehen ...
Kurz darauf übermannt mich eine ungeahnte Müdigkeit, aber zugleich beginnt mein Magen zu rumoren und zwar ohne Rücksicht auf Verluste. Verdammt ... Nichts ist schlimmer, als hungrig schlafen gehen zu müssen!
Im Widerspruch zu meiner Neigung dem General möglichst nicht begegnen zu wollen, betrete ich Minuten später auf leisen Sohlen die halbdunkle Küche. Die vielen Fenster sorgen für ausreichend Helligkeit im Raum, so dass ich nirgendwo aus Versehen vorlaufe. Trotz allem klopft mein Herz dabei unregelmäßig vor lauter Anspannung. Ohne Aufmerksamkeit zu erregen durch das unnötige Betätigen des Lichtschalters, nehme ich schließlich eine trockene Scheibe Vollkornbrot aus dem Kasten auf der Anrichte und stibitze einen Erdbeerjoghurt aus Davis' Kühlschrank.
Alles ist innerhalb weniger Minuten vertilgt und mit einem Glas Leitungswasser hinunter gespült. Nachdem ich meine Zähne geputzt und mich zügig wieder in das Gästebett gekuschelt habe, schlafe ich im Anschluss daran, wie ein sattes, zufriedenes Baby, ohne Weiteres ein ...
**********
Gegen 2.00 Uhr in der Nacht wache ich plötzlich schweißgebadet auf und erinnere mich verschwommen an einen schlimmen Alptraum, der mich heimgesucht hatte. Das ist zwar nichts Neues, dennoch bringt es mich gerade ziemlich aus der Fassung. Der Ekel, die Berührungen ... So absolut echt ... Ich bin kurz davor zu hyperventilieren ...
Schlaftrunken und stoßweise atmend stolpere ich zügig in die dunkle Küche, um mir ein Glas Wasser zu holen. Ich bin schon fast mit meiner Hand an der Kühlschranktür, da bemerke ich auf einmal, wie eine dunkle Gestalt aus dem Nichts neben mir auftaucht!
"Ahhhhhh!!!"
Vor lauter Schreck kreische ich auf und auch mein Gegenüber zuckt zusammen, bevor dieser Jemand sich abrupt zu mir dreht. Meine Hand legt sich unwillkürlich auf mein rasendes Herz. Das Atmen scheint jedoch in der Sekunde vergessen zu sein.
Die intensiven Blicke zwischen uns ... wie zu Skulpturen erstarrt ...
Der Moment scheint eine Ewigkeit zu dauern ... eisblaue Augen in der Nacht ...
General Davis ... Scheiße!
Ohne ein Wort zu verlieren, wendet er sich von mir ab, holt zwei farblose Trinkgläser aus dem Hängeschrank über ihm, stellt sie auf die Anrichte und gießt in beide Wasser ein. Langsam beginne ich wieder zu atmen und auch mein Gehirn ist nicht mehr schockgefrostet ...
Die Flasche mit der sprudelnden Flüssigkeit stand bereits dort ... Somit wäre eine logische Schlussfolgerung, dass mein Vorgesetzter ein wenig eher, aber mit der gleichen Idee in die Küche kam. Das würde zumindest sein plötzliches Auftreten erklären!
Davis nimmt nun je ein Glas in die Hand und dreht sich langsam in meine Richtung. Ich bin zwischenzeitlich ein wenig aufnahmefähiger als zuvor und bemerke erst jetzt, dass der General ausschließlich eine dunkle Boxershorts trägt. Das Mondlicht leuchtet mit einem Mal hell und klar durch das Küchenfenster, wie der Scheinwerfer bei einer verdammten Szene aus einem Musical ...
Mir wird heiß und kalt zugleich. Meine Augen huschen rasch über die fast gänzlich nackte, gebräunte Haut vor mir, meine Wangen dabei förmlich glühend, ähnlich wie im Fieberwahn. Ich bin jetzt mit Sicherheit knallrot! Am liebsten hätte ich mir glatt die Hände vors Gesicht geschlagen!
Der General hingegen hält mir inzwischen laut räuspernd das Glas direkt vor die Nase. Oh Gott, wie peinlich! Hatte ich ihn etwa wirklich angestarrt? Scheiße, verdammt!
Umgehend will ich ihm das Wasser aus der Hand nehmen, um endlich meinen direkten Blick von ihm abwenden zu können, aber er lässt mich nicht. Stattdessen hält Davis den unteren Teil fest umklammert mit seinen langen, starken Fingern, wobei sein harter Blick sich geradewegs in meinen bohrt.
Auf einmal zieht der General ruckartig das Glas wieder zu sich und ich stolpere, ohne es zu wollen, auf ihn zu. Beinahe hätte ich ihn sogar angerempelt!
"Was soll der Mist?", zische ich prompt und lasse verärgert meine Hand fallen.
Wortlos und mit einem undurchschaubaren Ausdruck in seinem Gesicht kippt er mir nichts, dir nichts das volle Wasserglas jetzt ganz langsam auf dem Boden aus, knallt dieses leer auf die Anrichte und geht einfach so in Richtung seines Schlafzimmers zurück.
"Ich habe gesagt, Sie sollen unsichtbar bleiben! Und Finger weg von meiner Lampe!", schreit Davis ziemlich aufgebracht über den kleinen Flur.
Rums!
Seine Tür ist definitiv wieder zu ... insbesondere für mich ...
Total perplex stehe ich in der Küche und schüttle verwirrt den Kopf. War das gerade alles nur ein weiterer, verrückter Traum? Liege ich in Wirklichkeit etwa immer noch im Bett?
Meine nackten Füße werden urplötzlich feucht, als ich rasch zu Boden schaue und die sich in aller Ruhe ausbreitende Pfütze um mich herum sehe.
Allem Anschein nach ist es kein Traum gewesen!
**********
Am Sonntag flüchte ich beinahe aus Davis' Behausung und besuche lieber direkt frühmorgens Mike auf der Krankenstation. Wir nutzen die Zeit, um ein bisschen zu quatschen. Es ist wie Balsam für die Seele mit ihm zu reden, herumzualbern und zu lachen. Er ist das beste Allheilmittel!
Ich fläze mich im Moment auf dem Besucherstuhl, habe die Schuhe ausgezogen und meine Beine gemütlich auf Mikes Bett abgelegt. Jedoch driften meine Gedanken ohne meinen Willen oder mein Zutun ab ...
General Davis ...
Angestrengt runzle ich meine Stirn. Wieso ist er eigentlich zum x-ten Mal ein derart übertrieben fieser Mistkerl in meiner Gegenwart ... Und wieso lässt der Gedanke an ihn mich einfach niemals los? Glaube ich etwa wirklich, dass er mehr zu bieten hat, als die nervige Arschloch-Art? Oder hatte mich die Vergangenheit zu sehr geprägt, eher verkorkst und ich brauche unter allen Umständen seine Bestätigung ... Verdammt nochmal ...
Auf einmal sieht mein bester Freund jetzt mit einem unerwartet ernsten Blick in meine Richtung und gesteht leise:
"Leyli, was ich dir noch sagen wollte: Ich habe General Davis gestern nicht verpfiffen! Wir sollten die Thematik wohl besser auf sich beruhen lassen ..."
Mike lächelt mich dabei mit einem Hauch von Traurigkeit an, aber ich bin seltsamerweise einfach nur erleichtert, so dass mir ein lauter Seufzer entweicht.
"Er wird es dir hundertprozentig danken, Key! Da bin ich mir absolut sicher!"
Gleichgültig zuckt Mike hingegen mit den Schultern, während er murrt:
"Ich habe der Oberstabsärztin das mit der Übung 'Verhörtechnik' verklickert, also die gleiche Geschichte, die du Ben hast glauben lassen. Keine Ahnung, ob sie mir das abgekauft hat!? Oder ob unser lieber Kamerad nur so tut, als wüsste er nicht was abgeht!? Wahrscheinlich kann sich diese Wahrheit aber sowieso niemand vorstellen! Zumindest ließ sie meine Aussage so stehen und fragte auch nie weiter nach. Dabei ging es mir jedoch ausschließlich darum dich zu schützen, niemand anderen! Und besonders nicht ihn ..."
Mein Lächeln für Mike ist liebevoll und ehrlich, als ich meinen Kopf schief lege und ihm gestehe:
"Danke Key, du bist wirklich der Beste! Ich würde die letzten zwei Tage am liebsten ungeschehen machen, aber den Einfluss auf die Zeit habe ich leider nicht. Deshalb werde ich dafür sorgen, dass das nie wieder passiert!"
Meine Stimme ist zum Ende hin ein wenig bedrückter, aber Mike beugt sich weit zu mir vor, wobei er direkt kopfschüttelnd nach meiner Hand greift. Er drückt sie sanft.
"Nein, Kleines! Ich sorge dafür, dass er dir nichts tut! Davis hat mich kalt erwischt, trotzdem werde ich das im Notfall nicht noch einmal dulden oder gar unter den Tisch fallen lassen! Besonders möchte ich kein weiteres Mal, dass du mit ihm irgendwo allein bist, wenn er sich derart vergisst!"
Ich nicke bloß langsam, wobei mein Daumen und der Zeigefinger nachdenklich eine blonde Strähne zwirbeln, die über meine Schulter nach vorne auf das Schlüsselbein gefallen ist. Das hat leider keine beruhigende Wirkung auf mich ...
Key hat keinen blassen Schimmer, wo ich im Moment übernachte, aber ich traue mich auch nicht es ihm in dieser Sekunde zu beichten. Mir wird schon schlecht bei der Vorstellung seiner Reaktion, wobei sich gleichzeitig eine dunkle Vorahnung in mir aufbaut. Die beiden werden mit Sicherheit nie 'Freunde'! Dafür steht zu viel zwischen ihnen, insbesondere Misstrauen ...
Und dann diese beschissene Zwickmühle, in der ich stecke und deswegen keinem der beiden gerecht werden kann ... Die Reaktion vom General gestern Morgen ist maßlos übertrieben gewesen, ein absolut alarmierendes No-Go und das Letzte, was ich wollte, war, dass er Mike verletzte, jedoch kann ich meinem besten Freund auf keinen Fall die Wahrheit und den Grund darüber erzählen!
Davis war in dem Moment nicht er selbst oder gar bei sich, aber verdient er es trotzdem wegen Körperverletzung angeklagt zu werden? Eine leichtfertige Entscheidung darüber zu fällen ... Wer bin ich, das zu tun? Denn diese Aktion würde ihn mit Sicherheit den Job kosten, das ist gewiss. In der Sekunde überwiegt mein Gefühl, dass genau das nie passieren darf. Schon gar nicht meinetwegen!
Auch, wenn mein Vorgesetzter sich mir gegenüber wie das größte Arschloch benimmt, räche ich mich wohl kaum mit einem angezettelten Disziplinarverfahren! Besonders nicht nachdem, was ich inzwischen weiß: Über ihn, seine Vergangenheit und seine Zwillingsschwester. Niemals werde ich Davis' Vertrauen missbrauchen, indem ich seine Geschichte jemandem preisgebe!
Aber würde Key nicht ebenfalls 'Gerechtigkeit' zustehen? Und Davis' Gewaltbereitschaft gegenüber einem Unschuldigen ... So etwas darf nie verschwiegen werden! Bin ich nicht verpflichtet andere zu schützen? Es fällt mir schwer weiter über die Konsequenzen nachzudenken ...
Allerdings bedarf es zumindest einer ehrlich gemeinten Entschuldigung vom General!
Ob ich ihn dazu bringen könnte? Wahrscheinlich eher weniger ...
Fest entschlossen einfach allen Reibereien mit meinem Vorgesetzten für eine sehr lange Zeit aus dem Weg zu gehen und mich derart zurückzuhalten, dass ich keine weitere Eskalation zwischen ihnen provoziere, richte ich mich abrupt auf.
Erst jetzt bemerke ich, wie ich minutenlang vor mich hingestarrt hatte und Mike inzwischen langsam mit seiner Hand vor meinem Gesicht wedelt.
"Alles okay, Leyli?"
Ich nicke schnell.
"Klar. Ich habe bloß drüber nachgedacht, ob ich dir das Buch zeigen soll, das ich mitgebracht habe. Wie wäre es, wenn ich dir zum Langeweile vertreiben ein bisschen daraus vorlese?"
Mike strahlt jetzt übers ganze Gesicht.
"Da fragst du noch? Sehr gerne! Na dann schieß mal los mit deinem Groschenroman ..."
Kichernd halte ich ihm das Buch entgegen.
"Von wegen! Es ist extra eine Stephen King Geschichte zum Entspannen ... nur für dich!"
Sowohl lachend, als auch erwartungsvoll leuchten Keys Augen auf, bevor ich die erste Seite aufschlage, um mit tiefem Timbre für die richtige Stimmung zu beginnen:
"Es ist eine alte Stadt, die nicht mehr in besonders gutem Zustand ist ..."
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