- Kapitel 34 -
Das ungute Gefühl, gleichzusetzen mit einer gewissen, bösen Vorahnung, begleitet mich stetig, während ich vorsichtig durch die Eingangstür unseres Wohnheims trete. Es ist beängstigend still.
Plötzlich höre ich einen scheppernden Knall, markerschütterndes Gebrüll, gefolgt von einem lauten Stöhnen. Ich sprinte entsetzt den Flur entlang. Sie dürfen sich einfach nicht gegenseitig verletzen!
Im nächsten Moment schiebe ich mich auch schon ängstlich um die Ecke und durch die halb geöffnete Tür in unseren Schlafsaal. Bei dem Anblick setzt mein Herz aus, mein Körper bebt vor Adrenalin!
Mike liegt bereits zusammengekauert und blutverschmiert vor den Spinden auf dem Boden. Der General ragt dabei drohend über ihm. Seine Augen funkeln vor Hass, allerdings wirkt Davis' Körperhaltung auf eine seltsame Weise nervös mit seinen stark zitternden Armen. Vielleicht ist es gleichermaßen der erheblichen Anspannung geschuldet, da bin ich mir keineswegs sicher.
Meine Augen gleiten zu seinen geballten Fäusten und ich sehe, dass sie rot gefärbt sind. Es klebt eindeutig Blut an ihnen ...
Mir wird augenblicklich schlecht.
Als der General sich nun schweratmend mit den Armen links und rechts an den Spinden abstützt und mit seinem Bein ausholt, um Mike mit Wucht in die Magengegend treten zu können, springe ich mit einem Satz vor ihn. In Sekundenschnelle schmeiße ich mich, ohne die Konsequenzen zu bedenken, beschützend über meinen besten Freund auf den Boden. Meine ängstlichen Schreie hallen in dem ansonsten leeren Schlafsaal wider:
"Nein! Hören Sie auf! Sofort! Lassen Sie ihn in Ruhe, General!"
Ich schaue zu ihm hoch und sehe, wie Davis' wutentbrannter Blick sich schlagartig ändert, als er mich sieht und gleichzeitig durchfährt ihn ein nervöses Zucken.
"N-Nora!? Was machst du hier? D-D-Du solltest gewiss nicht dabei sein!", ruft er völlig überrascht mit bebender Stimme. Sein ganzer Körper zittert, wie Espenlaub. Ich erkenne meinen Vorgesetzten in diesem Moment kaum wieder und schreie ihn deshalb erneut panisch an:
"Davis, hören Sie auf einfach wahllos meinen Kameraden zusammenzuschlagen, obwohl er nichts getan hat!"
Unsere Blicke sind inzwischen starr aufeinander fixiert. Der General scheint überhaupt nicht er selbst zu sein, denn er bebt jetzt noch unkontrollierter als zuvor, die Pupillen erweitert und sein Atmen gleicht eher einem Keuchen.
Zum Teufel, hatte er etwas genommen und ist high, oder woher rührt sein absurdes Verhalten? Hat er deshalb auch meinen Namen verwechselt!? Oder wer zur Hölle ist Nora?
Mike bewegt sich auf einmal ächzend unter mir. Meine Aufmerksamkeit wechselt schnell zu ihm und ich wische behutsam seine blutverschmierten Haare aus dem Gesicht.
"Es tut mir so Leid, Key. Oh Gott, wäre ich doch bloß eher bei dir gewesen", flüstere ich reumütig und rutsche ein Stück von ihm ab, damit er sich vorsichtig hinsetzen kann.
Langsam stützt Mike seinen geschundenen Körper mit den Armen vom Boden hoch und richtet ihn nahezu lethargisch auf. Er stöhnt vor Schmerz, während er seine rechte Seite hält. Der General hatte ihn anscheinend ziemlich übel zugerichtet mit weiteren Verletzungen, die zunächst unerkannt sind und sich gut versteckt unter Keys Kleidung befinden ...
Mich überfordert diese Situation maßlos und ich weiß nicht, wie ich überhaupt reagieren soll, außer den verletzen Soldaten weiterhin mit meinem Körper vor Davis abzuschirmen.
Ich knie mich dicht zu meinem besten Freund, währenddessen er sich mühevoll in den Schneidersitz aufsetzt und sowohl seinen Rücken, als auch den Kopf äußert erschöpft gegen die Metallspinde lehnt. Die Augen hat Mike dabei geschlossen. Einige Prellungen und Cuts zieren sein hübsches Gesicht. Vorsicht streiche ich ihm ein wenig Blut von der Augenbraue und seiner Wange. Mein Herz rast vor Sorge.
"W-was ist hier l-los?", fragt er mich benommen mit leiser, zittriger Stimme.
Ich kann gar nicht so schnell reagieren, wie General Davis plötzlich hinter mir wütend zu zischen beginnt:
"Hören Sie auf zu schauspielern, Winter ... Sie dreckiges Arschloch! Ihr etwas in den Drink zu tun, um sie gefügig zu machen ... Sie sind dermaßen abartig! Und was wollten Sie dann mit ihr anstellen? Oh, Sie verdienen weitaus mehr, als nur windelweich geprügelt zu werden ..."
Ich hatte Davis bis zu diesem Moment außer Acht gelassen, allerdings ist eben jener ausgesprochen bereit, weiter auf Mike einzuschlagen. Ich spüre zwischenzeitlich, wie der General direkt hinter mir mit festen Schritten auf- und abläuft. Mein bester Freund reißt jäh seine Augen weit auf, indes sein entsetzter Blick den meinen sucht.
"Leyli, d-das würde ich dir doch niemals antun und das weißt du ... h-hoffentlich ..."
Einige Tränen der Verzweiflung rollen ihm über die Wange. Ich streiche sie behutsam weg.
"Keine Angst, Key, ich weiß das! Aber lass mich das lieber erklären, okay?"
Auf einmal schreit General Davis jedoch mit seiner dunklen Befehlsstimme:
"Tritt endlich beiseite, das klären ausschließlich die Männer! Nora, du musst ein Mal auf mich hören, ich weiß genau, was zu tun ist!"
Er hatte mich schon wieder 'Nora' genannt.
Was ist bloß los mit ihm?
Mein Vorgesetzter scheint völlig außer Kontrolle und neben der Spur zu sein ...
Zutiefst empört schnaufe ich laut in Verbindung mit einem nahezu abfällig klingenden Geräusch. Nicht nur, dass der General ohne mit der Wimper zu zucken meinen besten Freund krankenhausreif schlägt, darüber hinaus kann er dieses bescheuerte, sexistische Gehabe einfach nicht sein lassen! Selbst in dieser verdammten Situation! Seine Großspurigkeit, die scheiß Ignoranz ...
Während ich Davis gerade wütend zurechtweisen will, betritt Ben plötzlich den Schlafsaal und verharrt mit einem ziemlich entsetzten Blick neben uns. Ich hingegen schaue überrascht zu ihm auf und habe meinen Kameraden mit der großen Klappe gleichzeitig noch nie derart sprachlos gesehen.
"Was zur Hölle ist hier passiert?", will Ben wissen und schaut mit hochgezogener Augenbraue und vor Schreck geöffnetem Mund zwischen uns Dreien hin und her.
General Davis dreht sich abrupt zu Ben um und funkelt ihn unerwartet böse an ...
OH FUCK!
"Was wissen Sie eigentlich über den gestrigen Abend in der Kneipe, Peters? Sie waren doch auch dort, oder? An der Bar ..."
Davis' bebende Stimme erschreckt mich zutiefst. Er scheint augenblicklich den Fokus geändert und sogar Ben im Visier zu haben. Mit lediglich einem falschen Wort würde dieser unmittelbar das nächste Opfer werden. Der Soldat steht noch immer total verblüfft neben uns und versteht wohl die Welt nicht mehr. Ich bin mir unsicher, was unser Vorgesetzter obendrein mit ihm anstellen wird, weswegen ich meinem Kameraden prompt mit drängendem Tonfall zurufe:
"Der General hat uns eiskalt mit der Übung 'Verhörtechnik' überrascht, aber jetzt steh nicht rum, sondern schnapp' dir Mike und bring ihn zur Krankenstation! Los!"
Gleichzeitig springe ich mit einem Satz vom Boden auf und stelle mich konsequent vor Davis hin. Ich habe keine Ahnung, ob es mir überhaupt gelingt ihn abzulenken ... beziehungsweise, ob ausgerechnet ich in der Lage bin den General weitestgehend besänftigen zu können ...
Behutsam, zugleich mit laut klopfendem Herzen, lege ich meine rechte Hand auf seine breite Schulter und flüstere kaum hörbar:
"General? Sehen Sie mich an. Es ist alles in Ordnung. Keiner der beiden hat mir etwas getan. Sie müssen sich nun ganz dringend beruhigen ..."
Als Davis gestern Nacht seine Hand auf meine Schulter legte, durchfuhr mich dieses ungewöhnlich gute Gefühl und ich hoffe inständig, dass er es bei mir in diesem Moment auch spüren kann ... dass ich ihm etwas gebe, was ihm hilft ...
Der General hat nach wie vor geweitete Pupillen und scheint kaum im Hier und Jetzt anwesend zu sein, so dass ich Angst bekomme. Keine Angst um mich, aber verrückter Weise um Davis ...
In der Sekunde ist mein einziger Gedanke die Situation und besonders ihn zu retten ... in erster Linie vor sich selbst.
Er ist nach Außen hin vielleicht kühl und reserviert, allerdings nicht unberechenbar, geschweige denn auf diese Art gewalttätig. Gut, es sei denn Davis hat mit mir zu tun, schließlich bringe ich ihn des Öfteren auf die Palme. Dann motzt der General lauthals los und bringt fiese Sprüche, aber mehr nach dem Motto 'Hunde, die bellen, beißen nicht'. Mir ist nicht klar, warum mein Vorgesetzter so fürchterlich die Fassung verliert und wieso ausgerechnet von ihm eine derartig erschreckende Bedrohung ausgeht.
In dem Moment, als Ben meiner Aufforderung ohne Weiteres nachkommt, bin ich verdammt erleichtert. Er ruft wiederum freudestrahlend aus:
"Leute, die Übung ist ja mal krass geil! Ich will bei nächster Gelegenheit auch das Opfer spielen. Na los, Mikey Mäuschen, sei doch nicht so ein Weichei! Im Einsatz könnte es wesentlich schlimmer werden!"
Ich sehe aus dem Augenwinkel, wie er schnellen Schrittes auf seinen Kameraden zugeht und ihm aufhilft. Ben stützt Mike dabei unter dem Arm und sie schleppen sich zusammen mit schweren Schritten in Richtung Tür. Ich atme beruhigt auf, besonders weil Davis' Augen weiterhin starr auf mich gerichtet sind.
Kurz bevor die beiden jedoch aus dem Schlafsaal treten, sagt Mike mit verzweifelt klingender Stimme:
"Leyli, ich lass dich bestimmt niemals mit einem ... Schlä ... ihm allein! Ich gehe nicht ohne dich hier raus, auf keinen Fall! Bitte, komm einfach mit mir ..."
Er stöhnt vor Schmerzen auf und will sich schon von Ben loseisen, um zu mir zurück zu humpeln. In der Sekunde schüttelt Davis allerdings seinen Kopf und sein funkelnder Blick schwenkt ruckartig zu meinen Kameraden herüber.
Ich erkenne längst, wie der General mich im nächsten Moment zur Seite schieben will, um hinter den beiden her zu hechten. Seine Hand umschließt inzwischen energisch meine Schulter. Dieses Mal mit einer anderen Intention ... leider!
"Zur Seite!", faucht Davis gereizt, aber ich rühre mich keineswegs von der Stelle. Bestimmend nehme ich seine Hand von mir und rufe mit einer gewissen Anspannung in der Stimme:
"Nein, das ist Irrsinn! Schluss damit! Und ich komme klar, jetzt lauft endlich! Vertrau mir bitte, Key!"
In Sekundenschnelle mache ich einen Satz auf die Schlafsaaltür zu, wobei ich Mike und Ben den fehlenden, letzten kleinen Schubs hinaus gebe. Sofort schlage ich diese zu und schließe sie mit einem lauten, metallischem Klicken hinter ihnen ab, während der verzweifelte Ruf 'Leyli, neeeiinn' von Mike auf der anderen Seite zu hören ist. Es tut mir im Herzen weh ... Gleichzeitig dringt jedoch ein amüsiertes, schrilles Lachen von Ben durch die Tür.
"Wahnsinn, wie solche Dramaqueens aus einer Soap ... Ihr nehmt das schon sehr Ernst mit der Übung. Ganz offensichtlich sind an euch echte Schauspieler verloren gegangen ... Aber los jetzt, Mister Kampfamateur! Wie hast du dich nur so zurichten lassen können? Dir fehlt definitiv mehr Training, Mickey Mäuschen! Und du sollst das Opfer bloß spielen, nicht gleich sein, Holzkopf!"
Seine Stimme wird ganz allmählich leiser, so wie das Schlurfen ihrer gedämpften Schritte. Ich bin schlichtweg froh, dass Ben manchmal nicht die hellste Kerze auf der Torte zu sein scheint und wir das Theater hoffentlich ohne weitere 'Verluste' beenden können.
Doch dann kommt mir indes meine eigene Situation in den Sinn!
Ich bin mit einem äußerst wütenden, nahezu unberechenbaren General allein in unserem Schlafsaal eingeschlossen und mich ergreift prompt eine unbehagliche Gänsehaut von Kopf bis Fuß ...
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