- Kapitel 11 -
Der Tag zieht sich unendlich in die Länge, bis wir fünf gegen 18.00 Uhr endlich aus dem Seminarraum treten. Die restlichen Stunden sind zwar ohne weitere, erwähnenswerte Vorkommnisse verstrichen, aber ich war mental sowieso nicht mehr zu 100% anwesend nach dem 'netten' Aufeinandertreffen mit General Davis.
Allein bei dem Gedanken an ihn, erhöht sich mein Puls ... jedoch auf eine schlechte Art und Weise. Mehr in die Richtung von Herzinfarkt-Gefährdung, weil er mich so stinkwütend macht!
Ich beschließe kurzerhand, den aufgewühlten, emotionalen Teil in mir vor dem Abendessen noch ein bisschen im Fitnessstudio abzureagieren. Das ist wahrscheinlich die einzige Möglichkeit, diese bösartigen und erniedrigenden Worte des Generals aus meinem Gedächtnis zu löschen. Na ja, zumindest wird es ein kläglicher Versuch sein, sie wenigstens für ein paar Minuten zu verdrängen!
In Bezug auf solche Dinge, habe ich ein Elefantengedächtnis und bin äußerst nachtragend ...
Sollte General Davis jemals bei mir um Entschuldigung bitten ... Gut, das würde nie passieren, eher trüge er bis in alle Ewigkeit einen rosa Flecktarnanzug, aber wenn doch, dann ...
Meine Hände ballen sich bereits wieder zu angespannten Fäusten, während ich das Marinegelände eiligen Schrittes überquere.
Genau deswegen wäre ein bisschen 'runterkommen' vorteilhaft ...
Wahrscheinlich sollte ich darüber nachdenken mit Yoga anzufangen, oder mir autogenes Training beibringen zu lassen ... Für heute muss allerdings das Joggen und ein Gerätetraining reichen, so wie an diesen Tagen in der Vergangenheit, an denen ich mich schlecht fühlte, wo meine Person nichts wert war, meine Anwesenheit egal schien ...
Ich bin trotz allem guter Dinge, als ich jetzt die graue, schwere Doppeltür zum Sportbereich weit öffne und mit gewisser Vorfreude hinein gehe. Dennoch verschlägt mir der Anblick im Inneren glatt den Atem!
Ausgerechnet General Davis steht mit dem Rücken zu mir gewandt keine drei Meter entfernt und bearbeitet mit schnellen, harten Schlägen diesen unschuldigen Boxsack. Der hat mir ja gerade noch gefehlt!
Für einen kurzen Moment halte ich inne, während meine Augen wie gebannt über seine nackten, muskulösen, von Adern durchzogene Arme gleiten. Sie glänzen vor Schweiß in dem trüben Licht und spannen sich bei jedem Schlag erneut an. Mein Herz rast unwillkürlich.
Wie lächerlich, liebes Herz! Davis ist schließlich nichts Besonderes, denn meine Kameraden und unsere Ausbilder Hartmann und Schulz sehen fast genauso aus ...
Okay, vielleicht findet sich dort keine gänzliche Definiertheit, wie beim eitlen General Gockel, trotzdem ist es nichts, was ich in den letzten Wochen nicht schon hundert Mal gesehen hätte.
Plötzlich fällt die schwere Tür zum Fitnessstudio mit einem lauten Rums hinter mir ins Schloss und ich erwache total erschrocken aus dieser Gedankenwelt. Mein ganzer Körper zuckt direkt ertappt zusammen, so als hätte mich jemand bei etwas Verbotenem erwischt.
Ich schlucke vor lauter Nervosität und schaue mich schnell zu allen Seiten hin um, allerdings ist niemand anderes hier. Erleichtert atme ich auf. In der nächsten Sekunde siegt jedoch der Wunsch mich schnellstmöglich umzudrehen und aus dem Staub zu machen, während Davis genau dann einen kurzen Moment innehält.
Dreh dich ja nicht um, bete ich innerlich, aber er setzt sein Training schon längst wieder fort. Ich will auf gar keinen Fall, dass er weiß, dass ich hier bin. Und dann auch noch allein ... mit ihm!
Der General soll letzten Endes nicht die Chance bekommen, mich selbst an diesem Ort weiter niederzumachen, so wie er es heute bereits vorm Seminarraum getan hatte!
Allerdings ist Angriff die beste Verteidigung, kommt mir in den Sinn und ich beschließe einfach zu bleiben. Ich beweise Mut, oder die andere Alternative ist: ich bin dumm. Aber das wird sich wohl im Verlauf der Zeit noch herausstellen.
Nichtsdestotrotz sind meine Schritte nahezu lächerlich leise, während ich mir ein Laufband zum Aufwärmen in der hintersten Ecke aussuche, versteckt durch eine dicke, graue Säule. Ich hoffe schlichtweg darauf, dass Davis mich links liegen lassen wird, selbst wenn er mich hier entdeckt. Mit einem verbleibenden mulmigen Gefühl stecke ich meine EarPods in die Ohren, drehe die Musik lauter und fange an zu laufen.
Es tut so gut meine endlosen Gedanken unbeschwert 'wegzurennen'. Mein Kopf ist frei und ich fühle mich sogar bereit für die weiteren Hürden, die in der nächsten Zeit auf mich zukommen könnten. In welcher Form, Variante, oder Person sie auch immer auftauchen würden.
Eine Stunde später, und noch mit dem dröhnenden Sound von 'Bullet for my Valentin' in meinen Ohren, springe ich fröhlich und voller Elan, jedoch ohne richtig hinzusehen, seitlich vom Laufband. Prompt stoße ich mit jemandem zusammen. Es hätte von der Härte des Aufpralls gleichermaßen die Säule sein können, aber die wandert wohl kaum durch den Raum ...
"Tschuldige!", brülle ich unwillkürlich als erste Reaktion und blicke sofort auf. Eine bebende Männerbrust im dunklen Shirt. Langsam hebe ich meinen Kopf immer weiter, bis ich ausgerechnet in eisblaue Augen schaue. Verdammt nochmal!
Er schon wieder!
Erst jetzt wird mir so richtig bewusst, dass wir lediglich mit Millimeter-Abstand voreinander zum Stehen gekommen sind. Ich kann seinen heißen Atem in meinem Gesicht spüren.
Selbst der General ist für einen kurzen Schockmoment erstarrt, fängt sich allerdings im Handumdrehen wieder. Zumindest schneller als ich, denn im nächsten Augenblick bewegt er seine großen Hände jeweils seitlich auf mein Gesicht zu, um mir schließlich ganz sanft die Kopfhörer aus den Ohren zu nehmen.
Ich weiß kaum, wie mir geschieht. Unsere Augen sind weiterhin aufeinander fixiert. Das regelmäßige Atmen fällt mir immer schwerer, trotzdem kann ich meinen verdammten Blick nicht von ihm abwenden ...
Seine mandelförmigen Augen mit den langen, dunklen Wimpern, dieses Blau, das an einen Karibikurlaub erinnert ...
Plötzlich unterbricht mein Vorgesetzter diesen außergewöhnlichen Moment, indem er seinen Kopf senkt und für eine Weile meine rechte Hand betrachtet, bevor er sie sehr zögerlich ergreift. Ich beobachte ihn dabei, so als würde bloß ein Film vor mir ablaufen ...
Seine große Hand, im Gegensatz zu meiner eher zierlichen, fühlt sich rau und zugleich sanft auf meiner Haut an. Mein Herz pocht dermaßen laut in meiner Brust, so dass ich Angst habe, Davis könnte es sogar hören. Ich fühle mich hypnotisiert von ihm. Ähnlich, wie bei der Schlange Kaa aus dem Dschungelbuch, die dich erst einlullt und dann innerhalb von Sekunden zuschnappt.
Aber anstatt zu beißen, dreht der General meine Hand mit seiner um, so dass meine Handfläche nach oben zeigt, um schließlich die Stöpsel hinein zu legen.
"Machen Sie auf keinen Fall diesen Anfängerfehler. Sie müssen den Feind kommen hören. Immer."
Seine Stimme ist ein Flüstern, trotzdem schwingt ein eindringlicher und ernster Unterton mit.
Ich blicke auf Davis' Finger hinunter, die sich vorsichtig um meine legen, als er sie mit den EarPods darinnen schließt. Diese Wärme, das Gefühl von seiner Haut auf meiner ...
Sofort zieht er seine Hand wieder zurück, viel zu abrupt für mein Empfinden! Ich sehe, dass seine Knöchel blutig sind und schüttle unbeabsichtigt den Kopf. Verzweifelt versuche ich dem Drang zu widerstehen, seine Hände in meine zu legen und behutsam über die Wunden zu streichen.
Meine unglaubliche Wut auf ihn ist in dieser Sekunde verpufft.
Stattdessen sehe ich ihm direkt in die Augen und frage leise, mit einem Hauch von Verzweiflung:
"Sind Sie denn einer meiner Feinde?"
Davis schweigt, scheint zögerlich. Sein Gesichtsausdruck wirkt fast schmerzerfüllt und ich frage mich, was er in Wahrheit denkt, aber einfach nicht ausspricht!?
Kein Laut kommt ihm über die leicht geöffneten Lippen, während er vorsichtig seine Hand auf mein Gesicht zubewegt. Es scheint, als wäre der General bei jeder seiner Bewegungen auf der Hut, doch er greift jetzt selbstsicher nach dem Schirm und nimmt ganz langsam die Cappy von meinem Kopf. Ich halte vor Aufregung den Atem an. Achtlos landet die Kappe auf dem Boden.
Bin ich etwa beim Laufen kollabiert und träume gerade, oder passiert das wirklich?
Meine langen, blonden Haare fallen wie ein verheddertes Knäuel über die linke Schulter und es läuft mir wieder dieser seltsame Schauer den Rücken hinunter. Davis berührt mit seinen Fingern mein Schlüsselbein, während er meine Haarspitzen behutsam auseinander zupft.
"Wie könnte ich jemals Ihr Feind sein?", raunt er dabei.
Verwirrt schüttle ich leicht meinen Kopf. Mit dieser Gegenfrage habe ich keineswegs gerechnet ...
"Allerdings finde ich es äußerst unhöflich von Ihnen, wenn Sie mich beim Training heimlich anschmachten ..."
Ein süffisantes Lächeln ziert auf einmal seine blassroten Lippen. Der Funke Unsicherheit in ihm ist einfach so verschwunden.
Aber okay, dieser blöde Kommentar ist definitiv von ihm zu erwarten gewesen!
Trotz dessen mich seine Arroganz nervt, erschaudere ich erneut, angesichts dieser seltsamen, durchdringenden Intimität zwischen uns. Es kommt sogleich das Gefühl tausender Schmetterlinge auf, die wild in meinem Bauch umherflattern ... unaufhaltsam ... FUCK!
Seine letzte Aussage kommentiere ich dennoch mit einem genervten Augenrollen, was er grinsend zur Kenntnis nimmt.
Stattdessen flüstere ich mit ernstem Tonfall:
"Seien Sie bitte ein Mal ehrlich zu mir! ... Warum ... warum wollen Sie mich tatsächlich los werden?"
Davis kann mir nicht in die Augen sehen, zumindest senkt er den Blick und schaut abwesend auf seine Finger, die bedächtig weiter über meine Haare fahren.
"Es gab ... Nein ... Sie würden es nie verstehen", murmelt er vor sich hin.
"Doch! Doch, das würde ich! Versuchen Sie es! Ich habe eine gute Auffassungsgabe. Bitte ... Und bitte haben Sie nur keine blöden Vorurteile, weil ich eine Frau bin, denn ich bin in der Lage den Kampf durchaus zu gewinnen!", erwidere ich stolz. Die Zuversicht, ihn von mir überzeugen zu können, überflutet mich bereits.
Er wirkt gerade jetzt viel nahbarer und ...
Abrupt hält der General in seiner Bewegung inne und umgreift mit beiden Händen energisch meine Wangen.
... oder auch nicht ...
"Sehen Sie mich an!", zischt er mir zu und ich gehorche ihm willenlos.
Eine weitere, ungewollte Gänsehaut durchfährt meinen gesamten Körper. Die Kraft und die Intensität seines Seins und seiner ganzen Person sind unvorstellbar. Seltsamerweise empfinde ich Davis zu diesem Zeitpunkt nicht als übergriffig, oder als Gefahr, sonst hätte ich ihm auch schon längst eine geklebt!
"Sie verstehen gar nichts, Janssen! Sie loszuwerden ist das Letzte, was ich möchte! Aber ich werde niemals zulassen, dass Sie jeden mit Ihrer Entscheidung ins Unglück stürzen! Besonders nicht sich selbst! Ich will Sie nur beschützen!"
Ich bin zutiefst überrascht von seinen ehrlichen Worten und so perplex, dass ich Davis einfach nur in seine schönen, faszinierenden Augen starren kann. Sein Mund ist meinem dabei sehr nah, wir atmen uns gegenseitig ein ...
Plötzlich nähern sich lauter werdende Männerstimmen hinter der geschlossenen Tür zum Fitnessraum.
Als würden wir zusammen aus einem Traum erwachen, streicht er ein Mal sanft mit beiden Daumen über meine Wangen. Im nächsten Moment hebt er bereits mit einem raschen Handgriff die Cappy vom Boden und setzt sie mir vorsichtig auf. Er sieht noch einen allerletzten Augenblick zu mir.
"Entschuldige, bitte!", raunt er und ist so schnell aus der Tür verschwunden, dass ich verdutzt und mit rasendem Herzen allein im Studio zurückbleibe.
Habe ich das wirklich nicht geträumt?, ist mein einziger Gedanke.
Bitte, komm zurück!, schreit gleichzeitig die unbegreifliche Unvernunft in mir.
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