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Als Rue gerade ihr Zimmer betritt, weil die Schule endlich zu Ende ist, klopft es an ihre Zimmertür.
„Ist offen", erklärt sie und Wyn steckt seinen Kopf durch die Tür.
„Hast du Zeit, oder bist du beschäftigt?", fragt er grinsend. Seine schulterlangen Haare sind in seinem Nacken zusammen gebunden.
„Für dich habe ich immer Zeit", lächelt Rue. In den letzten paar Wochen sind die beiden zu richtig guten Freunden geworden. Nachdem sie ihren Streit geschlichtet haben, haben sie den Abend noch zusammen verbracht und seitdem verstehen die beiden sich besser, als zu Anfang. Man könnte schon meinen, dass die beiden sich ihr ganzes Leben lang kennen und nicht mehr missen wollen.
„Ist dein Freund schon wieder hier?", fragt Rues Zimmernachbarin, als sie Wyn und Rue auf dem Boden sitzen sieht. Die beiden spielen Karten, wie jeden Abend der letzten Woche.
„Wenn du etwas gegen ihn hast, kannst du dich gerne verpissen", erklärt Rue.
„Es ist genauso mein Zimmer. Seines ist es nicht", erwidert sie.
„Wyn ist mein Gast. Es ist genauso mein Zimmer. Ich erdulde deine dummen Freunde ja auch"
Das Mädchen verdreht die Augen und stolziert aus dem Zimmer.
„Sei nicht immer so hart zu ihr. Mir macht es nichts aus"
„Sie ist eine blöde Ziege"
„Ich weiß. Aber mit blöden Ziegen legt man sich bekanntlich nicht an, oder?"
„Ich schon", entgegnet Rue.
„Egal. Lass uns keinen weiteren Gedanken an sie verschwenden. Sie ist es nicht wert. Uno", ruft Wyn.
„Ich habe gewonnen!", freut er sich.
„Nur, weil sie mich abgelenkt hat", mault Rue, muss dann allerdings wieder grinsen. Die beiden sammeln die Karten zusammen und setzten sich nun in Rues Bett.
„Wann hast du eigentlich deinen nächsten Auftritt?", fragt Wyn sie auf einmal.
„Was? Ich mache sowas nie wieder. Der letzte hat so viel Mist hervorgerufen, dass ich darauf echt keinen Bock mehr habe", erklärt sie.
„Es ist nur, weil ich ein Arsch war. Du solltest noch einmal antreten. So kannst du echt viel Kohle machen", grinst er sie an.
„Wann ist denn dein nächster Auftritt?", versucht sie das Thema in eine andere Richtung zu lenken.
„Nicht vom Thema ablenken, Rue. Inzwischen kenne ich dich gut genug"
„Ich bin froh, dich zu haben", erklärt sie ihm.
„Ich bin auch froh, dich zu haben"
*
Am nächsten Tag liegt Rue mit den krassesten Bauchschmerzen und einer Wärmflasche im Bett. Sie hatte sich bei der Schuldirektorin für den Unterricht krank gemeldet, denn mit diesen Schmerzen konnte sie nicht in den Unterricht gehen. Sie würde sich keine einzige Sekunde konzentrieren können. Nachdem sie am Morgen aufgewacht war und sich krank gemeldet hatte, schläft sie wieder ein.
Rue wacht von einem leisen Klopfen auf. Sie versucht sich wieder umzudrehen, den Teddybären fest an sich gedrückt, doch das Klopfen hört nicht auf. Sie wickelt sich in die Decke ein, die sie damals von ihrer Mutter bekommen hatte und schlurft schließlich zu ihrer Zimmertür, um sie zu öffnen und den Eindringling ins Zimmer zu lassen. Ihre Zimmernachbarin hatte sich zum Glück heute mit ihren Freunden in der Stadt getroffen, sodass Rue ihr Zimmer zumindest für sich alleine hatte.
„Was willst du denn hier?", fragt Rue den Eindringling, allerdings mit einem Lächeln im Gesicht.
„Ich wollte dich besuchen. Miss Dawson meinte, du wärst krank"
Er schaut an ihr herunter. Sie hatte immer noch ihren Schlafanzug an und hatte sich noch nicht einmal die Zähne geputzt, doch sie konnte so vor Wyn treten, denn er war ihr bester Freund und es machte ihm nichts aus.
„Du siehst wirklich schlecht aus", bemerkt er.
„Danke", sagt sie mit rollenden Augen und schlurft wieder zu ihrem Bett und kuschelt sich hinein.
„Willst du hierbleiben und einen Film mit mir schauen?", fragt sie.
„Ich müsste eigentlich noch einmal los. Aber in einer halben Stunde bin ich wieder hier, okay?", fragt er lächelnd. Er schaut sie bemitleidend an.
„Okay. Kannst dann einfach reinkommen, brauchst nicht klopfen. Vielleicht bin ich dann schon wieder eingeschlafen", erklärt sie. Die Bauchschmerzen brachten sie noch um.
„Wird gemacht", lächelt er und verschwindet wieder. Nun ist Rue allerdings wach und läuft in den Waschraum, um sich wenigstens die Zähne zu putzen. Das Frühstück hatte sie heute Morgen ausfallen lassen. Nun ärgert sie sich, das sie Wyn nicht gefragt hatte, wo er hinwollte und ob er ihr nicht etwas mitbringen würde.
Nachdem sie sich die Zähne geputzt hatte, geht sie zurück ins Bett und versucht noch ein wenig zu schlafen. Nachdem sie ein paar Seiten von ihrem Buch gelesen hatte, fällt sie tatsächlich wieder ins Land der Träume. Sie bemerkt nicht, wie Wyn zurück kommt und nach der Wärmflasche schaut. Sie ist inzwischen kalt geworden. Er nimmt ihr die Wärmflasche weg, was Rue nicht mitbekommt und geht in die Teeküche des Internates, um noch einmal neues Wasser aufzukochen und die Wärmflasche neu zu füllen. Nachdem er ins Zimmer zurückkommt, ist Rue immer noch am Schlafen. Er setzt sich an ihr Bett und nimmt das Buch, welches auf ihrem Nachttisch liegt, um ein wenig darin zu blättern. Er hat beschlossen, zu warten, bis sie aufwacht. Dann klingelt allerdings sein Handywecker und ihm fällt der Tee wieder ein, dessen Teebeutel er nun herausholt.
„Sorry, hab ich dich geweckt?", fragt er sanft und streicht Rue über den Arm. Sie lächelt ihn an.
„Alles okay", erklärt sie.
„Ich habe dir einen Tee gemacht. Deinen Lieblingstee", erklärt er lächelnd und zeigt darauf. Er hatte ihn auf ihren Nachttisch gestellt.
„Du bist der Beste", erklärt sie. „Danke"Die Wärmflasche hatte er unbemerkt wieder auf ihren Bauch gelegt.
„ Ich habe allerdings noch etwas für dich. Und ich glaube, du wirst es lieben"
Nun hebt Wyn eine Tüte vom Fußboden auf und holt einige Sachen daraus.
„Ich dachte, du könntest es gebrauchen"
„Wyn. Du bist großartig", erklärt sie und umarmt ihn. Es waren all ihre Lieblingssüßigkeiten. Sie öffnet hektisch die Packung der Happy Hippos und hält ihm ebenfalls einen hin.
„Willst du auch?", fragt sie grinsend.
„Nein, danke. Aber darf ich mich neben dich setzen?", fragt er.
„Klar", sagt sie und hält die Decke hoch, damit er sich neben sie setzten kann.
„Am Anfang hätte ich niemals gedacht, dass wir zu besten Freunden werden. Dass du dich einmal so öffnen würdest", erklärt er.
„Ich auch nicht", lacht sie.
„Woher wusstest du eigentlich, dass ich meine Tage habe?", fragt sie.
„Instinkt?", fragt er lachend.
„Nein, ehrlich. Mein Dad wusste es nie. Aber du wusstest es sofort und hast alle Süßigkeiten mitgebracht. Du hast mir eine neue Wärmflasche gemacht und einen Tee gebracht. Du bist echt der Beste. Du wusstest es sofort."
„Ich-", beginnt er, doch er kann es ihr nicht sagen. Dazu ist es zu schmerzvoll.
„Ich-", versucht er es noch einmal. Sie schaut ihn gespannt an.
„Naja, die Wärmflasche", versucht er sich dann herauszureden. Rue nimmt es ihm ab und isst noch einen der Hippos.
„Willst du jetzt einen, oder was anderes? Yogurette? M und Ms? Dinorex? Schoko?"
„Vielleicht später. Welche Serie wollen wir schauen? Oder lieber einen Film?", fragt Wyn.
„Du darfst aussuchen"
„Bist du nicht die Leidende?", fragt Wyn lächelnd.
„Du darfst aussuchen", fügt er noch hinzu.
„Auf deine Verantwortung", lacht sie und sucht einen kitschigen Liebesfilm heraus.
„Musste das sein?", stöhnt Wyn nach einer Weile.
„Du hast es so gewollt. Auf deine Verantwortung", lacht sie.
„Aber nur, weil du krank bist", scherzt er.
„Du bist der Beste!", widerholt sie es zum hundertsten Mal an diesem Tag. Nach einer halben Stunde ist Rue eingeschlafen und Wyn schaut den Film alleine zu Ende. Nachdem der Film zu Ende ist, schleicht Wyn sich aus dem Zimmer und lässt Rue in Ruhe.
*
Am nächsten Tag ist Rue wieder in der Schule.
„Geht es dir besser?", fragt Wyn. Rue nickt.
„Es ist immer nur am ersten Tag so schlimm. Dann geht es wieder. Die Bauchschmerzen sind wie weggeblasen"
„Das ist schön zu hören. Hast du dann Bock heute Abend zu unserem Auftritt zu kommen?", fragt er. Ihre Augen leuchten.
„Ihr habt einen Auftritt?", fragt sie.
„So sieht es aus", grinst er.
„Klar komme ich", antwortet sie. Am Abend holt Wyn sie ab.
„Du siehst gut aus", begrüßt er sie.
„Du auch", lächelt sie und die beiden machen sich auf den Weg, um Niv abzuholen und zum Auftritt zu fahren. Sie müssen mit der Bahn fahren, denn dieses Mal haben sie einen Auftritt außerhalb der Stadt, was noch viel aufregender ist. Die Jungs haben Erfolg und Rue ist inzwischen ihr größter Fan. Nach einer halben Stunde kommen die drei an und die beiden Jungs machen einen Soundcheck. Rue wartet solange. Rue ist erstaunt, wie viele Leute wirklich zu dem Auftritt der beiden kommen und ist besonders stolz. Die beiden hatten seit ihrer Ankunft ein paar Konzerte in ihrer Stadt und auf dem Markt, aber dies ist das erste außerhalb der Stadt.
Nach dem Konzert sind die beiden Jungs in der Menge verschwunden und Rue will sie suchen, denn sie wird ständig von irgendwelchen Menschen angesprochen, was sie nicht leiden kann. Vor allem von den anderen Jungs auf diesem Konzert. Sie versucht sich rauszureden und einen Abgang zu machen. Doch der eine Junge folgt ihr und Rue bekommt richtig Angst. Sie will zu Wyn und beginnt zu weinen, denn der Junge läuft ihr weiterhin nach. Sie versucht wegzulaufen und im Laufen versucht sie, Wyn anzurufen, doch sein Handy scheint ausgeschaltet zu sein, denn er ist nicht erreichbar und sie sieht ihn auch nirgends. Als sie endlich aus dem stickigen Raum hinauskommt, läuft der Junge ihr immer noch hinterher. In dem Moment sieht sie Wyn. Er steht an einer Mauer und macht mit einem Mädchen rum.
Sie erstarrt mitten in der Bewegung. Der Junge packt sie nun am Handgelenk.
„Jetzt sei doch kein Spielverderber"
„Lass mich los", erklärt sie sachlich.
„Komm schon. Du willst doch von mir geküsst werden"
„Lass mich in Ruhe"
Der Junge stinkt nach Alkohol. Nun ist Rue wieder in der Verfassung. Sie hatte Mal einen Selbstverteidigungskurs gemacht. Sie tritt dem Jungen kräftig auf dem Fuß und mit einem Mal lässt er sie los.
„Lass mich in Ruhe", zischt sie nun und ist ganz die alte.
„Ist ja gut. Brauchst nicht gleich so auszurasten", sagt er und verschwindet.
„Oh, doch. Das muss ich, du Arschloch!", schreit sie ihm hinterher.
„Du hast mich nicht anzufassen!"
Kurz darauf ist Wyn bei ihr.
„Alles okay?", fragt er.
„Nein", sagt sie und rutscht an der Wand hinunter, an der die beiden nun stehen.
„Ich werde dich nie wieder allein lassen, okay?", fragt er. Sie erwidert nichts. Sie ist den Rest des Abends still und auch auf dem Rückweg spricht sie kein einziges Wort. Das Mädchen hat Rue nicht mehr gesehen. Sie muss abgehauen sein, als Wyn zu ihr gelaufen ist. Sie muss gedacht haben, dass Rue seine Freundin ist oder dass ein anderes Mädchen wichtiger ist, als sie. Rue war es nur recht so.
„Es tut uns Leid, dass wir dich alleine gelassen haben", entschuldigt sich Wyn zum hundertsten Mal bei ihr. Sie starrt weiterhin aus dem Fenster. Niv hingegen ist selbst nach Hause gefahren. Sie hatten sich nach dem Konzert getrennt.
Nach dem Konzert haut Niv ab. Er wollte Raven treffen. Inzwischen glaubt er, dass sie für ihn mehr als nur eine Freundin war. Dies konnte er ihr allerdings niemals sagen, denn sie würde die Gefühle niemals erwidern. Außerdem kam sein bester Freund nicht mit ihr klar. Er hatte noch nie hinter die Fassade geschaut. Sie war so oder so unerreichbar.
„Da bist du ja. Ich hab dich überall gesucht", reißt Raven ihn aus seinen Gedanken.
„Sorry, ich war eben noch mit Wyn zusammen"
„Und wo ist der jetzt hin?" , fragt sie.
„Mit irgend einem Mädchen verschwunden"
„Auch gut. Dann sind wir den zumindest endlich los", grinst sie.
„Warum versteht ihr euch eigentlich nicht?"
„Er mag mich nicht. Somit mag ich ihn auch nicht", erwidert sie.
„Willst du noch mit zu mir kommen?"
„Oho, der Sänger höchstpersönlich lädt mich ein. Da werde ich mich wohl kaum weigern, mit einem Star mitzugehen"
„Jetzt hör auf", sagt Niv lachend.
„Komm lieber mit und steige ein"
„Ab ins Wohnheim", ruft Raven und macht eine Lok nach, als die beiden sich in das Auto gesetzt haben. Niv fährt die beiden zu seinem Wohnheim.
„Noch ne Runde Karten?", fragt Niv sie, als die beiden im Wohnheim ankommen.
„Mit dir immer gerne. Schließlich verlierst du immer"
„Vielleicht lasse ich dich ja immer gewinnen" , lächelt er. Raven ist wunderschön. Sie hat braunes, langes Haar, welches sie immer hinter ihre Ohren schob, sodass die großen Kreolen, die sie so gut wie immer trug, heraus schauten. Außerdem hatte sie wieder das grüne Band in den Haaren, welches ihr so gut stand. Sie hatte ein weißes Hemd an und einen Pullover drüber gezogen, den sie sich nun auszog.
„Mir ist tierisch warm"
„Willst du ein Shirt von mir haben?", fragt Niv schüchtern. Er liebte es, wenn sie seine Shirts trug. Sie wusch sie nie, wenn sie sie ihm zurück gab und er liebte ihren Geruch, der daran hängen blieb.
„Ja, bitte. Das Hemd ist tierisch unbequem. Ich weiß nicht einmal, weshalb ich es heute angezogen habe"
„Damit du wieder ein Shirt von mir mitnehmen kannst" , scherzt Niv.
„Weil du heute eine Prüfung hattest", fügt er schnell hinzu, damit sie es nicht falsch verstehen würde. Sie zog sich vor seinen Augen aus und er wendet schnell den Blick ab. Nun saß sie nur noch in Unterwäsche vor ihm und zog sich das Shirt von ihm darüber. Kurz konnte man das Tattoo auf ihrem Arm sehen, welches schnell wieder unter den langen Ärmeln des Shirts verschwunden war. Die beiden redeten noch eine ganze Weile, bis es schließlich spät wurde und Raven zurück ins Internat musste.
„Ich fahr dich noch eben", sagt Niv.
„Ich kann schon alleine gehen"
„Nein, ich will nicht, dass du alleine im Dunkeln durch diese seltsamen Gassen gehst. Ich bestehe darauf, dich nach Hause zu bringen"
„Okay, dann bring mich eben. Du gibst ja doch keine Ruhe" , sagt sie und die beiden machen sich auf den Weg ins Internat.
*
Rue und Wyn sitzen auf dem Dach des Internates und schauen in den Sternenhimmel.
„Ich habe Flugangst. Und ich bin für die meisten zu laut"
„Was?", fragt Rue, nachdem Wyn dies mitten in die Stille gesagt hat.
„Ich dachte, ich erzähle dir etwas von mir", erklärt er.
„Ich weiß doch schon so viel"
„Es geht darum, die Dinge zu erfahren, die man noch nicht weiß"
„Okay. Ich war nie sehr beliebt. Und ich kann nicht mitten im Kapitel aufhören zu lesen. Ich muss es immer zu Ende lesen", erklärt sie. Wyn lacht.
„Ernsthaft?"
„Ja, es ist ein dummer Tick. Selbst, wenn ich dann die Bahn verpasse. Oder zu spät komme. Ich kann nicht anders"
„Ich verliere alle meine Haargummis"
„Du auch?", fragt Rue grinsend.
„Ich glaube, es gibt einen Haargummikobold, der sie einsammelt und verkauft", grinst Wyn.
„Ich kann mit der Zunge die Nase berühren", erklärt Rue.
„Wirklich? Das musst du mir zeigen"
Rue macht es ihm vor und die beiden beginnen zu lachen. Wyn versucht es auch, aber er kommt nicht an seiner Nase an.
„Ich bin wohl der emotionalste Junge, denn ich kenne", erklärt Wyn.
„Ich habe noch nie einen Jungen geküsst", erklärt Rue.
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