15
Es klopft an Rues Zimmertür, als sie sich noch einmal im Spiegel anschaut.
„Keine Sorge, du siehst toll aus", lächelt ihre Zimmernachbarin ihr zu. Seit ihrem Gespräch neulich verstehen die beiden sich inzwischen schon viel besser. Inzwischen macht Rue sich neuerdings Gedanken, wie sie aussieht, wenn sie sich mit Wyn trifft. Dies hat sie vor seinem Gestädnis nicht getan und eigentlich weiß sie, dass es dumm ist, denn er hatte sich schließlich schon in sie verliebt.
„Wirklich?"
„Ja, großartig", bestätigt sie es noch einmal.
„Danke", sagt sie und öffnet die Tür, um Wyn mit einer Umarmung zu begrüßen.
„Sind Sie bereit für den Ausflug?", fragt er grinsend.
„Immer", sagt sie etwas verunsichert. Irgendwas ist anders zwischen den beiden, auch wenn sie es beide versuchen zu ignorieren.
„Viel Spaß", hören die beiden noch Raven und bedanken sich. Sie war sich eigentlich gar nicht so sicher, ob sie bereit war. Sie war nervös und konnte diese Nervosität nicht einordnen. Sie wusste nicht, ob sie es deswegen war, weil Wyn ihr bester Freund war oder weil sie ihn wirklich mochte und mit ihm zusammen sein wollte.
Wyn geht voran und die beiden stehen auf dem Parkplatz des Internates.
„Erst einmal müssen wir eine Runde spazieren gehen", lächelt er sie an.
„Ich hoffe, du magst spazieren gehen"
„Geht so. Aber mit dir mache ich eigentlich alles gerne", lächelt sie zurück.
„Du siehst übrigens sehr schön aus", erklärt er.
„Danke, du auch"
„Danke", sagt er und sie ist dankbar über diese Antwort. Die meisten meinen immer, man müsse es nicht auch sagen. Doch sie wollte es sagen, denn es stimmte.
„Wo gehen wir eigentlich hin? Haben wir ein bestimmtes Ziel?", fragt Rue nach einer Weile.
„Ja. Und hier sind wir", sagt Wyn.
„Auf dem Uniparkplatz?"
„Ja, hier holen wir allerdings nur etwas ab", grinst er und holt einen Autoschlüssel aus der Hosentasche.
„Niv leiht dir dein Auto? Er muss dich ja wirklich lieben", lacht Rue.
„Du hast mich noch nicht fahren gesehen. Ich bin ein großartiger Autofahrer!", protestiert er.
„Will ich wirklich bei dir mitfahren?", neckt Rue ihn und die beiden steigen in das Auto.
Die beiden reden eine Weile und stellen das Radio im Auto an, in der Zeit, in der sie zu dem eigentlichen Ort fahren. Die beiden haben vor ein paar Wochen abgemacht, dass sie sich verrückte Dinge ausdenken würden, in der nächsten Zeit, die sie unternehmen wollten, weil sie immer nur die gleichen Sachen machten. Den ersten Abend würde Wyn gestalten.
„Was ist dein Lieblingslied?", fragt Wyn sie nach einer Weile, weil ihm aufgefallen war, dass er es sie noch gar nicht gefragt hatte und dies eigentlich durch die Liebe zu seiner Musik immer die erste Frage war.
„Ich kann mich ehrlich gesagt nicht so richtig entscheiden. Es gibt so viele gute Musik."
„Das stimmt"
„Einer von deinen Songs ist aber mindestens einer meiner Lieblingssongs"
„Und hast du einen?"
„Vielleicht auch einer meiner eigenen", sagt er eher ironisch, aber sie denkt, er würde es wirklich meinen und lässt es unkommentiert. Rue würde ihn niemals für arrogant halten.
„Eure Musik ist auch wirklich schön"
„Sind wir bald da?"
„Ja, noch ungefähr zehn Minuten"
„Gut, denn ich verhungere"
„Wer hat gesagt, dass wir Essen gehen?", fragt er grinsend.
„Wyn? Ernsthaft? Du?! Ich habe vorher extra nichts gegessen!"
Die beiden kommen nach weiteren fünfzehn Minuten an einem magischen Ort an. Wyn parkt das Auto an einem Fluss, der mit Lichterketten überhängt wurden ist und die beiden setzen sich mit Decken auf die Motorhaube des Autos.
„Und wo ist nun mein versprochenes Essen?"
„Da kommt es", grinst Wyn und ein Kellner kommt den beiden entgegen. Er hat einen Anzug an und hat zwei Pizzen in der Hand.
„Okay", lacht Rue. „Das ist perfekt"
„Es passt zu uns"
„Ja, wir sehen aus, als wenn wir in einem Film wären"
„Und Filme haben Happy Ends", lächelt Wyn. Rue glaubt, dass dies eher für sich selbst war, aber sie hat es aus seinem Genuschel trotzdem herausgehört. Die beiden essen ihre Pizzen auf und reden danach noch eine Weile auf dem Autodach.
„Ich will später mal von der Musik leben", erklärt Wyn.
„Die Fakten gehören einfach dazu, was?", fragt Rue grinsend.
„Ich will später einmal vom Schreiben leben"
„Ich glaube, dass wir das locker schaffen. Immerhin sind wir hier", erklärt Wyn.
„Ich will später mal ein Kind adoptieren"
„Rue, sind wir jetzt wirklich schon so weit, dass wir über Kinder reden?" , fragt er eher als Scherz, doch es ist ihr deutlich unangenehm. Dieser Kuss steht immer noch zwischen Ihnen.
„Ich will später mal drei Kinder haben" , antwortet er.
„Warum möchtest du später mal eines adoptieren?", fragt Wyn.
„Es gibt so viele Kinder auf der Welt. Und viel zu viele davon sind unglücklich. Da frage ich mich, weshalb ich ein Kind in diese grausame Welt setzen soll, wenn ich nicht eines adoptieren kann, welches es schon gibt und welchem ich dann ein schönes Zuhause geben kann"
„Das ist ein sehr schöner Gedanke", lächelt Wyn.
„Warum ausgerechnet drei?"
„Weil meine Kinder Geschwister haben sollen, sodass es nie langweilig wird. Sie werden immer jemanden zum Spielen oder zum Reden haben. Das Haus soll voller Leben sein, sodass man immer jemanden hat, der für einen da ist"
„Du hast doch keine Geschwister"
„Nein, warum?", fragt er schluckend und will abblocken.
„Weil du so sprichst, als wenn du es kennen würdest"
„Ich musste als Kind Tabletten schlucken", weicht er ihr aus.
„Echt? Warum?"
„Ich hatte eine Konzentrationskrankheit"
„Welche, wenn ich fragen darf?"
„ADS"
„ADHS?"
„Nein, ADS. Man könnte es ein wenig als das Gegenteil bezeichnen. Ich war immer total verträumt, hatte totale Schwierigkeiten mit Mathe. Immer schon. War viel langsamer, als andere. Viele Probleme" , erklärt er nachdenklich.
„Ist es noch da?"
„Ich glaube, es ist immer da. Aber ich muss keine Tabletten mehr nehmen. Ich konnte sie irgendwann absetzen. Zum Glück. Es ist besser geworden. Aber Mathe kann und mag ich immer noch nicht."
„Wenn wir schon in der Vergangenheit sind. Ich konnte Mal ein bisschen Gitarre spielen", lächelt Rue.
„Echt? Und das sagst du erst jetzt?"
„Ja. Ich kann es nicht mehr"
„Was hältst du davon, wenn ich dir wieder ein wenig etwas beibringe und zeige?"
„Aber heut nicht mehr", sagt sie.
„Nein, heut nicht mehr"
„Wollen wir vielleicht ein wenig am Fluss spazieren gehen?"
„Gerne", sagt sie lächelnd.
„Danke", sagt Rue nach einer Weile, als die beiden wieder beim Auto angekommen sind.
„Wofür?", fragt Wyn.
„Hierfür. Das war ein wirklich toller Abend. Und unsere zweite Unternehmung plane ich. Das wird witzig",kichert sie in sich hinein.
Die beiden schauen auf den Fluss und die Lichter an. Der Tag hätte nicht perfekter sein können.
„Eigentlich bist du für meinen Geschmack viel zu romantisch", lächelt Rue.
„Ist dir der Ausflug zu romantisch?", fragt Wyn lachend. "Es ist kein Date oder so, falls du das denkst. Es tut mir wirklich Leid, Rue. Falls es so rüberkommt. Ich will dich nicht rumkriegen" , stottert er vor sich hin und ist deutlich verlegen.
„Nein. Es ist perfekt. Wirklich, Wyn. Du hast dich Mal wieder selbst übertroffen"
„Wieso übertroffen? Ich kann mich noch nicht übertroffen haben. Warts Mal ab, bis wir weitere Ausflüge planen. Ich hab noch viel mehr auf Lager. Ich wollte den Start erstmal langsam hinlegen, damit ich mich noch steigern kann"
"Da bin ich aber Mal gespannt, was du noch so auf Lager hast. Und wie deine Dates aussehen, wow. Das Mädchen, was dich mal abbekommt, kann sich sehr glücklich schätzen"
Dieser Satz schmerzt Wyn, denn Rue geht immer noch nicht davon aus, dass aus den beiden jemals ein Liebespaar wird. Daraufhin schweigen die beiden eine Weile und hängen ihren eigenen Gedanken nach. Sie weiß von seinen Gefühlen. Sie müsste doch wissen, dass sein Herz bei solchen Worten beginnt zu piksen.
„Können wir uns noch einen Nachtisch besorgen? Ich habe irgendwie Lust auf Eis", erklärt sie und die beiden halten bei ihrem Spaziergang Ausschau nach einer Eisdiele, die sie nach einer Weile auch finden.
„Ich bezahle", sagt Wyn zu der Verkäuferin, als die beiden ihr Eis kaufen.
„Wyn, das ist nicht nötig"
„Ich möchte es aber gerne"
„Du bist ja so ein Klischee", sagt Rue lachend und rollt mit den Augen.
„Nächstes Mal bezahlst du", lächelt er.
„Einverstanden", sagt sie grinsend und sie geben sich die Hand drauf.
„Eurer erstes Date?", fragt die Kassiererin. Wyn nickt, wohingegen Rue den Kopf schüttelt.
„Oh, da scheint ihr euch aber nicht einig zu sein"
Als die beiden wieder draußen sind, spricht Rue ihn darauf an.
"Siehst du es doch als Date an?", fragt sie mit einem Kloß im Hals.
"Tut mir Leid, ich wollte das nicht" , sagt er schüchtern. So hat sie ihn noch nie erlebt.
„Ich würde sagen, wir fahren dann jetzt nach Hause", erklärt er leise.
"Hey, das ist doch nicht so schlimm. Es gibt schlimmeres, als dass sie Eisverkäuferin denkt, wir wären zusammen"
"Bei ihr ist es dir egal?" , fragt er ein wenig überrascht.
"Ja" , antwortet Rue schulterzuckend.
"Warum ist es dir bei den Leuten an der Schule nicht egal?", fragt er. "Ich dachte, ich bin dir peinlich"
"Oh Gott, Wyn. Nein. Denk sowas bitte nicht. Du bist der tollste Junge, den ich kenne"
"Und warum wolltest du dann Abstand, als sie dachten, dass wir zusammen sind?", fragt er.
"Sie dachten, wir hätten miteinander geschlafen. Das ist was anderes. Ich wollte es dir eigentlich schon die ganze Zeit erklären. Können wir uns vielleicht hinsetzen?"
"Ja" , sagt er und die beiden trotten gemeinsam zum Auto zurück und setzen sich auf die Ladefläche, um auf den Fluss zu schauen.
"Kannst du dich wegdrehen?", fragt sie. Wyn dreht sich weg, ohne zu fragen, weshalb.
"Damals in Hamburg. Da ist etwas passiert. Weißt du, die Gerüchteküche ist verdammt heiß. Ich war auf einer Party und wir haben Flaschendrehen gespielt. Damals musste ich mit so einem Idioten in den Himmel. Kennst du das Spiel, wo man eingesperrt wird, in einen Schrank oder so?", fragt sie, lässt ihm aber keine Zeit zum Antworten. "Jedenfalls. Ich bin da rein, nichtsahnend und er hat mich angefasst. Ich wollte das nicht und hab auch Nein gesagt, aber er hat mich weiter angefasst." Sie starrt in die Leere. "Und dann, ich hab es irgendwann einfach über mich ergehen lassen, weil ich nicht wusste, wie ich mir helfen soll. Die anderen haben mich nicht rausgelassen. Das waren die längsten sieben Minuten meines Lebens, Wyn"
"Das schlimmste daran war, dass er danach überall rumerzählt hat, dass ich mit ihm geschlafen hätte"
"Rue, das tut mir wahnsinnig Leid" , sagt er und umarmt sie fest. Sie will ihm nicht mehr in die Augen schauen.
"Hey. Es ist okay. Du bist nicht daran Schuld, okay? Wenn du es mir von Anfang an erzählt hättest, dann hätte ich dich viel besser verstehen können. Aber es ist okay. Ich kann verstehen, dass du es mir nicht erzählt hast. Pscht" , versucht er sie zu beruhigen.
"Deshalb hast du so Angst, was die anderen über dich denken?", fragt er vorsichtig, als sie sein Shirt vollgerotzt hat.
"Tut mir Leid" , sagt sie.
"Schon okay. Das kann man waschen"
"Danke, dass du mir das anvertraut hast. Das ist nicht selbstverständlich"
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