Chào các bạn! Vì nhiều lý do từ nay Truyen2U chính thức đổi tên là Truyen247.Pro. Mong các bạn tiếp tục ủng hộ truy cập tên miền mới này nhé! Mãi yêu... ♥

FÜNFUNDDREISSIG - Judy

Ich gähne laut und ziehe die Decke hoch bis zu meinem Kinn. Fröstelnd warte ich darauf, bis mir langsam wärmer wird. Draußen regnet es leicht vor sich hin. Regentropfen trommeln gegen die beiden großen Fenster im Wohnzimmer und wäre mir nicht so kalt, wäre ich bestimmt schon weggedöst. 

"Judy?"

Ich zucke zusammen, als plötzlich Mama im Raum auftaucht. Müde reibe ich mir über meine Augen und setze mich langsam auf. Die Müdigkeit verfliegt allerdings sofort, als ich ihren besorgten Gesichtsausdruck sehe. 

"Hast du.. Hast du Zacharias in den letzten Tagen gesehen?", will sie von mir wissen und tigert nervös auf der Stelle herum. Sie umschlingt ihren Oberkörper mit ihren Armen und sieht mich besorgt an. 

Fieberhaft versuche ich mich daran zu erinnern, wann ich meinen großen Bruder das letzte Mal gesehen habe. Erinnerungen vermischen sich und ich merke, wie auch mein Herz schneller zu pochen beginnt. Das letzte Mal müsste mittlerweile schon fast eine Woche her sein. Ziemlich schwach wenn man bedenkt, dass wir im selben Haus leben. 

"Ich war in letzter Zeit ziemlich viel unterwegs", sage ich deshalb, "ich denke, dass es ungefähr vor einer Woche war."

Mama lässt sich auf den kleinen Beistellsessel sinken und vergräbt ihr Gesicht in ihren Händen. Sie atmet mehrere Male zittrig ein und aus und redet mehr mit sich selbst, als mit mir. Ich runzle die Stirn, während ich mit jeder Sekunde, die verstreicht, nervöser werde. 

"Mama?", frage ich deshalb alarmiert. Sie blickt auf, in ihren Augen glitzern Tränen. Meine Fingerspitzen werden eiskalt, während ich realisiere, dass hier etwas ganz und gar nicht stimmen kann. 

"Sein Bett war die letzten beiden Tagen genauso, wie ich es ihm vor drei Tagen gemacht habe", flüstert sie und schüttelt immer wieder den Kopf. Sie sieht mich an und doch habe ich den Eindruck, als würde sie durch mich hindurch blicken. Nervös fährt sie sich durch die Haare und ringt nach den richtigen Worten. "Ich meine, es ist normal, wenn ein Student eine Nacht nicht nach Hause kommt. Aber das passt nicht zu Zac. Vor allem nicht zwei ganze Nächte."

Mittlerweile sitze ich aufrecht auf dem Sofa, meine Müdigkeit ist wie verflogen. Fieberhaft überlege ich, wo sich mein Bruder aufhalten könnte. Mama hat Recht, es passt nicht zu ihm, dass er so lange Zeit nicht auftaucht zu Hause. Vor allem seit dem Unfall hat er sich mehr denn je Zuhause verkrochen und kam immer auf dem direkten Weg von der Uni zurück. Er war nie weg, hat sich nie mit Freunden getroffen, geschweige denn blieb länger als acht Uhr abends aus. 

Hier stimmt etwas ganz und gar nicht und das macht mir verdammt viel Angst. Instinktiv greife ich nach meinem Handy, um Miles anzurufen, doch Mama schüttelt den Kopf. 

"Miles ist auf dem Weg nach Hause", wispert sie, während erste Tränen über ihr Gesicht kullern. Mit einer schnellen Handbewegung wischt sie die ersten weg. Mit jedem Atemzug kommt es mir so vor, als würde sie auf dem alten Sessel mehr und mehr einsinken. Ich stehe langsam auf und gehe zu ihr. Setze mich neben sie und umarme sie vorsichtig. 

Mein Herz trommelt schnell gegen meinen Brustkorb, während ich immer und immer wieder an mein Bruder denke. Daran, wie schlecht er die letzten Male, als ich ihn wirklich gesehen habe, aussah. Wenn ich ihn mit den Zac vergleiche, der er war, als wir noch in Alabama lebten, erkenne ich ihn kein Stückchen wieder. 

Ich merke, wie Mama leise zu schluchzen beginnt. Instinktiv drücke ich sie fester an mich, während mir selbst Tränen in die Augen steigen. Sie so verzweifelt zu sehen, bricht mir das Herz. Gleichzeitig frisst mich die Angst um Zac auf. Wie ich hier dasitze und irgendwie nichts mache, fühlt sich mehr als falsch an. Ich fühle mich nutzlos, während ich eigentlich die ganze Stadt nach meinen Bruder absuchen müssten. 

"Ich weiß, dass er sich die Schuld wegen Colleen gibt", flüstert Mama. Ihre Worte werden immer wieder von lauten Schluchzern übertönt. "Ich habe Angst, dass er etwas Dummes anstellt."

Ich presse meine Augen zusammen und schüttle den Kopf. Eine heiße Träne rollt über meine Wange, während ich mich an Mama festklammere. Und sie sich an mir. Es sind lange Minuten, bis Miles nach Hause kommt und er uns in dieser Position im Wohnzimmer findet. 

Auch er sieht aufgewühlt auf, seine Haare sind zerrauft und er sieht uns mit einem fragenden Blick an. Mama schnieft laut und schüttelt den Kopf, während ich ihn ansehe und darauf warte, dass er etwas sagt. Miles weiß immer, was zu tun ist und er weiß immer, was er sagen muss.

Jetzt aber atmet er nur tief durch, sieht mich mit einem ernsten Blick an und deutet mit mir einem Kopfnicken, dass ich mit ihm mitkommen soll. Ich stolpere hinaus in den Flur, lasse Mama weinend im Wohnzimmer zurück, schlüpfe in Windeseile in meine Schuhe und folge Miles nach draußen in den Regen. 

_____

Vierzig Minuten später brausen wir durch die graue, verregnete Stadt. Miles und ich starren konzentriert aus den Fenstern und suchen die Gegend nach unserem Bruder ab. Mein Handy umklammere ich fest in der Hoffnung, dass Zac uns vielleicht anruft. 

Miles flucht laut auf, als wir an einer roten Ampel stehen bleiben müssen. Er atmet heftig ein und aus, während ich mittlerweile die ein oder andere Träne verdrückt habe. Wir sagen nichts zu einander, sondern schweigen uns an. 

Das Einzige was jetzt zählt, ist, unseren großen Bruder zu finden. 

Die bisherige Fahrt habe ich damit verbracht, die wenigen Freunde von Zac, die ich wirklich kenne, anzurufen. Selbst die aus Alabama kontaktierte ich, doch niemand hat eine Ahnung, wo er stecken könnte. Das Einzige, was mir einer seiner jetzigen Kommilitonen sagen konnte war, dass er auch in den letzten Tagen nicht in der Uni war. 

Die Ampel vor uns schaltet um auf Grün und mit quietschenden Reifen braust Miles weiter durch die Stadt. Mittlerweile nähern wir uns schon immer mehr den Randbezirken und mit jedem Meter, den wir fahren, sinkt meine Hoffnung. Wir suchen nach der Nadel im Heuhaufen. 

Zac kann sonst wo sein. Vielleicht hat er Bekannte, bei denen er untergekommen ist. Hat sich ein Hotelzimmer angemietet, um allein zu sein. Oder hat eine Freundin, von der wir nichts wissen und ist mit ihr ein paar Tage weggefahren. 

Vielleicht hat er Papa Zuhause besucht. Allerdings hätte sich Papa dann bestimmt bei uns gemeldet und gefragt, warum der Rest von uns nicht dabei ist. Außer Zac hat ihm eine andere Geschichte aufgetischt. 

Papa. Natürlich. 

Gerade möchte ich seine Nummer eintippen, als Miles kräftig bremst. Mein Oberkörper wird nach vorne geschleudert, instinktiv schreie ich. Für einen Moment habe ich das Gefühl, als würde ich wieder im Wagen neben Colleen sitzen. Als würden wir uns wieder überschlagen und ich nach der Hand meiner Zwillingsschwester greifen. 

Aber nichts passiert. Stattdessen sieht Miles einer kleinen Katze zu, die gemütlich über die Straße läuft. Selbst der Regen scheint ihr nicht viel auszumachen. Miles knurrt leise, er umklammert das Lenkrad so sehr, dass seine Fingerknöchel weiß hervortreten. 

"Miles?", flüstere ich leise und sehe hinüber zu meinem Bruder. Sein Blick ist nach wie vor starr nach vorn gerichtet, seine Kiefer treten markant hervor. Dann schließt er die Augen und atmet tief durch. 

"Es hat keinen Sinn", antwortet er, noch immer starrt er nach vorne auf die Straße. "Er könnte überall sein. Wir werden ihn nicht finden, wir sollten die Polizei alarmieren.."

Er legt den Rückwärtsgang ein, aber ich schüttle den Kopf. 

"Wir sind noch keine Stunde unterwegs", versuche ich verzweifelt, ihn zum Weitersuchen zu überreden. "Wir können noch nicht aufgeben, er ist unser Bruder!" Mein Herz trommelt wild gegen meinen Brustkorb, während ich Miles verzweifelt ansehe. 

Dieser seufzt schwer und starrt hinunter in seinen Schoß. In ihm arbeitet es, ich sehe es deutlich. Der Regen trommelt auf das Autodach, während wir nach wie vor mitten auf der Straße stehen. Miles' Hand ruht nach wie vor auf dem Schaltknüppel. 

"Bitte", flüstere ich, während eine weitere Träne über meine Wange rollt. Miles grummelt wieder etwas, legt den ersten Gang ein und wir rollen weiter. Verzweifelt starre ich nach draußen. Suche nach irgendeinem Anzeichen, das auf meinen Bruder schließen könnte. 

Wir verlassen die Vorstadt, die Häuser am Straßenrand werden immer weniger, während der Regen immer stärker wird. Mein Blick springt zwischen der Uhranzeige und der Umgebung draußen hin und her. Weitere fünfzehn Minuten verstreichen. Weitere fünfzehn Minuten ohne auf eine Menschenseele. Ohne Anzeichen unseres Bruders. In meinem Brustkorb wächst ein Knoten, der immer größer zu werden droht. 

Zac ist nicht bei Papa. Ich habe ihn angerufen und ihm gesagt, dass wir ihn suchen. Die Hoffnung, dass er nach Hause gefahren ist, wurde uns in dem Moment genommen, als auch Papa hysterisch durch das Telefon brüllte, dass wir die Polizei verständigen sollen. 

Mein Körper wird von einem Beben eingenommen, als ich mir das schlimmste vorstelle. Meinen Bruder irgendwo hilflos herumliegend, auf Hilfe angewiesen, bewusstlos, vielleicht sogar schon...

"Miles, stop!", brülle ich. Mein Puls beschleunigt sich nochmals, während ich mich abschnalle und die Autotür öffne, noch bevor Miles Wagen zum Stehen gekommen ist. Mein Bruder sieht mich verwirrt an, während ich durch den Regen zu einem kleinen Jägerhochsitz renne. Dort, zusammengesunken gegen einen Baum lehnend, finde ich meinen großen Bruder. 

"Zac!", brülle ich schon von weitem und falle neben ihn auf den Boden. Er hat die Augen geschlossen, seine Kleidung ist durchnässt und in der linken Hand hält er eine fast leere Wodka-Flasche. 

"Wach auf, man!", brüllt auch Miles, der auf der anderen Seite meines Bruders kauert. Er rüttelt ihm an der Schulter und sieht ihn verzweifelt an. Zac hat eine aufgeplatzte Lippe und ein blaues Auge. Eine ekelhafte Alkoholfahne steigt von ihm auf. Während ich die Wodka-Flasche angeekelt weglege, gibt Miles unserem Bruder links und rechts eine Ohrfeige. Zacs Augenlider flimmern. 

"Fick disch..", lallt er und versucht, Miles von ihm wegzustoßen. Erleichtert atme ich auf und sehe auf meinen großen Bruder. Der Regen hat uns mittlerweile alle vollkommen durchnässt, aber das ist uns egal. 

"Zac, wir sinds", flüstert Miles und rüttelt erneut an ihm. Zac schafft es, seine Augen etwas weiter zu öffnen und sieht erst nach rechts und dann nach links zu mir. Dann lächelt er. 

"Colleen?", flüstert er und beugt sich ein Stückchen nach vorne. In diesem Moment setzt mein Herz für einen kurzen Moment aus. Auch Miles scheint überrumpelt und weiß im ersten Moment nicht, was er tun soll. 

Glasige Augen starren mich an. Zitternd versucht Zac seine Hand zu heben und mich anzufassen, doch er schafft es nicht. Tränen vermischen sich mit Regentropfen in meinem Gesicht, während ich auf meinen betrunkenen Bruder hinabstarre. Im selben Moment droht er zur Seite zu kippen, mit aller Kraft versuchen Miles und ich ihn zu stützen. 

"Du bisch... wunderschön, Colleen", lallt er weiter, während er mit seinen Fingerspitzen über meine Wange streichelt. Eine Gänsehaut breitet sich auf meinen Armen aus. Ich spüre Miles Hand, die nach meiner greift. Aber ich sehe ihn nicht an. Zacs dunkler, trauriger Blick lässt mich nicht los. 

Er denkt, ich sei Colleen. 

Miles verstärkt seinen Händedruck, während sich in meiner Brust ein unglaublicher Druck aufbaut. Der Regen prasselt gnadenlos auf uns herab, jeder einzelne Tropfen fühlt sich wie ein Nadelstich an. 

"Bin isch... schon .. im Himmel?", fragt Zac und schließt wieder seine Augen. Sein Kopf sackt nach hinten und stößt gegen die harte Baumrinde. Miles atmet tief durch und deutet mir, Zac zum Auto zu bringen. Ich schlucke schwer, während Tränen meine Sicht verschleiern. 

Zac ist nicht er selbst. Er ist betrunken. Mehr als das. Er weiß nicht, was er sagt. Er ist nicht er selbst. 

"Aufhören!", brüllt Zac, als wir ihn hochstemmen wollen und fuchtelt wild mit den Händen. Er trifft Miles im Gesicht, der ihn mittlerweile eher wütend ansieht. 

"Zac, verdammt nochmal", knurrt er und packt seinen Bruder an seinen Schultern. "Sieh mich an! Das ist nicht Colleen, das ist Judy! Judy, deine Schwester! Deine Schwester, die sich gerade vor Angst um dich in die Hose macht!" 

Ich merke, wie ich am ganzen Leib bibbere, während Miles Zac erneut schüttelt. Dieser lehnt noch immer am Baum, seine Augen nach wie vor geschlossen. Trotzdem schafft er es, seinen Kopf zu schütteln. 

"Colleen. Gaaaanz sicher", beharrt er und seufzt dann schwer. Sein Kopf sackt nach rechts auf Miles Schulter. Ein Rauschen breitet sich in meinen Ohren aus, während ich meine beiden Brüder ansehe. Miles, der mit Zacs Gewicht kämpft und Zac, der sich gerade in einer komplett anderen Welt befindet. Ich sehe, wie Miles mir einen besorgten Blick zuwirft, aber um ehrlich zu sein fühle ich gerade absolut nichts. Fast so, als wäre ich taub, was Gefühle betrifft. 

Plötzlich beugt sich Zac zur Seite und übergibt sich. Fluchend versucht Miles, ihn zu stützen, während sich Zac immer und immer wieder neben ihm übergeben muss. Sein Körper wird eingenommen von einem Zittern, während er sein Gesicht schmerzhaft verzieht und zu weinen beginnt. 

"Colleen!", brüllt er. Immer und immer wieder. Er liegt in Miles Armen, hat Überreste von seinem Erbrochenem links und rechts an seinen Mundwinkeln kleben und ruft immer wieder nach unserer Schwester. Miles versucht ihn zu beruhigen, während Zac hinauf in den grauen Himmel starrt. 

Bei dem Anblick muss ich mich abwenden. Blut rauscht in meinen Ohren, die Kälte und Nässe des Regens kriecht in jede Zelle meines Körpers. Zacs Rufe werden heiser. Trotzdem tut jeder einzelne von ihnen weh. 

"Esch... tut mir... leid!", brüllt mein Bruder und schluchzt laut. "Esch isch.. meine Schuld!" Bei seinen Worten zucke ich zusammen, noch immer habe ich mich von den beiden abgewandt. 

Ich höre, wie Miles versucht, ihm gut zuzureden, ihn davon zu überzeugen, mit ihm mitzukommen. Ich sollte ihm helfen, sollte beiden helfen. Sollte nicht hier im Dreck sitzen und mich von der Realität abwenden. Sollte Zac helfen, diese dunklen Stunden durchzustehen. 

"Colleen!", brüllt Zac erneut und dieses Mal geht mir sein Schrei durch und durch. Ich zucke zusammen und drehe mich wieder zu den beiden. Zac wendet sich erneut ab und übergibt sich erneut, während Miles ihn angestrengt hält. Sein Gesicht ist mittlerweile feuerrot vor Anstrengung, trotzdem sieht er mich besorgt an. 

Lautlos formt er mit seinem Mund eine Frage. Ich weiß, dass er wissen möchte, ob es mir gut geht, aber ich antworte ihm nicht. Jetzt ist nur Zac wichtig. Seine Hose ist mittlerweile mehr braun als blau, das blut seiner Lippe verteilt sich auf Miles Jacke. 

"Bitte", wimmert er, "bitte... gib mir... noch ne Chance. Geh... nischt weg... Isch... machs wieder gut!" Er sieht mich an und streckt seine Hand aus. Ich möchte sie ergreifen, aber Miles schüttelt den Kopf. 

"Stütz du ihn auf der anderen Seite", ächzt er und versucht mit aller Kraft, seinen Bruder aus seinem Schoß hochzuhieven. Mit klammen Knien stehe ich auf. Mein Körper zittert vor Kälte, vor Angst, vor Schmerz und trotzdem schaffen wir es irgendwie, unseren Bruder in den Stand zu bringen. 

Miles ächzt angestrengt, während Zac sich in unseren Armen windet und verzweifelt nach Colleen brüllt. Schritt für Schritt gehen wir zurück zum Auto. Zweimal müssen wir stehen bleiben, weil sich unser Bruder wieder übergeben muss. Der Regen verdichtet sich mit jeder Minute. 

Zu zweit schaffen wir es, Zac auf die Rückbank zu legen und während ich auf der anderen Seite einsteige, um seinen Kopf in meinem Schoß zu betten, holt Miles noch die leere Flasche aus dem Wald und steigt dann ebenfalls ein. Zac liegt auf der Rückbank, weint, schreit, windet sich. Obwohl der Innenraum des Wagens warm ist, bibbert mein ganzer Körper nach wie vor. 

Ich nehme nebenbei wahr, wie Miles Mama anruft und ihr sagt, dass sie nach draußen kommen soll. Konzentriert starrt er auf die Straße, ab und zu kontrolliert er im Rückspiegel, ob alles okay ist. Einmal erwische ich ihn dabei und für einen Moment halten wir den Blickkontakt. Zac greift nach meinen Unterarmen und krallt sich an ihnen fest. 

Nach einer gefühlten Ewigkeit biegt Miles bei uns zu Hause in die Einfahrt und hupt. Mama kommt nach draußen gestolpert und hilft meinem Bruder dabei, Zac aus dem Auto zu holen. Beim Anblick ihres betrunkenen Sohnes treten ihr wieder Tränen in die Augen. Miles ächzt erneut unter dem Gewicht von Zac, während er ihn beinahe zurück ins Haus trägt. Ich stehe neben dem Auto und sehe den Dreien zu. 

Stumm rollen Tränen über meine Wangen, während ich nichts anderes machen kann, als zuzusehen. Mama sieht mich besorgt an, will etwas sagen, doch Miles brüllt nach ihrer Hilfe. Sie stolpert hinein in das Haus, während ich hinauf in den Himmel starre. 

Stumm flehe ich Colleen an, uns zu helfen. Zac das Gefühl zu geben, dass er nicht Schuld an allem ist. Ihm irgendein Zeichen zu geben, dass es ihr gut geht. Uns ein Zeichen zu geben, dass es ihr gut geht. 

Ein leises Schluchzen entkommt mir und ich gehe ebenfalls ins Haus. Lasse meine nassen Schuhe draußen stehen. Ich höre, wie Miles und Mama Zac im Badezimmer versorgen. Darüber diskutieren, ob sie ihn nicht gleich in das Krankenhaus fahren sollen. Währenddessen ruft Zac immer wieder nach Colleen. 

Ich sinke auf den Boden im Flur und starre zur Kommode gegenüber von mir. Sehe das Familienfoto von uns an, das vor fünf Jahren aufgenommen wurde. Sehe das fröhliche Lachen von Colleen, die in der Mitte stand. Ihr strahlend weißes Kleid. Tränen strömen über meine Wangen, während ich meine Zwillingsschwester ansehe. Glücklich. Strahlend. Lebensfroh. 

Ich merke erst, dass Miles nach unten kommt, als er sich neben mich auf den Boden sinken lässt. Für einen Moment starren wir schweigend das Foto an. Mein Bruder nimmt meine Hand. Ich schluchze leise. Er zieht mich in eine Umarmung. Drückt meinen Kopf an seine kalte Schulter und hält mich fest. 

Ich weine leise, spüre, wie eine neue Welle des Schmerzes über mir zusammenbricht. Auch Miles Brustkorb bebt verdächtig, während wir Zac immer und immer wieder nach unserer Schwester schreien hören. Ich presse meine Augen zusammen. Dunkelheit umgibt mich. Früher als Kind habe ich das immer gemacht, wenn ich vor etwas Angst hatte. 

Wenn ich es nicht sehen kann, kann es mich auch nicht sehen. 

Irgendwann verstummt Zac. 

"Alles okay?", flüstert Miles. Er räuspert sich. Ich presse meine Lippen aufeinander und öffne meine Augen. Langsam richte ich mich auf und atme dann zitternd aus. Mein Bruder hält noch immer meine Hand, während er mich besorgt ansieht. 

Ich zucke nur mit den Schultern und starre auf unsere nassen, dreckigen Hosen. Morgen werden wir das komplette Haus von diesem Schmutz befreien dürfen. 

"Was ist jetzt mit ihm?", frage ich heiser. 

"Mama bringt ihn ins Bett. Er soll seinen Rausch ausschlafen", antwortet mein Bruder und räuspert sich dann. "Wenn es ihm morgen nicht gut geht, bringen wir ihn zu einem Arzt."

Ich nicke langsam und starre wieder auf unsere nassen Beine. Die Nässe, die Kälte, sie ist ekelhaft. Trotzdem denke ich nicht daran, mich umzuziehen. Dazu fehlt mir jetzt gerade die Kraft. 

"Zac hat mich mit Colleen verwechselt", stelle ich leise fest. Miles neben mir atmet hörbar ein. Ich blicke auf und sehe, wie auch er mich ansieht. Dann nickt er langsam. 

"Er ist in einem Zustand, in dem er sich selbst nicht kennt", brummt er dann. Seine Stimme bebt gefährlich. Hand in Hand sitzen wir dicht nebeneinander im Flur und warten auf Geräusche von oben. Doch sie kommen nicht. Oben bleibt es still. Keine Schreie mehr. 

Miles atmet neben mir laut aus. 

"Damals, im Krankenhaus", beginnt er und räuspert sich dann. "Als ich erfahren habe, dass Colleen.. Dass.. Dass sie den Unfall.. nicht überlebt hat..." Er bricht ab und wischt sich Tränen aus seinem Augenwinkel. Dann schnieft er einmal laut und starrt hinauf an die Decke. "Es war ein Schock für uns beide.. Gleichzeitig haben wir erfahren, dass du im OP bist, immer noch in Lebensgefahr schwebst..." Er schüttelt den Kopf und bricht ab. 

Ich lege einen Arm um seine Schulter und umarme ihn, während Miles leise schluchzt. Einen Moment lang sitzen wir da, bis sich mein großer Bruder von mir löst. Mein Herz zieht sich bei seinem Anblick schmerzhaft zusammen. Selten habe ich ihn wirklich weinen gesehen. 

Er lacht traurig auf und schüttelt dann wieder den Kopf. 

"So blöd sich das anhört", fährt er fort und schnieft dann. "Aber ich konnte in diesem Moment nur an dich denken. Hoffen, dass du es schaffst. Beten, dass du es schaffen darfst. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt schon eine Schwester verloren und wollte nicht noch eine verlieren." 

Er sieht mich an, wischt sich erneut Tränen aus dem Augenwinkel. Ich schlucke schwer und sehe ihn an. Mein Herz pocht schmerzhaft. Ich kann es mir nicht vorstellen, wie es für ihn damals gewesen sein musste. 

"Ich war neben dir im Aufwachraum, weißt du", flüstert er. "Ich wusste nicht, ob ich weinen sollte, weil Colleen gestorben ist, oder weil ich so viel Angst um dich hatte. Ich schaute damals unter die Decke, weil ich es nicht glauben konnte, dass die Ärzte dir wirklich ein Bein abgenommen haben." 

Ich presse meine Augen fest zusammen. Spüre den Schmerz im ganzen Körper. Würde am liebsten laut schreien, all den Schmerz aus mir rausbrüllen und meine Gefühle abstellen. Für einen Moment lang nichts fühlen. 

"Judy", flüstert Miles leise. Er sieht mich mit vor Tränen schimmernden Augen an. Seine Nasenspitze ist gerötet und er schnieft laut. 

"Wir können das Vergangene nicht mehr ändern. Aber wir können zumindest versuchen, das Beste daraus zu machen. Damit Colleen stolz auf uns sein kann." 






Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro