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ELF - Judy

Ich seufze leise und male weitere Kreise auf das inzwischen schon fast komplett schwarze Blockblatt vor mir. Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass es noch immer acht Minuten bis zum Stundenbeginn sind. Naserümpfend widme ich mich wieder meinem Blatt. Chemie. Ich hasse dieses Fach. Um mich herum sind rege Gespräche am Laufen, ganz hinten hockt eine Gruppe von Cheerleaderinnen, die aufgedreht gackern. Man könnte wirklich meinen, ich wäre hier in einem Hühnerstall. 

Chemie konnte ich noch nie besonders leiden. Ich habe ein ganzes Jahr gebraucht, bis ich den Unterschied zwischen Elementen und Molekülen verstanden habe und bin somit im Stoff ziemlich weit hinterher. Außerdem fand ich in diesem Kurs am wenigsten Anschluss, weshalb ich hier alleine auf meinem Platz sitze und Kreise auf das Blatt vor mir male, während die anderen Schüler die Zeit bis zum Unterrichtsbeginn mit dem Schmieden von Plänen fürs Wochenende verbringen. Außerdem stinkt es hier im Raum furchtbar. Warum muss es in jedem Chemieraum stinken? An den Wänden hängen riesige Periodensysteme der Elemente und verschiedenste Plakate von Vorträgen, die wir Schüler selbst gebastelt haben. Bei solchen Präsentationen halte ich mich gerne im Hintergrund. Zu groß ist die Angst, etwas Offensichtliches falsch zu erklären und mich dann vor der ganzen Klasse lächerlich zu machen. 

Das Allerschlimmste an Chemie sind jedoch die Hocker. Wir sitzen hier auf keinen Stühlen, sondern sitzen auf alten, harten Holzhockern. An sich wäre es nicht schlimm, aber meinem Bein, oder besser gesagt, meiner Prothese gefällt das überhaupt nicht. Das ist auch der Grund, warum ich ungefähr alle fünf Minuten meine Sitzposition verändern muss, weil der stechende Schmerz in meinem Stumpf zu stark wird. Ich halte meinen Kopf gesenkt und versuche, die letzten wenigen weißen Stellen mit Kreisen zu füllen. So sieht es zumindest von hinten so aus, als hätte ich was zu tun. 

Plötzlich verstummen die Gespräche um mich herum. Stirnrunzelnd blicke ich auf und sehe, dass just in diesem Moment unser Chemielehrer den Raum betritt. Seine riesige Brille sitzt wie immer etwas schief und auf seiner hellen Krawatte prangt wie immer ein Kaffeefleck vom Morgenkaffee. Bei dem Anblick muss ich grinsen, erstarre aber, als ich sehe, wer hinter unserem Lehrer den Raum betritt. Meine Augen weiten sich und ich nehme die haselnussbraunen Haare und den leicht schlurfenden Gang war. Wache Augen suchen den Raum ab und bleiben an mir hängen. Ein Lächeln ziert sein Gesicht. Vincent. Ich schnappe leise nach Luft und schüttle schnell den Kopf. Starr ihn nicht so an, Judy! Unser Lehrer sagt etwas zu Vincent und deutet dann auf den leeren Platz neben mir. Vincent grinst, nickt und schlendert dann lässig auf mich zu. Trotzdem hat er nach wie vor ein leichtes Hinken. "Hey", sagt er, als er an meinem Tisch ankommt. "Hey", erwidere ich betont langweilig, versuche mein klopfendes Herz und meine schweißnassen Hände zu ignorieren. Vincent deutet auf den leeren Hocker neben mir. "Mister Pillsbury meinte, der wäre noch frei?" Ich schlucke und nicke. Vincent seufzt, lässt seinen Rucksack gegen das Tischbein fallen und nimmt dann neben mir Platz. 

Schweigen breitet sich über unserem Tisch auf, während die anderen langsam wieder die Gespräche aufnehmen. Mister Pillsbury hat das Klassenzimmer schon wieder verlassen, um seine Unterlagen zu holen. Und hoffentlich, um seinen Kaffeefleck aus der Krawatte zu waschen.

Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie Vincent ein ordentlich aussehendes Notizheft aus der Tasche holt, sowie ein kleines Federmäppchen und einen kleinen Block. Er seufzt und fährt sich durch die Haare, bevor er anfängt, mit seinen Fingerspitzen auf dem Tisch trommelt. Sein Geruch steigt  mir in die Nase und ich muss zugeben, dass er nicht schlecht riecht. Nicht so intensiv und männlich wie Miles, aber trotzdem männlich genug, um sich bemerkbar zu machen....Gott, Judy, was redest du da? Ich schlucke erneut und wende meinen Blick schnell ab. Vincent grinst und dreht seinen Oberkörper zu mir. 

"Was ich dir noch sagen wollte", sagt er und räuspert sich dann. Ich lupfe eine Augenbraue und sehe ihn stumm an. Vincent kratzt sich im Nacken und runzelt die Stirn. "Der Vorfall gestern morgen mit Hayden, tut mir leid. Ich weiß nicht, warum sie auf einmal so zornig war." Fast hätte ich laut aufgelacht, verkneife es mir aber dann. Auf einmal so zornig? Ich habe Hayden noch nie anders erlebt. Trotzdem schaffe ich es zu lächeln. "Kein Problem", erwidere ich heiser und zucke nur mit den Schultern. Mein Herz trommelt gegen meinen Brustkorb, inzwischen habe ich schon Angst, dass Vincent es hören kann. Ich denke an die vielen bissigen Kommentare, die ich mir schon von Hayden anhören durfte und schlucke schwer bei dem Gedanken daran, dass das gestern nichts dagegen war. 

Ein stechender Schmerz schießt durch mein Bein. Ich zucke zusammen und presse meine Augen fest aufeinander. Instinktiv umschließe ich mit meinen Händen meinen Oberschenkel und positioniere ihn anders, um den Schmerz zu vertreiben. Langsam atme ich aus und öffne meine Augen wieder. Vincent sieht mich besorgt von der Seite an und starrt dann auf mein Bein. Bitte, bitte, bitte, keine Fragen... Er kratzt sich im Nacken und seufzt dann leise. Ich schlucke schwer und denke daran, was Aly und Val mir bei unserem Riverdale-Nachmittag erzählt haben. Noch immer fällt es mir schwer vorzustellen, dass dieser junge mit den haselnussbraunen Haaren, der mir gegenüber sitzt und noch immer mein linkes Bein stirnrunzelnd mustert, wirklich acht Monate lang hilflos im Koma lag. Meine Hände beginnen zu zittern und ich kneife schnell meine Augen zusammen.

"Ich bin übrigens grottenschlecht in Chemie", unterbricht Vincent das peinliche Schweigen und grinst mich schief an. Dabei fallen mir die kleinen Grübchen in seinen Wangen auf. "Ehrlich, wenn ich ein Fach schrecklicher finde als Französisch, dann ist das definitiv Chemie." Er rümpft die Nase und zuckt mit den Schultern. Ich kichere leise. Ja, wirklich, ich kichere. Judy, was ist los mit dir, verdammt? Dann sind wir schon zu zweit", erwidere ich schulterzuckend und zwinkere Vincent zu. Dieser verschränkt seine Arme vor der Brust und lupft eine Augenbraue. "Wetten, ich bin schlechter als du?" Ich schüttle lachend den Kopf und schlage in Vincents ausgestreckte Hand ein. Mein Blick wandert zur Uhr. Noch immer drei Minuten bis Stundenbeginn. Drei wertvolle Minuten, die Mister Pillsburry dazu verwendet, um noch mindestens einen Kaffeefleck auf seiner Krawatte zu verschütten.

"Geht es deinem Bein schon besser?", will Vincent von mir wissen. Ich zucke zusammen und reiße meine Augen weit auf. Eine Gänsehaut breitet sich auf meinen Armen aus und ich drehe mich langsam zu ihm um. In meinem Magen breitet sich Übelkeit aus und ich merke, wie sämtliche Farbe aus meinem Gesicht verschwindet. Woher weiß er von meinem Bein? Hayden. Bestimmt hat sie ihm alles erzählt, um mich schwach wirken zu lassen. Meine Hände krallen sich um meine Knie und ich schlucke schwer. Vincent grinst mich schief an und sieht mich fragend an. "Die Physio?" Ich atme leise aus und merke, wie sich ein leichtes Lächeln in mein Gesicht schleicht. Vielleicht weiß er doch von nichts. "Jaja, klar", erwidere ich schnell. Vince runzelt die Stirn und kaut auf seiner Unterlippe. Er kratzt sich erneut im Nacken und atmet dann langsam aus. "Du bist wohl nicht sehr gesprächig, was?" Ich zucke mit den Schultern und seufze dann. "Ehrlich gesagt weiß ich nicht, ob das so eine gute Idee ist, wenn wir zwei hier zusammensitzen", sage ich leise und starre auf meine Knie. Ich weiß, wie kindisch sich das anhört, aber hey, Vincent ist mit Hayden zusammen und deren zweiter Name ist quasi Eifersucht. Vincent runzelt die Stirn und neigt seinen Kopf zur Seite. Sein Blick verdunkelt sich und ich schlucke schwer. "Tut mir echt leid, aber...", versuche ich leise zu erklären. Vincent schüttelt den Kopf und hebt die Hand. "Schon okay", erwidert er und zuckt mit den Schultern, "ich versteh schon." Er seufzt, klickt seinen Kulli auf und beginnt, Dreiecke auf ein leeres Papier zu malen. Ich starre ihn von der Seite an und wende dann meinen Blick ab.

In dem Moment schießt erneut ein stechender Schmerz durch mein Bein, der mich laut aufkeuchen lässt. Ich zucke zusammen und presse meine Augen zusammen. Wie ich diese Hocker hasse. Vincent sieht mich mit gerunzelter Stirn von der Seite an. Meine Wangen brennen heiß und ich beiße mir auf meine Unterlippe. Tränen steigen mir in die Augen, aber ich verbiete mir, auch nur eine einzige davon zu vergießen. Ich balle meine Hände zu Fäusten, meine Fingernägel graben sich in meine Handinnenflächen. Tief durchatmend konzentriere ich mich auf den Schmerz in meinen Händen, um den von meinem Bein zu verdrängen. Ich starre hoch zur Uhr. Noch eine Minute. Vincents Blick ruht noch immer auf mir. Beschämt starre ich auf die vielen Kreise vor mir, bis mich der Gong endlich erlöst.

____

Ich sitze mit Ryan und Lucas beim Mittagessen und beuge mich über meine dampfenden Nudeln. Die anderen haben alle noch Unterricht, weshalb wir heute nur zu Dritt sind. Und trotzdem genieße ich die Mittagessen in unserer kleinen Runde, weil mich Ryan und Lucas immer zum Lachen bringen. Mein Magen knurrt und ich picke die ersten paar Nudeln auf. Der Duft der warmen Tomaten-Sahnesoße steigt mir in die Nase und lässt mir das Wasser im Mund zusammenlaufen. Ich liebe unsere Kantine dafür, dass sie so gutes Essen machen kann.

Ryan fuchtelt wild mit den Armen umher und erzählt von der letzten Theaterprobe. Jedes Jahr veranstaltet unsere Schule ein großes Musical und Ryan hat es dieses Jahr geschafft, eine der Hauptrollen zu ergattern. Er lebt quasi für das Theater, macht Nächte durch, um seinen Text perfekt sagen zu können und sitzt stundenlang vor dem Spiegel, um seine Emotionen zu üben. Nach der Schule möchte er Schauspiel studieren und ich bin mir fast sicher, dass er dafür sogar Stipendien bekommen könnte. Lucas lacht laut und hält sich den Bauch. Ich grinse ebenfalls und kaue schnell.

Plötzlich sehe ich einen Schatten neben mir. Ich blicke auf und zucke zusammen. Blonde Locken, ein zuckersüßes Lächeln. Hayden steht neben mir und lächelt mich schrecklich falsch an. "Tut mir leid wenn ich euch störe", haucht sie und klimpert mit ihren langen Wimpern. Eine Gänsehaut kriecht über meine Arme. Ich schlucke schwer und habe das Gefühl, als würden die Nudeln in meinem Hals feststecken. "Hallo Hayden", begrüßt Lucas sie kalt und nickt knapp. Haydens lächeln verrutscht ein Stück, aber sie fixiert sich sofort wieder auf mich. Ich merke, wie mein Herz in meiner Brust zu trommeln beginnt und balle meine Hände zu Fäusten. "Kann ich kurz mit dir reden, Judy? Alleine?" Sie zieht ihre Augenbrauen hoch und spitzt ihre perfekten Lippen. "Natürlich", seufze ich und stehe langsam auf. Ryan drückt meine Hand und sieht mich besorgt an.

Hayden dreht sich auf dem Absatz um und verlässt mit ihrem federleichten Gang die Cafeteria. Immer, wenn ich ihren eleganten Gang sehe, werde ich mir wieder bewusst, wie furchtbar es aussehen muss, wenn ich an den anderen vorbeilaufe. Humpelnd, teilweise mit schmerzverzehrtem Gesicht, kein bisschen elegant. Wir verlassen den großen Raum und Hayden hält mir, noch immer mit zuckersüßem Lächeln, die Tür zum nächstbesten Klassenzimmer auf. Ich trete mit angetretenem Atem ein und höre nur, wie Hayden die Tür hinter uns laut zuschlägt. Mit schnellen Schritten steht sie vor mir, ihre Augen blitzen nun vor Zorn. Ich zucke zusammen und verknote meine Finger ineinander.

"Was soll das?!", keift sie und verschränkt ihre Arme wütend vor der Brust. Ihre Augen formen sich zu Schlitzen. "Was fällt dir ein, dich so an meinen Freund dranzuwerfen? Glaub mir, er hat genug Probleme und sollte sich nicht mit sowas wie dir abgeben." Ich schlucke schwer und merke, wie Tränen in meinen Augen brennen. Ich denke an Vincent und daran, wie locker er heute mit mir in Chemie geredet hat. Wie ich versucht habe, ihn abzuwimmeln, weil ich genau vor so einer Situation Angst hatte. "Ich weiß nicht, was du meinst", flüstere ich leise und presse meine Lippen aufeinander. Hayden lacht schrill und schüttelt verständnislos den Kopf. "Dann willst du mir also erzählen, dass du jetzt zufällig neben ihm in Chemie sitzt und du und deine komische Freundin gestern zufällig zu uns ins Klassenzimmer kam, als es Vince richtig scheiße ging?!" Sie lacht laut und schüttelt den Kopf. Röte schießt mir in die Wange und ich beiße mir auf meine Unterlippe. "Ja", erwidere ich leise. Ich balle meine Hände zu Fäusten und wünsche mir jetzt Val neben mir. Sie würde Hayden besser gegenübertreten als ich. "Hörst du dir eigentlich selbst zu?!", keift Hayden und sticht mit ihrem spitzen Fingernagel in meine Brustkorb. Bei ihrer Berührung zucke ich zusammen und stolpere einen kleinen Schritt nach hinten.

Meine Hände sind nass und mein Herz trommelt wie verrückt. Ja, ich gebe es zu, ich habe Angst vor Hayden. Dieses Mädchen ist unberechenbar und ich traue ihr alles zu. Vor allem, wenn sie wütend ist. "Was bildest du dir eigentlich ein?", zischt sie und kommt einen weiteren Schritt auf mich zu. Ihr Gesicht ist übersäht von roten Flecken, ihre Augen blitzen. Ich weiche einen weiteren Schritt nach hinten aus und stoße gegen einen der vielen Tische. Hayden steht dicht vor mir, sie sieht aus wie ein Drache kurz vorm Feuerspucken. Sie lacht laut auf, laut und falsch. Ich weiß was jetzt kommt. Ich schließe die Augen und atme tief aus. "Sieh dich an", sagt sie und verschränkt ihre Arme vor ihrer Brust. "Glaubst du wirklich, dass du Chancen bei Vince hättest, Judy? Er ist mein Freund!" Sie lupft ihre Augenbraue und verzieht ihr Gesicht zu einem falschen Grinsen. "Glaubst du wirklich, dass ein Mensch mit gesundem Menschenverstand, dich mir vorziehen würde? Du, mit deinem..." Sie deutet auf mein Bein und schüttelt verständnislos den Kopf. "...Plastikding?" Ich starre hinauf zur Decke und erwidere nichts. Hayden ist in Rage und wenn ich jetzt auch noch etwas sagen würde, würde der Knoten in meinem Brustkorb platzen und ich in Tränen ausbrechen. Mein Herz sticht bei jedem einzelnen Wort, das Hayden zu mir sagt. Das, was sie zu mir sagt ist mir nicht neu, zu oft hat sie sich schon über meine Prothese lustig gemacht. Über meinen wunden Punkt.

Hayden schüttelt den Kopf und zieht  ihre linke Augenbrauen in die Höhe. "Halt dich von meinem Freund fern, sonst werden wir zwei öfter ein Gespräch haben, ja?" Sie lächelt mich falsch und viel zu süß an. Ich presse meine Lippen aufeinander und nicke schnell. "Gut", haucht Hayden und nickt dann zufrieden. "Dann wäre alles geklärt." Sie dreht sich um und stolziert mit einem zufriedenen Lächeln aus dem Klassenzimmer. Ich sinke auf einen der harten Plastikstühle und atme tief durch. Die erste Träne kullert über meine Wange. Ich wische sie schnell weg und merke, wie sehr meine Hand zittert. Schnell beiße ich mir auf die Unterlippe. Zu spät. Die Tränen vermehren sich, bis ich leise schluchzend in dem großen Klassenzimmer sitze.

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Ich kicke mir die Schuhe von den Füßen und lasse mich dann kraftlos auf das Sofa sinken. Mein Brustkorb hebt und senkt sich schnell und ich schließe die Augen. Sämtliche Energie, die sich vielleicht noch in meinem Körper befunden hat, löst sich mit einem Knall ins Nichts auf und ich fühle mich, als wäre ich eine leere Hülle. Nicht fähig, noch irgendetwas zu machen. Die Beschreibung der leeren Hülle trifft es übrigens gar nicht mal so schlecht. Nach meinem Treffen heute Mittag mit Hayden habe ich den Rest des Tages damit verbracht, zu atmen. Ich war nicht mehr wirklich anwesend und habe mich nur darauf konzentriert, nicht vor allen anderen Schülern in Tränen auszubrechen. Dann würde ich noch schwächer wirken, als ich ohnehin schon bin. 

Mein Herz beginnt wieder schlimmer zu pochen und für einen Moment wünschte ich mir, es würde einfach aufhören zu schlagen. Aufhören wehzutun. Aufhören, die ganzen gemeinen Worte von Hayden so ernst zu nehmen. Jede einzelne Silbe aus ihrem Mund ist wie ein Messerstich in mein Herz. Oder, besser gesagt, ein Messerstich in einen einzig, blutigen Haufen, der vielleicht mal so etwas wie ein Herz war. Mein Blick wandert zu den vielen Familienfotos, die Mama liebevoll im Wohnzimmerregal platziert hat. Was würde Colleen in dieser Situation machen? Beim Gedanken an meine Zwillingsschwester schleicht sich ein schwaches Lächeln auf meine Lippen. Sie hätte den Mumm, Hayden gegenüberzutreten. Sie hätte ihr ihre ehrliche Meinung direkt ins Gesicht gesagt. Wie damals in der Vorschule, als sie Jacob, einem Jungen, der zusammen mit uns die Vorschule besuchte, gedroht hat, seinen Kopf im Sand zu verbuddeln, wenn er nicht damit aufhört, mir an den Haaren zu ziehen. Hört sich vielleicht komisch an, aber wir waren damals fünf und diese Drohung war echt hart. Ich bewunderte Colleen ewig davor und Jacob zog mir nie wieder an den Haaren.

Ich höre, wie die Haustür ins Schloss fällt und zucke kurz zusammen. Miles Haarschopf zeichnet sich im Türrahmen an. "Hey", begrüßt er mich und runzelt die Stirn, als er mich so auf der Couch liegen sieht. "Hey", erwidere ich erschöpft und richte mich ächzend auf. Mein Bruder grinst und lässt sich auf das weiche Polster neben mir sinken. "Alles okay?", fragt er mich und fischt sein Handy aus der Hosentasche. Ich zucke zusammen. Da ist es wieder. Dieses Stechen im Herz. "Ja", sage ich knapp, meine Stimme zittert verdächtig. Was Miles natürlich merkt. Diese eine Silbe, zwei blöde Buchstaben, die mich verraten. Ich schaffe es noch schnell, den Kopf zu schütteln, bevor ich leise schluchzend in die Arme meines Bruders falle. Miles atmet zischend ein und drückt mich dann fest an sich. Ich atme seinen vertrauten Geruch ein und versuche so, meinem Körper zu signalisieren, dass ich in Sicherheit bin. Ich bin bei meinem Bruder, mir kann nichts passieren. Damals, die erste Zeit nach Colleens Tod war ich immer bei Miles, wenn ich nicht schlafen konnte. Irgendwann war sein Geruch wie eine Droge, die mich immer beruhigte.

"Was ist passiert?", fragt Miles leise, während ich mich leise schluchzend an seinem T-Shirt festhalte. Mein Herz sticht gegen den Brustkorb und es fühlt sich so an, als würde es immer und immer wieder mit Messern durchbohrt werden. "Die Schule war furchtbar", erwidere ich und schniefe laut. Ich wische mir die Tränen aus dem Gesicht und richte mich mühsam auf, um meinem Bruder in die Augen sehen zu können. "Ich habe das Gefühl, dass mir überall Steine in den Weg gelegt werden, wo es nur geht", sage ich und schniefe erneut. Miles sieht mich mit ernstem Blick an und lupft eine Augenbraue. "War es wieder das blonde Biest?", fragt er kalt und seine Augen verengen sich zu Schlitzen. Ich weiche seinem Blick aus, merke aber, wie meine Hände leicht zu zittern beginnen. Allein wenn ich an Hayden denke, wird mir wieder schlecht. Warum lasse ich mich von so einem Mädchen so sehr fertig machen?

"Judy", seufzt Miles und fährt sich durch die Haare. "Warum lässt du dich von ihr so fertig machen?" Ich starre auf den Boden neben ihm und merke, wie wieder Tränen in meinen Augen brennen. Ich blinzle heftig, da ich nicht schon wieder weinen möchte. Schnell zucke ich mit den Schultern und starre dann auf die Hände. "Du hast gut reden", flüstere ich leise und sehe meinen Bruder an. "Du hast noch beide Beine. Du bist gesund, bist kein Krüppel, bist nicht behindert! Du musst dich nicht jeden Tag blöd von der Seife anstarren lassen und dir das Getuschel hinter deinem Rücken anhören!"

Meine Stimme wird zum Ende hin immer stiller und ich springe hektisch auf. Durch mein linkes Bein schießt ein Schmerz, als würde ein Blitz durch ihn jagen. Mir wird schwarz vor Augen und ich sinke schreiend auf den Boden. "Judy!" Miles kniet sich neben ihn, aber ich drücke ihn von mir weg. Ich schnappe nach Luft, aber der Schmerz in meinem Bein lässt nicht nach. Gierig sauge ich die Luft ein, auf meinen Armen breitet sich eine Gänsehaut aus. Tränen strömen in Bächen über meine Wange und ich versuche, die tanzenden schwarzen Punkte vor meinen Augen zu verdrängen. Miles legt seine Hand auf meinen Rücken, bei seiner Berührung zucke ich zusammen. Mein Herz trommelt wie verrückt und ich konzentriere mich auf meine Atmung. Meine Fingerspitzen sind taub und ich greife blindlings nach der Hand meines Bruders, die ich fest drücken kann. Mein Hals juckt aufgrund der Tränen, aber ich schaffe es nicht, sie wegzuwischen.

"Was ist hier los?", höre ich Zacs Stimme. Ich blicke hektisch auf. Der Tränenschleier und auch die schwarzen Punkte vernebeln mein Sichtfeld. Mit zusammengebissenen Zähnen stütze ich mich auf meine Unterarme und schaffe es, irgendwie aufzustehen. Jeder Schritt schmerzt, aber ich schaffe es, bis zur Tür zu humpeln, wo ich meinem Bruder in die Augen sehe. Zac hat tiefe Augenringe und auch seine Haut seht fahl und blass aus. Seine Lippen sind aufgeplatzt. Er hält mich am Ellbogen fest. "Judy", sagt er ruhig und sieht mir tief in die Augen. "Rede mit uns." Ich schüttle heftig den Kopf und schüttle mich frei. "Lass mich in Ruhe", zische ich, meine Augen werden wieder verdächtig feucht. "Lasst mich beide in Ruhe!"

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