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Wie hätte ich es ihr sagen sollen? Ich hatte nach einem Weg gesucht, ständig darüber nachgedacht, ob Tag oder Nacht. Was in den Laboren vorging war weitaus schlimmer als man vermuten würde, die Verhältnisse waren weitaus mehr als Folter, Kinder mussten zusehen wie die Eltern nach und nach immer mehr den Wille zu leben verloren, aber auch umgekehrt. Ich wusste all diese Dinge, unsere Mutter erzählte sie uns. Es wirkte gruselig, nein gar verstörend, aber sie bildete daraus eine Geschichte. Sie erzählte sie uns vor der Mauer, vor den Laboren, aber sie schien es immer gewusst zu haben. Sie hielt uns in den Armen, drückte uns sanft an sich und erzählte von dem Helden, der das Grauen in den Laboren beendete, aber auch von weiteren Taten. Jeder kann ein Held sein, meine Kleine, aber jeder hat ein anderen Weg., erzählte sie uns. Ich wünschte ich hätte mich an ihr Gesicht erinnern können, um Lynn zu helfen. Aber nein, sie saß hier, den Kopf auf den Knien und dachte nach. Ihre Gedankengänge wurden für mich immer verständlicher, denn der Perfektionismus fiel langsam von ihr ab, auch wenn sie es nicht merkte und sogar meinte sie würde ihn nicht aufgeben. Ich wusste es besser, natürlich war ich nicht das Gewissen, dieses war mit ihrem Perfektionismus verschmolzen, aber es kämpfte sich frei, langsam aber sicher. Lynn brauchte Zeit, aber hatten wir diese? Nachdem die Scotts nun wussten, dass sie lebte, suchte man sie. Ich wusste nicht was uns erwarten würde, aber wer wusste schon was die Zukunft brachte?
»Lass mich in Ruhe!«, hörte ich etwas weiter weg eine weibliche Stimme schreien. Ich hob vorsichtig meinen Kopf und wischte mir über mein Gesicht, um die Tränen der Verzweiflung fortzuwischen. Es war bereits dunkel geworden, jedoch erklärte dies nicht weshalb jemand schreien sollte.
'Die Ausgangssperre!', rief Freya erschrocken in meinem Kopf, wobei meine Glieder sich sofort verkrampften. Ich erinnerte mich ungern an das letzte Mal, aber was sollte ich tun? Entweder ich ging so schnell ich konnte zurück zu Rosy oder ich half der Frau, wobei ich mich selbst gefährden würde. Mein Verstand riet mich selbst in Sicherheit zu bringen, jedoch ließ mein Herz, sowie auch mein Bau mich aufstehen und dem Ruf zu folgen. Es war so viel Leid über die Menschen hier ergangen, ich musste helfen wo ich konnte, immerhin hatten sie mich aufgenommen.
Meine Lippen verformten sich zu einem kleinen Lächeln, ich wusste, dass ihre Antwort damals nicht sie gewesen war. Sie würde Unschuldigen immer helfen, bei ihrer Antwort hatte nur die 'Perfektion' aus ihr gesprochen. Ich wollte ihr helfen, wusste jedoch nicht wie. Die Sache in der verbotenen Zone war Glück, ihr Geist war schwach gewesen, aber darum ging es mir nicht. Wenn ich gewollt hätte, wäre ich nun die, die Befehle geben würde, aber es wäre falsch. Ich hatte es mir immer gewünscht, aber nun kam es mir falsch vor. Lynn musste ihren Weg finden, ihren Weg zu mir, ihrem wahren Ich, doch dieser war lang und steinig. Irgendwann würden wir es schaffen unseren Riss zu heilen, da war ich mir sicher.
Ich sah vorsichtig um die Ecke, an der ich das leise Wimmern vernahm und dort war sie, die blonde Frau, deren Bauch ganz rund war. Sie war schwanger, das erkannte man auf den ersten Blick, jedoch war dies nicht der Grund weshalb mein Blut zu Eis gefror. Der Soldat vor ihr hielt eine silbern schimmernde Waffe in der Hand und richtete sie auf die schwangere Frau. Ich spürte die Tränen in meinen Augen, was sollte das? Er konnte sie doch nicht umbringen, wozu gab es überhaupt diese Ausgangssperre?
Meine Beine setzten sich von selbst in Bewegung, direkt zu dem Soldaten, der mich nicht zu bemerken schien. Ich erinnerte mich zurück an Mirandas Worte, so kurz vor meinem Tod entfaltete ich mich. Natürlich hatte ich mich gefragt was sie damit gemeint hatte, aber ich glaubte allmählich die Antwort zu finden. Ich wehrte mich unbewusst gegen die Perfektion, obwohl ich äußerlich versuchte sie zu erhalten, ergab das irgendeinen Sinn? Es waren vielleicht auch nur die Worte einer Verrückten, die eine Stimme hörte. Aber Freya war mehr als das, sie hatte mir so viel gezeigt, vielleicht sogar zu viel.
Die Frau erblickte mich, starrte jedoch weiter den Soldaten an. Ich versuchte bei der Sache zu bleiben, es ging um Leben oder Tod und ich wollte leben, jedoch nicht für mich, wie ich feststellte. Aus eigenen Stücken war ich heute Morgen nicht aufgestanden, aber was war dann der Grund? Ich kannte ihn nicht, vielleicht würde ich ihn nie kennen, aber ich musste mich konzentrieren, nicht wieder im meinen Gedanken versinken.
'Sei vorsichtig', warnte mich Freya. Ich musste ein Lächeln unterdrücken, sie machte sich wirklich Sorgen um mich oder eher um sich, da sie mein Leid teilte, aber soweit wollte ich es nicht kommen lassen. Ich war waffenlos, aber das hieß noch lange nicht, dass ich wehrlos war. Ich hatte Gewalt schon immer verabscheut, aber sie schien ein Teil der Menschen zu sein. Ich erinnerte mich zurück an meinen Unterricht, Luftmangel löste Bewusstlosigkeit aus... es musste funktionieren.
Etwa ein paar Meter vor ihm nahm ich so schnell ich konnte Anlauf, wobei ich hoffte noch leise genug zu sein. Das Adrenalin schoss durch meine Adern und ließ mich die fürchterlich Angst in diesem Moment vollkommen vergessen. Als ich kurz vor ihm stand sprang ich, da er um Einiges größer war als ich, meinen rechten Unterarm legte ich dabei um seinen Hals und umfasste mit der linken Hand das Handgelenk, um zudrücken zu können. Ich wollte es nicht, ich wollte niemanden verletzen, aber es musste sein, ich konnte nicht zulassen, dass er der scheinbar wehrlosen Frau etwas antat.
Sein Aufjapsen nahe gefolgt von einem Schnappen nach der wertvollen Luft ertönte. Ich schloss meine Augen, um zu verschwinden, mich der Realität zu entziehen, doch dann spürte ich diesen festen Griff, der meinen Unterarm wegriss. Im nächsten Moment berührte mich etwas Kaltes, scheinbar Lebloses an meiner Augenbraue und ich blickte direkt in das Gesicht des wutentbrannten Soldaten. Das Adrenalin war zu purer Angst geworden, Angst vor dem Tod.
»Du kleine, dreckige Schlampe.«, beleidigte er mich. Irgendetwas tief in mir wollte der Angst entfliehen und ihm am liebsten ins Gesicht spucken, jedoch spürte ich dann einen brennenden Schmerz an meiner linken Augenbraue, welcher sich langsam immer weiter ausbreitete. Ich begann mich zu fragen weshalb mir die Frau nicht half, aber was sollte sie schon tun? Mir wäre es am liebsten gewesen, wenn sie geflüchtet wäre, denn so wären zwei Leben in Sicherheit gewesen.
Ich versuchte den Schmerzensschrei zu unterdrücken und stattdessen einen Ausweg zu finden, doch wie? Er hielt meine Hände mit seinem festen Griff umschlossen und... meine Beine waren frei, ich war nicht wehrlos. Mit einem kräftigen Stoß versetzte ich ihm einem Hieb direkt in die Magengrube. Zuerst dachte ich er würde eine etwas zu harte Rüstung tragen, aber als er dann nach Luft schnappte und unachtsam meine Hände, sowie auch das Messer losließ, musste ich meine Chance wahrnehmen. Mit meinen zittrigen Hängen umschlang ich so fest wie ich nur konnte den Griff der Klinge, das Adrenalin war wieder da, meine Sinne dachten nur an das Überleben, als wäre ich ein Tier.
So schnell ich konnte stellte ich mich auf meine Knie, wobei mir das Blut über die makellose Haut lief, jedoch fiel es mir leicht dies zu ignorieren. Er war auf alle Viere gestützt vor mir, ich erinnere mich noch genau daran wie ich ihm das Herz in den Rücken gerammt hatte. Mit den annahenden Tränen in den Augen zog ich das Messer wieder aus der frische Wunde heraus, um erneut einzustechen. Ich wusste nicht warum ich dies tat, alle vier meiner Messerstiche gingen bis in sein Herz und hinterließen die klaffenden Wunden an seinem Rücken. Erst nach dem vierten Einstich ließ ich das Messer los, ein Blick auf meine blutverschmierten Hände ließ mich zurück in die Wirklichkeit.
Ich spürte die brennenden Tränen in meinen Augen, was hatte ich getan? Ich war ein Monster, ich hatte ihn getötet, ich war eine Mörderin. Aber wie war ich zu so etwas fähig? Ich lehnte mich gegen die Ziegelstein Mauer, wobei sich meine Tränen mit Blut vermischten, die Frau war verschwunden. Mit meinen nassen Augen begutachtete ich seine Leiche. Er lag einfach da, als würde er tief schlafen, als hätte ich ihn nicht getötet. Ich wollte es nicht, ich hatte nicht vorgehabt ihn zu töten, ich wollte ihn nur verletzen, um mich selbst zu retten. War ich wirklich zu einem solchen Monster geworden?
»Komm schnell, sie ist-«, hörte ich die Rufe der Frau, die sofort erstickten, als sie die Gasse erreichte. Ich sah mit meinen schnellen, verzweifelten Atemzügen an. Ich war ein Monster, eines dieser verdammten Monstern aus den Märchen, welches am Ende für das Wohlergehen aller sterben musste... der Tod. Ich legte meine Stirn in Falten und sah zurück zu ihm. War denn wirklich ich das Monster? Ich hätte ihn keinesfalls töten müssen, aber was war denn mit ihm gewesen?
'Es war richtig, was hätte er mit dir gemacht, wenn du nichts getan hättest, würdest nun du dort liegen. Außerdem hast du etwas bewiesen, du bist nicht dieses kleine, unterdrückte Mädchen aus dem Käfig.', sprach Freya mit mir. Sie hatte vielleicht Recht, aber warum musste man sich denn immer töten? War der Mensch denn wirklich so dumm?
»Bist du nicht dieses kleine Miststück von-«
»Ich bitte dich Rick!«, fuhr die Frau ihn sofort an, bevor er seinen Satz zu Ende sprechen konnte. Selbst die Tatsache, dass er es war, der Mann, der mir eine solche Angst vor dieser Seite eingejagt hatte, löste mich nicht aus meiner Erstarrung. Mörderin, dieses Wort ging mir immer wieder durch meine scheinbar betäubten Sinne.
»Du solltest besser gehen Tracy, Patrik macht sich Sorgen.«, sagte er unberührt zu ihr, jedoch hatte sie ihm einen bösen Blick zugeworfen. Ich musste mich erneut zu der Leiche wenden, ihre Uniform tränke sich immer mehr in Blut, während sich der Weg aus Stein rot verfärbte, ich hätte ihn nie töten müssen.
»Wenn ich von irgendwem höre, dass du das arme Ding fertig gemacht hast, wird der Alkohol dein-«
»Ich habe es kapiert Tracy, nimm die Gassen, wenn du nach Hause gehst, verstanden?« Im Mondlicht begann das Rote an seinem Rücken ein wenig zu glänzen, man hätte vielleicht sogar meinen können, dass es einem geschliffenen Diamanten ähnelte. Ich hörte wie sich ein paar Schritte entfernten, jedoch spürte ich Ricks Anwesenheit noch immer, seine Blicke bohrten sich tief in mich hinein, als würde er alles über mich wissen, jedes einzelne Geheimnis.
»Komm, wir müssen hier weg.«, wandte er sich dann endlich stur an mich. Sofort löste ich meine Augen von der Leiche, er hatte Recht, ich wollte nicht noch einem Soldaten begegnen.
»Ich muss zu Rosy.«, sagte ich leise zu ihm, während wir nebeneinander durch die engen Gassen liefen. Freya war erschreckend ruhig geworden.
»Nein, ich bringe dich zu jemandem anderen.«, erklärte er mir ohne mich dabei eines Blickes zu würdigen. Sollte ich hinterfragen?
»Wieso? Ich kann nicht-«
»Ich bringe dich zu deiner Mutter.«, unterbrach er mich. Ich erstarrte sofort als ich seine Worte wahrgenommen hatte. Er kannte sie? Also lebte sie, es sei denn er machte sich einen Witz aus meinem Hoffen und Erwarten.
»Du kennst mich nicht einmal.«, widersprach ich ihm, wobei er nur leise lachte.
»Ach Madelyn Sophie Price, du bist nicht die einzige Verbannte.«
Ich musste, sagen, dass ich wirklich stolz auf sie war, ihr Innerstes formte sich, jedoch hatte ich dies nie so geplant. Ich wollte immer die Oberhand sein, die mit der Macht diesen Körper, diese perfekte Hülle, zu steuern. Aber warum? Es gab mich nicht umsonst, ich war ihr wahres Ich, aber was machte sie denn unwichtig? Es konnte sie nicht umsonst geben, denn irgendwie lernten wir voneinander, während ich meine Besitzergreifung durch sie nicht weiter ausübte, öffnete ich ihr die Augen, damit sie zur wahren Erleuchtung kam. Nichts ist perfekt, es sind lediglich die Gewohnheiten, die die Gesellschaft an den Tag legt, sowie auch ihre Gewohnheiten. Seit wann war Magersucht schön? Seit wann mussten Menschen makellos schön sein, obwohl Schönheit immer im Betrachter lag? Wieso lebten Menschen immer ihren Vorfahren nach?
Als wir Rosys Gaststätte immer näher kamen, steigerte sich meine Verwirrung bis ins Unermessliche. Meine Mutter sollte hier sein? Wieso hatte sie dann nicht ein Ton von sich gegeben? Aber wer? Ich hatte so viele Gesichter gesehen, so viele verschiedene Personen, aber keines ähnelte meinem. Aber konnte ich Rick ernst nehmen? Einem, der sich Tag für Tag betrank, um den Schmerz zu vergessen? Ich hatte mir die ganze Zeit den Kopf darüber zerbrochen, er stammte von der anderen Seite, er musste mich durch meinem Adoptivvater kennen, jeder kannte unsere Politiker. Warum hatte man ihn wohl verbannt?
»Da seid ihr ja endlich.«, kam Rosy uns sofort entgegen, wobei Jayden Rick misstrauisch begutachtete.
»Es gab Probleme, muss das wirklich hier besprochen werden?«, fragte Rick sie, wobei Rosy ihn sofort zu verstehen schien. Wieso nannte er mir nicht einfach einen Namen? Mehr brauchte ich auch gar nicht, Rosy kannte ohnehin fast jeden hier, sie würde mir helfen, außerdem kannten Jayden und Tia sich hier aus, sie würden mich zu ihr führen. Ich hatte allmählich wirklich genug von all diesen Geheimnissen, wenn eins aufgedeckt wurde, stellten sich immer mehr antwortlose Fragen auf. Nachdem wir einen etwas größeren Raum betreten hatten, sah Rosy sofort mit bösen Augen zu Rick, was er wie ich fand auch wirklich verdient hatte. Warum machte er es auch so spannend?
»Will ich es überhaupt wissen Rick? Du tauchst hier nach der Ausgangssperre auf und willst etwas Wichtiges besprechen... tut mir leid, aber das letzte Mal, als du mich darum gebeten hast, war der Krieg zu Ende.«, sprach sie mit ihm. Nachdem ich einen Blick zu Jayden geworfen hatte, wusste ich, dass er so ahnungslos zu sein schien wie auch ich. Rick zog grinsend die Luft ein.
»Ach ja Rosaly, ich denke, dass dies eine andere Angelegenheit ist, nicht wahr Madelyn?«
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