17
Die wohlige Wärme umgab mich, sie schien sich bis in meine Knochen ausgebreitet zu haben. Meine Gedanken schwiffen zurück in meine Erinnerungen, wobei mir sogleich Helenas Miene in die Sinne kam, wenn sie erfahren würde was soeben passiert war. Ich versuchte ein Lachen zu unterdrücken, was war denn nur mit mir los? Vor ein paar Tagen hätte ich wahrscheinlich weinend am Boden gelegen und nun unterdrückte ich ein lautes Gelächter, wobei ich hoffte, dass Jayden nichts davon mitbekam, obwohl er genau neben mir lag. Ich biss mir auf die Unterlippe, es wurde langsam wieder Zeit die perfekte Maske anzulegen, die ich so sehr gehasst hatte.
»Ich muss mich fertig machen.«, murmelte ich leise und mühte mir für ihn ein Lächeln ab, während ich die Decke beiseite schlug. Ich plante bereits den Abend, es durfte nichts schiefgehen, nicht jetzt, wo in letzter Zeit relativ alles nach Plan gelaufen war, auch wenn wir unsere Ziele nicht erreicht hatten, doch immerhin lebten wir und das schien nun am wichtigsten zu sein.
'Was sollte das denn?', fuhr mich Freya sofort an, als ich die Badezimmertür hinter mir geschlossen hatte. Natürlich musste sie genau in diesem Moment etwas sagen. Ich zog scharf die Luft ein, sammelte meine Konzentration, um das perfekte Verhalten anzulegen. Sie sollte endlich Ruhe geben und mich allein lassen, sie hatte ihren Teil getan. Perfektion war schlecht, hatte sie mir immer wieder eingetrichtert, immer wieder hatte ich nicht gehört, wollte es nicht wahrhaben, versuchte das Offensichtliche zu ignorieren, um mich an meine Maske zu klammern. Doch jetzt... ich hatte sie abgelegt, ohne dass sie mir entrissen wurde, um sie wieder aufzusetzen, wann war es endlich vorbei?
'Wenn du dich auf das Wesentliche konzentrierst, diesen Typen wegschickst und wir gemeinsam arbeiten, es hat vor ein paar Tagen noch gut funktioniert.', antwortete sie mir auf ihre kindische Art. Ich sah in mein Spiegelbild, wobei meine Zähne wütend aufeinander mahlten, es war fast wie früher, doch nun wehrte ich mich. Wegschicken konnte ich sie nicht, nicht wieder, es war schließlich schon einmal passiert.
»Du kapierst es nicht, oder? Es ist mein Leben, wenn du willst, dass es deins wäre, hättest du besser arbeiten müssen.«, zischte ich leise.
Mir blieb die Spucke weg. Sie wusste es, sie wusste, dass ich ihren Geist hatte brechen wollen, doch woher? Die Gedanken waren lange her, sie hätte sie gar nicht hören können, der Riss war zu groß. Ich zog die Luft ein, ich musste bei Sinnen bleiben, sie hatte ja Recht, aber... Es gab kein Aber, immerhin hatte sie dies von mir, indem ich ihr immer wieder versucht hatte zu zeigen wie man man selbst war. War ich nicht die, die sie stets für ihre Perfektion gehasst hatte? Nun stand sie da, schien ein vollkommen neuer Mensch zu sein, der bereit war für die wirklich Welt, ein Mensch, der Freunde gefunden, Erfahrungen gesammelt und sich zu meinem Pech verliebt hatte. All diese Dinge waren Leben, doch noch nicht gänzlich. Ich wollte ihr dies ermöglichen, ein richtiges Leben, ohne Angst und vor allem ohne dieser Mauer, doch dazu musste sie ihr Schicksal erfüllen.
Ich steckte eine weitere Nadel in den braunen, lockigen Haarturm, der sich vor mir im Spiegel gezeigt hatte. Das teure Parfüm, welches mein Vater vermutlich wie die Schminke und die Kleidung hergebracht hatte, bevor wir angekommen waren, waren bereits aufgetragen. Die Maske sah mich in ihrer unwirklichen, makellosen Perfektion an. Die Maske, die sich mit samt meines Kleides noch im Zimmer befand, würde ich erst kurz vor der Feier aufsetzen. Helena und Eric würden sich mit Sicherheit ebenfalls dort befinden, weshalb es ratsam wäre ihnen aus dem Weg zu gehen. Ich hoffte nur, dass Jayden einen guten Plan hatte, denn mein Kopf war wie leer gefegt. Mit meinen zittrigen Händen, an denen die Nägel hautfarben lackiert waren, zog ich den Bademantel fester um mich und ging in schnellen Schritten zur Tür hinüber, doch drückte die Klinke noch nicht hinunter. Meine Stirn berührte das helle, aber kalte Holz der Tür, was hatte ich nur gesagt?
»Es tut mir leid, das hätte ich nicht sagen dürfen, immerhin wollte ich dich früher auch loswerden. Wir waren wohl beide ziemlich Miststücke.«, sagte ich leise, damit Jayden nicht dachte ich würde Selbstgespräche führen, was ich eigentlich auch tat. Sie war in meinem Kopf, wenn Menschen die vor der Mauer gesagt hatten, hatte man sie in eine Nervenanstalt gesteckt. Vielleicht war ich auch wirklich nur eine Verrückte, doch dann war ich es eben, ich wollte meine Stimme behalten.
»Hilfst du mir mit dem Kleid?«, fragte ich ihn, als ich zurück im Schlafzimmer war und den Schrank öffnete. Ich rechnete bereits mit dem rosanen Tüll mit viel Glitzer, den Helena mir immer besorgt hatte, doch stattdessen traf ich auf Bewunderung. Ich zog den nachtblauen Stoff heraus und konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen, kaum zu fassen, dass Kleider wirklich schön sein konnten, es machte mir beinahe Angst, dass ein Mann mehr Geschmack besaß als eine Frau, doch Helena hatte ihre eigenen Vorstellungen von Mode.
»Klar, wenn du mir mit dem Strick hilfst.«, erwiderte er, während ich in das Kleid schlüpfte. Ich musste mich nicht einmal umdrehen, um zu wissen, dass er die Krawatte meinte. Meine Finger strichen über den weichen Tüll, der sich an meiner Hüfte ausbreitete, während mich oberhalb die feste Seide umschließen sollte, wenn das Kleid verschlossen. Es besaß einen gerade Ausschnitt, sodass kaum etwas verruschten konnte, dennoch wurde er mit ein paar Glaskristallen dekoriert, damit ich erwünschter Weise in der Masse unterging.
»Warst du nicht der Knotenmeister?«, fragte ich grinsend, während er den Reißverschluss schloss und mir der leichte Stoff umhüllte. Ich vermisste meine Jeanshosen jetzt schon, aber am meisten wohl eher die flachen Schuhe. War es nicht lustig? Vor ein paar Tagen hätte ich nicht einmal gewagt über solche Dinge zu denken, verdrängte sie so gut es ging, doch nun war es anders. Ich war kein neuer Mensch, ich hatte nur Erfahrungen gesammelt, aber sollten solche Dinge nicht normal sein? Ein Mensch wuchs an den Erfahrungen, die er über sein Leben hinweg machen durfte, doch die Mauer zeigte uns was passierte, wenn wir diesen bedeutenden Teil in unserem Leben verloren.
»Du musst ja auch deine Arbeit haben, außerdem will ich dich ja nicht einschüchtern mit meiner Kunst.«, übertrieb er vor sich hin, ein Grinsen konnte ich mir dabei nicht verkneifen, wie überheblich er doch sein konnte.
»Stimmt auch wieder, bist du rein zufällig auch mit dem Klavierspielen gesegnet worden?«, stellte ich ihm die Falle und band dabei den gar nicht allzu komplexen Knoten seiner schwarzen Krawatte. Meine Hände waren kalt und zitterten vor Aufregung vor dem Ball, sodass es mir umso schwerer fiel. Man hatte versucht mich zu besänftigen, sagte mir wie gering die Wahrscheinlichkeit war ertappt zu werden, alles Lügen, es war eine riskante Aktion, die uns schnell unser Leben kosten könnte.
'Sag' mir was du über diese Seite denkst, spezifisch.', wies mich Freya an, wobei ich auf meinem dunkelrot angemalten Lippen kauen musste. Sie hatte mir die Frage schon oft gestellt, zum Beispiel als sie mich überreden wollte mir die andere Seite anzusehen. Sie hatte mich gefragt, ob es wirklich ein Leben war mir diese Art der Perfektion anzutun, es kam mir so vor als wäre es Jahre her, doch damals empfand ich ihre Fragen als unnütz, gar rebellisch. Doch jetzt schien es anders zu sein, meine Gedanken hatten mich oft verraten, sie kannte meine Antwort wahrscheinlich bereits, aber darauf wollte sie nicht hinaus. Ich sollte mir die Frage beantworten, dem perfekten Ich, welches immer noch in mir lauerte. Sie wollte mir die Augen öffnen, hatte sie oft gesagt. Waren sie jetzt offen?
'Fast, beantworte mir meine Frage, Lynn.', antwortete sie von selbst auf meine Frage. Was genau dachte ich über die 'perfekten' Menschen? Sie schienen verloren, verloren in ihrem Wahn immer gut auszusehen, ein halb abgemagerten Körper zu besitzen, nicht aufzufallen und so Vieles mehr. Verloren in sich selbst, für mich erschienen diese Dinge nun wie eine Strafe zu sein. Jeder wollte er selbst sein, seinen Weg finden, doch hier, auf der Seite der falschen Perfektion, hatte bereits ein Neugeborenes verloren, da ihm unendlich viele Steine in den Weg gelegt wurden, weswegen ich die Menschen allmählich bedauerte. Da hatte sie ihre Antwort, ich hoffte sie war glücklich damit.
Ein Blick auf den bunten Boden unter meinen Füßen. Ja, das war ich, meine kleine Lynn. Ich wusste, dass sie fast bereit war, doch jetzt brauchte sie mich noch, aber irgendwann war es soweit, ich musste gehen, sie allein lassen, obwohl ich noch immer da war. Ich wusste nicht wie sie darauf reagieren würde, ich fürchtete beinahe, dass sie sich freuen würde, doch irgendwie hielt ich nicht an dieser Theorie fest. Natürlich wollte ich sie nicht allein lassen, wollte nicht verstummen, doch man sollte wissen wann es an der Zeit war. Meine Liebe zu ihr war gewachsen, sie wie sie mich früher vor Wut hat verzweifeln lassen, doch ich hatte mir all dies nie erträumt lassen. Sie wie sie wirklich war, nicht dieses Wesen, das sich stets und ständig etwas hat sagen lassen, weil es angeblich perfekt war. Sie hatte Recht, es ging im Leben darum Erfahrungen zu sammeln, aber auch um sich etwas aufzubauen, zu lieben, zu lachen oder gar zu hassen, all dies und so viel mehr war Leben, das Wort mit fünf Buchstaben, die so schlicht zu sein schienen, jedoch für jeden eine andere Bedeutung besaßen, weswegen keine richtig oder falsch sein konnte.
Ich sah die hohen Bauten der riesigen Villa bereits vor mir, mein Herz schlug wie wild in meiner Brust, sodass ich fast fürchtete, dass mein Kleid aufplatzen würde, was natürlich ein Irrglaube war. Ich sah auf meine ebenfalls nachtblaue Maske, die in meinen Händen ruhte. Sie war schlicht gehalten und besaß deswegen nur ein paar silbern glitzernde Ranken an den Seiten, die für mich wegen Schlichtheit wunderschön waren. Ich entzog mich von dem Anblick, um sie umbinden zu können, wir durften nicht riskieren erkannt zu werden.
»Nervös?«, fragte Jayden mich, während er sich seine graue Maske aufzog. Ich wollte gar nicht wissen wie ich aussah, maskierte Menschen wirkten auf mich wie die Bösewichte aus den Märchen, obwohl ich mit der Furcht nun besser umgehen konnte und mich nicht mehr in meinem Schrank versteckte.
»Zählt ängstlich auch?«, stellte ich eine Gegenfrage und übte bereits das falsche Lächeln, welches ich auf dem Ball aufsetzen musste.
»Ach was, das sind nur Menschen, die sich für etwas Besseres halten. Wenn man sich ordentlich die Kante gibt, könnte es lustig werden.« Er schien sich anscheinend nicht all den Risiken bewusst zu sein. Glaubte er Tia wirklich, dass diese gesamte Aktion sicher war?
»Wir werden uns nicht betrinken, Jayden, das wäre-«
»Dumm, naiv und natürlich nicht wirklich erwachsen, das war ein Witz. Wir stoßen einfach mit unserem kleinen Scotty an.«, unterbrach er mich, wobei ich genau wusste, dass er auf das verdammte Gift in unseren Taschen anspielte. Mir war unwohl bei dem Gedanken daran einem Menschen erneut das Leben, auch wenn es jemand wie Bryan war, doch es stimmte, es war nötig, jemanden wie ihm konnte man nicht mehr durch ein simples Gespräch helfen.
»Wir müssen vorsichtig sein, ich war auf solchen Feiern, es sind wenig Soldaten, aber dafür viel qualifiziertere und wir haben noch nicht einmal einen genauen Plan.« Ich kam mir vor wie eine Mutter, die ihren Kindern jeden Spaß nahm, aber anders wusste ich mir nicht zu helfen. Jayden hasste die Scotts mehr als alles andere, die konnte uns zum Verhängnis werden, der Hass machte Menschen unvernünftig.
»Ich weiß, Madelyn, das hast du bereits gestern erwähnt. Es wird schon irgendwie, lass uns den Abend einfach erstmal genießen, vielleicht kann ich ja mit meinem Talent als Tänzer angeben. Glaub mir, spätestens um zehn sind sowieso alle müde und wahrscheinlich maßlos betrunken, das macht es uns leicht.« Ich lachte leise in mich hinein, wohl eher seinem Talent anderen auf die Füße zu treten. Er stellte es sich leicht vor, mit der Müdigkeit schien er zwar Recht zu haben, aber der Alkohol wurde meist mit Vorsicht genossen. Ich sah wieder zum Fenster hinaus, am liebst wäre ich so schnell es ging weggelaufen, da die Angst in mir zu lodern schien, doch nun war es zu spät für all diese Gedanken. Ich spürte wie er seine Hand auf meine legte, das wohlige Kribbeln durchfuhr mich, doch ich versuchte diesem keinerlei Beachtung zu schenken, da mich unsere Beziehung, Freundschaft, oder wie auch immer man so etwas nannte, verwirrte. Wieso musste ich gestern auch mit ihm gehen? Es wäre alles gut gewesen, wäre ich einfach zu meiner Mutter und Tia gegangen, auch wenn wenige Minuten später die Hölle ausgebrochen wäre.
»Mrs.?«, zog mich der Fahrer aus meinen Überlegungen, wobei ich erst jetzt realisierte, dass wir standen und Jayden bereits ausgestiegen war, um mir die Tür zu öffnen. Eine nette Geste, aber hier tat die meist der Fahrer, er konnte es ja nicht wissen.
»Würden sie bitte hier warten? Ich weiß noch nicht genau-«
»Ich habe bereits alles mit Mr. Lancaster besprochen, es wird keinerlei Probleme dieser Art geben, das versichere ich Ihnen.«, meinte er schnell, damit Jaydens Warterei an der offenen Tür nicht weiter auffiel. Unsere Blicke trafen sich noch schnell im Rückspiegel, ein einziges Nicken, dann wurde mir bereits aus dem Auto geholfen.
Ich spürte ihre Angst, fühlte mit ihr, doch versuchte nichts zu sagen, da ich glaubte sie nur weiter aus dem Konzept bringen zu können. Sie hatte Angst vor dem Tod, doch nicht vor dem Schmerz, den sie spüren würde, eher vor dem Unentdeckten. Schon immer wollte sie die Welt sehen, das konnte ich bereits auf ihren gemalten Bildern erkennen, die Helena so sehr gehasst hatte, bis Lynn aufgehört hatte zu malen, da ihr der Zuspruch fehlte. Traurig, wenn man bedachte was daraus hätte werden können. Natürlich waren es die simplen Zeichnungen eines Kindes, doch ich konnte von Bild zu Bild Verbesserungen zu sehen. Ich hatte versucht sie zu loben, ich zu sagen wie schön ich ihre Zeichnungen fand, doch selbstverständlich hörte sie auf Helena, denn sie besaß einen Körper.
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