Kapitel 2 (Nico)
Zunächst wusste ich nicht wo ich war. Alles war so hell, laut und ungewohnt. Ein riesiger Kontrast zu der dunklen Wolke in der ich mich eben noch befunden hatte.
Mein Körper stand so unter Strom, dass ich am Liebsten direkt aufgesprungen wäre, doch jemand hielt mich zurück. Die Angst in mir nahm ganz neue Ausmaße an. Sie war fort. So weit fort. Ich konnte ihr nicht helfen.
„Lass mich los!", schrie ich die Person, die mich festhielt an, „Ich muss hier weg! Ich muss sie retten!" Vor Verzweiflung kamen mir fast die Tränen. Ich konnte sie nicht auch noch verlieren.
„Hey, Nico...."
Die Stimme durch den Nebel in meinem Kopf dran, klang ruhig und seltsam vertraut. Ein Gefühl der Sicherheit ging von ihr aus. Ein Gefühl, dass im Gegensatz zu allem, was ich gerade fühlte.
„Du hast nur geträumt. Es ist alles in Ordnung"
Langsam begann meine Gedanken sich zu klären und mein Tunnelblick schwand. Nun konnte ich auch die Stimme zuordnen. Es war Will. Will Solace, der gerade neben meinem Bet saß und in sanften Ton auf mich einredete.
Ein Traum. Es war bloß ein Traum gewesen.
Von einem Moment auf den anderen schwand gesamte Anspannung aus meinem Körper und ich sackte förmlich in mir zusammen. Plötzlich war mir meine Reaktion peinlich, obwohl hyperrealistische Albträume jedem Halbgott zu Genüge bekannt waren. Sie waren quasi eine der Hauptnebenwirkungen göttlichen Blutes. Trotzdem hasste ich es, wenn andere mich so verletzlich sahen.
Will jedoch lächelte mich bloß an. Es war ein sanftes, warmes Lächeln, dass einem das Gefühl gab, es wäre nur für einen selbst. Dabei lächelte er jeden so an. Das ist warscheinlich so ein Sohn-des-Apollo-Ding. Wer sonst hat so ein wortwörtlich strahlendes Lächeln?
„Willst du darüber reden?", fragte er plötzlich, noch immer mit diesem warmen Blick. Seine Augen leuchteten förmlich und drängten die dunkle Wolke in meinem Kopf zurück. Apollo-Kinder...
Seine Frage traf mich so unerwartet, dass ich zunächst nicht mehr als ein fragendes „Hm?" hervorbrachte, worauf Will bloß mit den Schultern zuckte und meinte: „Du musst natürlich nicht, wenn du nicht willst. Aber es könnte helfen"
Normalerweise wäre mir die Antwort nicht einen Gedanken wert gewesen. Als wenn ich jemanden irgendetwas erzähle...Das endet doch eh wieder in einer Katastrophe, einem dummen Kommentar oder betretenem Schweigen. Nein, danke. Ich komme alleine klar.
Doch jetzt war etwas anders. Wills Lächeln schien so aufrichtig zu sein, wie schon lange keines mehr. Es schien fast, als würde er sich wirklich um mich sorgen. Er strahlte eine unglaubliche Sicherheit aus und außerdem hatte ich in letzter Zeit ehrlich gesagt ganz positive Erfahrungen damit gemacht, mich anderen Menschen zu öffnen.
Noch bevor ich mich wirklich entschieden hatte, übernahm mein Mund das Ruder selbst.
„Da war Bianca...", begann ich zu erzählen und der Klos in meinem Hals schwoll weiter an, „Es war wie vor vier Jahren. Sie ging weg und ich konnte sie nicht aufhalten. Ich konnte sie nicht retten"
Das Sprechen fiel mir schwer. Jeden Moment fürchtete ich, ich könnte gleich in Tränen ausbrechen, was ich mir unbedingt ersparen wollte. Mir ging es so schon beschissen genug, da musste ich nicht noch vor Will und der gefühlte Hälfte des Camps anfangen zu flennen. Denn auch, wenn ich mir eigentlich egal war, was die anderen von mir hielten, ich hatte trotzdem einen gewissen Ruf zu verlieren.
Einen Moment lang überlegte ich, ob ich es einfach dabei belassen sollte. Schließlich müsste das ja bereits als Erklärung reichen und im Grude gingen meine Träume Will ja auch überhaupt nichts an. Doch dann traf mein Blick den von Will, in welchem so eine Ruhe und so ein Verständnis lag, dass es mir eine Gänsehaut bereitete. Doch es fühlte sich nicht kalt und unangenehm an, sondern eher wie ein warmes, sanftes Kribbeln.
Nahezu automatisch sprach ich also weiter: „Und dann...dann war da Hazel", ich versuchte die Tränen herunterzuschlucken, „Sie wollte sich den Jägerinnen anschließen. Genau wie Bianca damals. Und wieder konnte ich nichts tuen. Sie versprach mir, dass sie vorsichtig sein würde, aber ich konnte es ihr nicht glauben. Etwas in mir wusste, dass sie auch..."
Ich brach ab. Es ging nicht mehr. Ich konnte nicht weiter reden. Nicht ohne zu heulen.
Doch Will schien das nichts auszumachen. Ich hätte damit gerechnet, dass er ungeduldig oder genervt werden würde, doch er sah mich bloß wieder so verdammt verständnisvoll an. Als wüsste er genau, wie es mir gerade geht. Dabei konnte er es sich doch bestimmt nicht einmal vorstellen. Und das war auch gut so. Er brauchte es nicht zu verstehen.
„Kann ich dir irgendwie helfen? Gibt es etwas, was ich für dich tuen kann?", fragte er und legte seine Hand vorsichtig auf meinen Arm, doch ich zog diesen sofort zurück. Es war eine Art Reflex. Eine Form des Selbstschutzes. Auch wenn ich es im Nachhinein vielleicht ein wenig bereute. Aber auch nur ein Wenig.
„Lass mich einfach allein!", fuhr ich ihn an. Es klang ein ganzes Stück bissiger, als geplant, doch das war eigentlich ganz hilfreich.
Denn Will schreckte überrascht zurück und stand von seinem Stuhl auf.
„Alles klar. Okay", meinte er in einem defensiven Tonfall, der fast schon verängstigt wirkte. Er tat mir ein Bisschen leid, doch ich musste Grenzen setzen. Grenzen, die die Menschen davon abhielten, mir so nahe zu kommen, wie Will es gerade fast geschafft hätte.
Ich sah ihm noch einen Moment hinterher, während er sich um seine anderen Patienten kümmerte. Es waren viele, doch er versuchte sich für jeden alle Zeit zu nehmen, die er zur Verfügung hatte. Mit jedem ging er so ruhig, sanft und respektvoll um. Es war fast, als würde von ihm ein warmer Schein ausgehen.
Er war so offen. So freundlich. Zu jedem. Ich fragte mich, wie er das schaffte, ohne daran kaputt zu gehen. Ich hatte ja schon Probleme damit, auch nur eine einzelne engere Freundschaft zuzulassen.
Ich hatte ihm stundenlang zuschauen können, doch irgendwann holte mich die Müdigkeit dann doch ein und mir fielen die Augen zu.
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