Kapitel 10 (Will)
Ich weiß nicht wirklich, wie lange ich noch dort stand und die Tür, durch die Nico gerade noch gegangen war, angestarrt habe. Zunächst hatte ich noch gehofft, Nico würde gleich wieder heraus kommen und sich entschuldigen. Ich stellte mir vor, wie er sagen würde, dass das bloß unüberlegter Mist gewesen war. Oder besser noch, ein Scherz. Eine Art Test, um zu sehen, wie ich reagieren würde. Alles, nur nicht, dass das wirklich sein Ernst war.
Doch er kam nicht. Und langsam, von Sekunde zu Sekunde, verlor ich diese Hoffnung. Trotzdem konnte ich mich noch immer nicht bewegen. Der Schreck saß zu tief in meinen Gliedern und hinderte mich daran.
Meine Gedanken hingegen rasten. Ich hatte so viele Fragen, die ich mir nicht beantworten konnte. Da war so Vieles, was ich nicht verstand.
Was war da überhaupt gerade geschehen? Hatte Nico wirklich gesagt, dass er mich nicht mehr sehen wollte, bevor er mich hier ohne ein weiteres Wort, ohne eine richtige Erklärung, hatte stehen lassen? Es schien ganz so. Aber warum? Warum tat er so etwas?
Wir hatten uns schließlich gut verstanden. Sehr gut sogar. Mit niemandem hatte ich seit dem Sommer so eine gute Zeit gehabt. Bei niemandem war ich so glücklich gewesen. Jedes Mal, wenn ich ihn gesehen habe, waren meine Probleme auf einmal gar nicht mehr so wichtig gewesen.
Und obwohl er gerade erst gegangen war, vermisste ich ihn schon. Wie sollte ich denn einfach weitermachen, wenn er mich überhaupt nicht mehr sehen wollte? Ich brauchte ihn doch! Es war doch er gewesen, der mir die letzten Wochen erträglich gemacht hatte. Er hatte die Stille um mich herum genommen, ohne etwas sagen zu müssen. Aber jetzt tat es beinahe in den Ohren weh.
Eigentlich hatte ich gedacht, dass da etwas war. Zwischen Nico und mir. Etwas besonderes. Aber anscheinend hatte ich falsch gelegen.
Anscheinend hatte ich etwas falsch gemacht, auch wenn ich nicht wusste, was.
Irgendwann merkte ich, wie ich fröstelte. Es war wirklich um einiges kälter geworden. Diese plötzliche Kälte, die ich zuvor nicht einmal bemerkt hatte, war das, was mich zurück in die Realität holte. Ich wusste, dass ich rein gehen sollte. Schließlich war ich bereits erkältet, aber die Kälte hatte etwas beruhigendes. Vielleicht könnte ich einfach hier stehen bleiben und warten, bis ich einfror.
Doch gleichzeitig wusste ich, dass das keine Option war. Es gab noch immer eine Menge zu tun. Morgen war das Rennen und ich musste die Krankenstation auf mögliche Verletzungen vorbereiten. Also ging ich dann doch dorthin. Zudem hoffte ich, dass mich die Arbeit davon ablenken würde, dass ich wo möglich jede Sekunde losheulen könnte.
Es half wirklich in den vertrauten Rhythmus zu verfallen. Zum ersten Mal freute ich mich fast darüber, Appius' immer gleichen Kommentare zu hören. Trotzdem konnte ich es nicht vermeiden, mir manchmal vorzustellen, Nico würde auf dem Stuhl sitzen, auf dem er erst vor kurzem gesessen hatte. Warum vermisste ich ihn so sehr? Wir hatten uns doch gar nicht lange gekannt.
Irgendwann saß Mira vor mir. Anscheinend war sie auf irgendwen losgegangen, der sie und ihre Geschwister beleidigt hatte. Viele vergaßen schnell, dass auch Aphrodite eine Kriegsgöttin war. Gedankenverloren trug ich Salbe auf ihren Blutergüssen auf.
„Ist alles okay bei dir, Will?", brach sie irgendwann die Stille, „Du wirkst ein wenig...abwesend"
Sie hatte nicht unrecht. Jedoch hatte ich gerade nicht wirklich Lust auf lange Gespräche. Also gab ich bloß einen nichtssagenden Laut von mir und hoffte, dass Mira mich in Ruhe lassen würde. Doch da hatte ich mich geirrt.
„Ist es wegen Nico?"
Als sie diesen Namen aussprach zuckte ich ein wenig zusammen und betete, dass Mira es nicht bemerkt hatte. Jedoch kannte ich sie schon lange und wusste, dass sie eine unglaubliche Menschenkenntnis besaß. Sie hätte es an kleineren Zeichen erkannt. Also überraschte es mich nicht wirklich, dass sie mich jetzt mit ernsten Augen ansah.
„Was ist passiert?", fragte sie in einem mitfühlenden Ton.
„Er hat mir gesagt, dass er mich nie wieder sehen will", antwortete ich, da ich wusste, dass sie nicht locker lassen würde, bevor so wusste, was los war.
Verwirrung machte sich auf ihrem Gesicht breit. Anscheinend war sie genauso überrascht darüber, wie ich es gewesen bin.
„Aber ich dachte ihr...", setzte sie an, doch ich unterbrach sie um einiges harscher, als ich geplant hatte. Doch momentan fiel es mir ohnehin schwer meine Gefühle zu verstehen, geschweige denn sie zu kontrollieren.
„Ich weiß auch nicht warum, okay?", fuhr ich sie also an, „Ich wünschte ich wüsste es. Dann wüsste ich, was ich falsch gemacht habe!"
Für einen Moment war es still.
Dann fragte sie mich etwas. Etwas, worüber ich bisher gar nicht wirklich nachgedacht hatte. Etwas, dass alles ändern würde.
„Will? Bist du in Nico verliebt?"
Mein erster Reflex war es, alles abzustreiten. Nico und ich waren Freunde, nicht mehr. Ehrlich gesagt, waren wir nicht einmal mehr das. Aber sind wir je mehr gewesen?
Eigentlich nicht. Alles, was wir zusammen gemacht haben, hätten andere Freunde auch getan. Und trotzdem hatte es sich mit Nico immer anders angefühlt, als mit anderen. Es war immer etwas besonderes gewesen.
Und jetzt, wo ich so darüber nachdachte, gab es ein paar Momente in denen ich mir gewünscht hatte, wir wären mehr. Vielleicht hatte ich es nie so ausformuliert, aber ich hatte es dennoch getan.
Ich hatte mir gewünscht, er würde vielleicht doch noch ein wenig näher an mich heranrücken. Ich hatte mir gewünscht, er würde noch ein wenig mehr von sich erzählen. Ich hatte mit gewünscht, ich könnte ihn noch einmal zum Lachen bringen.
Für sich allein klang das ja noch relativ normal, doch je länger ich überlegte, desto mehr Momente fielen mir ein, in denen ich bewundert hatte, wie wunderschön er war. Wenn seine Haare ein wenig im Wind wehen zum Beispiel. Oder wenn das Sonnenlicht in seine Augen fällt.
Jetzt ergab auch all das, was ich fühlte, einen Sinn. Die Freude, wenn ich sah, die Geborgenheit bei ihm und der Schmerz, dass er fort war. Dieser Schmerz, der mir beinahe die Luft zum Atmen nahm.
Ich war in Nico verliebt. Ich, Will Solace, war in Nico di Angelo verliebt.
Und vermutlich hatte er das gewusst und will mich deshalb nicht mehr sehen. Fuck!
„Wi sind hier jetzt fertig. Du kannst gehen", sagte ich zu Mira, ohne ihre Frage zu beantworten, doch das musste ich wahrscheinlich auch gar nicht. Sie kannte die Antwort ohnehin.
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