Kapitel 1 (Will)
„So, Nico...", meinte ich als wir die Krankenstation betraten. „Such dir ein Bett aus!"
Dabei versuchte ich nicht so auszusehen, wie ich mich gerade fühlte. Schließlich würde es ein wenig seltsam rüberkommen, wenn der Heiler in einer Krankenstation voller Patienten plötzlich Freudensprünge machen würde.
Nico antwortete nicht. Er warf mir bloß einen nichtssagenden Blick zu und ging dann wortlos dem Bett in der dunkelsten Ecke, dass den weitesten Abstand von allen anderen Betten hatte. Natürlich. Damit hätte ich rechnen können.
„Und was soll ich jetzt machen, Herr Doktor?", rief er zu mir rüber. Daraufhin verdrehte ich die Augen, ging zu ihm hinüber und antwortete: „Schlafen, Di Angelo. Dazu sind Betten schließlich da!"
„Ich weiß, Solace. Ich wollte dich nur noch mal nach deinem medizinischen Rat fragen"
Ein Lächeln stahl sich auf mein Gesicht.
„Dann ist ja gut", meinte ich „Aber im Ernst, Nico. Ruh dich bitte aus. Das wird dir gut tuen"
Wie durch ein Wunder gab Nico keine Widerworte und befolgte einfach meinen Rat. Und da ich nicht mit ihm diskutieren musste, hatte ich Zeit meinen anderen Verpflichtungen nachzugehen.
Also machte ich mich direkt daran, die anderen Patienten zu versorgen. Da der Krieg mit Gaia noch nicht lange zurück lag, war hier noch immer die Hölle los und für Pausen blieb eigentlich keine Zeit.
Nach einer Weile fand ich endlich die Zeit, noch mal nach Nico zu sehen und stellte fest, dass er mittlerweile eingeschlafen war.
Es war schön den sonst so ernsten Halbgott mal so entspannt zu sehen. Endlich gönnte er sich die Pause, die er verdiente. Das war aber auch bitter nötig gewesen. Noch immer wirkte er leicht durchscheinend, als wäre er drauf und dran wieder eins mit den Schatten zu werden, wie er es so gerne tat.
Die Sonne hatte sich in der vergangenen Zeit etwas gedreht, sodass einzelne Strahlen nun auch auf Nicos Bett fielen. Normalerweise hatte ich jetzt den Vorhang zu gezogen, aber es schien ihn ja nicht zu stören. Wahrscheinlich wär das sogar gut für ihn und seinen Vitamin D-Spiegel.
Da anscheinend ja alles in Ordnung bei ihm war, kümmerte ich mich weiter um all die anderen Camper, die meine Hilfe brauchten.
Die Stimmung auf der Krankenstation war allerdings irgendwie seltsam. Immer wieder sah ich, wie jemand Nico einen nervösen Blick zuwarf oder hörte ein verräterisches Tuscheln. Anscheinend war es dem Einen oder oder Anderen hier nicht ganz geheuer, dass der Sohn des Hades hier war.
Ich hatte ich nie verstanden, was die anderen gegen ihn hatten. Klar, er war irgendwie anders. Er war viel allein und verhielt sich anderen gegenüber abweisend, doch da war er nicht der Einzige hier. Viele Bewohner des Camps waren gerne allein. Viele waren traumatisiert. Nico war da keine Ausnahme. Vielleicht war er etwas extremer als die anderen, aber im Grunde doch nicht hassenswert.
Wahrscheinlich schreckte seine Abstammung die Meisten ab. Sohn des Hades...das klang irgendwie bedrohlich. Zusammen mit seinem Verhalten wirkte Nico auch auf den ersten Blick wie jemand von dem man sich fern halten sollte. Aber auch nur auf den ersten Blick.
Mich persönlich störte seine Anwesenheit überhaupt nicht. Schließlich war er bloß der Sohn des Herren der Unterwelt und kein Todesengel, auch wenn er mit seinen langen schwarzen Haaren und den tiefen dunklen Augen ein wenig so aussah.
Während ich arbeitete, erwischte ich mich ab und zu dabei, wie ich zu ihm hinüber sah. Zum einen machte ich mir Sorgen um ihn, wie eigentlich um jeden meiner Patienten, zum Anderen beruhigte mich seine Anwesenheit auch irgendwie.
Doch plötzlich änderte sich etwas. Irgendetwas stimmte nicht mit Nico. Gerade hatte er noch so entspannt geschlafen, doch jetzt war er unruhig und wälzte sich hin und her.
Besorgt eilte ich zu ihm hinüber. Vielleicht hatte er Schmerzen und brauchte Hilfe.
Doch als ich bei ihm ankam merkte ich, dass er noch immer schlief. Das beruhigte mich ein Stück weit. Außerdem schien er keine Schmerzen zu haben. Ich tippte auf einen Albtraum. Viele Halbgötter litten unter ihnen und dass Nico einer davon war, überraschte mich kaum.
Wahrscheinlich war es da Beste ihn aufzuwecken und von diesem Traum zu befreien. Schließlich wirkte es, als wäre es einer von der wirklich schlimmen Sorte und gönnte ich nicht einmal meinem ärgsten Feind. Auch wenn...doch einigen meiner Feinde gönnte ich sie schon. Aber Nico hatte das nicht verdient. Er hatte schon im wachen Zustand mit all dem so zu kämpfen, dass er wenigstens ruhig schlafen dürfen sollte.
Doch gerade als ich ihn wecken wollte, begann er im Schlaf zu sprechen. Natürlich war mir klar, dass ich ihm dabei nicht zuhören sollte, sondern ihn nur noch schneller daraus holen sollte. In seinen Albträumen erlebt ein Halbgott seine schlimmsten Momente, seine größten Ängste und eventuell sogar Visionen einer dunklen Zukunft. Dementsprechend privat waren sie.
Auch wenn ich Nicos Privatsphäre respektierte und diese definitiv nicht verletzten wollte, hielt ich inne. Der Gedanke, mehr über Nico zu erfahren, war verlockend. Vor allem, da er niemanden etwas erzählte. Und ich...ich war irgendwie fasziniert von diesem Jungen und wünschte mir einfach nur ihn zu verstehen.
„Bianca...", murmelte er undeutlich.. Der Name seiner Schwester.
Ihre Geschichte war ein offenes Geheimnis im Camp. Niemand sprach darüber und trotzdem kannten sie alle. Das Mädchen, das sich den Jägerinnen der Artemis angeschlossen hatte und gleich auf ihrer ersten Mission ums Leben kam. Der Grund warum Nico so war, wie er war.
„Hazel"
Seine Halbschwester, die er aus der Unterwelt zurück ins Leben geholt hatte. Und wahrscheinlich der Mensch, der ihm am meisten bedeutete.
In dem Moment rang ich mich durch ihn endlich zu wecken. Wenn er wollte, konnte er mir ja von seinem Traum erzählen, aber es stand mir nicht zu, ihm so zuzuhören. Also rüttelte ich sanft an seinem Arm.
„Hey, Nico", flüsterte ich ruhig, „Wach auf!"
Von einem Moment zum andern saß der Sohn des Hades aufrecht in seinem Bett. Panik glitzerte in seinen Augen.
„Ich muss hier weg! Ich muss sie retten!"
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