3- Persönlicher Wachhund
Summer
Erinnerungen fluten meinen Kopf, als würde ein Tsunami über mich einbrechen. Schlagartig öffne ich meine Augen und schnappe nach Luft. Nein! Was ist gestern nur passiert, dass der Abend so aus dem Ruder gelaufen ist?!
Vor meinem inneren Auge spielen sich die Szenen ab, die mich in tiefe Selbstzweifel stürzen.
Kratzbürste... Die will doch gefickt werden... Ich will ganz sicher nicht mit dir schlafen...
Ich drücke mein Gesicht in das Kopfkissen und lasse einen Schrei der Verzweiflung los. Ich bin so dumm! So unglaublich dumm! Ich habe mich absolut billig benommen und dann - oh Gott! Dann habe ich Nolan auch noch gesagt, dass ich seine Augen schön finde!
Oh. Bitte. Nicht.
Ich schäle mich aus meinem Bett und schlurfe in das angrenzende Bad. Nachdem ich mich ausgezogen und abgeschminkt habe, stelle ich mich unter die Dusche und stelle das Wasser auf Kalt. Mich fröstelt es unter dem Strahl, der sich anfühlt, als würden tausende von Eiswürfel auf mich niederregnen. Doch genau das brauche ich jetzt, um nicht durchzudrehen.
Ganz auf die Kälte konzentriert, versuche ich nicht zu weinen. Meine Gedanken drehen sich im Kreis. Immer wieder gehe ich im Kopf die Situationen von gestern Abend durch. Die Blicke der Mädchen, die sie sich zugeworfen haben, die Aussagen von Nolan, der Spruch des komischen Typen.
Mir wird bewusst, wie alleine ich doch bin. Und ich habe es selbst zu verantworten.
Ich schweife in Erinnerungen über meinen Ex ab. Über meine damalige beste Freundin. Wie ich sie zusammen im Bett erwischt habe und sie mir danach kaltschnäuzig um die Ohren geschleudert hat, dass sie schon seit einem halben Jahr zusammen sind. Ihr herablassender Blick, sein verachtender Blick.
Nun laufen doch die Tränen. Unaufhaltsam bahnen sie sich ihren Weg über mein Gesicht, vermischen sich mit dem Wasser, dass im Abfluss verschwindet. Ich sinke auf meine Knie und schluchze, mit dem Gesicht in meinen Händen vergraben.
Schon öfter hatte ich solche Zusammenbrüche, fühlte mich dann einsam und verlassen. Ungeliebt und ungewollt. Doch nach jedem Zusammenbruch war ich stärker. Und so wird es auch dieses Mal sein. Der Gedanke daran gibt mir Kraft und lässt mich wieder aufstehen. Zwar nicht gleich. Vielleicht auch nicht heute. Dennoch bin ich ein Phönix. Ich werde mich nach jedem Brand immer wieder in voller Stärke aus der Asche erheben.
Es ist Samstag und mein freies Wochenende. Ich werde mich also anziehen und auf die Couch verkrümeln. Da ich nicht vorhabe, sie zu verlassen, stelle ich mir alles Nötige bereit. Chips, Cola, die Karte vom Lieferservice und mein Handy. Wobei mein Handy eigentlich überflüssig ist. Denn Nachrichten oder Anrufe bekomme ich ja eh keine.
Ich schmeiße mich auf die Couch und schnappe mir das tote Ding, um etwas in Facebook und den anderen Socialmedia-Kanälen zu schnüffeln. Mir werden Bilder verschiedenster Kommilitonen von der gestrigen Party angezeigt. Fröhliche Gesichter und spaßige Posen sind darauf zu sehen.
Ich gehe weiter zu Instagram und swipe dort durch die Videos. Mir wird wieder eines von der Party angezeigt. Fast die selben Szenen sind enthalten, nur mit anderen Menschen und anderer Musik. Plötzlich erscheint eine kurze Frequenz von mir, wie ich von dem Unbekannten eingekeilt werde. Man hört seine Stimme, wie er zu Nolan sagt, dass ich doch flachgelegt werden will. Die Situation ist völlig aus dem Konzept gerissen und entspricht so einfach nicht der Wahrheit. Das Video lässt es so dastehen, als hätte ich Spaß daran gehabt und würde mich von dem Widerling ficken lassen wollen. Geschockt schluchze ich laut auf und schlage mir die Hand über den Mund. Am Ende steht über das Schlussbild geschrieben: Selbst die Freaks hatten eine geile Nacht!
Hunderte von Likes und Lachemojis sind an dem Video angeheftet. Unzählige Kommentare wie, "Auch ein blindes Huhn findet mal ein Korn" oder "Vielleicht ist sie jetzt endlich mal entspannter", "Der muss ja richtig voll gewesen sein um die zu ficken" und noch einige, viel derbere mehr, stehen darunter.
Ich lasse mein Handy fallen, als hätte ich mich daran verbrannt und schmeiße mich mit dem Gesicht voran, auf die Couch. Ich ziehe meine Beine an meinen Körper und umschlinge sie mit meinen Armen. Laut weinend liege ich da und lasse die Schande über mich ergehen. Gerade jetzt könnte ich eine Freundin wirklich gut gebrauchen. Doch es ist niemand da.
Es ist Montag. Bei dem Gedanken, das Zimmer zu verlassen, wird mir schlecht. Ich habe den restlichen Samstag und den ganzen Sonntag Nachrichten von fremden Menschen bekommen. Ich wurde gefragt, ob der Fick gut war, ob ich für sie auch mal die Beine breit machen würde. Frauen haben mir geschrieben, was für eine billige Schlampe ich doch sei. Wieviel ich dafür nehmen würde. Es kamen so einige Beleidigungen. Letztendlich habe ich mein Profil auf Privat gestellt und alle Nachrichten erst blockiert und dann gelöscht. Seitdem hat die Flut aufgehört.
Mit gesenktem Kopf gehe ich aus meinem Zimmer und versuche niemanden anzusehen. Meine erste Vorlesung ist Journalismus. Ich war am Überlegen, sie sausen zu lassen, damit ich Nolan nicht über den Weg laufe. Aber ich mache es lieber nach dem Pflaster-Prinzip. Kurz und schmerzlos.
Um Kommentare und das Gelächter über mich besser ignorieren zu können, stecken meine Kopfhörer in meinen Ohren und spielen mir meine Lieblingsmusik. Ich spüre die Blicke auf mir, spüre, wie sie über mich reden. Dennoch schreite ich mit gestrafften Schultern über den Gang und zeige allen damit, dass sie mich am Arsch lecken können.
So wie das letzte Mal auch schon, setze ich mich ganz nach oben in die Ecke. Der Hörsaal ist schon zur Hälfte gefüllt, was mir die kleine Hoffnung gibt, in der Masse unterzugehen. So wie ich es mir schon dachte, bleiben die Plätze neben mir unbesetzt.
Mein Blick ist starr auf meinen Laptop gerichtet. Ab und an schiele ich über den Rand und sehe mich um. Mein Herz sackt mir sofort in die Hose, als ich Nolan entdecke. Er sitzt ein paar Reihen weiter vorne, neben einer anbetungswürdigen Schönheit. Sie lachen zusammen und albern rum. Die junge Frau streicht ihre Haare über die Schulter, sodass Nolan eine bessere Sicht auf ihren freigelegten Hals bekommt. Ab und zu streifen ihre Hände seinen Arm. Sie flirtet völlig hemmungslos mit ihm und fährt dabei alle Geschütze auf.
Ich empfinde gerade nichts als Neid auf diese atemberaubende Frau. Ich wünsche mir, an ihrer Stelle zu sein und die selbe Aufmerksamkeit von dem Neuen zu bekommen. Der Neid schnürt mir die Kehle zu, da ich weiß, dass das niemals passieren wird. Selbst wenn er Interesse hätte, würde ich es wahrscheinlich nicht zulassen.
Ich kann gar nicht mehr aufhören, das Schauspiel vor mir in mich aufzusaugen. Mittlerweile starre ich schon regelrecht, als Nolan sich abrupt umdreht und mir in die Augen sieht. Sofort senke ich den Blick und verstecke mich wieder hinter dem Laptop. Die restliche Vorlesung über traue ich mich nicht ein einziges Mal, in seine Richtung zu sehen. Als uns der Dozent entlässt, stürme ich als eine der Ersten hinaus und suche das Weite.
Bis zu meiner nächsten Vorlesung habe ich noch eine gute Stunde. Ich lehne mich an einen Baum und lasse mich an ihm heruntergleiten. Meine Hände wühlen in meiner Tasche, nach meinem Proviant. Als alles ausgepackt ist, schlage ich mein Buch auf und beginne zu lesen.
Nach einer Weile nehme ich Bewegungen neben mir wahr. Als ich hochblicke, sitzen drei Typen bei mir. Ich sehe sofort, dass sie vom Eishockeyteam sind. Mit düsterem Blick sehe ich ihnen abwartend entgegen.
"Na Süße. Wie gehts, wie stehts?", durchbricht der blonde mit dem Bürstenhaarschnitt die unangenehme Stille. "Was wollt ihr?", frage ich genervt und schlage mein Buch zu. "Hey, bleib locker. Wir wollten uns nur etwas mit dir unterhalten.", grinst mich jetzt der Lockenkopf neben ihm provokant an. "Kommt auf den Punkt, ich hab nicht ewig Zeit.", zische ich genervt und verdrehe die Augen.
Der Blonde mit den kurzen Haaren richtet erneut das Wort an mich. "Wie wäre es, wenn wir beide mal miteinander ausgehen?" Er versucht einen lasziven Blick aufzusetzen, der einem Schlaganfall gleichkommt. "Und das sollte ich tun, weil...?" Blondi scheint zu merken, dass das keine einfache Nummer mit mir wird. Nervös rutscht er hin und her und reibt sich den Nacken. "Naja, weil ich dich zu einem fabelhaften Date entführen würde und wir danach sehen könnten, was der Abend noch so mit sich bringt?!"
"Boah, echt jetzt? Bitte verschont mich und verpisst euch!" Die zwei Anderen lachen, doch bei Blondi sehe ich die Wut in den Augen aufblitzen. "Du solltest froh sein, dass jemand wie ich überhaupt in Erwägung zieht, dich zu-" "Jordan! Sprich es aus und ich verpass dir eine!" Alle anwesenden Köpfe schnellen in die Richtung aus der die schneidende, tiefe Stimme kommt. Inklusive meinem.
Nolan steht drei Schritte von uns entfernt und hat die Arme vor der Brust verschränkt. Meine Augen wandern wie von selbst über seinen Körper und bleiben bei seiner breiten Brust und seinem Bizeps hängen. Nach ein paar Sekunden erwache ich wieder aus meinem Tagtraum und sehe weiter hoch. Das altbekannte zucken seiner Mundwinkel umspielt seine Lippen, seine Augen liegen auf mir, während die drei Riesen sich erheben.
"Was willst du Garcia? Bist du jetzt zu ihrem persönlichem Wachhund mutiert, oder was?", schnaubt Blondi und baut sich mit ebenfalls verschränkten Armen vor Nolan auf. Er überragt den Blondschopf um einen halben Kopf und blickt finster auf in hinunter. "Was ich für Summer bin, geht dich einen Scheißdreck an. Und ihr habt sie gehört, verpisst euch!" Als Nolan meinen Namen sagt, schießt mir ein heißes Kribbeln durch die Mitte. Himmel, es hört sich herrlich an, wie er ihn ausspricht. Wie es sich wohl anhört, wenn er ihn stöhnt?
Ich schüttele meinen Kopf um meinen Verstand wiederzuerlangen. Die beiden Anderen lachen immer noch ihren Freund aus. Der jedoch findet es überhaupt nicht witzig, zumindest seiner Halsschlagader nach zu urteilen.
Der Blonde dreht sich zu mir um und checkt mich von oben bis unten ab. "Wenn du mal einen richtigen Mann zwischen deinen Beinen haben willst, komm zu mir, Puppe." Mir steigt Galle die Kehle hoch, das Gefühl der Übelkeit macht sich in meinem Magen breit. Mit Mühe halte ich meinen Brechreiz in Schach und wende mich von dem Ekelpaket ab.
Die drei Idioten verschwinden, während ich meine Sachen zusammenpacke. "Ist alles in Ordnung?", fragt mich Nolan mit sanfter tiefer Stimme. Mein Kopf schnellt hoch und ich erhebe mich.
Ich stelle mich so nah vor ihn, dass ich meinen Kopf in den Nacken legen muss, um ihn niederstarren zu können. "Ja, Nolan. Alles super! Und jetzt lass uns mal darüber reden, was du denkst, was du für mich bist!" Mit in die Hüften gestemmten Händen warte ich auf seine Antwort.
"Krieg dich wieder ein, Summer. Ich bin genauso wenig für dich, wie du für mich. Ich kann es einfach nur nicht leiden, wenn Männer so mit Frauen umgehen. Ich hätte jeder in dieser Situation geholfen. Und dass du nun mal öfter in solch brenzligen Situationen steckst, als der Durchschnitt, kannst du ja wohl nicht bestreiten!"
Ungläubig klappt mir der Mund auf. "Was bildest du dir eigentlich ein? Alles war wunderbar, bis du hier aufgekreuzt bist. Seitdem stehe ich auf dieser dämlichen Liste, des Hockeyteams. Davor bin ich super unter dem Radar geflogen! Also sag mir, bist du dafür verantwortlich, dass ich auf der Liste stehe?", keife ich ihn an und starre ihn nieder
Nolan schnaubt auf und schüttelt lachend den Kopf. "Dafür bist du ganz alleine verantwortlich!"
Ich habe nicht mitbekommen, dass Nolan noch einen Schritt auf mich zugekommen ist. Wir stehen so nah, dass meine Brust seine berührt und ich seinen Duft einatme. In mir kommen die Szenen und Gefühle des Abends wieder hoch, als er mir ebenso nah, wie jetzt war. Wie ich seinen Duft das erste Mal wahrgenommen und mir noch ganz andere Sachen mit ihm vorgestellt habe. Für einen Moment bin ich sprachlos, sehe ihm nur in die Augen und versinke in dem flüssigen Gold. Sein Blick wird weicher und sein Mund öffnet sich leicht. Seine Augen huschen zwischen meinen Iriden und meinen Lippen hin und her. Ich stelle mir vor, wie es wohl ist, mit meinen Händen durch seine verwuschelte Frisur zu fahren, ihn zu mir runterzuziehen um...
Als mir unsere Nähe bewusst wird, gehe ich einen großen Schritt zurück und erweitere unseren Abstand, um Platz zum durchatmen zu bekommen. Ich verschränke die Arme vor meiner Brust und ich kann genau den Moment erkennen, in dem Nolans Augen für eine Sekunde an meiner Oberweite hängen bleiben. Er reisst sich aber schnell wieder zusammen und richtet seine Aufmerksamkeit wieder auf mein Gesicht.
Ich lache nur höhnisch auf und starre ihn nieder.
"Affe", nuschle ich vor mich hin, nicht für Nolans Ohren bestimmt und wende mich zum Gehen ab.
"Bitte, was hast du gerade zu mir gesagt?" Ich erstarre in meiner Bewegung und schließe für einen kurzen Augenblick ertappt die Augen, ehe ich mich langsam zu ihm rumdrehe und ihn fragend ansehe.
"Ich habe "Affe" gesagt." Ungläubig pustet er die Luft aus und schüttelt den Kopf. "Weißt du, Summer, ein einfaches "Danke" hätte es auch getan!" Ich stürme auf ihn zu und komme dicht vor ihm zum Stehen. "Was denkst du eigentlich, wer du bist? Ich habe dich nicht um deine Hilfe gebeten. Ganz im Gegenteil. Lass mich gefälligst in Ruhe und hänge dich nicht in meine Angelegenheiten rein! Seit du aufgetaucht bist, geht mein Leben stetig bergab!"
Ich spüre die Blicke der umstehenden Studenten auf uns und bete, dass das nicht auch noch auf Instagram landet. Ich mache auf dem Absatz kehrt und stürme zu dem Gebäude, in dem meine Physikvorlesung stattfindet.
Der Kurs hat schon begonnen und die große Tür zum Hörsaal ist bereits geschlossen. In mir tobt ein Orkan an Gefühlen und gerade weiß ich sie nicht einzuordnen. Ich ergreife die Klinke, atme noch einmal durch und öffne die Tür. Alle blicke liegen auf mir.
"Miss Summer, schön, dass Sie uns doch noch mit Ihrer Anwesenheit beehren!", herrscht mich der Prof an. Ich lächele ihn entschuldigend an, lasse das Getuschel und Gekicher über mich ergehen und denke mir nur, fickt euch!
Da es meine letzte Vorlesung für heute ist, versuche ich entspannt zu bleiben und mich mental auf meine Schicht im "Daisys" vorzubereiten. Heute soll eine neue Aushilfe kommen und ich muss die Einarbeitung übernehmen. Klasse. Mir steht der Kopf eher danach, mich in meinem Bett zu verkriechen, statt nett zu sein und zu lächeln.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro