| Special |
Anlässlich des 3. Filmes - ein kleines Special!
× × ×
Müde lehne ich mich mit der rechten Schulter gegen die raue Rinde des toten Baumes. Die linke lasse ich währenddessen vorsichtig nach hinten kreisen, die Gelenke knirschen unangenehm und geben mahlende Geräusche von sich, die alles andere als gesund klingen. Doch solche kleinen Wehwehchen sind in letzter Zeit ohnehin nichts Neues mehr. Pah, was sage ich da, letzte Zeit; dieser Mist dauert doch schon wieder drei Jahre lang an.
Ein letztes Mal noch drehe ich das wehe Kugelgelenk in alle Richtungen, dann stoße ich mich von dem morschen Stamm ab und stapfe mit langsamen, bedächtigem Schritten durch den lichten Wald. Marie hatte mich zwar zur Eile gebeten, um mich nicht noch zusätzlich zu belasten, doch ein schnelleres Tempo würde mir im Moment nur unnötig Kraft rauben. Es ist ohnehin egal, wann ich zurückkehre, die Zeit läuft immer an dem Punkt weiter, an dem ich meine Welt verlassen habe. Alterte ich damit eigentlich schneller oder langsamer in meiner Welt? Warum habe ich mich das noch nie zuvor gefragt?
Ich komme überraschend schnell voran, was nur ein Grund mehr ist, die Geschwindigkeit zu reduzieren. Die Distanz zwischen mir und meinem Ziel verringert sich viel zu schnell, sodass ich gegen Ende sogar mehr spaziere, als dass ich wirklich zielstrebig gehe.
Nagut, vielleicht ist meine Müdigkeit nur die halbe Wahrheit; vielleicht will ich mich auch gar nicht beeilen.
Der Gedanke, nach all der Zeit wieder hierhin zurückzukehren und nach dem Rechten zu sehen, kam mir erstaunlich spät und war nur halb so verlockend wie erwartet. Wäre da nicht diese verdammte Neugier, und noch ein Hauch Schuldgefühle, einfach vergessen zu haben...
Zu meiner Verteidigung lässt sich jedoch sagen, dass ich jede Menge Arbeit am Hals hatte, denn Marie spart nicht mit Büchern und ein Sprung kann manchmal bis zu mehrere Wochen andauern. Besonders, wenn es ein dicker Wälzer ist wie Harry Potter - dann dauert es umso länger, die Seiten zu Ende zu schreiben.
Die Reise in einer fiktive Welt wurde zu meinem routinemäßigen Wochenend-Job, und die damit verbundenen Konflikte sind natürlich nicht immer einfach zu bewältigen. Besonders diese Sache mit der Glaubhaftigkeit. Erklärt ihr einmal einer psychisch instabilen Rebellenführerin, dass ihre Schwester hochgesprengt wird! Oder dass Inzucht akzeptabel ist, da es sich gar nicht um den wahren Bruder handelt. Das kauft euch nicht jeder so einfach ab, da gehört manchmal schon viel Überzeugungskraft dazu. Aber früher oder später glaubt mir jeder; manche halt sehr, sehr spät, wenn ich bereits wieder dabei bin, die Welt zu verlassen. Aber immerhin sind ihre blöden Gesichtsausdrücke dann eine gewissen Befriedigung für mein frustriertes Gemüt.
Tja, diese verdammte Springerei raubt mir manchmal wirklich den letzten Nerv, doch im Endeffekt lohnt es sich, Leben damit zu retten. Ich weiß nicht, wie viele Bände ich schon in meinem Regal stehen habe, doch es sind genug, um ein klein wenig stolz zu sein. Ich lese sie mir ab und an immer wieder gerne durch - die meisten zumindest. Manche fallen mir schwer, wo ich an gewissen Stellen kläglich versagt habe.
So wie hier. Mich schaudert es.
Als ich aus dem schattigen Wald in die erbarmungslose Sonne trete, fällt mir als erstes das große Schild auf, welches wie eine Warnung über den Eingangstoren des umzäunten Areals angebracht wurde:
Schutzzone - Distrikt 12
Sofort fühle ich mich wie im falschen Buch, doch natürlich bin ich hier richtig. Der nach Brot benannte Kontinent besteht nicht aus einer zombieverseuchten Wüstenlandschaft (sollte man Präsident Schneeflocke einmal nicht als angehenden Crank betrachten, der Typ ist wirklich komplett irre).
Dies sind jetzt jedoch nur grobe Vorurteile, denn in den vergangenen Jahren kann sich natürlich viel verändert haben. Immerhin sehe ich ja nur das schönste aller Plätzchen dieser zerstörten Erde, das Paradies, wie es im Original hieß.
Ich habe keine Ahnung, wie der Rest der Welt zurechtkommt, doch die Immunen scheinen für ihr langjähriges Leid endlich ausgezahlt worden sein und dürfen nun im Edelsten aller Gebiete leben - gerechtfertigt.
Natürlich leben sie nicht in Hütten und Zelten wie im Buch. Mehrere mehrstöckige Gebäude ragen aus dem süßen kleinen Haufen an Häusern hervor, welche sich dicht an dicht drängen, um möglichst wenig des kostbaren Grunds zu beanspruchen. Der Zaun lässt sehr viel Grün zwischen den ersten Häusern und schafft so eine weite, freie Wiesenfläche. Von der Distanz aus kann ich ein Sportgerüst, das man in meiner Welt oft in Parks findet, Picknicktische und sogar Fußballtore erkennen. Bei letzteren tummeln sich gerade mehrere Personen, die aber mehr spielerisch als ernst einen Ball hin- und herkicken und zeitweilen grölen oder sich Unverständliches zurufen. Angestrengt kneife ich die Augen zusammen, doch es lässt sich einfach keine der Personen auf die Entfernung identifizieren.
Ich seufze, reiße mich dann aber zusammen und gehe langsam durch die offen stehenden Tore. Der Zaun scheint ohnehin mehr für Wildtiere als für Cranks gedacht zu sein, weshalb es mich nicht wundert, dass der Eingang weder zugesperrt noch bewacht ist.
Es wundert mich auch nicht, dass mich anfangs niemand erkennt. Denn das Mädchen mit der langen, bunten Mähne sieht jetzt anders aus: Das Haar ist jetzt kurz und braun, ausgewachsene Strähnen hängen mir unordentlich in Nacken und Stirn und lassen mich mit der schlissigen Kleidung womöglich eher weniger weiblich wirken. Eigentlich habe ich ja auch gedacht, in der schmutzigen Wüste zu landen, und nicht in einem noblem Wohnviertel. Aber was soll's, ich bin auch schon mal in Großmutter-Unterwäsche vor wütenden Soldaten geflüchtet - aber dazu ein anderes mal.
Ein kleiner, unbekannter Junge von gerade einmal sieben oder acht Jahren ist der Erste, der mich bemerkt. Neugierig läuft er auf mich zu, ganz ohne Scheu oder Scham, und fragt mich direkt heraus: "He, willst du nicht mitspielen, wer immer du auch bist?"
Der kleine Blonde schenkt mir ein schiefes Grinsen, wobei sich seine vorderen Zahnlücken zeigen, die bereits schon halb von den nachkommenden Zähnen gefüllt werden. Lächelnd schüttel ich den Kopf.
"Nein danke, ich muss zuerst jemanden finden. Kennst du vielleicht einen Mi..."
"Hey, Jonas, hast du schon einen Ersatzspieler angeheuert?", lacht da eine fröhliche Stimme. Eine raue Stimme, kratzig tief, als habe sie noch mit den Nachwehen des Stimmbruchs zu kämpfen. Mein Blick schweift umher und haftet sich schließlich an den Redner, welcher langsam auf uns zujoggt. Eine nett anzusehene Körperstatur zeichnet sich durch das mit Grasflecken beschmierte T-Shirt, die helle Haut ist beinahe so weiß wie der Stoff und passt doch perfekt zu den roten Locken, welche sich wild um die leicht abstehenden Ohren kringeln. Sommersprossen ziehen sich über die Wangen wie Streusel und verleihen dem netten Lächeln etwas Spitzbübisches, Freches.
Ich brauche einen Moment.
Nein, zwei.
Dann überschlagen sich meine Gedanken; denn damit habe ich, ehrlich gesagt, absolut nicht gerechnet.
"Oh mein GOTT!", entfährt es mir etwas zu laut, doch die fragenden Blicke stören mich im Moment eher weniger. Der Rotschopf legt verwirrt den Kopf schief, auf seiner Stirn bildet sich eine Denkerfalte, als er mich mustert. Ich meine so etwas wie Zweifel in seinen Augen blitzen zu sehen, Unsicherheit, Unglauben. Doch er hat ohnehin keine Zeit, um länger zu Grübeln.
"Was ist... das? Was zur Hölle hast du gemacht? Du bist ja fast besser drauf als Thomas! Gott, und so groß! Warum bist du jetzt größer als ich?"
Natürlich wusste ich warum.
Chuck muss jetzt an die 16 Jahre alt sein und ist damit so gut wie ausgewachsen. Der einst pummelige, kleine Junge misst jetzt bestimmt an die 1,85m und trägt tatsächlich keine Fettröllchen mehr. Mein Gehirn kommt einfach nicht klar mit dieser extremen Veränderung. Aber was habe ich mir schon erwartet? Dass er immer noch aussieht wie 13? Eigentlich... so in der Richtig schon, ja. Erhofft zumindest.
Ein fast erwachsener Chuck ist so etwa die Ohrfeige für die letzten drei Jahre, die ich verpasst habe. Geschieht mir recht.
Sein Mund klappt auf, als auch er langsam realisiert, wen er hier vor sich hat. Anstatt mir aber eine Antwort zu geben, werde ich plötzlich hochgehoben, als wäre ich Luft. Chuck dreht mich einmal im Kreis, dass ich beinahe aus seinem Griff gerutscht wäre, seine Augen strahlen mich heller an als die eruptierte Sonne.
"Alina! Alina, du bist wieder da! Du Strunk bist wirklich wiedergekommen! Ich hab's doch gewusst!"
Auch ihn scheint es wenig auszumachen, über die gesamte Wiese zu schreien. Seine Umarmung zerquetscht mich beinahe, danach werde ich erneut herumgeschleudert, noch einmal umarmt. Chuck wirft mich herum wie ein Spielzeug, das er schrecklich vermisst hatte. Mein freudiges Gekreische scheint ihn nur noch mehr zu animieren.
Eine kleine Menschenmenge versammelt sich bereits um das seltsame Szenario, fremde Augen heften sich auf mich. Vereinzelt kann ich Sätze heraushören wie 'Ist das das Mädchen von damals?' oder 'Hat die nicht das Heilmittel gefunden?'. Stimmengemurmel erhebt sich, als plötzlich eine neue, scharfe Stimme das Getuschel übertönt.
"Was ist denn hier schon wieder los?", zetert die unverkennbare Stimme von Newt. Anscheinand geht er von einer Prügelei oder dergleichen aus, so schnell, wie sich die Schaulustigen aufgestaut haben, und gequietscht habe ich ja auch genug. Chuck hält inne, ich hänge etwas schwindelig in seinen Armen und suche die sich trennende Menge nach einem blonden Schopf ab. Es ist aber nicht der Ex-Crank, welcher zuerst die Oberfläche des Getümmels durchbricht, sondern... Teresa?
Allen Anschein nach hat sie jedoch von Chucks Gebrüll etwas mitbekommen. Ohne zu zögern läuft sie auf mich zu und nimmt mich ebenfalls stürmisch in den Arm. Ihr Gesicht ist ein einziger Strudel aus Fragezeichen und Freude, was mir ein wenig das Herz wärmt.
"Du bist ja wirklich nicht umzubringen!", lächelt sie mich an, ihre blauen Augen funkeln wie das dunkle Meer in der Sonne. Sie hat sich optisch kaum verändert, nur das Haar ist nun etwas lockiger und die Haut sauberer. Vermutlich durch pflegende Shampoos und regelmäßiges Waschen, anstatt ständiger Wüstenhitze.
Wankend stehe ich da, so überwältigt bin ich von den Emotionen des langen Wiedersehens. Erinnerungen erwachen zum Leben wie Knospen, die sich erst langsam, dann immer weiter öffnen und schließlich in ihrer vollen Blüte zum Vorschein kommen. Auch wenn ich lange Zeit hatte, alles zu verdauen, so wird mein Herz mir doch schwer bei den Gedanken an die zusammen erlebte Vergangenheit. Doch der richtig fette Braten kommt ja erst noch.
Chucks und Teresas Köpfe drehen sich synchron, und ich folge ihren Blicken.
Newt sagt nichts.
Er starrt einfach nur, stumm wie ein Fisch. Doch in seiner Mimik tobt das Gefühlschaos.
Ich tue es ihm gleich und gucke vorerst nur dumm.
"Deine Haare", ist das erste, was er hervorpresst. "Du hast sie... gefärbt. Und geschnitten."
Ein leises Lächeln stielt sich auf meine Lippen. Er wirkt so verloren, wie er so vollkommen überrumpelt von der Situation dasteht. Sein Haar ist dünkler geworden, sein damals dürrer Körper hat wieder zu einer fitten Statur zurückgefunden und wirkt kräftiger wie eh und je. Nervös kratzt der Blonde sich über den Arm, doch er senkt den Blick keinen einzigen Moment lang.
Ich atme tief ein, ehe ich mich zusammennehme und auffordernd die Arme ausstrecke. Wir sind doch hier nicht im Kindergarten; das muss echt nicht so unangenehm werden!
Newt scheint nur auf eine solche Geste gewartet zu haben, mit wenigen Schritten ist er bei mir angelangt und zieht mich in eine erstaunlich feste, fordernde Umarmung. Sein Atem schlägt heiß gegen meinen Nacken, als er kurz das Gesicht senkt, als wolle er es in meiner Halsbeuge vergraben, überlegt es sich jedoch anders und legt stattdessen einfach das Kinn an meinen Hinterkopf. Vorsichtig streiche ich ihm über die Schultern, welche nun wieder von einer gesunden Portion Muskeln überzogen werden und nicht mager unter der Haut hervorstechen. Bei dem Flashback graust es mir.
Heute, nach all den Jahren, graust es mir immer noch, an den zerstörten, wahnsinnigen Newt zu denken, der seinen Verstand fast an ein dummes Virus verloren hätte.
Ich frage mich mal wieder, wie es verlaufen wäre, hätte ich die Eiskur nicht erfunden - und wieder komme ich sofort zu dem Schluss, dass ich es eigentlich gar nicht wissen will.
Zögernd lässt der Blonde von mir ab, als befürchte er, ich könnte sofort wieder verschwinden. Schief lächle ich ihn an und strubble ihn einmal durch das halblange Haar.
Newt murrt, grinst dann aber.
"Du bist schon ein Strunk, Mädel. Ich will gar nicht nachfragen, wie du das überlebt hast."
Irritiert blinzle ich ihn an. Teresa hatte ja vorher auch so etwas in die Richtung gesagt, doch ich habe es für einen Schwerz gehalten.
"Was?"
Newts Mine verhärtet sich, sein Lächeln rutscht ihm von den Lippen. Er wird ernst.
"Du hast dich damals aufgelöst, Alina. Wie Staub. Du warst einfach weg. Wir dachten alle, das Buch hat dich zerstört."
Seine Stimme zittert kaum merklich, als er erzählt. Perplex starre ich ihn an. Darüber habe ich mir, ehrlich gesagt, nie Gedanken gemacht. Alle anderen konnte ich ja vorwarnen, dass ich weggehen würde, nur in der ersten Welt natürlich...
"Ach du heiliger Klonk!"
Ehe ich mich versehe, werde ich plötzlich nach hinten gerissen und ein japsender Bratpfanne drückt mich von hinten an sich, wobei er meine Brust schmerzlich einzwickt. Zum Glück lässt er mich aber ziemlich eilig wieder los und mustert mich genau von oben bis unten.
"Scheiße, bist du lebendig! Und in einem Stück! Ich glaub's nicht."
Der Koch schüttelt ungläubig den Kopf, um seine Worte zu unterstreichen, und sieht dabei ebenso verloren aus wie Newt zuvor. Jetzt muss ich doch laut loslachen.
Ich hatte ja Zeit, mich emotional auf die Begegnung vorzubereiten, doch für sie ist es ein wahrer Schock. Noch dazu, wo sie anscheinend alle dachten, ich bin tot...
"Können wir jetzt Thomas und Brenda suchen? Die wollen sie sicher auch noch sehen!", meldet sich Chuck schüchtern zu Wort, wobei ich wieder ganz den kleinen Jungen vor Augen habe. Meine Lippen brechen zu einem breiten Grinsen.
"Unbedingt!", bestätige ich.
Ich will unbedingt wissen, was aus den zweien geworden ist.
Und Minho.
Ich möchte unbedingt mit Minho reden.
× × ×
Wie sich herausstellt, scheinen Thomas und Brenda sogar eine Wohnung zu teilen. Also wenn das nicht mehr als eindeutig ist.
Newt grinst schief, als er meinen wissenden Blick bemerkt.
"Wunder dich nicht, die zwei stehen immer sehr früh auf und machen dann einen Mittagsschlaf", er setzt das Wort unter auffällig harte Gänsefüßchen, "und schauen vielleicht etwas verwirrt aus der Wäsche."
Gnadenlos stößt er einfach die Tür zum kleinen Häuschen auf, welches anscheinend eine Art Wohngemeinschaft bildet. Als nächstes wird gleich die erste Tür links aufgestoßen. Newt tritt in die Mitte eines schlicht eingerichteten Wohnzimmers, aus seiner Mine spricht pure Vorfreude. Auch die anderen quetschen sich in die kleine Wohnung, um ja keine Reaktion zu verpassen.
"TOMMY, KOMM MAL!", brüllt Newt laut und hämmert dann gegen eine der Türen. Dahinter rumort es leise, doch keiner öffnet. Newts Faust fliegt noch einmal ungeduldig gegen das Holz. Dumpf kann ich dahinter Verwünschungen hören, als es geräuschvoll tapst und daraufhin die Tür geöffnet wird. Sie war zwar nicht abgesperrt, doch in ein Schlafzimmer eines Pärchens zu platzen birgt stets Risiko.
Diesmal scheint Thomas aber wirklich geschlafen zu haben. Obwohl er nur eine Boxershort trägt, sieht man seinen zerknitterten Gesichtszügen doch stark an dass er nichts anderes getan haben kann. Auch die quer stehenden Haare sprechen dafür, welche einfach in ihrer Position verweilt waren.
Was ich mich aber viel mehr schockt: Thomas hat... einen Bart. Einen netten, kleinen Dylan-O'Brian-Bart. Es sieht damit einfach 10 Jahre älter aus.
"Himmel, Newt, ich...", setzt Thomas verschlafen an, stoppt dann aber, als er mich sieht. Für einen Augenblick herrscht Stille, als die einen auf eine Reaktion warten, der andere versucht eine richtige Reaktion zu geben. Auch ihm bleibt der Mund offen stehen, auch er starrt zuerst stumm wie ein Fisch.
"Warum... kurz?"
Verwirrt blinzle ich ihn an.
"U...und braun?"
Verdammt, sind denn nur meine Haare wichtig? Irgendetwas vergessen vielleicht? Die Person darunter?
Sofort wird meine beleidigte Existenz gewürdigt, als Thomas mich nun auch kräftig umarmt. So viel Liebe, hach herje.
"Ist das... Alina?!", nuschelt Brenda vom Bett aus, welches noch halb im Dunkeln steht. Als wäre das sein Stichwort, fährt Thomas plötzlich herum und winkt die neugierige Masse hektisch aus dem Zimmer. Mein Blick gleitet zu dem braunhaarigen Mädchen, welches sich schlaftrunken die Decke vor den nackten Oberkörper hält.
Ups... Soviel zu meiner Theorie.
× × ×
"Wo hast du das her?", fragt Chuck, während wir im Wohnzimmer warten, bis alle angezogen sind. Der Rothaarige deutet neugierig auf ein Mal auf meinem Unterarm; eine verblasste Rune.
"Das ist eine Rune. Damit kann man verschiedenste Sachen bewirken. Mit der kann man zum Beispiel Wunden heilen."
Ich zeige auf eine andere Narbe.
"Mit der wurde ich kurz unsichtbar, als ich vor betrunkenen Vampiren flüchten musste."
"Du hast was?!", fährt Teresa ungläubig dazwischen. Ich zucke lachend mit den Schultern.
"Andere Welten, andere Sitten. Andere Wesen."
Vielleicht hätte ich damit noch warten sollen, denn auf einmal hagelte es nur so Fragen.
Überfordert versuchte ich die wissenshungrige Meute zu beschwichtigen.
"Äh, ich... Ich erkläre das alles noch später. Warum holen wir in der Zwischenzeit nicht Minho?"
Der plötzliche Sturm an Fragen erstirbt abrupt. Alle werfen sich komische Blicke zu.
Was zur... Was sollte das denn jetzt? Was ist denn los? Ist es falsch, nach Minho zu fragen?
Ich will gerade nachfragen, da erübrigt das Schicksal sich von selbst.
Denn da geht auf einmal die Eingangstür auf und der besagte Teufel steht höchstpersönlich im Bilde.
Er hat sich nicht verändert. Schwarzes, fülliges Haar, dunkle Augen, kräftiger Körper. Ist es rassistisch zu behaupten, Asiaten sähen sowieso immer gleich aus, egal wie alt sie sind? Immerhin ist dies ein Jungbrunnen.
Was eher markant ins Auge sticht, ist das, was er hält.
Eine Hand.
Die Hand eines blonden Mädchens.
Verdutzt starre ich das vermeintliche Paar an.
Minho hat eine Freundin.
Deshalb... Deshalb stutzte jeder? Denken sie, ich würde traurig reagieren? Oder eifersüchtig, wütend, frustriert?
Kurz horche ich in mich hinein, scanne dabei die Gestalt neben dem Asiaten von oben bis unten.
Sie ist... gewöhnlich.
Keine vollbusige Tussi, nicht überschminkt, nicht gestyled. Ihr Körper ist schlank, mit sanften Kurven, die jedoch nicht unbedingt hervorstechen. Fast so wie... ich.
Sie wirkt einfach, nett, ein junges Mädchen, dass mir durchaus sympathisch sein könnte.
Minho hatte den Mund geöffnet, um irgendetwas zu sagen, vermutlich einer seiner dummen Sprüche. In dem Procedere war er jedoch zu leblosem Stein erstarrt, als wäre ich Medusa.
Sein Blick ist geschockt.
Die Blonde zupft verwirrt an seiner schlaffen Hand.
"Na, gar kein dummer Spruch?", spricht sie genau meine Gedanken aus, wirkt dabei aber etwas verunsichert. Sie scheint zu wittern, dass hier etwas zum Himmel stinkt. Die dicke Luft war eigentlich unbegründet, und doch irgendwie vorhersehbar gewesen. Ich atme tief durch, dann mache ich einen Schritt auf Minho zu und...
...dieser zuckt auf einmal zurück, als würde ich ihn mit meiner Nähe bedrohen. Sein Körper ist angespannt, sein Blick immer noch schockiert. Er scheint nicht wütend, sondern einfach nur... ängstlich? Hat er Angst vor mir?
Ich seuftze. Kurz blicke ich zu der Blonden, welche mich mit einer Mischung aus Misstrauen und Neugier mustert. Ich kenne sie nicht, doch an ihrem berechnenden Blick sieht man, dass sie die Puzzelteile zusammenzusetzen beginnt. Und das, obwohl alles nur sehr vage deutlich ist; sie muss unglaublich wiff sein.
"Hey, ich bin Alina", sage ich möglichst freundlich und strecke ihr die Hand hin. Minho weicht weiter zurück, sie aber bleibt an Ort und Stelle. Langsam ergreift sie meine Hand und schüttelt sie leicht.
"Ich bin Tanja, Minhos Freundin."
Wusste ich's doch.
Mein Blick schweift zu dem Asiaten, und auch Tanja dreht sich zu ihm um. Er hat immer noch kein Wort gesagt, starrt einfach weiter.
Ich seuftze tief.
"Ja, ich lebe noch. Mir geht es gut, danke der Nachfrage - das hat eigentlich noch keiner gefragt, nur so als Anmerkung - und ja, ich habe mir die Haare geschnitten und gefärbt. Ich bin kritikfähig, du darfst dich äußern, wenn du willst."
Ganz klein wenig beleidigt bin ich ja doch, dass Minho so tut, als wäre ich als Mumie aus dem Sarg gekrochen. Zu meiner Überraschung ist es aber nicht er, der antwortet, sondern Tanja.
"Das ist das Mädchen? Alina? Deine erste große Liebe?"
Sie wirft mir einen vieldeutigen Blick zu.
"Die totgeglaubte Freundin? Und dann schaffst du Idiot nicht einmal ein Hallo?"
Tanja wirft ehrlich entrüstet die Hände in die Luft und packt Minho am Ärmel, worauf dieser zusammenzuckt und endlich den Blick abwendet. Stattdessen sieht er nun die Blonde verdutzt an.
"Warum date ich dich überhaupt, wenn du nicht mal solche Emotionen verarbeiten kannst? Mensch, Minho, du bist du kein kleines Kind mehr!"
Es ist skurril, ein solch zartes Mädchen mit dem Großmaul so schimpfen zu sehen. Bei mir war es damals vermutlich nicht anders.
Tanja tritt wieder an mich heran, diesmal lächelt sie höflich. Gott, wie konnten die anderen denken, dass ich sie vielleicht hassen würde? Das Mädchen ist mir jetzt schon sympatischer als 90% der Welt(en).
Nein, ich bin definitiv, nicht eifersüchtig auf die zwei. Ich freue mich für Minho, dass er jemanden gefunden hat - jemanden, der auch in diese Welt gehört.
"Tut mir leid für den seltsamen Auftritt", sagt Tanja in gedämpftem Ton, "aber wir waren nicht ganz vorbereitet auf so einen Besuch."
Ich nicke.
"Das war niemand."
× × ×
Ich würde gerne behaupten, dass ich Minhos seltsames Verhalten akzeptieren könnte, aber es ist schwer. Denn es verletzt mich doch ein wenig sehr, dass er kein einziges Wort an mich richtet.
Er ignoriert mich den ganzen Tag über. Den ganzen Abend.
Ich habe es mit der lieben Art versucht, ihn angeredet, ihn simple Sachen gefragt. Er ist unter meiner Stimme zusammengezuckt wie ein geschlagener Hund und hat sich abgewendet. Dageblieben ist er sowieso nur, weil Tanja ihn vermutlich sonst noch mehr zusammengestaucht hätte. Das Mädel hat ihn wirklichim Griff; so wie ich. Damals.
Der Abend zieht sich hin, es wird getrunken, geplaudert, gelacht. Bratpfanne hat mir von seiner kleinen Imbissbude erzählt, die er hier hobbymäßig betreibt, Newt ist ebenfalls seinen alten Tätigkeiten nachgegangen und arbeitet als Gärtner und Landwirt in den Feldern. Chuck ist eine Art Hüterhund der Kinder geworden, ein Ein-Mann-Kindergarten sozusagen, und beschäftigt die kleine Meute übertags. Alby, Jeff und Gally sind als freiwillige Helfer in den Städten unterwegs und helfen beim Aufsammeln der Kranken, weshalb sie heute auch nicht hier sein können. Es ist schade, doch die Versicherung der anderen, es ginge ihnen gut, reicht mir vorerst.
Ich erfahre viele Dinge, die sich in den letzten Jahren getan hatten.
Das 'Heilmittel' sei nach meinem Verschwinden rasend schnell verbreitet worden, in jeder Stadt wurde ein eigenes Gebäude für ein Eisbad errichtet. Cranks bis ins vorletzte Stadium wurden geheilt und der Virus war bis auf einzelne Wüstenregionen zurückgedrängt worden. Den Brand gibt es immer noch, keine Frage, doch er ist unter Kontrolle. Dieses Wissen schenkt mir mehr Ruhe und Genugtuung, als ich es zu denken vermochte. Das, und die alten Erzählungen des Geschehenen, die gemeinsamen Probleme früher, die Erinnerungen. Viele reden mit mir über meine Zeit im Labyrinth, über ANGST, über Clint. Es tut gut, sich auszusprechen.
Ich lausche gerade einer Erzählung von Chuck, als sich plötzlich eine Hand auf meine Schulter legt. Verwirrt blicke ich auf und sehe Tanja ins Gesicht. Sie lächelt zaghaft.
"Kommst du kurz?"
Irritiert nicke ich und folge ihr einige Schritte von der Menge weg, gerade so, dass man sich alleine unterhalten kann. Das Glas, welches ich in die Hand gedrückt bekommen habe, wechselt unruhig von einer Hand in die andere, als sie tief Luft holt.
"Keine Sorge, jetzt kommt kein Halte dich vom meinem Freund fern oder so. Ich weiß sowieso, dass du heute Abend wieder in deine Welt zurückkehrst."
Ich nicke als Bestätigung, doch sie nimmt mich scheinbar gar nicht wirklich wahr.
"Es tut mir leid, dass er so komisch ist. Es ist nur... Er... Er hatte dich wirklich gerne."
Sie seufzt, als fiele es ihr schwer, das zuzugeben. Ein wenig eifersüchtig war sie also doch, doch immerhin versuchte sie dies zu unterdrücken.
"Ich weiß, dass Minho mich liebt, aber du warst eben seine erste große Liebe. Dein 'Tod' hat ihn damals sehr mitgenommen, das sagen andere und das sagt er selbst. Er hat mir viel von dir erzählt."
Ihr Blick wird etwas wehmütig.
"Du hast wahnsinns Dinge vollbracht. Hast ein Heilmittel gefunden. Ich will dich nicht als Konkurrenz sehen oder gar hassen. Ich kann Hass nicht leiden."
Ich schlucke schwer. Dieses innige Liebesgeständnis über einen Dritten ist schon irgendwie seltsam, vor allem weil das alles schon so lange her ist.
"Wie lange seid ihr schon zusammen?"
"Ein Jahr etwa."
Ich nicke, dann bin ich es, die Luft holt.
"Ich freue mich für Minho. Es war alles schrecklich kompliziert damals. Ich weiß nicht wie viel du weißt, aber..."
"Alles. Ich weiß alles."
Ich zögere kurz.
"Newt..."
"War auch verliebt in dich. Sie haben sich ziemlich gestritten, aber nach deinem Verschwinden haben sie sich wieder zusammengerafft."
Sie lacht kurz bitter auf.
"Ich bin nur froh, dass ich nicht in die Fronten zwei bester Freunde geraten bin. Muss echt scheiße sein."
Ich nicke träge.
"Jedenfalls, wünsche ich keinesfalls etwas Schlechtes. Du scheinst ein sympathischer Mensch zu sein, und den richtigen Ton hast du auch schon mal ihm gegenüber. Pass auf ihn auf, er ist manchmal echt dämlich für seinen hohen IQ."
Tanja beginnt zu grinsen und nippt an ihrem eigenen Glas.
"Das haben viele gesagt. Dass du auch so mit Minho umgegangen bist."
Ihr Blick wird nachdenklich und sie nippt erneut an der Flüssigkeit.
"Vielleicht hat er das gebraucht. Diese Ähnlichkeit. Aber", setzt sie sogleich hinterher, "ich bin kein Ersatz. Zumindest meinen alle, ich sei sehr anders als du. Ich hoffe, ich bin kein Ersatz."
Ihre Stimme wird gegen Ende hin leiser, verliert sich im Gemurmel der anderen Leute. Ich beiße mir auf die Unterlippe und lege vorsichtig eine Hand auf ihre schmale Schulter.
"Das bist du nicht. Bestimmt nicht. Minho mag ein Dummkopf sein, aber er hat Herz. Irgendwo, unter all den dummen Sprüchen und dem übermäßigen Ego."
Wir beide müssen lachen.
Dann räuspere ich mich noch einmal vernehmlich.
"Ich wünsche euch alles Gute, Tanja. Ich wünsche mir dass Minho mit dir glücklich wird. Und du mit ihm."
Und das meinte ich auch so.
Jedes einzelne Wort.
× × ×
Es ist beinahe Mitternacht, als ich mich zu verabschieden beginne. Noch nie ist mir dies so schwer gefallen, in keiner Welt zuvor.
Aber es ist kein Leb Wohl.
Es ist ein Auf Wiedersehen.
Nur eben auf unbestimmt lange Zeit.
Unruhig fummel ich schließlich an der Uhr herum, die Marie mir gegeben hat. Mit ihr kann ich die Seitenzahl vorspulen und mich gezielt nach Hause schicken - wie das funktioniert, weiß ich zwar nicht, aber Marie war ohnehin ein Rätsel für sich. Als ich endlich soweit bin, schaue ich noch ein letztes Mal in die Runde.
"Na dann", sage ich matt, "bis zum nä..."
"Warte."
Überrascht schaue ich auf.
Zögernd tritt Minho nach vor, sein Blick gleitet unruhig zwischen meinem Gesicht und der Uhr hin und her. Er schluckt hörbar, ehe er ganz, ganz langsam die Arme zu heben beginnt. Ich bin zur irritiert um zu verstehen, was er will, als er auf mich zugeht.
Die Umarmung ist anders als bei den anderen. Nicht voller Übermut, Euphorie und Überschwang. Sie ist sanft, vorsichtig und schüchtern.
Und trotzdem ist der Druck stark, als Minho mich an sich presst.
Ich kann nicht leugnen, dass mein Herz dabei einen Zahn zulegt. Der fremde, und doch so vage bekannte Geruch seiner selbst steigt mir in die Nase und erinnert mich an die Nächte, die wir in der Wüste verbracht hatten. Ich hatte mich bei diesem Duft aus herber Männlichkeit sicher gefühlt, trotz Tod und Verderben um uns herum. Es ist wie ein schwaches Déjà-vu, das mich sowohl emotional als auch glücklich macht.
"Es tut mir leid, dass ich mich so scheiße verhalten habe", murmelt Minho rau gegen mein Haar, und mir läuft eine hauchzarte Gänsehaut den Nacken hinab.
"Du dachtest ja immerhin, ich bin tot", flüstere ich zurück, doch sofort wird dies mit einem leichten Kopfschütteln beantwortet.
"Nein. Alles. Damals, als wir dich... haben sitzen lassen. Als wir dachten, du hast uns verraten. Ich habe das gedacht. Ich war so... so...", er stockt.
"Verletzt? Enttäuscht? Wütend?"
"Alles auf einmal."
Ich nicke bloß.
Minho seufzt und drückt mich noch ein Stück fester an sich.
Dann haucht er, dass ich es gerade noch so verstehen kann: "Du hast mir zweimal das Herz gebrochen. Einmal mit deinem Verrat... Und einmal mit deinem Tod."
Er löst sich so schnell von mir, dass ich beinahe schwanke. Minho blickt auf mich herab, ein sanftes Lächeln umspielt seine Lippen.
"Bis bald, Alina."
Er tritt zurück und greift nach Tanjas Hand, welche mich einen bedeutungsschwangeren Blick zuwirft. Und dann finden meine Finger die Uhr; und mein ungewöhnlich schneller Herzschlag verschwimmt mit dem Rauschen, das mich verschluckt und in für kurze Zeit in unendliche Schwärze ertrinken lässt.
Denn irgendwie... irgendwie habe ich den Strunk ja doch vermisst.
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4800 Wörter. Beam.
Ich hoffe ihr konntet mit diesem Zulunftsblick etwas anfangen - im Grunde ist es ja die Gegenwart, denn ich habe 2015 mit der Geschichte begonnen. Kaum zu glauben, was ich mit 14 alles gedacht habe, mit 16 zu können haha 😅
Habt ihr den 3. Film schon gesehen? Einige Szenen haben mich etwas enttäuscht, weil sie so anders waren wie im Buch, doch im Endeffekt hat es mir sehr gut gefallen. Kann ich nur empfehlen :)
Auf dass wir uns vielleicht in einem anderen Buch wieder treffen,
Eure Cookietoo!
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